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Helga König im Gespräch mit Veit Noll über sein Buch "Goethe im Wahnsinn der Liebe- Band 2: "Tassos" Botschaft

Lieber Herr Noll, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Goethe im Wahnsinn der Liebe"- Band 2: "Tassos Botschaft"  auf Buch Kultur und Lifestyle" rezensiert.


Helga König:  Goethe galt als "Frauenmann". Was könnte ihn im Hinblick auf das Beuteschema der Fürstin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach interessant gemacht haben?

 Veit Noll 
Veit Noll: Nach dem "Beuteschema" von Frauen müssen Sie Frauen fragen – diese können solches besser analysieren, Männer sind an dieser Stelle ja die blinden Opfer von Freundlichkeit, Zuneigung und Schönheit. Goethe faszinierte die Zeitgenossen als Person und in seiner Art zu erzählen sowie mit seiner Fähigkeit Andere anhand ihrer Interessen und Neigungen zu gewinnen. Dies zeigt die Überlieferung durch die Zeitzeugnisse, die in umfangreichen Sammlungen nachzulesen sind. Vor allem mit seinem "Werther" machte er in aller Radikalität bis zur `selbstmörderischen´ Eigenaufgabe deutlich, dass die Liebe für ihn existentiell ist. Dies ist der unbedingte Gegensatz zur damaligen Verheiratung nach Stand und Vermögen, einem Verhältnis, in dem die Liebe der Ehe zu folgen hatte.

Helga König: Lässt sich aus Ihren bisherigen Recherchen bereits sagen, ob Charlotte von Stein von diesem möglichen Verhältnis wusste? 

Helga König
Veit Noll:  Sehen Sie sich unbedingt die Ausführungen zur Aufführung von "Minervens Geburt" am 28. August 1781 im ersten Band von "Goethes Wahnsinn" an. Goethe wurde in Bezug auf die Erdengöttin Minerva an seinem Geburtstag mit dem Dichterkranz geehrt. Die Verweisungen von Anna Amalia in einer Eigenidentifkation als Minerva sind vielfältig. Herzog Carl August urteilte in seiner Rezension im Tiefurter Journal zu dieser Aufführung im Schattentheater, es sei für den Dichter die Situation eines Herkules am Scheideweg. Leicht zu erlangende Sinnlichkeit und Zuwendungen standen gegen harte Arbeit und dem Genuss des Erfolgs von angestrengter Tätigkeit sowie der Wahrung von Recht und Moral. 

Goethe sah sich veranlasst, Charlotte von Stein in Zusammenhang mit "Minervens Geburt" seine Liebe halb- öffentlich zu versichern und setzte ein Gedicht, welches später "Der Becher" benannt wurde, unter dem Vorwand, es sei eine Übersetzung aus dem Griechischen, in das "Tiefurter Journal" von Anna Amalia. Goethe fühlte die unbedingte Notwendigkeit, Charlotte von Stein auf diesem Weg seiner Liebe zu versichern. In Goethes Briefen an die verheiratete Frau ist dies nachlesbar. Interessant fand ich die Bemerkung von Henriette von Egloffstein aus ihren Erlebnissen am Ende der 1780-er Jahre, dass Anna Amalia die Charlotte von Stein regelrecht hasste. Im Übrigen zu Ihrer Frage ausführlicher im vierten und dann abschließenden Band von Goethes Wahnsinn. 

Helga König: Der historische Tasso wurde bekanntermaßen wahnsinnig. Befürchtete Goethe, dass ihm Ähnliches blühen würde, wenn er sich nicht in den Süden zu Anna Amalia nach Italien begab?

  Goethe im Wahnsinn der Liebe 
Veit Noll:  Der Buchtitel "Goethe im Wahnsinn der Liebe – Oder Liebe kontra Recht und Moral" ist letztlich Goethes Erfindung, die ich nur aufgenommen habe. Es ist der Mittelpunkt der "Iphigenie" und auch Goethes Tassogestalt stand zunächst mit einem Blumenkranz um das Haupt in Rausch und Wahn, bis ihn der weisende Blick der Leonore zur Ernüchterung führte. Die Liebe eines Dichters zu einer Fürstin stößt eben an die Grenzen, die in der Szene mit dem Lied der Parzen in der "Iphigenie" glänzend beschrieben sind. 

So sitzt der Tantal ungleicher und illegitimer Liebesbeziehung am goldenen Tisch an steilen Klippen, erhebt sich ein Streit, stürzt er hinab und die Folgen sind bis in die nachfolgenden Erbgenerationen zu spüren. Damals erbte man das Ansehen, den Stand und die Stellung seiner Vorfahren. Und, eine intime Liebesbeziehung war damals nur bei einer gemeinsamen Ehe zulässig. Die zeitgenössischen Regeln von Recht und Moral sahen für eine außereheliche Intimbeziehung oder den Ehebruch schwerste Strafen vor, die entehrende Kirchenbuße, den Pranger oder das Schwert oder Zuchthaus und die Verweisung aus dem Gerichtsbezirk. 

