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Helga König Im Gespräch mit Sabine Bode

Sehr geehrte Frau Bode, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Nachkriegskinder" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Helga König: Sie erwähnen in Ihrem Buch den Ratgeber zur Säuglingspflege „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer. Dieses Buch erreichte in der NS-Zeit eine Auflage von 700 00 Büchern. Können Sie uns Lesern kurz schildern, welche Hauptthesen Haarer vertrat und wie sich diese Erziehungsideale noch bei der Erziehung von Kindern, die in den 1950er Jahren geboren wurden, auswirkte?

Sabine Bode: Frau Haarer war während der NS-Zeit die Fachfrau für Säuglingspflege. Ihr Buch war die Grundlage der Kurse der „Mütterschule“ und erreichte auf diese Weise Hundertausende von jungen Müttern, die ihre Kinder daraufhin nach Haarers Dressurmethoden erzogen. Nach deren Vorstellungen sollten Babys alleine gelassen werden. Mütter sollten sich nicht unnötig mit ihnen abgeben, damit keine Affenliebe entstünde, weil diese nach Haarers Auffassung tyrannische Kinder zu Folge habe. Sie empfahl Babys schreien zu lassen, sie auf keinen Fall hochzunehmen. Kleinkinder sollten so dresssiert werden, dass möglichst schon mit dem 1. Lebensjahr kein Windeln mehr nötig war. Das Resultat solcher Maßnahmen dürfte jedem halbwegs psychologisch gebildeten Menschen klar sein.

Helga König: Sind die in den 1950er Jahren geborenen Kinder besonders stark „parentifiziert“ und wenn ja, wieso?

Sabine Bode: Ja, das trifft auf viele Kinder zu, wenn sich die Eltern nicht von ihren schweren Traumata erholt haben. Kinder spüren deren seelische Not von Anfang an und sie fühlen sich dann für das Wohlergehen der Mutter oder des Vaters verantwortlich. Da ist die Eltern-Kind-Fürsorge auf den Kopf gestellt. Die Kinder der Kriegskinder hatten das Gefühl – meistens unbewusst - ihre Mütter trösten zu müssen. Sie waren viel zu klein waren, um die Hintergründe zu verstehen: Der Ehemann war im Krieg gefallen, die Familie war ausgebomt worden, die Mutter war im Krieg vergewaltigt worden. Die Kinder sind von den Traumata, die sie besonders bei ihren Müttern erfühlen, sehr berührt und glauben, sie beschützen zu müssen. Auf keinen Fall darf man so eine Mutter enttäuschen, indem man ihr zusätzlich Probleme bereitet.

Helga König: Mir sind im Laufe meines Lebens immer wieder Menschen, die in den 1950er Jahren geboren worden sind, begegnet, die überhaupt keine Ahnung von den Traumata ihrer Eltern hatten. Haben Sie bei Ihren Recherchen eine ähnliche Erfahrung gemacht? Speziell bei Müttern, die aus dem Osten kamen und dort mit Vergewaltigung konfrontiert worden sind?

Sabine Bode: Ja. Zumeist erzählen die Eltern, speziell vergewaltigte Mütter, nichts über diese Erfahrungen, sodass im Grunde die Vermutungen der Kinder auf Gerüchten beruhen.

Helga König: Konnten Sie bei Ihren Recherchen feststellen, dass Personen, die in den 1950er Jahren ihre Kindheit verbrachten, angstbesetzter sind als andere Jahrgänge?

Sabine Bode: Nein. Die meisten Ängste haben meiner Meinung nach die Angehörigen der 1960er Jahrgänge, konkret:  die Kinder der Kriegskinder, die sogenannten Kriegsenkel. Häufig ist ihr Vertrauen ins Leben gering und sie leiden unter Ängsten, die sie sich nicht erklären können. Dies hängt damit zusammen, dass sie nicht auf die Idee kommen, sich vorzustellen, was ihre Eltern als Kinder im Krieg erlebt haben könnten. Sie kommen nicht auf die Idee, dass sie die Ängste ihrer Eltern geerbt haben könnten.

Helga König: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem fürchterlichen Verhalten der Väter und der Emanzipationsbewegung, die durch die Tochtergeneration ausgelöst worden ist?

Sabine Bode: Die Frauen der 1968er Emanzipationsbewegung sahen in ihren Vätern in erster Linie Machos. Ein Zusammenhang zu deren Kriegserfahrungen wurde nicht gesehen.

Helga König: Setzt eine Aussöhnung mit Prügel-Vätern psychologische Hilfe voraus?

Sabine Bode: Ja, unbedingt.

Helga König: Hat die Verrohung der deutschen Soldaten besonders in Russland dazu geführt, dass viele Männer, wenn sie nach dem Krieg Väter wurden, sich zu ungebremsten Prügelexzessen hinreißen ließen?

Sabine Bode: Ja, es waren gravierende gesellschaftliche Folgen. Bekanntermaßen nimmt die häusliche Gewalt - also die an Frauen und Kindern – nach einem Krieg zu.

Helga König: Verrohung durch Kriege ist bei vielen Soldaten symptomatisch. Gibt es Untersuchungen, wonach Väter, die im Krieg Soldaten waren, generell häufiger ihre Kinder prügeln?

Sabine Bode: Ja, ich habe solche Untersuchungen im Hinblick auf Vietnam-Veteranen gelesen. Inden USA wurde das Kriegsfolgeverhalten von traumatisierten Soldaten sehr genau untersucht. Verrohung durch den Krieg ist also ein generelles Phänomen. Der Krieg hört nicht auf, wenn die Waffen schweigen.

Liebe Frau Bode, ich danke Ihnen herzlich für das Interview. 
Ihre Helga König




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