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Helga König im Gespräch mit Friedemann Beyer

Sehr geehrter Herr Beyer, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Der Fall Selpin" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Helga König: Denunziation ist ein jahrtausendealtes Mittel, um sich in Unrechtstaaten seiner Konkurrenten und Hassobjekte zu entledigen. Während der Nazizeit, auch in der DDR stand Denunziation auf der Tagesordnung. In Staaten, übrigens auch in Firmen oder Familien, in denen Denunziation gefördert wird, herrscht über kurz oder lang ein Klima von Angst und Schrecken, das jegliche Kreativität und jegliches gute Miteinander abtötet. Keiner kann dem anderen mehr trauen. Dies ist natürlich von den Herrschern gewollt, denn auf diese Weise können sie einfacher Dominanz ausüben. Zurück bleibt immer verbrannte Erde und dennoch lernt die Menschheit daraus nichts.

Die beiden Protagonisten in Ihrem Buch sind exemplarische "Figuren" solcher Denunziationstragödien. Wäre der Regisseur Herbert Selpin nach Ihrer Meinung aufgrund seines doch offenbar recht kommunikativen Wesens früher oder später von einem anderen Neider denunziert worden oder glauben Sie, dass sich die Tragödie nur zwischen Selpin und seinem engsten Mitarbeiter Walter Zerlett-Olfenius hat ereignen können?

 Friedemann Beyer
Friedemann Beyer: Selpin wäre früher oder später auch von anderer Stelle denunziert worden, dessen bin ich mir sicher. Denunzianten wurden ja staatlicherseits ermuntert und belohnt, zumal sich das Regime während des Krieges ab ca. 1941 zunehmend radikalisierte.

Helga König: War Selpin ein generell potentielles Denunziantenopfer und wenn ja, wodurch?

Friedemann Beyer: Er hatte ein aufbrausendes Temperament, ließ sich den Mund nicht verbieten. Deshalb: Ja.

Helga König: Was motivierte Sie sich mit dem Fall Selpin auseinanderzusetzen?

Friedemann Beyer: Der Fall ist mir seit vielen Jahren bekannt. Mich reizte die offene Frage: Mord oder Selbstmord. Im vergangenen Jahr fand sich dann dankenswerter Weise mein Verlag bereit, dieses Thema als Buch herauszubringen.

Helga König: Haben Sie bei Ihren Recherchen ermitteln können, dass Zerlett-Olfenius auch andere Menschen in irgendeiner Form denunzierte?

Friedemann Beyer: Er soll damit anderen Beteiligten des Falles zumindest gedroht haben, etwa Fritz Maurischat.

Helga König: Wie stark war Selpin von den Nazis abhängig, wurde er zeitweilig protegiert?

Friedemann Beyer: Er galt als hochtalentierter, junger Regisseur, der auch vor schwierigen logistischen Herausforderungen nicht zurück schreckte und einen dynamischen, „modernen“ Stil hatte. Dass er protegiert wurde, verraten die Vorfälle in den 30er Jahren, als seine Wutausbrüche von der Reichsfachschaft Film nur sehr milde geahndet wurde.

Helga König: Weshalb hat Selpin nicht wie andere Regisseure das Land verlassen?

Friedemann Beyer: Weil ihm als jungem, aufstrebenden Regisseur in Deutschland nach 1933 exzellente Arbeitsbedingungen geboten wurden und er rasch Karriere machen konnte – nicht zuletzt aufgrund der Vertreibung jüdischer Kollegen, deren Plätze Filmschaffende wie Selpin und viele seiner Altersgenossen offenbar ohne Skrupel einnahmen.

Helga König: Können Sie uns kurz etwa über das Verhältnis Selpins zum zuständigen Minister Goebbels berichten?

Friedemann Beyer: Goebbels schätzte Selpin als Regisseur, der sich als versierter Handwerker mit einer damals modernen Filmsprache empfahl. Er förderte seine Karriere, in dem er ihn mit zunehmend aufwändigen Projekten betrauen ließ. Schließlich war Selpin auch Parteimitglied. Beim Ehrengericht am 30.07. in seinem Büro versuchte Goebbels, Selpin eine goldene Brücke zu bauen, indem er ihm die Möglichkeit einräumte, seine defätistischen Äußerungen zu widerrufen.

Dass Selpin dies nicht tat, bleibt bis heute rätselhaft und gibt Raum für Spekulationen.

Helga König: Wie kritisch stand Selpin den Nazis gegenüber. Hatte er Verbindung zu Personen aus der Widerstandbewegung?

Friedemann Beyer: Wie viele Deutsche unter der NS-Diktatur lebte Selpin eine Art von Bewußtseinsspaltung: nach außen funktionierte er tadellos, drehte Propagandafilme und verhielt sich linientreu, im Freundes- und Kollegenkreis ließ er keine Gelegenheit aus, um sich über das Militär und die Führung zu mokieren.

Helga König: Gab es in Filmkreisen generell subtilen Widerstand gegen die Machenschaften der Nazis?

Friedemann Beyer: Durchaus.

Helga König: Halten Sie den Drehbuchautor Walter Zerlett-Olfenius für einen zutiefst neidischen Menschen, dessen Triebfeder für die Denunziation Neid oder die Melange aus ideologischer Zugebrettertheit und Neid war?

Friedemann Beyer: Hierüber möchte ich mir kein Urteil erlauben

Helga König: War Selpin Ihrer Meinung nach ein Mensch, den es am gesunden Misstrauen mangelte?

Friedemann Beyer: Dies war offenbar der Fall.

Helga König: Meinen Sie, dass zwischen Denunzianten und Denunzierten immer große Persönlichkeitsunterschiede bestehen müssen und Denunzianten im Grunde stets vorteilsdenkende, gehässige, neidische Zeitgenossen sind, die aufgrund ihres Persönlichkeitsmusters immer und überall in gleicher Weise zu agieren suchen?

Friedemann Beyer: Ich meine, dass aus potenziellen Denunzianten ebenso schnell Denunziationsopfer werden können – und umgekehrt. Abhängig von der Situation, in der sich jemand befindet. Ich sehe nicht, dass es in diesem Bereich die Welt nur in Täter und Opfer teilt.

Liebe Herr Beyer, ich danke Ihnen für das erhellende Interview.
Ihre Helga König

Kostenfreies Foto aus dem bestand von Friedemann Beyer- Fotograf unbekannt

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