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Helga König im Gespräch mit Jürgen Brand, Chocolatier und Inhaber der Fritz Kunder GmbH in Wiesbaden

Lieber Herr Brand, letzten Freitag  hatte ich das große Vergnügen, Sie  kennen lernen zu dürfen . Unser Gespräch erscheint nun auf  "Buch, Kultur und Lifestyle", damit die Leser mehr über Sie und Ihr traditionsreiches Unternehmen  erfahren können.

Hier die Links zu  den Produktbesprechungen auf  "Buch, Kultur und Lifestyle":
Wiesbadener  Original Kunder Törtchen
Offizielle Königspralinie „Oranje“
Venus Brüstchen
25 Pralinen mit Williams- und Slivowitz-Füllung
Drei feine, handgemachte Schokoladen der Confiserie  Fritz Kunder GmbH, Wiesbaden
Rheingau Schokolade-  "Riesling" und " Spätburgunder";

Helga König: Ihr Unternehmen besteht seit 1902 in Wiesbaden. Ihr Urgroßvater hat in der Kaiserzeit den deutschen Hochadel lukullisch verwöhnt. Gibt es eventuell Anekdoten, die aus jenen Tagen überliefert worden sind?

 Jürgen Brand
Jürgen Brand: Ja, es gibt ein paar Geschichten die die Familie aufbewahrt hat. Zum Beispiel, wie mein Urgroßvater Fritz Kunder nach Wiesbaden kam. Er war Sohn einer Gastwirtsfamilie aus Unterfranken und hat in jungen Jahren eine Konditorlehre absolviert und mit Meistertitel abgeschlossen. Hierfür war er in Deutschland in damals führenden Café- und Konditoreibetrieben unterwegs und lernte seine spätere Ehefrau Hermine Haagen in Feuchtwangen kennen. Die Gelegenheit in Wiesbaden ein eigenes Café zu eröffnen, ergab sich für die beiden so kurzfristig, dass sie vier Wochen vor Geschäftseröffnung noch schnell heiraten mussten. Damals wäre es undenkbar gewesen, unverheiratet gemeinsam ein Café zu betreiben. Am 1. Mai 1898 war es dann so weit und das Café Kunder im Gebäude des damaligen Hotel St. Petersburg konnte seine Türen öffnen.    

Durch die Zerstörungen im 1. und 2. Weltkrieg gibt es leider nur wenige Berichte oder Dokumente, die weitergegeben werden konnten. Interessant ist, dass sich das Gründer-Ehepaar bewusst an das in Wiesbaden zur Kur weilende zahlungskräftige Publikum und neue wohlhabende Bürger gerichtet hat.

Bekannt ist die mit hohem nächtlichem Zeitaufwand verbundene Anfertigung eines hohen Baumkuchens auf einer großen quadratischen Platte, garniert mit vier Märchenmotiven aus Lebkuchen, Marzipan und Schokolade. Als dann alles nach mühevoller Arbeit fertiggestellt war, offenbarte sich die ganze Tragik: Das Arrangement war zu groß - bzw. die Türöffnungen zu klein! Nur durch einen eiligen Mauerdurchbruch gelangte das Meisterstück zum Kunden. Eine Lehre für alle nachfolgenden Generationen, bis heute wird immer noch zuerst nach den Abmessungen der Sonderanfertigungen gefragt! 

Man machte eine tiefe Verbeugung, ging einen Schritt vor, das ganze Personal ruft auf Augenkommando: Guten Morgen Durchlaucht! Hermine Kunder meinte im Familienkreis über einem Stammgast :“Wenn man nicht wüsste, dass es ein Prinz zu Arensberg ist, so meint man es wäre ein Frankfurter Viehhändler. Man sieht ihn stets in einem braunen Überzieher, höchst einfach und ebenso ist sein Auftreten – ich glaub` dass ihm eine so übertriebene Begrüßung und eitle Bedienung eher missfällt.“ Die Mehrzahl der adligen Kundschaft aber hob sich durch Kleidung und dem Anspruch auf würdevoller Bedienung nach Etikette von dem erwähnten Prinzen ab. 

