Lieber Herr Prof. Dr. #Michael_Bordt, dieser Tage habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" ihr neues Buch "Die Kunst sich selbst zu verstehen- Der Weg ins eigene Leben finden- Ein philosophisches Plädoyer" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen nun einige Fragen stellen.
Anbei der Link zur Rezension: http://helga-koenig-phil.blogspot.de/2016/01/rezension-die-kunst-sich-selbst-zu.html
Helga König: Weshalb haben die Menschen im Hier und Jetzt trotz der vielen
psychologischen Ratgeber so große Schwierigkeiten, sich selbst zu
verstehen und wie unterscheiden sich überhaupt - im Hinblick auf ein
gelungenes Leben- philosophische von psychologischen Überlegungen?
Prof_Dr_Michael_Bordt Foto: Privat |
Prof. Dr. Michael Bordt: Einer der großen Erleichterungen unseres Lebens ist die Erfindung von
GPS-Systemen wenn wir Auto fahren. Früher musste man umständlich Karten
lesen, heute stellt man das Gerät ein und es führt uns zuverlässig,
wohin wir fahren wollen. Aber etwas geht dabei auch verloren: Der Blick
auf das Ganze.
Wenn ich früher einen Straßenatlas benutzt habe, dann
wusste ich auch, wo ich mich innerhalb von Bayern oder innerhalb von
Deutschland befinde. Aber wir können uns auch mit unserem Display des
GSP-Systems weit rauszoomen und es so einstellen, dass wir nicht auf
Sicht fahren, sondern sehen, wo wir uns innerhalb von Deutschland oder
sogar von Europa befinden – bis hin zur ganzen Welt, denken Sie an
Google Earth.
Die Philosophie betrachtet unsere Leben in diesem ganz
weiten Horizont, die Psychologie und die Ratgeber die schauen sich
Details unseres Lebens an. Die Frage, worüber wir nachdenken müssen,
wenn wir uns selbst verstehen wollen, oder auch die Frage, wie man das
eigentlich macht, das ist eine Frage in einem großen, weiten Horizont.
Die nimmt das ganze Leben in den Blick. Klar: Wenn wir einmal diesen
weiten, großen Blick haben, dann kann man von dieser Perspektive aus
auch auf Details unseres Lebens schauen. Und aus der gesamten
Perspektive her sehen wir dann, dass sich manche pychologischen Fragen
ganz von selbst beantworten. Insofern setzen psychologische Überlegungen
eigentlich philosophische voraus.
Helga König |
Helga König: Was hat es mit dem Modell zu Beginn Ihres Buches auf sich?
Prof. Dr. Michael Bordt: Ich entwickele zu Beginn des Buches ein Modell des Menschen. Das klingt
komplizierter als es ist, aber ich brauche ein Modell, damit wir eine
Ausgangsbasis dafür haben, über uns nachdenken zu können. Das Modell ist
zunächst sehr einfach: Wir führen unser Leben, wir füllen irgendwie die
24 Stunden, die wir jeden Tag zu füllen haben, aber wir sind auch auf
unser Leben bezogen: Wir denken über unser Leben nach, wir bewerten, was
in unserem Leben passiert, wir haben Ziele, Wünsche an unser Leben, und
das, was uns widerfährt, ruft Gefühle ins uns wach.
Wenn wir eine gute
Freundin wiedersehen, dann freuen wir uns, wenn wir eine schlechte
Nachricht vom Arzt bekommen, dann sind wir in Sorge. Das ist der erste
Schritt des Modells. Der zweite ist eigentlich der wichtige: Wir können
als Menschen noch einmal zu unseren Gedanken und Gefühlen Stellung
nehmen. Wir können unsere Wünsche zurückstellen, wir können uns Gedanken
darüber machen, ob ein Gefühl wie Eifersucht oder Neid eigentlich
gerechtfertigt ist. Hier unterscheidet sich der Mensch von Tieren. Auch
andere höherstufige Säugetiere können nachdenken und haben wohl auch
Emotionen, aber sie können sich nicht zu sich selbst verhalten. Unser
Dackel kann ja nicht denken: "Mensch, wie blöde von mir, dass ich mich
dermaßen freue, dass mein Herrchen zurückgekommen ist, das ist ja eine
alberne Reaktion von mir, denn eigentlich müsste ich ja langsam wissen,
dass er, wenn er mich auch jeden Morgen verlässt, am Abend doch
zurückkommt".
