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Helga König im Gespräch mit Dr. hc. Tilly Boesche- Zacharow

Liebe Frau Dr. hc. Tilly Boesche- Zacharow,  ich freue mich sehr,   unmittelbar vor Ihrem 85. Geburtstag,  Sie, Ihr literarisches Schaffen und Ihren Verlag mittels eines Interviews  unseren Lesern vorstellen zu dürfen. Dafür möchte ich Ihnen gleich eingangs  ganz herzlich danken.

Helga König: Können Sie unseren Lesern zunächst etwas über Ihre Kindheit und Jugend berichten und auch wann Sie zu schreiben begonnen haben?

 Dr. hc. Tilly Boesche-Zacharow
Dr. hc. Tilly Boesche-Zacharow: Vorab: Alte vergilbte Bilder zeigen einen (Pardon!) allerliebsten blonden Lockenkopf von ca. einem Jahr mit Schleifenkleidchen: ein kleiner Engel, wie man ihn sich vorstellt. Das war ich, das Glück meiner Eltern, deren Heirat eine große Liebe zugrunde lag. Über die näheren Umstände meines Eintrittes in das Leben hab ich mit meiner Mutter niemals reden können. Ich wurde in eine Zeit hineingeboren, in der vieles unausgesprochen blieb und als schwerer schwarzer Klumpen in der seelischen Tiefe weiter wirkte.

Aber ein Mensch, der als Blinder geboren wird und keinen anderen Zustand kennt, hat keine tatsächliche Veranlassung, sich ein weiteres Dasein als das ihm zugeteilte vorzustellen zu wollen und zieht dementsprechend auch keine Vergleiche mit irgendwelchen Steinen, die in seinem Weg liegen. Er sieht sie ja nicht. Über die Hälfte meines Lebens hinweg gab es viele unbeantwortete Fragen meines Lebens. So begriff ich lange nicht, weshalb ich im Alter von 8 Jahren, eigentlich gesund wie eh und je, eines Tages auf eine Stellage geschnallt wurde und das Bewusstsein verlor. Erwacht, umgeben von ernsten Männern in weißen Kitteln, fand ich mich unbeweglich fest im Gipsverband eingeschlossen und verurteilt zu etwa einem Jahr Kerker = Bettlägerigkeit, nur meine geliebte Mutter als unermüdlich sorgende Pflegerin neben mir. Der Gipskasten wurde im dreimonatigen Zeitraum jeweils als neue Stellung gewechselt, ich als „tapfer“ erklärt und meine Mutter belobigt ob ihres großartigen, staunend vermerkten Pflegedienstes, denn sie war so gut wie noch nie berufstätig gewesen und in einem solchen Dienst schon gar nicht. Sie war eben meine Mutti. Trotz der Quälerei blieb ich zeitlebens behindert und war in der Schule vom Sport befreit. 

Mag sein, dass es da tief in mir (bis heute!) liegen blieb, das Misstrauen gegen jedes weißbekittelte Personal in steriler Atmosphäre, welches ein mir ein unfassbares Urteil gesprochen hatte, ohne erklärt zu bekommen, was ich denn getan haben könnte, um es zu „verdienen“. Ich litt an keiner „angeborenen Krankheit“, sondern daran, dass die Hebamme dem Winzling im Geburtsakt das Hüftgelenk ausrenkte. Das bewirkte die Unterentwicklung des besagten Beines, was mich folglich mein Leben lang gewissermaßen „zum Krüppel“ abzustempeln versuchte. Die Nazivorstellung vom unwerten Menschen war dabei, mich durch ihre Krüppelvorsorge in die Fänge einzukrallen. Die einzige positive Folge des hilflos Angeschmiedetseins scheint – rückwärts geblickt - die unbezwingliche Liebe und Hingezogenheit zum geschriebenen Wort, das mir Hilfe, Schutz und Rat bot. 

Es muss für meine Mutter ein Problem gewesen sein, was die Zukunft ihrer Tochter betraf, denn das etwas schwächliche, gehbehinderte Kind besaß keine besonderen Interessen: es konnte nur lesen und schreiben und begann zwölfjährig, sich das geschriebene und von viel Fantasie angereicherte Wort „untertan“ zu machen. Halbherzige Versuche, einen richtigen Beruf (angedacht wurde z.B . die Gutssekretärin wegen der gesunden Landluft)! ins Visier zu nehmen, scheiterten am Ausgang des zweiten Weltkrieges, der die Familie etlicher naher Menschen beraubte, wozu auch mein Vater gehörte. 

