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Helga König im Gespräch mit Eric T. Hansen

Lieber Herr Hansen, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch »Nörgeln- Des Deutschen größte Lust«, das Sie gemeinsam mit Astrid Uhle verfasst haben, rezensiert. Hierzu möchte ich Ihnen einige Fragen stellen

Helga König: Ich teile mit Ihnen die Meinung, dass Nörgeln leider eine typisch deutsche Eigenschaft ist. Worin liegen die Ursachen für dieses unangenehme Phänomen?



Eric T. Hansen: Die Deutschen sind fest davon überzeugt, Nörgeln sei ein Zeichen von Intelligenz. Dieses gilt für jede Art von Nörgelei, ob das persönliche „Jammern“, das traditionelle Ehe-„Nörgeln“ oder das sogenannte „kritische Denken“, das in Wahrheit nur getarntes Nörgeln auf hohem Niveau ist. Es darf kein Produkt auf den Markt kommen, kein Politiker ins Amt, keine Änderung oder Geschehnis auf der Welt passieren, ohne dass die Deutschen etwas Schlechtes daran finden – das gibt ihnen das Gefühl, den Durchblick zu haben. Durchblick in Deutschland funktioniert aber nur so – im Negativen. Wer in dem, was gut ist, das Schlechte findet, gilt als besonders intelligent; wer im Schlechten das Gute finden kann, ist aber naiv.


Helga König
Helga König: Worin liegt die eigentliche Absicht der Nörgler? Ist ihr Genörgele vom Wunsch der Selbsterhöhung oder der Absicht die Arbeit anderer zu erniedrigen motiviert?

Eric T. Hansen: Neurologisch gesehen hängt chronische Nörgelei mit Angst zusammen. Man hat Angst vor einer Änderung, einer Herausforderung, einem Risiko oder vor der Ungewissheit; man fühlt sich ohnmächtig etwas zu tun und ersetzt das Handeln mit Nörgeln. Es ist eine Reaktion und hängt mit dem primitivsten Verhaltensmuster der Amygdala – ein Teil des Limbischen Systems – zusammen. Damals, als Steinzeitmenschen, wenn wir in die Ecke gedrängt würden, hatten wir drei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Kämpfen, Flüchten oder tot stellen. Ein Dauernörgler – z.B. in der Ehe – weiß, er kann seine Frau nicht mehr ändern und er will auch nicht fliehen. Er ist ohnmächtig. Also nörgelt er.


Helga König: Welche Eigenschaften werden von Nörgelsucht begleitet?

Eric T. Hansen: Ohnmacht, eine vor der Welt versteckte Feigheit, und eine tiefe Unzufriedenheit.


Helga König: Sind Nörgler zwanghafte und missgünstige Rechthaber und im Eigentlichen unfähige, ihre Mitmenschen kontrollieren wollende Schwachmaten, die  insgeheim wissen, dass es ihnen selbst an Kreativität fehlt und sie deshalb diese Eigenschaft anderen neiden und durch Nörgelei zu bekämpfen suchen?

Eric  T. Hansen: Die Deutschen sind nicht unfähig, ihre Situation zu ändern – sie sind alles andere als unfähig. Sie glauben es nur, und sie wollen es glauben. Es gibt sogar eine kleine Schicht von Menschen in Deutschland, die etwas bewegen, und sie kennen ein Geheimnis, das andere nicht kennen: Es ist möglich, etwas zu tun, ein Risiko einzugehen, Erfolg zu haben.


Nach der Wende wurde es z.B. zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung, über die Neuen Bundesländer zu meckern: zu viele Neo-Nazis, alles faule Säcke, etc.; die Ossis haben auch gemeckert: Wo bleiben die blühende Landschaften, alles Lug und Betrug, die Kapitalisten machen alles kaputt. Es gab Bücher und Talkshows zum Thema, alle haben darüber gejammert, das deutsche Gesamtmeckervolum war auf Maximal geschaltet. Nur einige wenige haben nicht mitgemacht: die paar Ossis, die still und leise die Gelegenheit beim Schopf gepackt haben.


Während 95% der Deutschen ihre Zeit mit Meckern vertrieben, tauchten Ossis überall in den Firmen in Westdeutschland auf; plötzlich gab es ein Michale Ballack und ein Tokio Hotel. Es gab sogar eine Frau, die sich völlig selbstüberschätzend den schwierigsten und unmöglichsten Ziel ins Visier nahm, das sie sich vorstellen konnte: die erste Bundeskanzlerin Deutschlands zu werden. Heute noch glauben sehr viele Deutschen, die Wiedervereinigung war ein Reinfall, und sie klopfen sich selbst immer wieder auf die Schulter, dass sie den Durchblick hatten, sich nicht mitreißen zu lassen.

