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Helga König im Gespräch mit Katharina Maier

Sehr geehrte Frau Maier, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Rache ist eine Speise, die man kalt genießt" rezensiert. Zu diesem Buch möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Helga König: Ist Rache für Sie ein „Genuss", oder wie darf ich den Titel Ihres Buches interpretieren?

Katharina Maier
Katharina Maier: Wenn Rache ein Genuss ist, dann ein sehr bitterer. Das zeigen eigentlich fast alle Geschichten, die in meinem Buch vorgestellt werden. Rache kann wohl dem Rächer ein hohes Maß an Befriedigung verschaffen, aber sie fordert auch immer einen hohen Preis. Sie ist also ein teures Gericht! Den Titel meines Buches verstehe ich eigentlich eher in Bezug auf die Rachegeschichten, die es behandelt. Diese Geschichten bringen uns zum Nachdenken, aber man kann sie auch einfach genießen – und das mit einem weniger schlechten Gewissen als reale Rache.


Helga König:  Wie definieren Sie Rache?

Katharina Maier: Rache ist eine Tat, die das Opfer eines Unrechts demjenigen zufügt, der dieses Unrecht an ihm – oder an ihm Nahestehenden – verübt hat, um eine Art Ausgleich für das fragliche Unrecht zu erlangen, der auf anderem Wege – zum Beispiel über den Rechtsweg – nicht zu erreichen ist. Sie ist also eine Art Strafe, nur dass sie von dem Opfer des Unrechts oder seiner Vertreter persönlich ausgeführt wird. Sie ist aber wiederum selbst eine Art Unrecht, weil sie den ersten Täter zum Opfer macht.


Helga König: Warum führt es nach Ihrer Ansicht zu nichts, Racheimpulse zu unterdrücken?

Katharina Maier: Racheimpulse sind Teil unseres Menschseins, unserer kulturellen und vermutlich sogar biologischen Evolution. Wer zurückschlägt, wenn ihm etwas getan wird, oder auch nur überzeugend vermitteln kann, dass er zurückschlagen wird, hat evolutionär gesehen die größeren Überlebenschancen, weil es weniger wahrscheinlich ist, dass er überhaupt angegriffen wird. Gleichzeitig ist der Vorstellung eines ‘Rechts auf Rache’ fest in unserem kulturellen Denken verwurzelt. Zu leugnen, dass jeder Mensch Racheimpulse hat, weil sie ‘einfach nicht sein dürfen’, ist im psychologischen Sinne Verdrängung. Dadurch gehen die Racheimpulse nicht weg, sie verwandeln sich nur in unserer Psyche in andere destruktive Impulse, die sich gegen das Selbst, aber auch gegen andere richten können. Racheimpulse in diesem Sinne nicht zu unterdrücken, ist allerdings nicht dasselbe, wie ihnen bedenkenlos nachzugeben. Mir einzugestehen, dass ich mich verletzt fühle und mich am liebsten an jemanden rächen würde, und mir zuzugestehen, dass das eine menschliche, verständliche Reaktion ist, ist eine Sache. Diesen Impuls ohne Skrupel auszuleben und jemand anderen deswegen Schaden zuzufügen, ist eine andere. Die Rachegeschichten über die Jahrhunderte zeigen uns, wie problematisch das ist.


Helga König
Helga König: Wie stehen Sie zu den christlichen und buddhistischen Sichtweisen in puncto Vergebung und Verzeihen?

Katharina Maier: Ich muss gestehen, dass ich mich im buddhistischen Denken nicht sehr gut auskenne. Wenn ich es aber recht verstehe, ist der Buddhismus in puncto Vergeben und Verzeihen nicht weit vom Christentum entfernt, ja, wohl noch konsequenter, was die Liebe zu allem Leben und das Vergeben der eigenen Schuld und der anderer betrifft. Diese Konzepte sind natürlich das genaue Gegenteil des Rachegedankens. Die Aufforderung, unseren Nächsten und unseren Feinden zu verzeihen, ja, sie zu lieben, geht mit einer Vergeltungsmentalität nicht zusammen. Ich selbst bin im christlichen Glauben verwurzelt und glaube an die Vergebung als Ideal. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es ein wahrhaft menschliches Ideal ist. Jedem unserer Schuldner zu vergeben, ist ein Ziel, dem wir zustreben sollten, selbst wenn es vielleicht nicht erreichbar ist. Ich kann verstehen, dass es Dinge gibt, die man unfähig ist zu verzeihen. Zum Beispiel: Was tue ich, wenn jemandem meinem Kind Schaden zugefügt hat, es vielleicht verletzt, vergewaltigt, ermordet hat? Kann ich so jemandem verzeihen? Ist es nicht menschlich, wenn ich es nicht kann? Soll ich dann zum Rächer derjenigen werden, die ich liebe? – Auf solche Fragen gibt es keine einfachen Antworten, und man muss ganze Geschichten erzählen, um eine Antwort zumindest zu versuchen.