Im Jahr 1912 war in Wiesbaden das große Ereignis, der Besuch von Kaiser Wilhelm II und Zar Nikolaus. Fritz Kunder schrieb darüber in einem Brief: „…Husaren in Parade, Im Trab voraus Herolde, sechsspänniger Galawagen mit roten Jockeys auf den Pferden in langsamen Trabe, dann unter begeisterten Hochrufen für beide Kaiser, an uns vorüber freundlich grüßend. Das war alles so großartig wie man das hier noch nie so gesehen! Kaum war der letzte Wagen vorbeigerollt ging´s los: Eine Herde Schafe gehen in Lücken gegen eine solche Schieberei. Wir erreichten dennoch ohne Verlust unsere Ladentüre, herein und die anderen auch herein wie das wilde Heer. Im Augenblick war unser Café in eine Menagerie voll hungriger, kaffeedürstender Raubtiere verwandelt, die ganze Kuchen wegschleppten um sie in irgend einer Ecke des Ladens unter sich zu teilen. Sie waren so wild, dass sie oft auf Löffel, Gabel oder Messer verzichteten… Nach einer Stunde war das Café noch so gestampft voll wie zu Anfang. Hermine kam in ihrer Aufregung und hat gerufen: Fritz, sperr doch den Laden zu! Wir haben darüber später noch furchtbar gelacht!...“  

Helga König:  Wo war der Familienbetrieb in der Kaiserzeit konkret ansässig und wie darf man sich das damalige Ambiente des Ladenlokals vorstellen?

Jürgen Brand: Das Geschäftslokal befand sich in der heutigen Carl-Glässing-Straße (damals Museumstraße), sie ist die kürzeste Verbindung von der Wilhelmstraße zum Marktplatz und profitierte zudem von seiner Anbindung zum Hotel Petersburg mit dessen zahlreichen Gästen. 

Im Vergleich zu den damaligen großen Wiesbadener Caféhäusern, wie Blum und Lehmann waren die Räumlichkeiten mit etwa 50 Sitzplätzen klein, jedoch waren der „Verkauf über die Straße“ und die Hausbelieferungen wichtig, wie man aus der Fensterdekoration erkennen kann. In der Konditorei Kunder bestellte man vor allem seine süßen Köstlichkeiten für den Bedarf zu Hause. Es wurde sehr geschätzt, dass die „Chefin persönlich“ anwesend war und die überwiegend weibliche Kundschaft beriet. Sie konnte aufgrund ihrer hervorragenden Fachkenntnisse wertvolle Empfehlungen für die Gastgeber geben. Auch Fritz Kunder passte sich dem anspruchsvollen Kundenkreis optisch so sehr an, dass man ihm im Kollegenkreis den Spitznamen „Lackstiefel-Konditor“ verlieh. 
  
 Confiserie "Fritz Kunder GmbH",
Wiesbaden, Wilhelmstr. 12
Helga König: Woher bezogen Ihre Urgroßeltern den Kaffee, den sie den kurenden Herrschaften kredenzten und wie überhaupt stellten sich die Beschaffungswege dar in einer Zeit, wo Autos und Flugzeuge noch keine Rolle im Güterverkehr spielten und es auch noch keine neuzeitlichen Kommunikationsmittel gab?

Jürgen Brand:  Die Kommunikation war damals erstaunlich gut und schnell. Es gab bereits einen Telefon-Anschluss. Briefe wurden innerhalb eines Tages zu den wichtigsten Städten des Landes befördert – was heute nicht immer der Fall ist! Die Post-Aufgabe und die -Anlieferung bei den Empfängern wurden durch Tagesstempel mit Uhrzeit dokumentiert. Die Rohstoffe wurden entweder von ortsansässigen Großhändlern, Kaffee von ortsansässigen Röstereien bezogen oder  wurde per Bahnfracht von Fabriken oder Importeuern direkt geliefert. So bezog Fritz Kunder die Ananas für die Wiesbadener Ananastörtchen direkt aus Hamburg. Nicht unbeträchtlich war auch die eigene Anfertigung von Halbfabrikaten bis weit in die Jahre nach 1950. So wurden Früchte eingemacht, kandiert, zu Dickzuckerfrüchten, Fruchtmark, Fruchtsaft oder Fruchtgelee verarbeitet. Zu diesen Zeiten wurde von den Konditoren alles abverlangt. Für die Kühlung wurden Roh-Eisblöcke von Wiesbadener Eiskellern bezogen. Dies benötigte man im Sommer zur Kühlhaltung ebenso für die Eismaschinen zur Herstellung von Speise-Eis oder Sorbets. Heute selbstverständliche Froster- oder Kühlgeräte waren zu dieser Zeit so natürlich nicht vorhanden, trotzdem hat man auch für diese Themen Lösungen gehabt. 
  