Er kann sich zu seiner Angst oder seiner Freude nicht
verhalten. Wenn wir über uns Menschen nachdenken wollen, dann müssen wir
vor allem über diese zweite Stufe nachdenken, darüber, dass wir unsere
Gedanken und Gefühle nicht einfach als gegeben hinnehmen müssen, sondern
uns zu ihnen verhalten können.
Helga König: Sie schreiben, dass das Ideal unseres Lebens ein Teil unserer
menschlichen Existenz sei. Was bedeutet dies für unseren eigenen Weg?
Prof. Dr. Michael Bordt: Jeder Mensch hat eine Vorstellung davon, wer er gerne wäre, wie er gerne
leben würde, was das Ideal seines Lebens ist. Das Ideal unseres Leben
bündelt also unsere Vorstellung davon, wer wir sein wollen, wie wir
leben wollen. Nach ihm richten wir uns aus. Nun kann es natürlich sein,
dass uns das Ideal, das innere Bild von uns selbst, ständig unter Druck
setzt und eigentlich gar nicht zu uns passt. Dass das Ideal dazu führt,
dass wir ständig mit uns unzufrieden sind, weil wir diesem Ideal nicht
entsprechen. Deswegen müssen wir uns kritisch mit diesem Ideal
auseinandersetzen – passt das Ideal eigentlich wirklich zu uns oder
müssen wir nicht auch an unserem Ideal etwas ändern?
Helga König: Wovon sind unsere Werte abhängig und inwieweit spielen sie für ein
geglücktes Leben eine Rolle?
Prof. Dr. Michael Bordt: Ein Wert ist das, was uns im Leben wichtig ist, worum ich mich sorge,
was ich gern habe, was ich liebe, was ich erreichen möchte oder auch,
was ich schon lebe und worüber ich mich freue. Ein Wert ist das, woran
mein Herz hängt. Und natürlich bedeutet das, dass unsere Werte auch
abhängig sind von der Kultur und der Gesellschaft, in der wir leben. Wir
erfinden unsere Werte nicht einfach, sondern finden sie in uns vor. Wir
bestimmen nicht am Reißbrett, was wir für uns wichtig finden, sondern
finden eben ganz bestimmte Menschen, Projekte oder andere Dinge in
unserem Leben wichtig. Nun gibt es aber eine ganz enge Verbindung
zwischen den Werten, also dem, was uns wichtig ist, und dem geglückten
Leben: Wir denken, wenn wir unsere Werte leben können, dann werden wir
glücklich. Das stimmt auch. Der Haken bei der Sache ist nur, dass wir
manchen Dingen einen viel zu hohen Wert beimessen und denken, wenn wir
diese Dinge erreichen oder leben können, dass wir dann glücklich werden.
Helga König: Können Sie den Lesern kurz erläutern, weshalb an der Spitze der
Wertehierachie das gute, glückliche, sinnvolle und gelungene Leben
stehen sollte und ist dieser Wert für jedermann erreichbar?
Prof. Dr. Michael Bordt: Nunja, wenn wir uns überlegen, was wir im Leben eigentlich wollen in all
den Dingen, die wir tun und die uns wichtig sind, dann wollen wir vor
allem eines: Wir wollen glücklich oder zufrieden werden, oder wir wollen
ein sinnvolles, erfülltes, gelungenes Leben führen. Ich kenne keinen,
der sagt, dass er das nicht will. Nur ist auch klar, dass das gar nicht
so leicht zu erreichen ist. Eine Garantie zum Glück gibt es nicht.
Gerade deswegen lohnt es sich ja auch, sich Gedanken darüber zu machen,
was man denn da eigentlich sucht, worin das Glück oder der Sinn besteht.