Helga König: Wie werten Sie die Rache der "Nibelungen", die ja im Grunde bloß zu verbrannter Erde führte?

Katharina Maier: Kriemhilds Rache in den „Nibelungen“ ist maßlos und auch skrupellos. Sie setzt das Wohl zweier Völker – der Burgunder und der Ungarn – aufs Spiel, um den Tod eines einzigen Mannes zu rächen – und den Verrat, der an ihr begangen wurde. Von ethisch-moralischer Perspektive aus ist das nicht vertretbar. Punkt. Wie ich aber in meinem Buch darlege, weist das „Nibelungenlied“ gerade durch diese extreme, destruktive Rache über die Person Kriemhild hinaus. Sie ist die Personifikation des Weiblichen, und ihr ist von den Männern Unrecht getan worden – und so etwas rächt sich grausam und ohne Maßen, erzählt uns das „Nibelungenlied“. Damit fällt aber die Geschichte nicht nur ein Urteil über die Rächerin, die außerhalb der sozial akzeptierten Mechanismen handelt (sie hätte eine legitime Familienfehde als Reaktion auf Siegfrieds Tod fordern können, die einige Leben gekostet, aber nicht so gut wie totale Zerstörung mit sich gebracht hätte). Das „Nibelungenlied“ verurteilt auch jene Strukturen, die das Unrecht möglich gemacht haben, die zu der absolut destruktiven Rache führten. Als erzählerisches Mittel ist dabei die „verbrannte Erde“ extrem wirkungsvoll und „gut gemacht“. Aber das ist eben der Unterschied zwischen Fiktion und Realität.


Helga König:  Meinen Sie, dass Rache auch zu positiven Ergebnissen führen kann?

Katharina Maier: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Was ist in diesem Falle positiv? Wenn jemand, der dem Rächer etwas getan hat, eine Strafe erhält, die wir als gerecht empfinden? Als negativ kann man so eine Entwicklung jedenfalls nicht wirklich bezeichnen. Vielleicht muss man zu der Beantwortung dieser Frage von den „epischen“ Rachesituationen, die ich in meinem Buch behandle, weggehen. Im Alltag haben wir es – zumindest in unserer unmittelbaren Lebenswirklichkeit – nicht oft mit Blutrache zu tun. Vielleicht rächen wir uns nur, weil uns jemand ungerecht behandelt hat. Wenn wir also zurückschlagen, dem Schuldigen vielleicht einen Streich spielen, und er dadurch zur Einsicht kommt, dass er sich falsch verhalten hat, dann ist das wohl ein positiver Effekt von Rache. – Intellektuell kann ich mir solche Situationen vorstellen, in denen Rache zu einem objektiv wünschenswerten Ergebnis führen könnte. Rein praktisch kann ich mir persönlich aber nicht denken, dass solche Situationen häufig vorkommen. Wenn ich mich an jemandem räche, selbst für Kleinigkeiten, bedeutet das eigentlich immer, dass ich ihm in irgendeiner Art und Weise Schaden zufüge, und sei es „nur“ emotional. Und damit habe ich persönlich ein echtes Problem.


Helga König
Helga König: Halten Sie die Rache der Protagonistin im "Besuch der alten Dame" für gerechtfertigt" und falls ja, weshalb?

Katharina Maier: Nein, ich halte die Rache der Protagonistin nicht für gerechtfertigt. Sie hat ein Recht darauf, dass die Wahrheit ans Licht kommt – dass sie damals als junge Schwangere verleumdet worden ist und deswegen von der Gesellschaft ausgestoßen wurde. Die Genugtuung, diejenigen bloßgestellt zu sehen, die ihr das angetan haben, würde ihr wohl jeder gönnen. Aber sie hat kein Recht, den Mann umbringen zu lassen, der sie damals verleumdet hat. Ja, er hat ihr Leben zerstört. Aber trägt er allein die Schuld daran, dass sie zur Prostituierten, Männerfresserin und zum Zerrbild eines Menschen geworden ist? Wohl kaum. Und die Strafe, die sie fordert, ist maßlos. Dadurch, dass sie verlangt, dass jemand aus dem Städtchen den Mann, den sie einst geliebt hat, tötet, zerstört sie eine ganze Gesellschaft und schneidet sich ins eigene Fleisch, weil sie den fraglichen Mann immer noch liebt. – Nun gut, Claire rächt sich an der ganzen Welt, die als Ganzes möglich gemacht hat, dass ihr Unrecht getan wurde. So etwas ist vielleicht so gar nachvollziehbar. Aber nicht gerechtfertigt.