Helga König: Mit wie viel Personalaufwand wurden die Konditoreiwaren, die ja damals ja völlig ohne Elektogeräte zubereitet worden sind, hergestellt und wie darf man sich eine Versuchsküche in jenen Tagen in einer Konditorei von Rang und Namen überhaupt vorstellen?

Jürgen  Brand: Der Personalaufwand war mangels elektrischer Geräte und Maschinen extrem hoch. Die sechstägige Arbeitswoche war oft länger als 48 Stunden. Erst 1907 wurde „elektrischer Strom“ eingesetzt, vorher wurde z.B. für die Lichterzeugung Stadtgas eingesetzt. Die Einführung von Strom mit entsprechenden Geräten kommentiert Fritz Kunder in einem Brief: „Das Arbeiten geschieht mit solcher Leichtigkeit, wie man es sich vorher nicht vorstellen konnte.“ Trotzdem arbeitete das Ehepaar oft bis weit in die Nacht hinein, um die Aufträge ihrer Kunden zu bewältigen. Fritz Tochter Lilly Kunder, schreibt in Ihrem Tagebuch: „Meine Eltern habe ich als Kind selten gesehen. Tagsüber wurde ich von „Fräuleins“, wie man sie nannte, betreut und mein um sieben Jahre älterer Bruder war in einem Internat untergebracht.“ Das war anscheinend das häufige Schicksal der damaligen Unternehmer-Kinder. 
  
Helga König: Können Sie unseren Lesern Näheres zur Geschichte des überaus delikaten Wiesbadener Ananastörtchen berichten, das man ja schon weit mehr als 100 Jahre in Ihrem Hause kaufen kann?

Jürgen Brand:  Durch ihren täglichen Kontakt mit dem zahlungskräftigen Publikum bemerkte Hermine Kunder, dass man eine Wiesbadener Spezialität vermisste. Etwas Besonderes, das es sonst in der Welt nicht gab, das man an Freunde und Verwandte schicken konnte oder auf der Heimreise als Mitbringsel mitnehmen konnte. Wir können uns heute gut vorstellen, wie Hermine ihrem Fritz diesen Wunsch mitgeteilt und ihm so lange damit “in den Ohren gelegen“ hat, dass er 1902 seine „Kunder-Törtchen“, nach vielen langen, aufwendigen Versuchen entwickelte. Das Produkt sollte etwas völlig Neues sein, auch ungekühlt eine längere Haltbarkeit haben, versandfähig sein und natürlich sehr gut schmecken. All diese Eigenschaften wies seine Kreation auf: Die Verwendung der damals sehr teuren, exotischen Frucht „Ananas“ und weiterer wertvoller Rohstoffe wie Marzipan, Schokolade und Nougat. Er nannte das Produkt Kunder´s Ananas-Dessert-Torte und ließ sich den Namen vom kaiserlichen Patentamt schützen (1904). Das Törtchen selbst ließ sich als Lebensmittel nicht rechtlich schützen. Der Erfolg war sehr groß, so groß sogar, dass die Kollegen in Wiesbaden und in ganz Deutschland die Törtchen „nachempfanden“ und als Wiesbadener Ananastörtchen verkauften. Das hat die die Familie bewogen die Bezeichnung in „Original Wiesbadener Kunder-Törtchen“ abzuwandeln, so wie sie auch heute noch bezeichnet und unverändert hergestellt werden. Früher gab es diese Spezialität in unterschiedlichen Größen, von denen sich aber nur eine auf Dauer durchgesetzt hat. Was mir das Produkt auch so sympathisch macht, sind die vielen freundlichen Kommentare unserer Kunden, die mit den Wiesbadener Ananastörtchen schöne Familientraditionen mit Eltern und Großeltern verbinden. 
  