Wir müssen das Ziel ja kennen, damit wir es nicht verfehlen und
tatsächlich dann auch glücklich werden oder ein sinnvolles, erfülltes
Leben führen.
Helga König: Ist es nur reifen Menschen möglich, Emotionen mit Abstand zu
betrachten, um sich auf diese Weise von ihnen nicht überfluten zu lassen?
Prof. Dr. Michael Bordt: Es ist tatsächlich so, dass wir ein bestimmtes Alter erreicht haben
müssen, um unsere Emotionen im Moment des Erlebens mit einem Abstand
betrachten zu können, uns nicht mit ihnen zu identifizieren. Wir kennen
das ja alle noch aus unserer Pubertät – da haben uns Gefühle so im
Griff, dass wir ganz in diesen Gefühlswelten leben. Neurologen sagen,
dass man ungefähr mit 20 Jahren diese Fähigkeiten entwickelt hat. Noch
anspruchsvoller ist es, sich nicht mit seinen Gedanken zu
identifizieren. Aber man kann das alles lernen - und mein Buch möchte ja
auch dafür eine Hilfestellung sein.
Helga König: Welche Rolle spielt Dankbarkeit für ein gelungenes Leben?
Prof. Dr. Michael Bordt: Dankbarkeit ist eigentlich nur eine Art Begleitphänomen einer viel
wichtigeren Sache, nämlich der Bejahung unseres Lebens. Ich zeige in
meinem Buch, dass das, was wir in unserem Leben in allem wollen, nicht
einfach nur das Glück oder die Zufriedenheit ist, sondern die Bejahung.
Wir wollen unser Leben als Ganzes bejahen können, und die Dankbarkeit
kommt dann, wenn es uns diese Bejahung gelingt. Bejahen kann ich auch
Zeiten meines Lebens, in denen ich nicht glücklich und zufrieden gewesen
bin.
Helga König: Kann ein Mensch ohne tiefere Bindungen überhaupt zu einem
sinnstiftenden Leben gelangen?
Prof. Dr. Michael Bordt: Das hängt natürlich ein wenig davon ab, was tiefere Bindungen sind. Aber
denken Sie einmal an Menschen, deren Partnerin oder Partner gestorben
ist und der vielleicht keine anderen, wirklich tiefen Bindungen hat.
Sein Leben muss deswegen nicht sinnlos sein. Er kann in seinem Leben
erfahren, dass das, was er tut, für andere wichtig ist, und das ist eine
Erfahrung von Sinn. Sein Leben ist nicht umsonst, es hat Bedeutung für
andere durch das, was er tut. Und Bedeutung für andere Menschen zu
haben, das macht ein sinnvolles Leben aus.
Helga König: Dass man sich nicht gerne mit dem Tod beschäftigt, kann ich
nachvollziehen, aber ist es möglich, die Erfahrung von Krise und Leid
tatsächlich aus dem eigenen Leben herauszuhalten, sie gedanklich
auszugrenzen?
Prof. Dr. Michael Bordt: Ich glaube, das geht nicht. Wir haben sicherlich
unterschiedliche Bedürfnisse, darüber mit anderen zu sprechen, und
vielen Menschen fehlen wohl auch sprachliche Möglichkeiten, über Leid zu
sprechen, aber verdrängen kann man das eigentlich nicht.
Helga König: Kann man ein Leben als gelungen bezeichnen, wenn man sich dessen
spiritueller Ebene verweigert?
Prof. Dr. Michael Bordt: Es gibt Menschen, die haben kein Gespür für Spiritualität. So, wie es
auch unmusikalische Menschen gibt. Natürlich können auch diese Menschen
ein gelungenes Leben führen. Ich selbst könnte das nicht, und ich kenne
viele Leute, die das auch nicht könnten. Für mich ist die spirituelle
Dimension des Lebens wie die Luft zum Atmen. Ich schließe mein Buch ja
mit Überlegungen zur Spiritualität, aber eher als ein persönlicher
Denkanstoß, der vielleicht nicht von jedem nachvollzogen werden kann.
Lieber Herr Prof. Dr. Michael Bordt, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König
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