Ich hatte die Schulzeit in der „Fürstin-Bismarck- Mädchenoberschule“ in Berlin aufgrund der Ereignisse vorzeitig abbrechen müssen und besaß demzufolge kein Abitur. Unmittelbar nach Kriegsende versuchte ich mich als Büroanlernling in einem Lebensmittelunternehmen, in dem es nur zeitbedingt Kartoffeln, Melasse und Zucker zu erwerben gab, was aber meine Mutter und mich in der großen Hungerzeit am Überleben hielt. 

Meinen ersten großen Schritt in die „Berufswelt“ machte ich selbstständig mit 20 Jahren (zu einer Zeit, in der man zwar 16/17jährig für das Vaterland und seinen ehemaligen „Führer“ sterben durfte, aber erst mit 21 Jahren groß-und volljährig gesprochen wurde. In der Leihbücherei am Berliner Breitenbachplatz durfte ich nun die lesebesessene Kundschaft auf das Wunder der wieder vorrätigen Weltliteratur auch in Deutschland hinweisen und Empfehlungen aussprechen. Es handelte sich vor allem um ein künstlerisch aufgeschlossenes und selbst schöne Künste ausübendes Publikum, weil hier das sogenannte Berliner Künstlerviertel mit Schriftstellern und Schauspielern angrenzte. 

Der Tod der Ladeninhaberin brachte mir den Begriff „arbeitslos“ nun kurz nahe. Inzwischen verheiratet und mit einem Söhnchen versehen, war ich dann in der Verwaltung einer großen Wohnungsbaugesellschaft (GSW) tätig und mit der Sonderbegleitung eines erblindeten Sachbearbeiters betraut, die sich später bis zu einem gemeinsamen Kind entwickelte. Aufgrund der Personaleinschränkung der Gesellschaft gehörte ich schließlich zum hier gekündigten Mitarbeiterkreis.

Helga König: Sie haben in den 1950er Jahren viele Titel unter den Pseudonymen Eva Trojan und Ilka Korff veröffentlicht. Was bewog Sie dazu, unter verschiedenen Heteronymen zu schreiben, - und um welche Art von Texten hat es sich dabei gehandelt?

Dr. hc. Tilly Boesche-Zacharow: Vorher aber, schon 1950, ließ ich mich zum ersten Mal als Schriftstellerin entdecken. Dem Verleger Erich Arndt in Hagen/Westf. (heute lange tot) werde ich es immer danken, dass sich mein „Berufungsleben“ zu klären begann. Er förderte meine Entwicklung ungemein und ermutigte mich, den nun eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Seitdem bin ich – also seit 63 Jahren – freiberufliche Schriftstellerin und wurde so auch allgemein geführt, anfangs unter meinem bürgerlichen Namen, später, als meine verschiedenen Schreibarten mir zum Bewusstsein kamen und ich sie auch ein wenig zu sortieren versuchte, kamen die Pseudonyme für die jeweiligen Sparten zusammen. Übrigens ist Trojan der Mädchenname meiner Großmutter, den später auch mein jüngerer Sohn Norbert für sich übernahm. 

Die Art meiner Texte interessiert sie? 

Dazu ist vorab eine Gegenfrage zu stellen: welche Mutter hat nur eine Art von Kindern? 

Jedes Teil ihrer Nachkommenschaft  ist verschieden vom anderen. Dennoch liebt sie alle gleichmäßig. So verhält es sich auch mit meiner geistigen Nachkommenschaft. Ich habe anfangs Kindergeschichten und Kurzromane geschrieben, der zu Unrecht mit Abwertung so genannten Trivialliteratur nahe stehend. Sie wurden von mir mit der gleichen inneren Begeisterung geschrieben wie dann später viel anspruchsvollere z.B. lyrisch und philosophisch angehauchte Texte. Es war eine ganz natürliche Entfaltung und ein bisschen Forschergeist dabei, wie weit die geistigen Kräfte des Ich wohl reichen würden. So sehe ich heute auch jede Begegnung mit einem menschlichen Du (selbst äußerlich negative) als Bereicherung für mein eigenes Selbst an. Im Orchester meines Lebens vermittelt jeder kleinste Ton seinen eigenen Klang, ohne den das Gesamtlied ein völlig anderes wäre. Ich möchte nicht einen einzigen davon missen. Übrigens – die eher einfachen geistigen Kinder haben mir viele Jahre irdischen Wohlstand und Einkommen gebracht, um der Pflicht meinen leiblichen Nachkommen gegenüber nachkommen zu können. Wie dürfte ich sie da „verdammen“?