Helga König: Wie Sie mir berichtet haben, erstreckt sich Ihr Pralinenangebot auf über 100 Sorten und jeden Monat wird eine neue Praline von Ihnen kreiert. Wie entwickeln sich die Ideen für diese neuen Kompositionen, folgen Sie gewissen spontanen gesellschaftlichen Stimmungen oder sind es bestimmte Konzepte, die sie abarbeiten?

Jürgen Brand: Die Möglichkeiten der Pralinengestaltung sind ja praktisch unbegrenzt. Formen und Farben spielen mit der Grund-Schokoladensorte eine große optische Rolle. Die Kombinationen der Geschmacksrichtungen sind so unglaublich vielfältig, manchmal traditionell, manchmal sehr modern. Gerade moderne Trends klingen manchmal besser als sie schmecken und verschwinden daher rasch. Andere Kreationen bleiben über Jahre attraktiv und jung, insbesondere aus der französischen und italienischen Küche. Im Nachhinein ist es dann leicht über Erfolg und Misserfolg zu urteilen. Vorab ist das schon etwas schwieriger, gerade weil die Möglichkeiten so unendlich scheinen. Daher haben wir uns seit einiger Zeit Inspiration im künstlerischen Bereich gesucht. 

2012 brachten wir jeden Monat eine Hommage an einen Künstler heraus. Gaugin, Van Gogh, Klimmt und viele andere inspirierten unsere Chocolatiers. Gemeinsam erstellten wir eine Kollage Ihrer Bilder und schauten uns ihren Lebensweg an. Hieraus leiteten wir dann eine Form, die Farben und Geschmacksrichtungen ab. Was liegt z.B. näher, als Van Gogh eine raue, eher rustikale Form zu geben, die Farben in gelb und blau zu halten und den Geschmack mit Absinth abzurunden? Danach bringen wir die Pralinen in eine zeitliche Abfolge und kombinieren mit passenden jahreszeitlichen Geschmacksrichtungen. Manchmal kommt dabei ein Werk heraus das wir auch langfristig in unser Programm aufnehmen. Die Kommentare unserer Kunden spielen da die ausschlaggebende Rolle. Deswegen ist es so wichtig für unsere Fachverkäuferinnen im Stammhaus mit unseren Kunden im vertrauten Gespräch zu sein.

In 2013 haben wir uns des Themas Märchen angenommen. Aus dem Märchenbuch der Brüder Grimm lassen sich wunderbare Inspirationen aufgreifen und erstaunliche Pralinen entwickeln. Frau Holle, Schneewitchen oder der Froschkönig sind exzellente Musen. Diese „Besucher“ Pralinen, die uns ein paar Wochen begleiten, sind mir inzwischen sehr ans Herz gewachsen, weil wir damit unsere Fingerfertigkeiten trainieren und unseren Kunden regelmäßig etwas Neues bieten können.   

Helga König: Vor kurzem war das niederländische Königspaar in Wiesbaden, anlässlich dieses Besuches haben Sie die „Oranje“ kreiert? 

