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Helga König im Gespräch mit Ingrid Müller- Münch, Autorin des Sachbuch "Sprengsatz unterm Küchentisch"

Liebe Frau Müller-Münch, gestern habe ich Ihr Buch "Sprengsatz unterm Küchentisch" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Helga König:Was hat Sie veranlasst, den Kapiteln Ihres Buches Textauszüge aus dem Brockhaus Konversations-Lexikon voranzustellen?

 Ingrid Müller-Münch
Foto Helga König
Ingrid Müller-Münch: Mich hat einfach fasziniert, dass sich schon im Jahre 1898 der Brockhaus seitenlang zum Thema "Frauenfrage" auslässt. Und das auf eine Weise, die deutlich macht, wie der damalige Zeitgeist so war. Damals ging dieses ehrwürdige Lexikon davon aus, dass eine völlige Gleichstellung der Geschlechter für alle Zeiten unmöglich sein werde. Als Begründung wurde dabei die Rolle angeführt, die der Frau von der Natur angewiesen ist. Schmunzeln musste ich vor allem, als ich las, dass der Mann mehr dem Zorn, der Wut und der Raserei unterworfen sei, das Weib mehr der List, Eifersucht und Melancholie. Das alles ist gerade mal 115 Jahre her.

Helga König: Wieso streben immer noch wenige Frauen die Rolle des Familienoberhauptes aktiv an, obschon die Realität dieses von ihnen immer häufiger abverlangt? 

Ingrid Müller-Münch:  Um das Jahresgehalt eines Mannes zu verdienen, benötigen viele berufstätige Frauen noch immer knapp 15 Monate Arbeitszeit. Die meisten jobben immer noch doppelt so häufig wie ihre männlichen Kollegen in Einkommensgruppen, in denen unter 716 Euro verdient wird. Das erschwert natürlich die Rolle der Familienernährerin, die sie unter diesen Voraussetzungen eigentlich gar nicht stemmen können. Vor allem wenn man bedenkt, dass etwa 40 Prozent der Männer, die vom Gehalt ihrer Frauen leben, selbst überhaupt kein Einkommen haben. Allesamt Zahlen, die sich aus der einzigen bislang vorliegenden Untersuchung zu diesem Thema ergeben, durchgeführt von der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung. Hier muss sich drastisch etwas ändern. Worüber ja auch derzeit heftig diskutiert wird. Frauen preschen vor, Frauen drängen auf Führungspositionen. Während Männer sich vorsichtig aber vermehrt an typische Frauenjobs wagen, Kindergärtner, Altenpfleger, Grundschullehrer werden. Da tut sich einiges. Damit einhergehend wird automisch die Bezahlung an diesen Stellen geschlechterneutral angepasst werden.

Helga König: Was haben Sie mit den Darstellungen des Zusammenlebens Ihrer Beispielpaare im Buch bezweckt?

Ingrid Müller-Münch:  Die Paare, die ich für mein Buch porträtiert habe, sind vornehmlich unfreiwillig in diese Rollenumkehr geraten. Sie haben es sich nicht ausgesucht, dass plötzlich die Frau die Familie ernähren muss. Das birgt Sprengstoff, wie schon der Buchtitel sagt. Das ist Dynamit drin, in den Beziehungen. Denn nicht nur in unser aller Köpfen, nicht nur in den Vorstellungen eines solchen Paares ist noch immer verhaftet: Der Mann hat der Hauptverdiener zu sein. Er muss die Familie ernähren. Das ist seine Lebensaufgabe. Männer ebenso wie Frauen haben dies internalisiert. Vor allem Paare in den alten Bundesländern gehen automatisch davon aus, dass dies so sein wird. Und wer Untersuchungen über die Zukunftsvorstellungen junger Leute liest, der landet immer dabei, dass sich zwar junge Frauen wünschen, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen, dass junge Männer aber immer noch vorwiegend auf Karriere setzen. Auch wenn es schon die ersten Karriereverweigerer gibt, die keine Lust mehr haben, in dem Haifischbecken der oberen Chefetagen mit zu schwimmen. Sie sind es die dafür sorgen, dass auch dort in der dünnen Luft des höchsten Managements derzeit zaghaft über Halbtagsjobs von Führungskräften nachgedacht wird. Ein wichtiger, guter Schritt. 

Helga König: Hat es historische Gründe, dass sich Frauen in Beziehungen im Westen Deutschlands zumeist immer noch als „Zuverdienerinnen“ begreifen und falls ja welche?