Helga König: In den Jahren 1980-1981 lebten Sie als freiberufliche Schriftstellerin in Israel. Was hat Sie veranlasst, nach Israel zu gehen?

Dr. hc. Tilly Boesche Zacharow: Bis zum Jahr 1980 hatte ich es dann bis zum Verlust meiner Ehe gebracht, während die Habenseite mich mit einem Dach über dem Kopf und einer vierköpfigen Kinderschar „beglückte“, bei deren Bändigung mir nur meine geliebte Mutter behilflich war. Sie liebte mich abgöttisch bis zu ihrem letzten Tag im 96. Lebensjahr, und sie möge mir verzeihen, wenn ich es ihr mit mir oft schwer machte. Der Entschluss meines jüngeren Sohnes Norbert (später Avigdor Ben Trojan), sich der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. anzuschließen und seine Dienstzeit in Israel abzuleisten, wurde der Anfang eines völlig neuen Lebens für mich. 

Ich sehe meine Eltern als politisch völlig neutrale Alltagsbürger, die genug mit sich und dem eigenen Leben zu tun hatten, während ich als Kind doch einem gewissen zeitgeistigen Einfluss unterlag. Ich gehörte auf Empfehlung der Schule zur Reichsfunkfunkspielschar unter dem schwer kriegsverletzten Dirigenten und Scharführer Willi Träder, mit uniformierten Auftritten bei SS-Hochzeiten, beim Besuch des Tenno in Berlin und Rundfunk-Wunschkonzerten. Meine politische Neigung ging soweit, mich als Flakhelferin bewerben zu wollen, was jedoch aufgrund meines noch nicht erreichten 17. Lebensjahres nicht klappte. Was wäre aus mir geworden, fragte ich mich später, ohne diesen Zusammenbruch eines mörderischen Systems? Erst 1948, nach der Lektüre von Kogons „SS- Staat“ begann die Zeit eines inneren Wirkens mit einem anderen als von Herrn Günter Grass nie erreichten Resultat. 

Immerhin erst in der Mitte der Siebziger Jahre im vorigen Jh. schwappte dieses Innere in mir hoch. Um den Wissensdurst meines Sohnes Norbert zu stillen, begaben wir uns auf einen gemeinsamen Weg. Wie war es möglich, in diesem unserem modernen Jahrhundert einer so vorsintflutlichen, primitiven Vernichtungswut des Menschen dem Menschen gegenüber gestanden zu haben? Was war dem Juden angetan worden? 

Diese Frage habe ich bis heute nicht beantworten können. Sie beschäftigt mich nun seit eh und je. Nachdem mein Sohn 1978 in Israel einem Bomben-Attentat zum Opfer fiel (2 Tote, 5 Schwerverletzte – unter Letzteren mein 18jähriger Junge), ging ich ebenfalls für die Dauer eines Jahres mit meinen beiden Töchtern (damals 16 und 7 Jahre alt) nach Tel Aviv. Dort durfte ich auch den von Ihnen interviewten Publizisten Henrik Broder als Gast bei mir empfangen, den ich durch seine „Jüdische Zeitung“ kannte, ehe ich dann wieder nach Berlin zu meiner betagten Mutter zurückkehrte. Bis heute zieht es mich alljährlich für etliche Monate nach Eretz Israel, wo ich mich inzwischen in Haifa sehr viel mehr zu Hause fühle als in Berlin.

Helga König:  Sie haben dort einen Kreis von während der Nazi-Ära immigrierten, deutschsprachigen Schriftstellern angetroffen, die noch immer in ihrer deutschen Sprache schrieben. Um welche Schriftsteller handelte es sich hierbei und welcher literarischen Gattung sind ihre schriftstellerischen Werke zu zählen?


