Lieber Herr Dr. Spengler, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Haben Sie das Alles im Kopf? Glücksfälle der Weltliteratur rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.
Helga König: Haben fernöstliche Formen der Weltliteratur einen besonderen Weg verfolgt - und wie unterscheidet der sich von unseren westlichen Ansätzen?
Dr. Tilman Spengler Foto: Katharina Kreye |
Dr. Tilman Spengler: Das hängt naturgemäß davon ab, auf welche Zeitepoche wir blicken. So recht gemischt haben sich die Traditionen ja erst seit den letzten vier Jahrhunderten. Jedenfalls wenn wir ganz nach Westen und ganz nach Osten blicken.
Austausch, wechselseitige Neugier, ja, sogar Konkurrenz gab es jedoch stets. Erinnern wir uns nur daran, was sich in den Ländern um das Mittelmeer und im Vorderen Orient abspielte.
Aber auffälliger als die Unterschiede sind schon die Gemeinsamkeiten. Das gilt auch für Techniken des Erzählens, für Reime, Aufbauten von Spannungsbögen und derlei Künste, das gilt aber besonders für die Stoffe. Literatur beschreibt und erzeugt Gefühle: spricht von Ängsten und Liebe, Verrat und Glück – und im Herzen unterscheiden wir Menschen uns ja so schrecklich nicht.
Helga König: Nach welchen Kriterien wurden die Themen des Buches ausgesucht?
Dr. Tilman Spengler: In der Fernsehserie, die dem Ganzen zu Grunde liegt, werden 101 Kapitel, also Einzelwerke oder Autoren behandelt. Maßgebend war nur, dass es sich um damals bereits verstorbene Klassiker handelte, damit kein Streit unter den Lebenden entstünde. Klar, dass die Auswahl ein wenig die Vorlieben des Autors widerspiegelt – und den Bildungsauftrag des veranstaltenden Fernsehsenders.
Helga König: Wie definieren Sie den Begriff des Glücksfalls?
Dr. Tilman Spengler: Zugegeben, eine literaturwissenschaftliche Kategorie ist das nicht. Mir waren dafür ein paar andere Punkte wichtig: das Glück wenn auch nur annähernder Vollkommenheit, das Glück des Neuen, das Glück des Erhaltenen, das Glück des Übertragbaren, das Glück der Unsterblichkeit, muss ich weiter reden? Über missglückte Werke könnte man natürlich auch relativ kurzweilig reden, nur spielt sich da zu gern der Kritiker in den Vordergrund.
Helga König:Verbergen sich hinter den Texten, die Sie vorstellen, bestimmte persönliche Anliegen?
Dr. Tilman Spengler: Klar, jeder Autor, jede Autorin wird von ganz persönlichen Hausgöttern gesalbt oder gegeißelt. Aber damit beschreibe ich ja allenfalls ein allgemeines Spannungsverhältnis, etwas Notwendiges, nicht etwas Hinreichendes. Kunst, Glücksfall wird aus der Veranstaltung erst, wenn die persönlichen Motive in Aussagen aufgehoben wurden, die über das biographisch Zufällige hinausweisen.
Helga König: Warum taucht nur Aischylos unter den griechischen Klassikern auf, die Sie vorstellen?
Dr. Tilman Spengler Foto: Katharina Kreye |
Dr. Tilman Spengler: Im Gesamtprojekt tummeln sich noch mehr Griechen. Nun nimmt allerdings Aischlylos geschichtlich eine ganz besondere Rolle ein. Er setzte (neben vielem anderen) die Zuschauer im Theater in die vormalige Rolle der Götter, die mit mehr oder weniger Anteilnahme ein Schicksal betrachten. Und er macht aus Wechselgesang, also aus eher schlichtem Vortrag Theater. Das sind schon zwei recht triftige Gründe.
Außerdem ist schon die Anekdote von seinem Tod durch den Sturz einer Schildkröte aus den Klauen des Adlers auf seinen blanken Schädel ein Klassiker.
Helga König: Welches Werk von Heinrich Heine würden Sie einem Leser empfehlen, der diesen Autor nicht kennt ...?
Dr. Tilman Spengler: Dazu müsste ich mir den Leser, die Leserin etwas genauer vorstellen können. Aber mein Vertrauen in Heinrich Heine ist groß genug, darauf zu vertrauen, dass er für jeden Leser zum Verführer werden kann. Und das praktisch in jeder Zeile. Anfangen würde ich übrigens mit einem Gedicht. „Leise zieht durch mein Gemüt ...“ wäre kein schlechter Beginn.
Helga König: Und was würden Sie einem intelligenten Betriebswissenschaftler zum Einstieg empfehlen?
Dr. Tilman Spengler: Vielleicht sogar dasselbe Gedicht „Leise zieht durch mein Gemüt ...“ Es zeigt, wie man mit den allereinfachsten Mitteln den größten Erfolg erzielen kann – was ja eine der Ökonomie nicht völlig fremde Denkweise ist.
Helga König: Unterscheiden sich die Lyriker der Weltliteratur wesentlich von Prosaautoren?
Dr. Tilman Spengler: Alle Autoren, egal aus welcher historischen Periode und welchem Winkel der Erde zeigen (und müssen zeigen), dass ihr Schöpfer sie ein wenig anders angelegt hat als ihre Nachbarn. Es bedarf ja einer Erklärung, warum sie nicht Kaufmann, Schuster oder Geldwechsler geworden sind. Und in dieser Selbstdarstellung kann man verschiedene Moden unterscheiden. Nur haben sich diese Erscheinungsformen in Laufe der Jahrhunderte kräftig vermischt. Vermutlich kann man auf genauso viele "laute" Dichter wie auf "scheue" Prosaschriftsteller verweisen. Und umgekehrt.
Helga König: Inwieweit sind Schriftsteller dem Zeitgeist unterworfen?
Dr. Tilmann Spengler Foto: Katharina Kreye |
Dr. Tilman Spengler: Viel mehr als den meisten lieb ist. Sie bewegen sich ja in einer bestimmten Kultur, einer Gesellschaft, einem Milieu, um nur die gröbsten Äußerlichkeiten zu nennen. Und das Liebenswerteste und Aufregendste an Ihnen ist die Nase, die sie aus diesem Milieu heraushalten.
Dieser Umstand hat meist leider wenig daran geändert, dass viele Schriftsteller der Meinung waren, sie könnten gleichsam mit eigenem Schenkeldruck den Zeitgeist leiten.
Helga König: Mit welchem Buch, mit welchem Autor würden Sie sich auf eine einsame Insel begeben?
Dr. Tilman Spengler: Da Lesen – wie Leben - stets ein Geben und Nehmen bedeutet, würde ich die Entscheidung dem Buch überlassen. Man könnte ja aneinander arbeiten.
© Tilman Spengler, Dezember 2013
Lieber Herr Dr. Spengler, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König
Die Fotos auf der Start-und Essayseite von "Buch, Kultur und Lifestyle" von Dr. Spengler sind ebenfalls Katharina Kreye
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