Helga König: Ich habe beobachtet, dass Nörgler selten lachen, sprich  ziemlich sauertöpfisch sind. Haben sie eine ähnliche Erfahrung mit dieser Spezies gemacht?


Eric  T. Hansen: Sie dürfen es nicht. Nörgeln bedeutet, alles was passiert, und vor allem sich selbst, sehr ernst nehmen. Wer Witze macht, wer lacht, sagt: Ach, halb so schlimm. Ein Nörgler darf das nicht, sonst verliert er Glaubwürdigkeit – auch in seinen eigenen Augen. Es ist wie „Des Kaisers neue Kleider“ – Lachen ist für den Nörgler wie der Junge, der sagt, „Aber er ist doch nackt.“


Das ist auch der Grund für die sprichwörtliche Humorlosigkeit der Deutschen – je mehr man über die Dinge und über sich selbst lachen kann, desto weniger nimmt man die Nörgelei ernst. Plötzlich stehen an den Stammtischen, in den Talkshows und in den Feuilletons eine Menge Menschen, die sonst sehr respektiert werden, nackt da. Es ist eine bewusste Entscheidung: Will man im Leben nichts tun außer nörgeln, und dafür auch noch Respekt einheimsen, darf man dem Humor keine Platz einräumen.


Helga König: Sind kreative Menschen erfahrungsgemäß weniger nörgelsüchtig?

Eric  T. Hansen: Weniger? Aber hallo – kreative Menschen nörgeln noch viel mehr, natürlich! Nörgeln gehört zur Kreativität. Der Kreative sieht sich immer als Teil eines öffentlichen Dialogs, wobei er bestrebt ist, sich im Dialog dadurch zu profilieren, dass er eine neue Aussage hinzuzufügen. Er schaut sich an, was andere Autoren, Musiker, Künstler schreiben, singen und malen, und kritisiert es. Er sucht die Fehler, die Wiederholungen, das, was veraltet ist, und sagt sich: „Ich werde es anders machen.“ Insofern kann die Nörgelei auch positiv sein.


Allerdings kann die Nörgelei unter Kreativen auch selbstdestruktiv sein. Viele Künstler verwechseln Nörgelei mit Produktivität. Es reicht ihnen, über andere Kreativen zu nörgeln; sie glauben, das allein macht sie besser, moderner, fortschrittlicher, origineller. Diese Idee, dass sie eigentlich besser sind, wirkt für sie so überzeugend – vor allem, wenn sie im Nörgeln besonders gut sind – dass sie es versäumen, das eigene geniale Kunstwerk jemals herzustellen. Berlin ist voller solcher Nörgelkünstler – die sitzen in Cafés herum und nörgeln einander gegenseitig zu, bis sie sich alle davon überzeugen, dass sie die eigentlichen Genies sind; dann gehen sie nach Hause zufrieden in der tiefen Überzeugung, sie haben heute die Welt wieder mal ein Stückweit besser gemacht.


Helga König
Helga König: Ist man in Firmen gut beraten, Dauernörgler in den Senkel zu stellen oder sich eventuell von ihnen  zum Wohle der Firma gar zu trennen?

Eric T. Hansen: Laut den Unternehmensberatern, die wir für das Buch interviewt haben, ist vor allem der Chef dafür verantwortlich, wenn in der Firma die Nörgelei zur Firmenkultur wird. Er muss die Atmosphäre herstellen, in der die Mitarbeiter das Gefühl haben, ihre Mitarbeit und Eigeninitiative ist früchtetragend. Wird dagegen jede Eigeninitiative von anderen Mitarbeitern, von Chef selbst oder von irgendwelchen Strukturen immer wieder klein gemacht, fühlt sich der Mitarbeiter ohnmächtig und geht ins Nörgeln über. Das schafft die negative, destruktive Arbeitsatmosphäre, die Innovation hemmt, Produktivität drosselt und der deutschen Wirtschaft mindestens 100 Milliarden Euro im Jahr kostet.


Helga König: Werden  typische Nörgler mit  fortschreitendem Alter immer unleidlicher?


Eric T. Hansen: Ältere Menschen neigen zur Nörgelei aus den gleichen Gründen wie Kleinkinder: Weil sie immer weniger Möglichkeiten haben, ihre Probleme selber zu lösen. Sie sind tatsächlich zu einem gewissen Teil ohnmächtig. Ein Kind, das Hunger hat, weiß nicht, wie man in der Küche einen Schnitzel brät. Was soll er sonst tun, als heulen? Ein alter Mann, der auch möglicherweise in seinem Leben ein wenig Pech und Enttäuschung verkraften musste, hat auch immer weniger Möglichkeiten, sein Leben so zu gestalten, wie er es möchte. Mit 80 ist es zu spät, seinen Traum zu verfolgen, die Welt mit Rucksack zu umwandern, einmal in „Deutschland sucht den Superstar“ aufzutreten oder – noch wichtiger – wieder jung und gesund zu werden. Das Nörgeln der alten Leute ist eine Warnung an junge Leute, das Leben beim Schopf zu packen, solange es möglich ist.