Jürgen Brand: Die Geschichte der „Oranje“ war für uns alle etwas absolut ungewöhnliches und für mich selbst auch etwas sehr persönliches. Nachdem ich gelesen habe, dass Wiesbaden vom gerade gekrönten Niederländischen König Willem Alexander und seiner charmanten Frau Maxima besucht werden soll, hatte ich sofort die Idee zu diesem Anlass eine eigene Praline zu kreieren. Im Laufe meiner beruflichen Karriere in einer niederländischen Firma bin ich sehr oft in den Niederlanden zu Gast gewesen und habe einige sehr gute Freunde dort. Wenn Sie erlebt haben, wie in unserem Nachbarland der Königinnen Tag gefeiert wird, ist Ihnen klar wie fröhlich, ungezwungen aber auch stolz dort mit der Königsfamilie umgegangen wird. Wir haben einen schnellen Entwurf erstellt und diesen dem Protokollamt der Hessischen Staatskanzlei angeboten. Dort waren die Verantwortlichen sehr angetan, man kannte Kunder schon aus früheren Aktionen. Die Praline sollte zum Kaffee gereicht werden und war ein Gastgeschenk an die Delegation. Klar war, von Anfang an, die Farbe Orange. Damit war auch der Geschmack naheliegend, da Farbe und Geschmack im Zusammenhang stehen sollten, wir wollten mit der Praline ja nicht konfrontieren. Also musste sie nach Orange schmecken. Orange harmoniert sehr schön mit Zartbitterschokolade, jedoch hat der Besuch Anfang Juni stattgefunden – und wir hofften auf schöne Außentemperaturen. Deshalb verwendeten wir nach ein paar Versuchen weiße Schokolade als Grundkörper. Die Ganache sollte möglichst natürlich beschaffen sein, also kam vor allem Bienenhonig, Sahne und Butter sowie Vanilleschote in Frage. Den Orangengeschmack brachten wir dann über gepresste Saftorangen und Orangenöl in die Rezeptur. Der Rest war nun eine Frage von einigen Geschmacksversuchen, damit sich alles harmonisch zusammenfügt. Die Idee, der Praline mit einem Golddekor noch ein Krönchen aufzusetzen, kam dann im Gespräch mit dem Protokollamt – was unserer „Oranje“ noch den letzten Schliff gab. Womit wir nicht so richtig gerechnet hatten war, wie stark unsere Praline in die Medien kam. Es wurde im Radio, in der Presse und sogar im Hessenfernsehen berichtet. Das führte dazu, dass wir in den folgenden zwei Wochen laufend nachproduzieren konnten, obwohl wir von einer einmaligen Produktion ausgegangen waren. 
  
Helga König: Von Ihrem Urgroßvater wissen wir, dass er das Original  Wiesbadener Kunder  Ananas Törtchen kreiert hat. Haben Ihr Großeltern und Ihre Eltern auch in dem Familienunternehmen gearbeitet und wie hat sich Ihr Weg in die Fritz Kunder GmbH gestaltet, die Sie vor 1 ½ Jahren übernommen haben?

Jürgen Brand:  Meine Großmutter, die Tochter des Gründerpaares, Lilly Brand, geb. Kunder, geb. 1907, wurde während des Ersten Weltkrieges und in den Jahren der Französischen Besatzung erwachsen. Sie musste dementsprechend geschäftlich schwierige Zeiten ihrer Eltern miterleben und fasste dennoch den Entschluss, nach ihrem Schulabschluss eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren und in verschiedenen Kollegenbetrieben in Bremen, Magdeburg, Bad Neuenahr, Mainz und Frankfurt(M) zu volontieren. Nach zehn Jahren kehrte sie in das elterliche Geschäft das inzwischen in die Kirchgasse verlegt worden ist zurück. Sie unterstützte Ihre Eltern, die in den Jahren 1933 bzw. 1938 starben. 1930 heiratete meine Großmutter Lilly Kunder den Brückenbau-Ingenieur Friedrich Brand. Obwohl damals zunächst in leitender Stellung bei der Stadt Mainz, erlernte er, mit 32 Jahren den Beruf des Konditors, legt die Meisterprüfung ab und übernahm, gemeinsam mit seiner Frau, die Leitung der Konditorei. Er besaß glücklicherweise handwerkliches und künstlerisches Geschick, wie auf vielen Bildern festgestellt werden kann. Allerdings wurden natürlich die Zeiten während des zweiten Weltkrieges für ein Konditorei-Café schlecht. Die Ingenieur-Ausbildung meines Großvaters ermöglichte ihm jedoch, zusätzlich die Stelle als technischer Leiter des Luftschutzes in Wiesbaden anzunehmen. Dadurch war er während der Kriegsjahre anwesend und konnte meine Großmutter beratend unterstützen. Leider verunglückte er im Mai 1946 bei der Entschärfung einer Fliegerbombe tödlich. Für Lilly Brand wurde es schwer, in den an Rohstoff knappen Zeiten ein Café zu führen. Aber sie meisterte ihr Schicksal alleine Familie und Betrieb „durchzubringen“. Nach der Währungsreform 1948 bot sich ihr die Chance, während der sogenannten „Fresswelle“ den Betrieb weiter auszubauen. Zunächst mit Eröffnung einer Filiale an der Taunusstraße, dann 1957 mit Verlegung des Stammhauses an die Wilhelmstraße, unserem heutigen Domizil. Ihr verdanken wir also die herausragende Lage unseres Stammhauses und dass Kunder diese extrem schwierigen Zeiten überstehen konnte.

