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Helga König im Gespräch mit dem Psychoanalytiker Dr. Tilmann Moser

Sehr geehrter Herr Dr. Moser, nachdem ich einige Ihrer Bücher gelesen und zwei  davon auch rezensiert habe, möchte ich heute  zehn Fragen an Sie richten, um  bei meinen Lesern Neugierde für Ihre Bücher zu wecken.

Helga König: Sie wurden 1938 geboren, sind also ein Kriegskind und haben Philologie, Soziologie und Politikwissenschaften studiert, bevor Sie sich am Frankfurter Sigmund-Freud-Institut zum Psychoanalytiker ausbilden ließen. Was hat Sie damals zu diesem Schritt bewogen?

 Tilmann Moser
Foto aus seinem Bestand
Dr. Tilmann Moser:  Eigene Therapien als Patient und der Wunsch durch die Ausbildung mich, meine Familie und Patienten besser zu verstehen. 

Helga König: In meiner Bibliothek fand ich vorhin ein etwas vergilbtes Buch von Ihnen, das ich 1975 erwarb und damals mit großem Interesse las. Unser Gemeinschaftskundelehrer am Gymnasium hatte es uns empfohlen und wir diskutierten den Inhalt im kleinem Kreis damals ausgiebig. Der Titel lautet: „Jugendkriminalität und Gesellschaftsstruktur“. Sie haben sich in diesem Buch auch mit schichtenspezifischen Störungen der Identifikation befasst. War das damals für viele Neuland?


Dr. Tilmann Moser:  Eine Aufarbeitung des in der Jugendstrafanstalt Erlebten war der suhrkamp-editions-band "Gespräche mit Eingeschlossenen." Das umfangreiche Buch "Jugendkriminalität und Gesellschaftsstruktur" war eine längere theoretische Arbeit, die zum Teil parallel lief.

Helga König: Wie reagierten Ihre Kollegen auf dieses Buch?

Dr. Tilmann Moser:  "Gespräche mit Eingeschlossenen" erlebte ebenfalls mehrere Auflagen und war Anlass zu kontroversen Diskussionen über Therapiemöglichkeiten mit jugendlichen Delinquenten, ambulant und im Strafvollzug.

Helga König: Sie befassen sich seit vielen Jahren mit den seelischen Spätfolgen der NS-Zeit und des Krieges. Als der Krieg zu Ende ging, waren Sie bereits ein schulpflichtigstes Kind. Sind Sie im Krieg traumatisiert worden?

Dr. Tilmann Moser: Ich selbst bin in einem Dorf am Ostrand des Schwarzwaldes aufgewachsen und nicht im und vom Krieg traumatisiert worden, habe aber eine Reihe von kriegstraumatisierten Patienten behandelt, sowohl der ersten wie der zweiten, der Nachfolgegeneration, die die Traumata von der ersten Generation übernommen hatten.
  
Helga König: Sie befassen Sie auch mit den Spätfolgen repressiver Religiosität. Wie darf man sich solche Spätfolgen vorstellen?

Dr. Tilmann Moser:  Die Folgen sind häufig: Depression, Resignation, Zwanghaftigkeit, Ängstlichkeit, Schuldgefühle, Misstrauen, grausame Gottesbilder, Selbstanklagen.

Helga König: Sie haben neben dem eingangs von mir erwähnten Buch viele andere sehr interessante Bücher verfasst. Darunter auch zwei Bücher im Belser-Verlag zum Thema "Kunst und Psyche" die ich übrigens rezensiert habe. Was hat Sie veranlasst, sich in dieses komplexe Thema zu vertiefen, eine bestimmte Affinität zur Kunst und Bilderwelt und wenn ja, wie gestaltet sich diese?  

Dr. Tilmann Moser: In der Schule: Interessanter Zeichenunterricht und als Deutschaufsatzthemen: Bilderbeschreibungen und -analysen. Häufiger Museumsbesuch. Eigene Malversuche, später wieder aufgegeben. Für den Beruf diagnostisches Lernen an szenischen Bildern und Porträts mit stark psychologischen Inhalten. Häufige Verwendung von Bildern in der Therapie, Deutung von Patientenbildern

Helga König: Wie hat die Fachwelt auf die beiden Bücher reagiert? 

Dr. Tilmann Moser: Die Kunstgeschichte vernachlässigt psychologische und tiefenpsychologische Deutungen von Kunstwerken leider fast vollständig, man könnte von einem ablehnenden Verhalten sprechen, von daher auch keine Rezensionen in Kunstzeitschriften. Freundlichere Reaktionen in psychotherapeutischen Zeitschriften.  

Helga König: René Magritte ist einer meiner Lieblingsmaler. Welche Bedeutung hat er für Sie aus dem Blickwinkel des Psychoanalytikers? 

Dr. Tilmann Moser: Magritte hat sich mehrfach tiefenpsychologische Deutungen seiner Gemälde verbeten, vielleicht, weil ihm Rückschlüsse auf seine Person unwillkommen waren, die zumindest nahe lagen aus seiner Biographie heraus. Er wollte die Deutungshoheit seiner Werke behalten. Er ist ein Meister der Darstellung realer und verfremdeter Seelenzustände.

Helga König: Neugierig gemacht hat mich die Kurzbeschreibung auf Ihrer Homepage zu Ihrem Buch „Geld, Gier und Betrug“. Sollte das Buch Pflichtlektüre für Betriebswirte werden, um sich mit den Folgen des destruktiven Wettbewerbs auseinanderzusetzen?

Dr. Tilmann Moser: Pflichtlektüre wäre zu viel verlangt. Ich habe viele Exemplare an die Ausbildungsabteilungen von Banken verschickt, ohne Reaktion. Dort könnte ich mir einen Einbau ins Curriculum vorstellen. Das Buch wurde weder in den "Neuen Wirtschaftsbüchern" der Wirtschaftsredaktionen  besprochen, noch in den politischen und sozialpolitischen Teilen der Presse, dafür in einigen Rundfunkanstalten. Einige Vorträge zum Thema wurden im Funk gesendet. Psychoanalyse ist in den genannten Sparten derzeit fast tabu. 

Lieber Herr Dr. Moser, ich danke Ihnen herzlich für  das aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König




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