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Helga König im Gespräch mit Hanne Tügel

Liebe Frau Tügel, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Wege zur Weisheit" rezensiert. Dazu möchte Ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Helga König: Können Sie den Lesern kurz mitteilen, was Sie unter Weisheit verstehen?

Hanne Tügel: Meine Lieblingsdefinition stammt von einem Grundschüler. Der sagt, Weise seien „ehrlich, nett und rätselhaft“. Im Übrigen haben sie zum Beispiel Seelenruhe, inneren Frieden, Ratgebertalent und Gespür dafür, was in einer bestimmten Situation sinnvoll und richtig ist.

Helga König: Mit welcher Person aus der Geschichte assoziieren Sie den Begriff Weisheit am meisten?

Hanne Tügel: Mich fasziniert die Figur des Laozi aus dem alten China. Er war ein Gelehrter, der sich, als er alt wurde, in die Bergeinsamkeit zurückzog. Auf dem Weg traf er der Legende nach einen Zöllner, der neugierig fragte, was seine Studien denn ergeben hätten. Daraufhin schrieb Laozi 5000 Zeichen auf, das berühmte „Daodejing“. Es gibt da die schöne Stelle: „Wer weiß, redet nicht. Wer redet, weiß nicht.“ Ein Paradox – schließlich hat er selbst ja auch geredet; allerdings erst, als er gefragt wurde. Das gehört für mich zur Weisheit: Sie ist ein Beziehungsprodukt. Sie braucht Geber und Empfänger und den rechten Zeitpunkt. Sein Wissen und seinen Rat anderen zur Unzeit aufzudrängen, ist nicht weise. Laozis Lehre, der Daoismus, ist im Übrigen sehr modern. Es geht darum, von der Natur zu lernen. Sie zu nutzen, dabei aber mit ihr, nicht gegen sie zu arbeiten.

Helga König:  War Sokrates in Ihren Augen ein weiser Mensch und wenn ja, weshalb?

Hanne Tügel: In mancher Hinsicht auf jeden Fall. Seine Art, Menschen zur Erkenntnis anzustiften, ist und bleibt genial. Er doziert nicht, er fragt und verführt dazu, selbst zu entdecken. In anderer Hinsicht hat er ein Ideal vertreten, das ich nicht teile. In der griechischen Antike hat sich beim Blick auf die Weisheit die Lehre durchgesetzt, dass der Geist getrennt vom Körper existiert und erst dann zu voller Blüte erwacht, wenn er möglichst wenig mit dem Leib zu tun hat. Dieser sehr männliche Vorstellung ist auch Sokrates gefolgt. In den Zeiten davor galten als Ikonen der Weisheit Göttinnen wie Isis oder Artemis, die ein umfassenderes Weisheitsbild verkörperten: Geist verbunden mit Erotik, Sinnlichkeit, Fürsorge.

Helga König:  Worin unterscheidet sich fernöstliche von europäischer Weisheit?

Hanne Tügel: In der europäischen Variante geht es bis heute in erster Linie um Ratio, um Vernunft und darum, letzte Gewissheiten durch Denken zu erfassen. In den fernöstlichen Lehren spielt das eine geringere Rolle. Hier versucht man, sich den letzten Geheimnissen eher durch Innenschau und Meditation zu nähern.

Helga König:  Sie haben Ihr Buch in drei Hauptteile untergliedert: „Das Ideal“, „Die Annährungen“, „Der Weg“. Was haben Sie durch diese Unterteilung bezweckt?

Hanne Tügel: Weisheit als „Ideal“ ist das universelle Menschheitsthema, das von den Weisheitslehren der alten Ägypter bis zu weisen Ratgeberfiguren in Science-fiction und Fantasy reicht. Dazu gehören aber auch aktuelle Ansätze, sich dem Thema Weisheit forschend zu nähern zum Beispiel auf dem Feld der experimentellen Psychologie und Evolutionsbiologie. Unter „Annäherungen“ verstehe ich Facetten wie Poesie, Mystik, die Lehren der Naturvölker, der Frauen. Und der „Weg“ führt in die Praxis.Welche Facetten gehören zur „Meisterschaft in Lebenskunst“ und zu einem weisen Alltag und wie lassen sie sich erringen?


Helga König:  Kann Intelligenz beim Weisewerden hinderlich sein?

Hanne Tügel: Zumindest reicht sie nicht aus. Die Sprache kennt ja schöne Begriffe wie Schlaumeier, Klugscheißer, Cleverle, die zeigen, dass Intelligenz mitunter im Eigennutz stecken bleibt. Das heißt nicht, dass Intelligenz dabei schadet, weise zu werden – zur Weisheit gehören Eigenschaften wie Selbstreflexion oder Ratgebertalent, für die sie nötig und wichtig ist. Aber eben auch andere Merkmale, die wenig mit dem IQ zu tun haben: Großzügigkeit, Geduld, Bescheidenheit.

Helga König: Setzt Weisheit ein bestimmtes Lebensalter voraus?

Hanne Tügel: Lebenserfahrung ist sicher ein wichtiger Aspekt. Aber auch sehr junge Menschen können weise erscheinen. Wenn man manche Berichte von todkranken Kindern liest, hat man den Eindruck, dass bei ihrem Umgang mit der Krankheit und dem eigenen Schicksal viel Weisheit im Spiel ist.

Helga König: Hat das Schreiben des Buches Ihnen dabei geholfen, weiser zu werden? J)

Hanne Tügel: Oh je, da verweigere ich die Aussage. Ich kenne noch reichlich viele Schwächen meinerseits.

Helga König: Worin sehen Sie den Schlüssel, um Weisheit zu erlangen?

Hanne Tügel: In Offenheit für neue Erfahrungen. In der Fähigkeit, in Konflikten nicht reflexartig zu reagieren, sondern einen Augenblick innezuhalten. Im Talent, sich nicht allzu wichtig zu nehmen.

Liebe Frau Tügel, ich danke Ihnen herzlich für dieses aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König

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