Die Söhne von Lilly und Friedrich Brand, begannen 1957 ihre Mutter im Betrieb zu unterstützen. Werner und Wolfgang Brand wurden dann 1960 Teilhaber des elterlichen Betriebes. Werner Brand hatte den Beruf des Konditors erlernt, musste aber aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit nach wenigen Jahren beenden, während seine Ehefrau Charlotte Brand das Verkaufsgeschäft an der Wilhelmstraße erfolgreich bist 2012 weiterführte. Sie war damit einige Jahrzehnte das „Gesicht“ der Firma Kunder in Wiesbaden. Auch wenn sie heute nicht mehr täglich in unserem Stammhaus ist, ist sie noch sehr aktiv für Kunder unterwegs und berät Süsswarenfachhändler in ganz Deutschland. 

Wolfgang Brand, mein Vater, ist ausgebildeter Industriekaufmann, war in der Werbebranche tätig und trat 1957 in die elterliche Firma ein, um seine Mutter, zunächst zu unterstützen und 1967 als Geschäftsführer abzulösen. Mit der Erfindung der „TeufelsBirnchen“ 1964, wurde Kunder in Zusammenarbeit mit den damals bekannten Süßwaren-Geschäften MOST bekannt. Die TeufelsBirnchen sind eine flüssig gefüllte Pralinenspezialität mit Williams Christ Destillat und Zuckerkruste. Diese Art von Pralinen wird nur noch von wenigen Herstellern nach dem traditionellen Verfahren hergestellt, zu denen wir gehören. Mein Vater führte in der Folge eine ganze Reihe von flüssig gefüllten Pralinen ein, inzwischen reicht das Angebot von Cointreau, Pflaumedestillat und Grappa bis Weinbrand. Außerdem etablierte sich Kunder als Spezialitätenanbieter für Fachgeschäfte mit Pralinenpackungen, schokolierten Früchten und besonderen Tafelschokoladen, zu einem Teil auch als Eigenmarken für den Handel. Von Wiesbaden aus beliefern wir Deutschland und einige Nachbarländer. 

Er und meine Mutter Barbara, haben gemeinsam die Produktionsstätte an der Dotzheimer Straße eingerichtet und innerhalb von vierzig Jahren das Unternehmen zu der Pralinen- und Schokoladen Manufaktur ausgebaut, die wir heute sind. Mein Vater begibt sich nun nach und nach in den Ruhestand und überträgt mir in gutem Einvernehmen in vierter Generation die Geschäftsführung des traditionsreichen Unternehmens. Seit Herbst 2012 bin ich inzwischen in Wiesbaden und bin sehr gespannt, welche Rolle ich in der traditionsreichen Geschichte der Firma einnehmen werde. Bisher haben wir das Sortiment mit Designer Schokoladentafeln ausgebaut und erfolgreich die Rheingau Schokolade in Zusammenarbeit mit zwei ausgesprochen kreativen Persönlichkeiten aus dem Rheingau eingeführt. Mit Kunder finde ich ein engagiertes und kreatives Team vor, mit dem es viel Freude macht, unser regional verwurzeltes Traditionshaus weiter voran zu bringen.  