Dr.  hc.  Tilly Boesche- Zacharow:  Nach der ersten (und nicht letzten) Begegnung mit dem Begründer des Verbandes deutschsprachiger Schriftsteller in Israel (VdSI), Meir Faerber, gelang es mir fast alle damals noch lebenden Mitgliedsautoren (rd 40) kennen lernen zu dürfen und war beglückt, als einzige ehemalige Christin, (jetzt religionslos) in den Verband als Mitglied aufgenommen zu werden. Die Tatsache, meine dortigen Kollegen abgeschnitten von ihren deutschen Wurzeln zu sehen und ohne Möglichkeiten, dort einen neuen Anschluss zu finden, brachte mich zu dem Entschluss, mit meinem mir zustimmenden Sohn 1981 einen Verlag zu gründen, um den z. T. ausgezeichneten, doch kaum wahrgenommenen Schreibkünstlern jeglichen Gustos ein Trittbrett sein zu können.

Es bestand bereits seit 1980 meine Zeitschrift „SILHOUETTE“, in denen ich etliche hundert Mitarbeiter aus aller Welt (USA, Canada, Thailand, Indien, Korea, Israel, Europa) zu scharen vermochte, die mir bis zum heutigen Tage, sofern sie noch leben, freundschaftlich verbunden blieben. In Dankbarkeit sehe ich zurück auf den inzwischen verstorbenen Dr. Krishna Srinivas, Gründer und Präsident im „Worldroundtable“ und Montri Umavijani, Bangkok zurück, deren Interesse an meinen Arbeiten 1981 die World University in Tucson / Arizona veranlasste, mir das Cultural Doctorate in Literature (with all rights and privileges there to pertaining) zu verleihen. Anmerkung von mir: Deutschland erkennt die im Ausland getroffene Auszeichnung nicht an. Sie hier zu nutzen, wird z. Zt. gegenteilig als kriminell zu bewertende Handlung angesehen!!!! 

Viele jüdischgläubige Autoren (u.a. Anna Krommer, Ella Bobrow, Lisa Kahn, James Deahl) auch aus anderen Ländern fanden sich bei mir ein. Ein paar der Namen sind in meiner Verlagspage enthalten, siehe auch dort: Kleine Reihe: LITERATUR ZUM ANGEWÖHNEN.  Es befinden sich Lyriker, Essayisten, Story-Erzähler, Historiker, Roman- und Theaterschreiber beiderlei Geschlechts darunter. Mein jerusalemer Freund Schalom Ben Chorin s.A. pflegte mir viele seiner bei ihm Hilfe suchender Kollegen ans Herz zu legen, vor allem Carl Stern s.A. aus Jerusalem, einen überaus begnadeten Dichter. Ich fühlte mich meinen dortigen Kollegen gegenüber auch nach Auflösung des Verbandes 2005 verantwortlich und veröffentlichte im gleichen Jahr meinen großformatigen Dokumentationsband „Nicht das letzte Wort“, damit ihre Namen und Werke nicht ganz und nicht so schnell verloren gehen.

Helga König:  Weshalb war es für diese Autoren noch in den 1980er Jahre so problematisch hier Deutschland Verlage zu finden, die ihre Texte veröffentlichten?

Dr.  hc.  Tilly Boesche- Zacharow:   Weshalb es den israelischen Autoren damals selten oder gar nicht gelang, hier in deutschen Landen wieder Fuß zu fassen? Wie kann oder soll man das beschreiben? 