Genau diese Strafregeln befanden sich damals im Umbruch. Allerdings nahm der Fürst als Herrscher von Gottes Gnaden, als Gesetzgeber, für sich in Anspruch, neben der regulären Ehefrau eine Mätresse zu unterhalten oder deutlicher, eine grob widerrechtliche Liebesbeziehung zu unterhalten, für die Andere schwer bestraft wurden. Auf diesem Weg gelangen wir zur Antwort auf die Frage des Inhaltes von Wahnsinn. Schließlich fragt sich auch Goethes Tassogestalt, ob es ein Verbrechen war.

Helga König: Was macht Goethes Drama "Torquato Tasso" für Sie besonders interessant? 

Veit Noll:  Ich bin nur ein rationaler Jurist, na gut – als Familienanwalt lernt man auch die Menschen in ihren Denk- und Verhaltensweisen kennen. Eine Literaturinterpretation war nie mein Streben. Allerdings habe ich im Verlaufe meiner Untersuchungen über Goethe und sein Umfeld durch Verhalten, Zeitzeugnisse und Literatur einige Schlüssel gefunden, die sprachlich-juristisch aufzeigen, dass und wie Goethes "Tasso" eine Autobiographie in Selbstreflektion und -klärung sowie auch eine Botschaft an die betroffenen Personen ist. So ist dieses Stück eben auch keine Liebesgeschichte, selbst wenn er seine Liebste darin anbetet. Erst mit der Zeit bin ich darauf gestoßen, dass die Abfassung von Goethes "Tasso" in der Endphase parallel zu Anna Amalias Italienreise verläuft und Goethes Verhältnis zu ihr offenbart. Diese Linien berühren sich schließlich und stehen in einem tiefen, inneren Zusammenhang. Denkt man sich in Goethes Verhalten und seine Reflexionen hinein, finden Sie eine unwahrscheinlich spannende, regelrecht dramatische Lebensgeschichte von allen beteiligten Personen. Nicht abstrakte Literatur, sondern diesseitige reale, eigene Lebenskonflikte bilden den Inhalt. 

Helga König:  Wodurch ist es Ihrer Meinung zur Entfremdung Anna Amalias und Goethes gekommen?

 Veit Noll
Veit Noll:  In meiner Untersuchung schildere ich die Zusammenhänge und Zeitzeugnisse, nehme Bezug auf Reflektionen in der Dichtung. Die Deduktion überlasse ich dem Leser, wie eine Teilnehmerin an einem meiner Vorträge zutreffend feststellte. Aber, schauen Sie sich mal den "weisenden Blick" von Leonore gegenüber Tasso in Goethes "Tasso" an oder fühlen Sie ihn im Inneren durch. Radikale bürgerliche Individualität des 18. Jh., männerdominierend nach persönlicher Freiheit strebend, verträgt sich damit nicht, d. h., diese Art der Überordnung/ Unterordnung ist der Liebesbeziehung zu einer Frau konträr - das ist die eine Seite des Widerspruchs zwischen `dem Talent und dem Leben´.

Helga König: Wie ging Anna Amalias Sohn Carl August mit der unklaren Beziehung Goethes zu seiner Mutter um? 

 Anna Amalia, eine Schöne
Johann Caspar Lavater
Veit Noll:  Meiner Meinung nach wussten u. a. Carl August und auch Herder etwas mehr um die Situation Goethes. Für Carl August wird dies durch seine wertende Reaktion des Dichters als eines Herkules am Scheideweg im "Tiefurter Journal" mit der Rezension der Aufführung von Minervens Geburt deutlich. Für Herder erinnere ich an das Mondgedicht im ersten Band von Goethes Wahnsinn oder auch an sein Gedicht zu Goethes Geburtstag am 28. August 1790 im jetzt vorliegenden zweiten Band. Herder scheint Goethes "Tasso" ebenso aufgefasst zu haben, wie dies meiner Analyse entspricht.

Helga König: Ist zu vermuten, dass Goethe Anna Amalia für seinen Aufstieg bei Hofe benötigt hat?

  Goethe im Wahnsinn der Liebe 
Veit Noll: So funktional würde ich an dieser Stelle nicht werten. Manchmal gerät man in eine Situation hinein – ich erinnere an das Verhältnis von Wilhelm mit der schönen Gräfin im "Wilhelm Meister". Anna Amalia war als frühere Regentin und als 10 Jahre ältere Frau und überdies von fürstlichem Stand dem jungen Advokaten Dr. Goethe bei Weitem überlegen. Dem jungen Legationsrat wird allerdings nicht nur an einem guten Verhältnis zum Fürsten Carl August, sondern an der gesamten fürstlichen Familie gelegen gewesen sein. Dies entspricht vollständig der Struktur der damaligen Gesellschaft.

Helga König: Sie haben im Buch zahlreiche Abbildungen eingebunden. Was beabsichtigen Sie mittels der Bilder von Johann Georg Schütz und Angelika Kauffmann mit dem Titel "Anna Amalia im Park der Villa d` Este in Tivoli" beim Betrachter zu bewirken? 

