Lieber Veit Noll, ich habe dieser Tage Ihr neues Buch "Goethe im Wahnsinn der Liebe"; Band 3 `Roma - Amor´ auf "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert und möchte dazu heute einige Fragen an Sie richten.
Anbei der Link zur Rezension: "Goethe im Wahnsinn der Liebe"; Band 3: `Roma - Amor´.
Helga König: Nach Ihrer bisherigen Analyse lässt Johann Wolfgang von Goethe in nicht wenige seiner literarischen Texte persönliche Erfahrungen einfließen. Wird seine Dichtung damit zum therapeutischen Mittel, sein verworrenes Liebesleben in den Griff zu bekommen?
Veit Noll Foto: Privat |
Helga König: War es die in Weimar und Umgebung gewissermaßen an jeder Ecke positionierte Kunst, die Sie dazu veranlasst hat, sich näher mit deren Inhalt zu befassen?
Veit Noll: Zwei Hinweise aus meiner Forschung zu August von Einsiedel führten mich zu Goethe. Einerseits eine Briefstelle von Emilie von Werthern, Vertraute aus dem Kreis Goethe und Anna Amalia, auf die Zuneigung der Fürstin zu Goethe und den Hinweis, dass ihre beabsichtigte Reise nach Rom auf ihn höchstpersönlich ausgerichtet sei. Andererseits fand ich eine Stelle in der "Italienischen Reise", in der er sich auf die Entführung und den Ehebruch von Emilie durch August von Einsiedel bezieht und "ebenso" Iphigenie zeitlich nach Karlsbad 1786 mit sich nehmen wollte. Charlotte von Stein war Goethes Iphigenie im Leben. Er beabsichtigte also mit ihr in die Welt zu gehen. Diesen Hinweisen spürte ich anhand von Briefen und Verhaltensweisen, dann anhand der Literatur nach. Erst mit diesen Erkenntnissen fiel mir Schritt für Schritt ins Auge, was sich in Weimars Kunst der Goethe-Zeit versteckte.
Veit Noll: Mit nichts, ich habe dieses einfach zur Kenntnis genommen. Später wurde mir klar, dass Anna Amalia mit der Kunst der Antike in Rom Goethe für einen gemeinsamen Aufenthalt warb, während Goethe sich für diese Kunst interessierte, sich ihr jedoch verweigerte. Anstelle des Kunstgenusses in Rom mit Anna Amalia gestaltete Goethe das Gartenhaus des Herzogs Carl August wie einen Römischen Tempel der Erdengöttin Anna Amalia. Eine Zeitlang später wurde mir anhand von verschiedenen Hinweisen und Verbindungslinien erst klar, dass Goethe in der Gestaltung des Hauses selbst seine eigene Haltung zur Beziehung zur Fürstin künstlerisch manifestierte. Ich war beeindruckt von der Tiefe der inhaltlichen Gestaltung im Verhältnis zu meiner ersten Wahrnahme des Römischen Hauses.
Helga König: In Rom lernte Goethe sein Mädchen, Faustine, kennen. Gibt es Hinweise in seiner Literatur, dass er mittels ihr alle ihn liebenden Frauen aus Weimar, auch Charlotte, aus seinem Leben dauerhaft tilgen wollte?
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Helga König: Was hätte ein endgültiger Bruch mit Weimar für Goethe in Rom und für seine Zukunft bedeutet?
Veit Noll: Das ist mir auch nicht ganz klar, zumal Goethe anscheinend über genügend Vermögen verfügte, um einfach und sorgenfrei zu leben. Sein Ansinnen Iphigenie Charlotte von Stein mit ihrem Sohn Fritz von Stein zu entführen und mit ihnen ohne Stand und Namen in der freien Welt zu leben, deutet darauf hin. Nach der Rückkehr nach Weimar vertraute Goethe Charlotte von Stein, die er nicht als seine Ehefrau erlangen konnte, sein Verhältnis mit seiner römischen Liebsten an. Andererseits machte er deutlich, dass er mit seiner Rückkehr – bei Anna Amalias bevorstehender Anreise – auch seine Pflicht gegenüber Charlotte erfüllt habe.
Helga König: Sie haben einige Gedichte Goethes in Ihren analytischen Text eingebunden. Auf Seite 230 dann wird man mit dem Goethegedicht "Der Fischer" konfrontiert. Was möchten Sie uns Lesern dadurch vermitteln?