Herausgerissen aus ihren festen deutschen Existenzen, elementarlos geworden, völlig entwurzelt, knapp dem Tod entronnen, gejagt - seelisch wie körperlich z. T verstümmelt, fiel es den Immigranten schwer, in der neuen Heimat - ihnen im eigentlichen Sinn völlig fremd - wiederzufinden, zu bestehen: sie waren ja ihrer Sprache beraubt, verstummten oft ganz oder zeitweise. Wenige vermochten Anklang ba Eretz zu finden, na, und sich in die eher verstörende als festzuhaltende Vergangenheit (nicht allein sprachlich) zurückzudrehen, war ihnen einfach unmöglich. Sie hingen fest zwischen den alten und neuen Sprachen (ihrem ureigentlichen Werkzeug), den Gefühlen, der nie endenden Existenzangst, ihren Dejavues dem nicht enden wollenden Verfolgungswahn, einfach allem, was das Dasein ausmacht, im Vollsinn dieses Wortes. Es gab dort nur noch eine einzige deutsche Zeitung: „Israel-Nachrichten“ mit ihrer wunderbaren Alice Schwarz-Gardos, die dann hoch betagt in den Redaktionssielen starb, wonach die Zeitung bald ganz verschwunden war. Auch der 1978 von Meir Faerber gegründete Verband machte 2005 die Schotten infolge Nachwuchsmangels dicht. Deutsch als Sprache ist in Israel heutzutage so gut wie ausgestorben. Jetzt ist Russisch an der Tagesordnung aufgrund der vielfaltigen Einwanderungswellen von dort.

Helga König: Sie haben diesen Schriftstellen in ihren Zeitschriften SILHOUETTE-Literatur International" und danach „SCHATTENRISS“ ein Veröffentlichungsforum geboten. Können Sie den Lesern kurz etwas über Ihre literarischen Zeitschriften berichten?

Dr.  hc.  Tilly Boesche- Zacharow: Meine SILHOUETTE – Literatur International (Nr. 1 bis 24 erschienen) pries die Zt. Berliner Morgenpost als „zauberische Verschwörung, der schwer zu widerstehen sei“, denn sie bestand einerseits aus Prosakurztexten, Lyrik und schriftlichen Hinweisungen auf literarische Welten und Situationen, andererseits war sie Labsal für Auge und Herz von Silhouette-Liebhabern. Scherenschnitte der verschiedensten Art lockerten die Texte auf. Von anfänglich 15 Seiten im Din A-4 Format mit Schreibmaschine und eigener Handarbeit wuchs sie im Lauf von gut zehn Jahren auf eine 60 seitig-großformatige Illustrierte, deren Text und Ausstattung von mir selber wochenlang ausgesucht, geschrieben, geklebt, geschnitten und dann zum Drucken gegeben wurde, noch im Einzelletterndruck in Israel hergestellt und zurückgeschickt nach Berlin. 

Als die Nr. 24 auf dem Postweg verschwand, konnte ich mich nicht überwinden, sie weiterhin am Leben erhalten zu wollen, unter so beträchtlichem Arbeits- und Kostenaufwand. Geldausgaben überwogen die Verlagseinnahmen bei weitem. Nachdem mein Sohn mich 2002 für immer verließ, kann man von florierender Verlagsarbeit nicht mehr sprechen. Dennoch ist es mir wichtig, Existenz und Namen des Unternehmens in der Sicht des Publikums zu belassen, weil ich dadurch auch die Möglichkeit habe, meinen Sohn so lange leben lassen zu können, wie ich selber atme…auch alle anderen meiner Freunde, die mir immer die Treue hielten. Wie könnte ich auch nur einen verraten oder vergessen?

Helga König: Mit Ihrem Sohn Norbert haben Sie gemeinsam den M. & N. Boesche Verlag gegründet, der zur neuen Heimat dieser Schriftsteller wurde. Können Sie unseren Lesern etwas zur Verlagsgeschichte erzählen und welche Bücher primär bei Ihnen verlegt werden?

Dr.  hc.  Tilly Boesche- Zacharow: Würde mein Verlag heute noch florieren, würde ich meine sich darauf beziehende Taktik und Handhabung, wie jahrelang erfolgreich ausgeübt, dabei belassen. Mein Gefühl allein (vielleicht hab ich einen inneren Sensor) ist ausschlaggebend, ob und welche Autoren mit welchen Beiträgen bei mir Aufnahme finden. 

Sie müssen eine entscheidende Aussagekraft besitzen und sollten normgerecht sein; müssen/ können eigenen Stil haben. Fehler müssen ausgemerzt werden (vom Autor oder mir als Korrektor). Notwendige Rechtschreibung nehme ich selber in die Hand und/ oder suche mir Leute, die mich verbessern können und von denen ich mich verbessern lasse. (Hatte mal einen wunderbaren Drucker (Bernert), von dem ich mir manchen Fehler um die Ohren hauen ließ.) Ein Autor muss mir nahe kommen, sehr nahe sogar (Anner Griem kann ein Liedchen davon singen!) 