Helga König: Kann man davon ausgehen, dass eine freie Erziehung Nörgelsucht minimiert, ist Nörgeln bzw. überzogenes Kritikverhalten der Ausdruck eines Zwangscharakters?

Eric T. Hansen: Chronisches Nörgeln hat einen Zwangscharakter, für die meisten von uns ist es aber einfach ein destruktives Verhaltensmuster, das wir in der Kindheit gelernt haben und das uns im Erwachsenenleben immer wieder von der Gesellschaft als legitimes Verhalten bestätigt wurde. Die meisten Eltern wissen gar nicht, dass sie ihren Kindern das Nörgeln beibringen. Das Kind will sein Zimmer nicht aufräumen und quengelt so lange, bis Mami nachgibt und es selber macht. Da lernt es, dass das Quengeln eine bequeme Alternative zur Eigeninitiative ist. Oder es sieht, wie die Mama den Papa immer wieder fertigmacht, weil er nicht genug im Haushalt tut, und lernt: In einer Beziehung bringt eine Frau einen Mann mit Hilfe der Nörgelei unter Kontrolle; oder er sieht, wie der Vater die Zeitung aufmacht und alles, was in der Welt passiert, negativ kommentieren muss, und lernt: politische Aktivität besteht darin, alles klein zumachen, was politisch aktive Menschen tun. Das Kind lernt, dass das Nörgeln ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Umgangs ist und lernt es, wie es das ABC lernt.


Helga König: Wie wirkt sich pausenloses Kritisieren seitens Erwachsener auf Kinder aus?

Eric T.  Hansen: Viel Nörgeln zuhause bringt einem Kind bei, dass der Mensch ohnmächtig und unglücklich ist, dass das Leben freudlos und aussichtlos ist und dass man immer das Negative suchen und das Aktive meiden muss, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Das ist alles negativ. Andererseits heißt es auch: Wenn eine Gesellschaft grundsätzlich negativ gepolt ist, muss man negativ sein, um darin voranzukommen. Das beschreibt große Teile der deutschen Gesellschaft. Für viele in Deutschland gilt: Wer nörgelt, ist intelligent; wer negativ ist, ist vertrauenswürdig. Manche Eltern bereiten ihre Kinder so instinktiv auf diese Gesellschaft vor.

Nicht weit von meiner Wohnung in Berlin liegt ein altes Brachgelände, das wegen einer angrenzenden Firma einen durch Chemikalien verseuchten Boden hat, wodurch so gut wie nichts wächst – ein bisschen Gras, ein oder zwei Sträucher, aber keine Bäume. Das Gelände ist eingezäunt, doch daneben liegt ein kleiner Park mit viel Grün, und an dem Zaun führt ein Pfad entlang, wo man joggen kann, und eben das mache ich ab und zu.
Kürzlich hat man begonnen, dieses Brachgelände nutzbar zu machen. Man hat die Erde ausgehoben und ausgetauscht. Wochenlang wurde gebaggert und planiert. Danach hat man ein Basketballfeld, Tische und Bänke installiert sowie ein paar Dutzend Bäume gepflanzt und Wege angelegt. Vor den Hügeln aus neuer, frischer Erde stand ein riesiges Schild, das erklärte, was hier vor sich ging. Eines morgens stoppte ich beim Joggen vor der Tafel, um sie zu lesen, und just in dem Moment radelte eine Mutter mit einem Kind hintendrauf vorbei, und ich hörte, wie das Kind fragte: »Mama, was machen die da?«

Ich konnte mir die Vorfreude des Jungen vorstellen. Er muss geahnt haben, dass hier etwas Neues kommt, und es wäre nicht weit gefehlt, anzunehmen, dass ihm schon Visionen im Kopf herumspukten: von Picknicks mit der Familie, von Ballspielen, Grillen und Drachensteigen mit dem Papa und von einem Hund, der einem immer zwischen den Beinen herumrennt. Eine wunderbare Vision, da muss man einfach nachfragen: »Mama, was machen die da?«

Was ich hörte, als die Mutter eine Antwort gab, ohne auf die Tafel zu gucken, machte mich stolz auf die deutsche Nörgelkultur: »Wird zugebaut, alles.«


Lieber Herr Hansen,  ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Interview


Ihre Helga König

Bilder aus dem Fundus von Eric T. Hansen zur  Verfügung gestellt. 

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