 Veit Noll
Veit Noll:  Bilder sind für mein Buch bedeutungsvoll, nicht einfach nur als angenehme Illustrationen und Zeitzeugnisse. Goethe selbst denkt und schreibt vielfach in Bildern, wie ich Schritt für Schritt herausfinden konnte. Das Bild in Tivoli im Auftrage Anna Amalias weist eine Besonderheit auf. Es werden mehrere Personen im Kreis der Fürstin gezeigt. Da man wusste, dass ein Teil von Goethes Tasso-Manuskript von Herder in Tivoli vorgelesen wurde, hat man in späterer Zeit den zweiten Mann von links schließlich zu Herder erklärt, weil er dunkle Kleidung trägt und den einen Arm hebt und behauptet, er würde den "Tasso" deklamieren. Tatsächlich wird der "Tasso" auf der bildlichen Darstellung gar nicht vorgelesen, dieses besondere Ereignis völlig ausgeblendet. Eine anwesende Person, ich denke der Rat Reiffenstein, der als Gesandter in gothaischen und russischen Diensten stand, wird nicht abgebildet. Die einzig stehende Person wurde zu Reiffenstein erklärt, ist jedoch anhand von Vergleichen meiner Meinung nach als Herder zu identifizieren, er liest eben nicht vor, sondern träumt vor sich hin. So scheinen die Künstler Anna Amalia wieder einmal "abgemerkt" zu haben, wie sie das Bild wünschte. Statt Goethes "Tasso" bildete ein Schaf, gefüttert mit Blumen, den Mittelpunkt.

 Helga König
Helga König: Die Aldobrandische Hochzeit war es Ihnen wert, sie in Ihr Buch aufzunehmen. Besucher des Goethehauses in Weimar erinnern sich an das Bild allein schon wegen des neugierig machenden Vorhangs davor. Können Sie uns dazu Näheres sagen? 

Veit Noll:  Goethe und Anna Amalia ziehen oftmals solche Kunstwerke bei, in denen sie sich wiederfinden, das ist bemerkenswert und aufschlussreich. Anna Amalia als Fürstin und frühere Regentin übte eine Männerrolle aus. Darin sind Umkehrungen im Verhältnis enthalten, die Goethe als solche wiederholt reflektiert. Denken Sie an den Blumenkranz von Goethes Tassogestalt. Die "Aldobrandinische Hochzeit" drückt eine Verweigerungshaltung aus, eine Person wartet vor dem Bett und erwartet, die andere will nicht. Und wenn einem so ist, zieht man einfach den Bettvorhang davor. Diesen Vorhang vor Bildern konnte Goethe sich auf seiner Italienreise nach dort mitunter geübter Praxis abschauen. 

Goethe in der römischen Campagna, 1787 
 Städel Museum staedelmuseum.de
Goethe im Wahnsinn der Liebe
Band 1: die Flucht
Bild S.223 
Helga König: Wie kommen Sie auf die Idee, die Leonore in Goethes Tasso sei eine Reflexion auf Anna Amalia? 

Veit Noll: E. Ghibellino hat diese Idee und verbindet damit seinen unumstößlichen Lieblingsgedanken eines gegenseitigen Liebesverhältnisses von Goethe und Anna Amalia. Dann macht er sich alles Weitere passend, anstatt zu prüfen, nach der Sache zu forschen oder auch nur, den "Tasso" ernsthaft zu analysieren. Ich habe in Bezug auf mein Goethe-Buch keine Ideen, sondern nur eine schlichte Untersuchung durch Verhaltensweisen, Zeitzeugnisse und Literatur. Nicht Thesen, die zu beweisen sind, sondern anfängliche Hinweise münden in Versionen was und wie es gewesen sein könnte. Es zeigen sich in der Untersuchung rote Fäden, denen ich einfach nachspüre und folge. Was keinem Beweis standhält, kann als Version verworfen werden oder die Versionen verfeinern sich, werden abgewandelt, insoweit habe ich den Rücken frei. Anna Amalia veranlasste die Aufführung von "Minervens Geburt" am 28. August 1781 mit der abschließenden Verleihung des Dichterkranzes an Goethe. Es handelt sich dabei um ein grundlegend wichtiges Ereignis, vor dessen Hintergrund Goethe seinen "Tasso" mit den mehreren Kranzverleihungen dichtete. Die Leonoren verleihen die Kränze an den Dichter und den Staatsmann. Der Dichterkranz brannte Goethes Tassogestalt die Dichtkraft aus dem Hirn. Und Goethes Tasso trug einen Blumenkranz. Der Goethe-Tasso hatte ein zerrüttendes Problem – Anna Amalias Zuneigung.

Lieber Herr Noll, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Interview

Ihre Helga König

Goethe im Wahnsinn der Liebe
Band 2: Tassos Botschaft
ISBN; 978-3-9816669-4-6

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