Die Beiträge müssen Sinn und Verstand haben, gleichgültig ob Satire oder Zeitgeist beinhaltet wird. Sie müssen aber verstanden oder zumindest erfühlt werden, müssen Überdenkung bewirken, Herausforderung sein in positivem Sinn, doch in gewissem Sinn neutral gehalten bleiben, sogar auch Spaß machen. Kurzum, sie müssen vor allem m i r gefallen, mich in ihren Bann ziehen. Denn ich will und muss mit meiner ganzen Persönlichkeit dahinter stehen können, um bei Bedarf den vollen Einsatz zu gewährleisten, für Produkt und Verfasser auch eventueller Anfeindung standhalten zu können und vor mir selber gerade zu bleiben.

Helga König: Sie feiern jetzt am 31. Januar Ihren 85. Geburtstag. Ich habe gelesen, dass Sie nach wie vor zwischen Haifa und Berlin hin- und her pendeln. Wo werden Sie Ihren Geburtstag feiern und werden Ihre Autoren an diesem Tag bei Ihnen sein? 

Dr.  hc.  Tilly Boesche- Zacharow: Ich war während der Hohen Feiertage im September/ Oktober 2012 in Israel und werde - wenn zunehmende Gebrechlichkeit es zulässt - im April/März 2013 wieder „nach Hause“ – nach Haifa reisen. Dort bin ich unter demselben Himmel wie mein geliebter Sohn, was mir gut tut. Die Besucherzahl meiner Geburtstagsgäste wird ins Unermessliche von mir erwartet. Niemand wird sie sehen können, aber ich rechne mit ihnen allen, die sich zur Festlichkeit meines 85. Geburtstages hier einfinden. Und ein wenig fürchte ich mich vor ihren neuen Plänen, mit denen sie mich überhäufen werden und von denen ich nicht weiß, wie viel davon ich meiner eigenen Verpflichtung gemäß noch werde ausführen können. Na, schau´n wir mal, wieviel Leben ich - solange ich lebe – dank eigenen Beschlusses am realen Dabeibleiben halten kann. DENEN BEHILFLICH SEIN, DIE ES NICHT MEHR SELBER KÖNNEN. Das kann auch als meine Botschaft für die Leser gelten und gleichzeitig ein kleiner Dank sein an meine Interviewerin Helga König (die ja damit absolut die mir gleichen Fakten vertritt)

Helga König: Darf man auf eine neue Buchveröffentlichung von Ihnen hoffen?  

Dr.  hc.  Tilly Boesche- Zacharow: Zu einer angedachten Veröffentlichung ist vorgesehen a) der von mir fertig gestellte psychologisch angelegte Roman, betitelt: „Der Andere in mir“ oder b) die umfangreiche Lyriksammlung der letzten zehn Jahre unter dem Titel: „Die unausschöpfliche Darbietung des irdischen Da- Seins“ bzw. c) ein Band mit 4-5 Erzählungen unter jüdischen Aspekten, der das Thema der ersten Story vertritt „Ruth sucht Ruth.“

Helga König: Würden Sie uns Lesern die Freude machen, ein Gedicht von Ihnen hier zu veröffentlichen?


Dr.  hc.  Tilly Boesche- Zacharow:

Ballade vom letzten Interview

Es wurden ein paar Lichter
um einen Mensch gestellt,
der sich bekannt als Dichter,
dess` Leben man erhellt.
Man stellt ihm viele Fragen,
und ihm verbleibt das Sagen.
Und eh man es noch recht geschautet,
hat er sich bis aufs Blut geoutet.
Geburtsort und sein Leben war
plötzlich völlig durchsichtbar.
Man brauchte nur was anzutippen,
die Antwort glitt von seinen Lippen.
Darin war er wie alle Geister
erfahren und ein echter Meister.
Er legt sein ganzes Lebenslos
bis auf das nackt Gerippe bloß.
Und von seinen ganzen Lieben
ist nun nichts geheim geblieben.
Dann kam die Frage, ihn zu toppen 
Plötzlich fing er an zu stoppen.
Er schien sich selbst zu hinterfragen...
Tja, was soll ich dazu sagen?“
Und man hörte ihn fast bellen,
man möcht die Frage nochmals stellen.
Reporter werden stets genießen,
sich mal richtig einzuschießen.
Drum sind die Fragen der Genossen
nun gleich als Flut auf ihn geflossen.
Und er begriff der Fragen Sinn:
"Wo kommst du her? Wo gehst du hin?“
Das spülte zu dem eig´nem Schreck
ihn grade wie´n Tsunami weg.
War er soeben noch bestrebt,
sich zu verbreiten, wie er lebt,
und gab er lächelnd manchen Rat,
nun hat er Worte nicht parat.
Die stehn – oh welche Schmach und Hohn, 
nicht in seinem Lexikon,
das er gelernt bei Tag und Nacht
und was Bewund´rung ihm gebracht.
Nun blättert er in all den Seiten,
die in seinem Kopf sich breiten.
Doch diese Seiten, sie sind leer.
Das zuzugeben fällt sehr schwer.
Er weiß, es hängt davon viel ab,
ob Ehr und Ruhm ihm übers Grab,
wonach er hascht an allen Quellen.
Was will sich ihm verquer nun stellen?
Ein Reporter kanns nicht lassen.
Er ruft den Spruch vom Schrank mit Tassen.
Und der Nächste spricht klar aus:
"Wo fühlst du, Meister, dich zu Haus?“
Der Dichter quält sich zu besinnen.
Er sucht erneut nach dem Beginnen.
Er hofft, er würde wieder trächtig,
und die Worte klingen prächtig.
Er führt sie alle nun auf Spuren
in das alte Deutsch-Masuren,
und hilft damit entdecken,
dass dort noch ein paar Wurzeln stecken.
Er hat sodann noch vorgeführt,
das Judentum, das er sich kürt.
Als er sein eig´nes Haus gebaut,
da fühlte er sich gut und traut.
Doch seit er dort hinausgeflogen
hat es ihn in die Welt gezogen.
Er sagt und nickt, dass leider – leider
alle Menschen Halsabschneider…
Er japst und regt sich mächtig auf,
denn schwer war dieser Lebenslauf.
Er fällt nun um, wird aufgefangen...
Ein Stimmlein flüstert: "Heimgegangen!
Er ging nach Hause zu den Geistern.
Nur wahre Größe kann das meistern.
Ein paar Tage schon darauf
stellt man ihm ein Denkmal auf.
Dann geht man hin zum Totenessen
und nächsten tags ist er vergessen.
Die Reporter nur - beim Glase Weine 
zählten ein paar große Scheine.

 © Tilly Boesche-Zacharow, 2012 
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Liebe Dr. hc. Tilly Boesche- Zacharow, nochmals möchte ich mich herzlich, auch im Namen der Leser bei Ihnen für dieses wunderbare Interview bedanken und hoffe, dass Sie ein schönes Geburtstagsfest feiern werden.

Ihre Helga König
Bitte klicken Sie auf den Link, dann gelangen Sie zur Verlagsseite:http://www.boesche-verlag.de/seiten/lza.html

10 Kommentare:

  1. Reinhold Schuster17. Januar 2013 um 13:02

    ... gefällt mir sehr - Chapeau !

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  2. Danke Ihnen Reinhold. Ihnen die besten Grüße Helga

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  3. Tilly Boesche-Zacharow kam in mein Leben über zwei uns nahestenden und doch so weit entfernten Menschen, die wir beide, jeder für sich den eigenen, liebten. Jetzt lieben wir beide uns, jeder auf seine Art! Sie ist Mensch, Mentor, Freundin und Vertraute. Eine von mir vergötterte Person wurde zum Bindeglied zwischen uns beiden und hat eine Freundschaft zwischen Tilly und mir geschaffen, die über den Tod hinaus bestehen wird. Klaus F. Rödder

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  4. Interessantes Interview, liebe Tilly!
    Flojoe

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  5. Danke Frau Helga König,für das was ich lesen durfte.
    Frau Tilly Boesche-Zacharow hat auch in meinem Leben Spuren hinterlassen.
    Sie ist sicher nicht nur für mich ein beeindruckender Mensch mit vielen Fscetten. Noch immer sehr emotional mit großem Wissen agierend und reagierend, ist sie für Jeden dem sie sich zeigt, ein nicht versiegender Quell an wohlwollenden Hilfestellungen bei dem Versuch hinter das Offensichtliche zu sehen.
    Sie ist noch mehr als sie in dem Interview vermittelt und ich bin stolz mich mit ihr schon ausgetauscht/gestritten zu haben.
    Danke für die Veröffentlichung des naturgemäß unvollständigen Bildes dieser bemerkenswerten Frau Tilly Boesche-Zacharow.