Ingrid Müller-Münch: Die Frau kann – so vor allem die Norm in Westdeutschland – ruhig dazu verdienen. Aber bitte schön, den Mann nicht überflügeln. In den neuen Bundesländern gehen Paare an dieser Stelle mit dem Rollentausch sehr viel gelassener um, da sie es immer schon gewohnt waren, dass Frauen ebenso wie Männer berufstätig sind. Ich habe in meinem Buch ein ostdeutsches Paar beschrieben, die mit großer Gelassenheit diese Rollenumkehr bewältigt. Wie es früher in der DDR dann allerdings abends daheim zuging, wer die Wäsche wusch, das Essen kochte, die Kinder versorgte – dies blieb offenbar auch in der ehemaligen DDR hauptsächlich Domäne der Frauen. Bei der zum Thema "Familienernährerinnen" durchgeführten Studie der Hans-Böckler-Stiftung kam heraus, dass es dort auch häufiger als in Westdeutschland Frauen gibt, die in die Rolle der Haupt- oder Ganzverdienerin geraten. Grund hierfür sind die vermehrten Arbeitsplatzverluste aufgrund von Insolvenzen, Betriebsübernahmen oder Personalabbau nach der Wende. Das Problem dabei ist allerdings, dass nur knapp 43 Prozent der ostdeutschen Frauen mehr als 1.600 Euro verdienen. Man kann sich also vorstellen, was dies für die Familien bedeutet. Eine Besonderheit gibt es allerdings noch: Offenbar haben die Frauen in den neuen Bundesländern durchweg eher eine abgeschlossene Berufsausbildung als die westdeutschen Frauen, die sich nach wie vor eher als Zu-Verdienerinnen verstehen. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass in Ostdeutschland im Jahr 2010 der Löwenanteil des Familieneinkommens in 15 % aller Paarhaushalte von einer Frau erwirtschaftet wird, in Westdeutschland waren es knappe 10 Prozent. 

Helga König:  Da immer mehr Frauen weitaus besser ausgebildet sind als Männer, wird dies Konsequenzen auf den Arbeitsmarkt haben. Wie stellen Sie sich die Zukunft Adams vor?

Ingrid Müller -Münch:  Das ist die Frage. Werden die zukünftigen Väter, die heutigen jungen Männer vor dieser Entwicklung in Selbstmitleid versinken, verjammerlappen, wie es einige Feuilletons prophezeien. Oder werden sie aktiv daran mitgestalten, auch für sich eine neue Rolle zu suchen und zu finden. Eine Rolle, die sie z.B. von dem Druck befreien könnte, alleiniger oder überwiegender Familienernährer zu sein. Männerforscher, die ich hierzu befragt habe, sehen die Entwicklung gelassen und vornehmlich positiv. Meinen aber durchweg, dass junge Männer sich regen müssen, auch unkonventionelle Lebensmodelle denken sollten. Eine wirklich positive Perspekte, die ich mir wünschen würde und mit der ja auch einige der von mir interviewten Männern schon gedanklich jonglieren, sähe so aus: ein junges Paar handelt untereinander aus, wer wofür am besten geeignet ist. Wer die Karriere macht, wer den Haushalt führt. Vielleicht bietet sich ja eine Teilzeitarbeit für beide an. Auf jeden Fall stelle ich mir ein Aushandeln zwischen den Geschlechtern so vor, dass Beide ohne gesellschaftlichen Druck, ohne das Gewicht tradierter und längst überholter Rollenvorstellungen, ihr Leben ihren Bedürfnissen entsprechend gestalten. Mal schauen, ob das gelingt. 

Helga König: Was kann unternommen werden, dass die Libido eines Mannes nicht in den Keller rutscht, sobald ihn eine Frau versorgt? 

Ingrid Müller-Münch:  Erst einmal müsste von einem solchen Mann, der unversehens und ungewollt in die Rolle des arbeitslosen Partners gekommen ist, der gesellschaftliche Druck genommen werden. Er dürfte nicht als Loser dastehen. Wäre er eine Frau, würde er schlicht und ergreifend in dieser Situation Hausfrau. Nun ist er aber ein Mann, muss mit den Erwartungen leben, die die Gesellschaft auch heute noch an ihn hat. Und da fällt es schon schwer, sich neu zu justieren, eine neue Rolle zu finden, die das Selbstbewusstsein nicht in den Keller rutschen lässt. Wichtig ist auch, dass seine Frau ihn weiterhin achtet und ihn nicht deshalb verachtet, weil er nicht mehr der strahlende Macher ist, der er womöglich einmal war. Es wird von beiden, Männern wie Frauen, einiges abverlangt. Die Paare, die ich portraitiert habe in meinem Buch, beschreiben detailliert die Schritte, von der anfänglichen Depression in den meisten Fällen, bis hin zum schamhaften Verschweigen und günstigstenfalls einem selbstbewussten Umgehen mit den Gegebenheiten. Konflikte die auftauchen lassen sie nicht aus, erzählen, wie sie es schafften, dann doch wieder zueinander zu finden. Viele Paare ihn vergleichbarer Situation könnten von diesen Darstellungen profitieren, hier einiges lernen. 

Liebe Frau Müller-Münch, herzlichen Dank für das erhellende Interview. 
Ihre Helga König

 www.wenn-die-frau-das-geld-verdient.de

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