Lieber Dr. Peter Teuschel, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Der Mann, der sich in die Zebrafrau verliebte" gelesen und rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.
Helga König: Sie betreiben seit 20 Jahren eine eigene Praxis als Psychiater. Was hat Sie dazu motiviert, neben Ihrer Tätigkeit dort, zudem auch Bücher zu schreiben?
Dr. Peter Teuschel Foto: privat |
Dr. Peter Teuschel: Geschrieben habe ich schon immer sehr gerne, aber ohne den Anspruch, auch zu veröffentlichen.
Startpunkt für professionelleres Schreiben war meine Beschäftigung mit dem Themenkomplex "Mobbing". Da zu diesem Thema fast nichts aus ärztlicher Sicht publiziert war und einige meiner Artikel dazu auf reges Interesse stießen, beschloss ich, das erste Fachbuch zum Thema zu verfassen. Es ist 2009 im Schattauer Verlag erschienen. Mit zunehmender Schreibroutine (das nächste Fachbuch über Mobbing in der Schule folgte ein Jahr später) hat mich wieder die alte Schreibleidenschaft gepackt und ich bin sehr froh, nach den beiden Fachbüchern im letzten Jahr ein reines Sachbuch („Das schwarze Schaf“, Klett-Cotta Verlag) und jetzt den Erzählband "Der Mann, der sich in die Zebrafrau verliebte" (nach authentischen Fällen) im Ullstein Verlag herausgebracht zu haben.
Motivation ist mir mehr und mehr, hinter der Pathologie psychisch Kranker, die uns alle mit ihnen verbindenden menschlichen Themen zu zeigen.
Helga König: Wann gerät das Seelenleben eines Menschen aus dem Gleichgewicht?
Dr. Peter Teuschel: Es gibt drei große Gruppen seelischer Störungen. Einmal körperlich begründbare Erkrankungen, wie etwa die Demenz, die den Menschen seiner gewohnten Fähigkeiten beraubt. Dann die große Gruppe schwerer psychischer Störungen, die früher als "endogen" bezeichnet wurden, wie die Schizophrenie und die bipolaren (früher "manisch-depressiv" genannten) Erkrankungen. Dann sehen wir Krankheitsentwicklungen, die mehr mit der psychischen Konstitution eines Menschen zu tun haben beziehungsweise mit seinen Reaktionen auf äußere Ereignisse.
In all diesen Fällen bricht über das Individuum etwas herein, das sein bisheriges Leben, seine Sicherheit und sein Selbstverständnis in Frage stellt und ihn auf neue Wege zwingt.
Helga König: Nach welchen Kriterien haben Sie die Geschichten aus Ihrer Praxis für das Buch ausgesucht?
Dr. Peter Teuschel: Es ist eine sehr subjektive Auswahl, die sich ganz daran orientiert hat, wie sehr mich selbst die Begegnung mit diesen Menschen dazu gezwungen hat, meinen Standpunkt in Frage zu stellen oder etwas Neues, Ungewohntes zu versuchen.
Helga König: Können Sie die Lebensgeschichten der Patienten nach den Therapiestunden gedanklich leicht beiseitelegen oder wirken diese mitunter lange nach?
Dr. Peter Teuschel: Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, sehr konzentriert und zugewandt zu sein, wenn meine Patienten bei mir sitzen und dann aber wieder vollkommen bei meinen eigenen Themen zu sein, wenn die Praxis vorbei ist. Ausnahmen gibt es aber, vor allem bei Patienten, deren Behandlung problematisch verläuft. Dann ist es wichtig, nach Feierabend darüber sprechen zu können. Ich habe das große Glück, dass meine Frau ebenfalls Psychiaterin ist (wir betreiben zusammen eine Gemeinschaftspraxis), so dass ich hochkarätigen Rat auf meiner Wohnzimmercouch bekommen kann.
Helga König: Sehr irritiert hat mich die Geschichte mit dem Titel "Eis" Sie schreiben dort von Urbildern der menschlichen Erfahrung, die aus dem kollektiven Unbewussten aufsteigen können. Wie darf man sich das vorstellen?
Dr. Peter Teuschel Foto: privat |
Dr. Peter Teuschel: Sigmund Freuds Weggefährte in jungen Jahren und späterer heftiger Kritiker Carl Gustav Jung hat in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts das Konzept vom "kollektiven Unbewussten" und den "Archetypen" entwickelt. Er postuliert neben dem persönlichen Unbewussten, das sich zum großen Teil aus verdrängten Themen speist, die Existenz eben des kollektiven Unbewussten. In diesem sind nach Jung alle Erfahrungen der Menschheitsgeschichte gespeichert. Diese Erfahrungen sind also Teil unserer individuellen Psyche, wir können aber nicht auf sie zugreifen, weil sie unbewusst bleiben. Existentielle Themen der Menschen wie Geburt oder Tod, aber auch archaische Rollenbilder wie Mutter, Vater, Kind sind als so genannte Archetypen in uns wirksam und bestimmen unser Handeln und Erleben erheblich mit. Jung hat sie mit den Instinkten auf eine Stufe gestellt, die ja auch keine rational greifbare Grundlage haben. In Kontakt mit diesen Archetypen kommen wir am ehesten im Traum. Außerdem begegnen wir ihnen in Märchen und Mythen. In der Geschichte"Eis" ist die Hypnose der Weg, der den Kontakt mit dem Archetypus herstellt.
