Dieses Blog durchsuchen

Helga König im Gespräch mit Rolf Dobelli

Lieber Herr Dobelli, am vergangenen Samstag habe ich auf "Ein Buch lesen" Ihren Roman "Massimo Marini" rezensiert und möchte Ihnen heute hierzu noch einige Fragen stellen.

H.K.: Was hat Sie veranlasst, Ihren Roman "Massimo Marini" mit einer Textstelle aus Büchners "Woyzeck" zu beginnen und mit einer weiteren aus diesem Drama enden zu lassen?

R.D.: Als ich den Roman beinahe fertig geschrieben hatte, fielen mit die Parallelen zwischen den Figuren Massimo Marini und Woyzeck auf. Beide werden von ihren Frauen hintergangen. Beide werden durch "Umstände" zum Mörder. Hinzu kommt, dass durch die Lektüre von Woyzeck im jungen Massimo ein Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit reift, die ihn an den politisch linken Rand katapultiert und zum Bruch mit seinem Vater führt. Hinzu kommt auch, dass das Zitat "Süd-Nord! Ha! Ha! Ha! ..." wunderbar in das Nord-Süd-Thema von Massimo Marini einführt. Ein Zitat, das passt, wie der Schlüssel zum Loch.

H.K.: Ihr Roman hat viele Facetten. Was motivierte Sie, über die Problematik italienischer Gastarbeiter in der Schweiz zu schreiben?

R.D.: Mir ging es um die Geschichte dieses Massimo Marini. Mir ging es nicht darum, einen politischen Roman zu schreiben. Die Immigration der Italiener in die Schweiz steht nicht im Vordergrund, sondern die Entwicklung einer Figur steht im Vordergrund. Trotzdem: ich bin der Stadt aufgewachsen mit dem grössten Ausländeranteil (und damit Italiener-Anteil) der Schweiz. Das Thema ist mir handfest bekannt.

H.K.: Was brachte Sie auf die Idee, Tunnelbaukunst , sowie Hoch-, Tief- und Untertagebau in Ihrem Roman zur Sprache zu bringen?

R.D.: Als während der Konzeption des Romanes die Figur von Massimo Marini endlich stand, war es klar, dass er als Einwanderersohn ein Bauunternehmen führen sollte. Nun hätte ich ihn Autobahnen bauen lassen können oder Einfamilienhäuschen. Doch das wäre verschossenes Pulver gewesen, wenn wir gerade in diesem Jahrzehnt in der Schweiz den längsten Tunnel der Welt bauen, den Gotthard-Basistunnel, der in perfekter Weise die Immigrationsbewegung (Nord-Süd) symbolisiert. Massimo Marini, als Gastarbeitersohn, baut einen Tunnel durch den schweizerischsten aller Schweizer Berge, den Gotthard. Er durchlöchert ihn wie ein Schweizer Käse.

H.K.: Sehr beeindruckt bin ich von Ihren Musikkenntnissen. Haben Sie spezielle Quellenstudien betrieben oder sind Cellointerpretationen eine persönliche Neigung Ihrerseits?

R.D.: Ich liebe klassische Musik und besuche seit Jahren das Lucerne Festival. Als Schüler war ich viele Jahre Platzanweiser und kam so in den Genuss von jährlich 40 klassischen Konzerten. Heute sind es ein bisschen weniger, aber die Liebe zur E-Musik ist geblieben.

H.K.: Weshalb haben Sie die Frauen um Massimo allesamt treulos dargestellt?

R.D.: Keine Ahnung. Da müsste ich mich bei einem Psychotherapeuten auf die Couch werfen, um die Antwort zu finden.

H.K.: Ihre erotischen Handlungsabläufe haben mir gefallen, weil Sie sprachlich dabei sehr subtil agierten. Was hat Sie auf die Idee gebracht, dem Leser eine 35 jährige Frau als Jungfrau zu präsentieren?

R.D.: Das waren die schwierigsten Szenen. An ihnen habe ich lange gefeilt. Wie ich dazu kam? Weil ich eine Handvoll Frauen kenne, teilweise hoch intelligente, energische, die aus verschiedenen Gründen mit 35 noch nie Sex hatten. Diese Tatsache hat mich betroffen gemacht.

H.K.: Haben Sie generell persönliche Erfahrungen in Ihren Roman eingearbeitet und wenn ja, welche?

R.D.: Diesmal viel weniger als bei meinen früheren Romanen. Hier eigentlich nur der Backdrop aus meiner Jugend, also die Gastarbeiter.

H.K.: Sie haben auch kulinarische Szenen in den Roman eingebaut. Alles deutet darauf hin, dass Sie ein Feinschmecker sind.R.D.: Nein, im Gegensatz zum Diogenes-Kollegen Martin Suter bin ich kein Feinschmecker. Ich liebe Fisch, darum kommt er im Roman vor, aber sehr elementar zubereitet: in Butter gebraten.


H.K.: Wird Ihr neuer Roman, den wir hoffentlich bald lesen dürfen, erneut primär in der Schweiz spielen?
R.D.: Der wird in Paris spielen.

Lieben Dank die Beantwortung der Fragen.

Helga König


"Rolf Dobelli studierte und promovierte an der Universität St. Gallen, arbeitete anschliessend in führenden Positionen in der Wirtschaft, etwa als Finanzchef und Geschäftsführer verschiedener Tochtergesellschaften der Swissair und veröffentlichte verschiedene Artikel zu Management-Themen in Wirtschaftszeitungen. 1999 gründete er zusammen mit Thomas Bergen und Patrick Brigger die Firma getAbstract. GetAbstract hat sich zum weltweit führenden Anbieter von Buchzusammenfassungen entwickelt. Zusammen mit Andreas Scholz von Bloomberg Television moderierte er von 2001 und 2009 die wöchentliche Fernsehsendung »Seitenweise Wirtschaft«. Seit Juli 2010 moderiert Dobelli die wöchentliche Büchersendung auf NZZ Online. Er schreibt die wöchentliche Kolumne »Klarer Denken« für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Schweizer SonntagsZeitung."

(Auszug aus Wikipedia.)


Hier die Rezension zu »Massimo Marini«

1 Kommentar:

  1. Ein schöner Roman. Eine markante Figur. Das Gastarbeiterkind rebelliert, will das Unrecht an seinen Landsleuten gesühnt sehen, beherzigt letzlich aber die Worte seines Vaters, sich nie geschlagen zu geben ("Du musst es dir nur richtig in den Kopf setzen) und scheitert grandios. Er will es in der Schweiz schaffen, bleibt aber "vor der Tür", symbolisiert durch die eherne Jungfräulichkeit seiner Geliebten. Letzlich sind Frauen die Gewinnerinnen, entweder als Mütter, Grossmütter oder erfolglos Umworbene, nie Erreichte. Dass der Mann jene, die er hat oder haben könnte innerlich verschmäht um seiner Virilität oder Heroik willen ist seine Tragik. Als ewiger Jäger sucht er das Unerreichbare und wird von ihr verschlungen. Nur kurz sind die Ruhezeiten in den wohligen Momenten des Lebbaren, des Mittelmasses und Normalen.

    AntwortenLöschen