Veit Noll: Das findet der empfindsame Leser selbst heraus und auch die Verbindungslinie zur Aufführung der "Fischerin" in Anna Amalias Tiefurter Park sowie zum Bild des Arion mit der Leyer, der durch einen Delphin vor dem Ertrinken im Wasser gerettet wird.
Mir fiel nach der Veröffentlichung meines 3. Bandes zu Goethes Wahnsinn noch eine Briefstelle von ihm an Charlotte von Stein vom 14. September 1780 in die Hand. Darin meinte er mit einem Gleichnis, dass er zwar über und auf dem Wasser leben könnte, vollständig unter Wasser wie die Fischlein schwimmen, sei aber ein für ihn lebensfremdes Element.
Helga König: Hat sich Goethe Ihrer Meinung nach aus dem Spagat Anna Amalia und Charlotte von Stein in die Beziehung mit seinem Bettschatz Christiane geflüchtet, nachdem er aus Rom zurückgekehrt war?
Veit Noll: Sie meinen einen Spagat zwischen Anna Amalias Wunsch nach Sinnlichkeit und Charlotte von Steins ehelicher Keuschheit? Hinzu kommt die Glückseligkeit Goethes mit Faustine in Rom, er liebte das knarrende Bett, wie den "Erotica Romana/ Römischen Elegien" zu entnehmen ist.
Zweifelsohne wurde Christiane Vulpius zu seinem Bettschatz.
Helga König: War der "Womanizer" Goethe am Ende stets auf der Flucht vor Frauen, die er vormals "beglückt" hat?
Veit Noll: Ich habe erst einmal bei Wikipedia nachgeschaut, um die Fragestellung zu verstehen. Goethe als Frauenheld? In diese Richtung deuten ja auch frühere Studien anderer: Goethe und die Frauen. Goethe muss nach den vielfachen Überlieferungen seiner Zeitgenossen über ihn, eine unwahrscheinliche Ausstrahlung gehabt haben. In die Beziehungen zu den drei Frauen, die ich nachgeforscht habe, Anna Amalia, Charlotte von Stein und seine römische Liebste ist er hineingeraten. Da strebte er nicht danach Frauenheld zu sein. Seinen eigenen Aussagen nach gab es in Rom seit seiner Ankunft Ende 1786 bis zum Oktober 1787 auch keine Frauenbeziehungen, selbst wenn er gern genascht hätte.
Helga König: Sie schreiben, dass Anna Amalia die treibende Kraft gewesen sei, Goethe in den Adelsstand zu erheben. Machte ihn genau dieses Protegieren verdächtig, ihr "Mätresserich" gewesen zu sein?
Veit Noll: Nach außen hin scheint die nähere Beziehung Goethes zu Anna Amalia, die ich auf die Zeit zwischen Mai und Oktober 1776 deute, ziemlich geheim geblieben zu sein. Goethe schreibt ja auch: Niemand hats gesehen. Allerdings haben einige aus der nächsten Umgebung ihre Zuneigung zu Goethe schon höchst aufmerksam beobachtet. Und es galt das Gesetz des Schweigens (Harpokrates) über die inneren Verhältnisse am Hof. Goethes Gegenwehr bei Anna Amalia im Hinblick auf seine `Erhebung´ in den Adelsstand scheint aber genau dem Eindruck ihrer Fragestellung in der zeitgenössischen Öffentlichkeit entgegensteuern zu wollen.
Helga König: Nachdem Sie, lieber Veit Noll, so viele Texte von Goethe unter die Lupe genommen haben, nun meine letzte Frage: Kann es sein, dass Goethe Frauen weniger geliebt als sie benutzt hat, für seinen literarischen und gesellschaftlichen Aufstieg und in ihnen allen letztlich seine bloßen "Groupies" sah?
Veit Noll: Das sehe ich nicht so. Meiner Meinung nach strebte Goethe nach Wahrhaftigkeit. Und Anna Amalias Liebe und Förderung stand ja nicht in Abhängigkeit von seinen Gefühlen. Manches mag ihm angenehm gewesen sein. Andererseits zeigt sich seine tiefe Liebe zu Charlotte von Stein, der Ehefrau eines anderen, die er in allen Sphären für sich – nicht nur platonisch - begehrte. Dies wird in Band 4 dieser Reihe, an dem ich momentan arbeite, deutlicher.
Lieber Veit Noll, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch, Schon jetzt bin ich auf Band 4 neugierig.
Ihre
Helga König
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