Lieber Rudi Tarneden, Sie sind Pressesprecher von UNICEF Deutschland. Es freut uns, dass Sie Zeit gefunden haben, auf "Buch, Kultur und Lifestyle" den Lesern das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF ein wenig näher zu bringen.
Helga König: Können Sie unseren Leser kurz schildern, was die Hauptaufgaben von UNICEF sind?
Rudi Tarneden Pressesprecher von UNICEF Deutschland |
Rudi Tarneden: UNICEF ist das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen – wir setzen uns weltweit dafür ein, dass Kinder eine Kindheit haben können, die diesen Namen auch verdient. In über 150 Entwicklungs- und Schwellenländern sorgt UNICEF mit großen Programmen dafür, dass Kinder medizinisch versorgt werden, sauberes Wasser erhalten, zur Schule gehen und vor Ausbeutung und Missbrauch geschützt werden. UNICEF leistet auch Nothilfe in Krisengebieten wie in Syrien oder nach Naturkatastrophen wie dem Erdbeben in Nepal.
Helga König |
Helga König: Dürfen die Leser etwas zur Geschichte von UNICEF erfahren?
Rudi Tarneden: Die Gründung von UNICEF im Jahr 1946 war eine Antwort auf das unermessliche Leid von Kindern im Zweiten Weltkrieg. Auch Kinder in Deutschland haben damals umfangreich von der Hilfe profitiert – zum Beispiel durch Impfungen oder Schulspeisungen. In den 1950er Jahren wurde UNICEF zur Entwicklungsorganisation, die sich vor allem um die ärmsten Kinder auf der Welt kümmert. Zusammen mit Partnern konnten große Fortschritte im Kampf gegen die Kindersterblichkeit und beim Zugang zu Bildung erreicht werden.
Helga König: Am 20. September ist Weltkindertag. Wird UNICEF sich in diesem Zusammenhang der Flüchtlingskinder in Europa speziell annehmen?
Rudi Tarneden Pressesprecher von UNICEF Deutschland |
Rudi Tarneden: Das Motto des diesjährigen Weltkindertags lautet "Kinder willkommen!" – dies bezieht sich ausdrücklich auch auf Flüchtlingskinder. In Syrien, im Libanon, in Jordanien, der Türkei und im Irak versorgt UNICEF Hunderttausende Flüchtlingskinder mit dem Nötigsten und hat Notschulen eingerichtet. Als eine Antwort auf die aktuelle Krise hat UNICEF mit Spenden aus Deutschland an der griechisch-mazedonischen Grenze "kinderfreundliche Orte" eingerichtet, wo Flüchtlingskinder sich ausruhen können und betreut werden. In Deutschland setzen wir uns politisch dafür ein, dass die ankommenden Flüchtlingskindern so schnell wie möglich in eine Schule kommen und gut betreut werden.
Helga König: Der Journalist Heribert Prantl schreibt in seiner Streitschrift "Im Namen der Menschlichkeit", dass der Umgang mit Flüchtlingskindern massiv gegen die UN Menschenrechtskonvention als in Deutschland und in Europa geltendes Recht verstoße. Was heißt das konkret und wie stellt sich UNICEF dazu?
Rudi Tarneden: Im vergangenen Jahr haben wir in einer Untersuchung dokumentiert, dass die Bedürfnisse und Rechte von Flüchtlingskindern im Handeln der Behörden in Deutschland oft keine Rolle spielen. Über lange Zeiträume leben sie in nicht-kindgerechten Verhältnissen, haben eingeschränkten Zugang zu medizinischer Hilfe und es fehlt an Schul- und Ausbildungsplätzen. Diese Situation wird sich durch die große Zahl an neu ankommenden Familien verschärfen. Egal woher und warum Flüchtlingskinder zu uns kommen: Sie sind in erster Linie Kinder und müssen auch als solche behandelt werden.
Helga König: Auf Facebook hat UNICEF am 4.9.2015 nachstehenden Beitrag verfasst "Keine Chance auf Bildung und Zukunft? 13 Millionen Kinder im Nahen Osten können nicht zur Schule gehen – weil Krieg und Zerstörung den Alltag bestimmen. Nicht nur Schulen liegen in Trümmern, sondern auch Träume und Zukunftsaussichten. Für viele bleibt nur noch die Flucht. Wir sind in Syrien und den Nachbarländern im Einsatz, um den Flüchtlingskindern und ihren Familien zu helfen." Können Sie dazu ein wenig berichten?
Rudi Tarneden Pressesprecher von UNICEF Deutschland |
Rudi Tarneden: Der Bürgerkrieg in Syrien hat unermessliches Leid über die ganze Region gebracht. Im vergangenen Herbst habe ich erlebt, wie im Nordirak Hunderttausende Menschen vor der Gewalt fliehen mussten und in improvisierten Lagern auf den harten Winter warteten. An der Situation der Flüchtlinge hat sich seither wenig geändert. Deshalb greift die Hoffnungslosigkeit um sich. UNICEF hat mit der Initiative "No lost Generation" Hunderttausenden Kinder Zugang zu Notschulen eröffnet – aber dies reicht nicht aus. Deshalb sind wir dringend auf Spenden angewiesen, um die Hilfe in Syrien und den Nachbarländern auszuweiten.
Helga König: Welche Möglichkeiten bietet UNICEF Menschen, die guten Willens sind, Kindern in Syrien und anderen Orts zu helfen?
Rudi Tarneden: In Deutschland engagieren sich rund 200 ehrenamtliche UNICEF-Gruppen für die UNICEF-Hilfe. Sie führen Informationsveranstaltungen durch, organisieren Aktionen und Spendenideen, bei denen jeder leicht mitmachen kann – zum Beispiel die Aktion „Kochen für Freunde“. Wenn Sie Freunde zum Essen einladen, können Sie von UNICEF ein Infopaket zu Syrien und Rezepte aus der Region erhalten und dann zu diesem Anlass eine kleine Spende machen. www.unicef.de/ichundunicef
Lieber Rudi Tarneden, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König
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