    Harry Reinert

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  6. Liebe Frau König,

    Ein sehr zu Herzen gehendes Interview. Tilly ist das Beste was mir in meinem Leben begegnet ist. Eine sehr warmherzige und liebevolle Freundin...für mich eine Mama wie aus dem Bilderbuch. Eine Kämpferin der Zeitgeschichte. Du weißt ja liebe Tilly....Hühnersuppe schafft alles..:)
    Ich hoffe ich kann noch viele Jahre deine Freundschaft und dein Wissen bewahren...du hast mir viel Kraft gegeben und vor allem den Mut mit meiner Schreiberei rauszugehen...du glaubst an mich und das alleine ist schon ein tolles Gefühl...Liebe Grüße nach Berlin....Deine Ilona

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  7. am wegesrand

    angeregt durch das gedicht
    "Am Wegesrand verharren"
    von Tilly Boesche-Zacharow,
    ihr gewidmet in dankbarkeit


    du nennst vertraulich das beim namen,
    was uns bisher war unbekannt.
    wo wir nur hasten und nichts ahnen,
    verweilst du lang am wegesrand.

    wie werd ich dereinst um dich weinen,
    bist du in ferner zeit nicht mehr.
    wo immer junge ähren keimen,
    sie wurden ausgesät von dir.

    man mag vergänglichkeit verfluchen.
    ein trost bleibt stets dir zugewandt.
    du liebst ihn sehr und musst nicht suchen:
    in Israel. im heimatland.


    marmotier

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  8. am wegesrand

    angeregt durch das gedicht
    "Am Wegesrand verharren"
    von Tilly Boesche-Zacharow,
    ihr gewidmet in dankbarkeit


    du nennst vertraulich das beim namen,
    was uns bisher war unbekannt.
    wo wir nur hasten und nichts ahnen,
    verweilst du lang am wegesrand.

    wie werd ich dereinst um dich weinen,
    bist du in ferner zeit nicht mehr.
    wo immer junge ähren keimen,
    sie wurden ausgesät von dir.

    man mag vergänglichkeit verfluchen,
    ein trost bleibt stets dir zugewandt.
    du liebst ihn sehr und musst nicht suchen:
    in Israel. im heimatland.


    marmotier

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  9. am wegesrand

    angeregt durch das gedicht
    "Am Wegesrand verharren"
    von Tilly Boesche-Zacharow
    und ihr gewidmet in dankbarkeit


    du nennst vertraulich das beim namen,
    was uns bisher war unbekannt.
    wo wir nur hasten und nichts ahnen,
    verharrst du lang am wegesrand.

    wie werd ich dereinst um dich weinen,
    bist du in ferner zeit nicht mehr.
    wo immer junge ähren keimen,
    sie wurden ausgesät von dir.

    man mag vergänglichkeit verfluchen.
    ein trost bleibt stets dir zugewandt.
    du liebst ihn sehr und musst nicht suchen:
    in Israel. im heimatland.

    Von Marmotier

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  10. Liebe Frau König,

    das ist sehr schön, dass Sie dieses Interview mit Frau Tilly Bösche-Zacharow geführt haben.
    Persönlich bin ich ihr nicht begegnet, aber immer wieder mal sind wir uns in kurz gefasster
    schriftlicher Form,über unsere Gedichte, begegnet. Zu allererst waren es ihre Gedichte,
    die mich berührten, dann wurde ich auf ihren Verlag aufmerksam und später ... und so weiter.
    Ich meine, man kann ihr gar nicht genug danken, für das, was sie für Menschen in Deutschland
    und in Israel getan hat. Ich bedaure es sehr, dass ich ihr nicht schon viel eher begegnet bin.
    Frau König, ich danke auch Ihnen sehr!
    Gabriele Weinschenk-Taapken

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