Helga König: Sind letztlich alle Patienten, die zu Ihnen kommen, bereit, mit Ihnen gemeinsam über die Brücke zu gehen, die Sie Ihnen zwecks Genesung anbieten oder gibt es auch Patienten, die sich dauerhaft verweigern?
Dr. Peter Teuschel: Der Gang zum Psychiater oder Therapeuten erfolgt in aller Regel aus einem Erleben großer innerer Not. Insofern ist die Bereitschaft, sich helfen zu lassen, meist sehr groß. Allerdings sind nicht alle Patienten bereit, die ihnen vorgeschlagenen Schritte zu gehen oder sie haben eigene Vorstellungen davon, wie sie weiterkommen wollen. Weichen diese Ideen allzu weit von dem ab, was ich empfehle, hat eine Behandlung bei mir meist keinen Sinn und die Wege trennen sich wieder. Es gibt aber auch Patienten, denen jeglicher Mut zur Änderung fehlt und die sich eher eine "passive Wunderheilung" wünschen, anstatt die nötigen Schritte selbst zu gehen. "Gesund machen lassen" geht aber gerade im psychischen Bereich nicht, es ist immer aktive Arbeit auf Seiten des Patienten erforderlich.
Helga König: Ist es schwieriger sehr alte Menschen erneut ins seelische Gleichgewicht zu bringen?
Dr. Peter Teuschel Foto:privat |
Peter Teuschel: Bei sehr alten Menschen treten zum Einen öfter organisch bedingte Störungen auf, die eine spezifische (oft auch internistische oder neurologische) Begleitbehandlung erfordern. Zum Anderen sind es öfter existentielle Themen wie Umgang mit Tod, Endlichkeit, Loslassen oder die Einsamkeit, die zur Sprache kommen. Ich denke nicht, dass die Behandlung sehr alter Menschen schwieriger ist, aber man muss sich als Therapeut eben diesen allgemein menschlichen Themen stellen und darf sich nicht hinter der Therapeutenrolle verstecken. Gerade bei diesen Themen sollte man nicht so tun, als hätte man eine Lösung für das Unlösbare oder eine Ahnung vom Unbegreifbaren.
Helga König: Am Beispiel der Ordensschwester zeigen Sie, dass auch ein Psychiater nicht frei von Vorurteilen ist. Wieviel Selbstbeobachtung ist für Ihren Beruf erforderlich, um nicht betriebsblind zu werden?
Dr. Peter Teuschel: Die lebenslange Selbstreflexion sollte ein Selbstverständlichkeit sein. Es ist doch eine Freude, sich selbst auch immer wieder auf die Schliche zu kommen! Auch Psychiater sind Menschen, die sich als solche weiter entwickeln müssen. Wir haben immerhin den großen Vorteil, jeden Tag nicht nur mit unseren Patienten, sondern eben auch mit uns selbst, mit unseren Vorurteilen und unseren eigenen Themen konfrontiert zu sein. Außerdem sollte jeder Therapeut einen erfahrenen Supervisor im Hintergrund haben, den er aufsuchen kann, wenn eine Behandlung nachhaltig stockt.
Helga König: Wie reagieren Menschen, die Sie außerberuflich kennenlernen, wenn Sie mitteilen, dass Sie Psychiater sind?
Dr. Peter Teuschel: "Oh, da muss ich ja aufpassen, was ich sage" ist sicherlich die am häufigsten geäußerte spontane Reaktion. Genau wie unsere Patienten oft mit Argwohn beäugt werden, so sind Psychiater in den Augen anderer oft sehr suspekte Wesen, die ihr Gegenüber entweder schnell durchschauen können oder mit Zwangsjacken hantieren, eine rote Couch in der Praxis stehen haben oder schlicht selbst etwas wirr im Kopf sind. Das ist natürlich alles Unsinn, scheint aber schwer aus den Köpfen zu vertreiben zu sein.
Helga König: Sprache ist wohl das Mittel, um Zugang zu Ihren Patienten zu finden. Sind sprachlich versierte Patienten schneller heilbar?
Dr. Peter Teuschel: Es schadet nicht, sich gut ausdrücken zu können. Manche Patienten nutzen aber auch ihre Eloquenz, um sich dahinter zu verstecken und ich habe einige sehr sprachgewandte Patienten behandelt, deren Therapie deshalb länger dauerte, weil sie erst ihre Mauer aus wohlgeschliffenen Reden abbauen mussten, um zu ihren wirklich wichtigen Themen zu kommen. Weniger sprachbegabte Menschen sind also nicht wirklich im Nachteil. Viel entscheidender als eine geschliffene Ausdrucksweise sind Ehrlichkeit und Offenheit.
Lieber Dr. Peter Teuschel, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Gespräch.
Ihre Helga König
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