Helga König: Meinen Sie, dass Rache ein tauglicher Weg zur Befriedung sein kann?

Katharina Maier: Rache kann durchaus zu großer Befriedigung führen. Es ist aber die Frage, ob es ein tauglicher Weg ist. Denn Rache verlangt immer einen Preis. Das, was ich tun muss, um mich zu rächen – einem anderen Menschen etwas tun –, verändert mich auch immer selbst, sogar, wenn ich erfolgreich bin. Vielleicht bin ich bereit, das zu akzeptieren, um meine Befriedigung zu erlangen, wie zum Beispiel Ruth in „Die Teufelin“. Aber diese Art der Befriedigung kann mir schon sehr teuer zu stehen kommen. Wenn man so richtig hinschaut, hinterlässt eigentlich jede Rachegeschichte einen bitteren Nachgeschmack. Ich glaube, dass vollends befriedigende Racheszenarien, in denen meinem Schuldner die gerechte Strafe widerfährt und ich voller Befriedigung siegreich in den Sonnenuntergang galoppieren kann, reine Fantasie sind – und nicht im gleichen Sinne wie die Rachegeschichten in meinem Buch!

Helga König: Wie werten Sie die Familienfehden auf Kreta und auf Sizilien?

Katharina Maier: Familienfehden sind wohl eines der ältesten Probleme der Menschheit. Das stammt daher, dass es vor der Entwicklung der staatlichen, religiösen oder schlicht Gruppen-Rechtssprechung kein anderes Mittel gab, um zu garantieren, dass ein Opfer zu seinem Recht kommt, als dass die Familienangehörigen die Sache in die Hand nahmen. In jeder Kultur, in der Familienfehden praktiziert werden, sind sie fest verwurzelt und haben auch etwas mit positiv besetzten Werten wie Zusammenhalt und Schutz zu tun. Man sollte nie eine Kultur und ihre Praktiken von außen her pauschal verurteilen. Aber: Familienfehden sind ein Fluch, der von Generation zu Generation weitergegeben wird und sämtliche Hoffnung auf Zukunft zerstören kann, wenn der Teufelskreis nicht irgendwie durchbrochen wird. Das sagen uns schon die antiken griechischen Denker in der „Orestie“, und das erzählt uns Shakespeare mit „Romeo und Julia“. Ich sehe keinen Grund, ihnen zu widersprechen, auch und vor allem heutzutage nicht. Nur weil etwas kulturell nachzuvollziehen ist, heißt das nicht, dass es gutzuheißen ist, vor allem nicht, wenn es eigentlich unschuldige Menschen nur über Begriffe wie Ehre und Tradition dazu zwingt, anderen ein Leid zuzufügen, ja, ihr Leben zu nehmen, und also ständig Menschenleben kostet. Und diese Kette von Rache und Wiederrache hört nie auf. Das ist zu keiner Zeit und an keinem Ort ‘gut’ – schon gar nicht von einem humanistisch-christlichen Standpunkt aus, auf den sich nun einmal unsere abendländischen Werte gründen.

Helga König: Ist Rache nach Ihrer Ansicht archaisch und für einen zivilisierten Menschen eine eher unwürdige Maßnahme, falls ja, weshalb?

Katharina Maier
Katharina Maier: Ich habe in meinem Buch oft den Begriff „archaisch“ verwendet, um „ursprüngliche“ Gesellschaft wie die homerische Kriegerwelt oder auch die der Völkerwanderung zu beschreiben. Ich würde diesen Begriff aber nicht als Gegenteil zu „zivilisiert“ verstehen; auch jene Menschen waren „zivilisiert“, sie hatten eben nur teilweise andere Werte als wir. – So viel vorne weg. Sollte ein Mensch, der auf Jahrtausende abendländisch-humanistische Wertekultur zurückgreifen kann, seine Racheimpulse zügeln können? Vermutlich. Aber ich finde Rache als Motiv weit weniger barbarisch als zum Beispiel Habgier, Eifersucht, verletzter Stolz, Machthunger, Dummheit, Verachtung für Menschenleben und vieles mehr. Ein Rächer handelt immer aus einem ihm oder ihm Nahestehenden widerfahrenen Unrecht heraus. Es kann sein, dass nur er das Geschehene als Unrecht empfindet – etwa, weil sein Stolz verletzt ist. Aber oft ist das Unrecht auch „objektiv“ als solches zu erkennen. Und sich für Leid zu rächen, ist vielleicht nicht lobenswert, aber meiner Meinung nach viel verständlicher – und wohl sogar „menschlicher“ – als alle anderen oben aufgezählten Motive.


Liebe Frau Maier,  ich danke Ihnen für das  erhellende Interview.

Ihre Helga König

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