Helga König: Neben den köstlichen Schokoladen, Pralinen und Trüffeln kann man bei Ihnen auf der Wilhelmsstraße ja noch viele andere Leckereien kaufen. Werden diese Gaumenkitzler im Großen und Ganzen alle in ihrem Betrieb hergestellt? 

Jürgen Brand: Unbedingt! In unserer Produktion fertigen wir eine Reihe Spezialitäten, die wir ausschließlich in unserem Stammhaus der Chocolateria in der Wilhelmstraße anbieten. Zum Einem sind da um die 100 verschiedene Pralinensorten, die wir, wie die Schokoladentafeln, ausnahmslos selbst herstellen. Wir legen sehr viel Wert darauf unser Angebot frisch und vielfältig zu gestalten. Zum anderen sind da außergewöhnliche Konditor-Gebäcke wie unsere Macaron mit Ganche – Pralinenfüllung. In der Saison zu Weihnachten backen wir auch eigene handgefertigte Stollen, die nicht nur einen zweiten rosinenfreien Außenmantel haben, sondern auch nach dem Backprozess in flüssigem Butterfett gebadet werden. Sehr beliebt ist auch unser Baumkuchen. Für den direkten Verzehr bieten wir echte Trinkschokoladen aus flüssiger Schokolade, Kaffeespezialitäten und Tee an. Auch gibt es ein kleines Sortiment an Kleintörtchen. Geschenkpackungen und Geschenkkörbe die wir individuell für unsere Kunden zusammenstellen und mit unseren Spezialitäten füllen, nehmen einigen Raum in unserem Sortiment ein. Auch kochen wir eigene Weingelees und runden das Ganze mit ein paar ergänzenden Spezialitäten ab, die wir vor allem aus Frankreich und England beziehen. Worauf ich aber besonders stolz bin, sind unsere Damen im Stammhaus, die mit viel Hingabe jeden Kunden persönlich beraten und ihm durch das Angebot helfen. Wir haben viele treue Stammkunden, die dort mit Namen und Ihren Vorlieben vertraut sind und immer wieder gerne zu uns kommen. Nur durch den Einsatz unserer fleißigen und kompetenten Verkäuferinnen können wir all die Produkte erklären, die wir herstellen. Wer in unser Stammhaus kommt, soll neben dem Angebot an süßen Köstlichkeiten auch perfekte Beratung und Service erhalten, unabhängig davon, ob es um eine einzelne Praline oder einen ganzen Geschenkkorb geht. 

Helga König: Können Sie unseren Lesern etwas über das Schokoladen- und Wein-Event im Rheingau berichten, auf dem einige Ihrer Kreationen mit bestimmten Weinen dort verkostet werden?

Jürgen Brand: Seit einigen Jahren veranstalten wir mit dem Ehepaar Bachmann, in Eltville diese Weinproben mit Pralinen. Der Kontakt entwickelte sich über einen Verkostungsabend von Wein und Käse, an dem mein Cousin teilgenommen hat. Schnell wurde man sich damals einig, dass Wein und Pralinen perfekt zusammen passen und entwickelte einen Ablauf, der außergewöhnliche Eindrücke vermittelt. Zwei bis drei Mal im Jahr bieten wir Termine an, an denen wir ungefähr 25 Teilnehmern Hintergründe über Wein und ihre Winzer, sowie Pralinen und ihre Herstellung mit Geschichten aus der Historie der Firma Kunder vortragen. Während der Veranstaltungen stellt Herr Bachmann fünf verschiedene Weine vor und wir präsentieren dazu jeweils zwei passende Pralinen. Die Gäste dürfen zunächst raten, aus welcher Rebsorte die Weine stammen und entscheiden mit welchen Pralinen sich der schönste Effekt ergibt. Interessant ist, dass sich immer wieder überraschend andere Geschmackserlebnisse ergeben. Ein kurzweiliger, interessanter Abend, der auch uns immer wieder viel Freude macht.

Lieber Herr Brand, ich danke Ihnen herzlich für das überaus aufschlussreiche Interview.  

Ihre Helga König

Hie der Link zur  Website der Fritz Kunder GmbH:http://www.kunder-confiserie.de/

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