Lieber Herr Prim. Dr. Stelzig, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Krank ohne Befund" rezensiert und möchte Ihnen dazu einige Fragen stellen.
Helga König: Können Sie den Lesern in wenigen Worten mitteilen, weshalb sie Ihr Buch aufmerksam studieren sollen, mit anderen Worten, welchen Nutzen verspricht es?
Prim. Dr. med. Manfred Hirsch Foto: Veigel |
Helga König: Was darf sich der unbedarfte Leser unter den Worten "Krankheit ohne Befund" vorstellen?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Krank ohne Befund bedeutet, dass selbst bei genauesten Abklärungen kein krankhafter organmedizinischen Befund erhoben werden kann. Da die Betroffenen die Schmerzen und Störungen der Organfunktion, sei es das Herz, die Lunge, Magen-Darm, etc. tatsächlich spüren und erleben, ist es notwendig, dass jeder Arzt/Ärztin, wenn klar wird, dass kein krankhafter Organbefund vorliegt, ein psychosomatisches Hintergrundsgespräch führen muss, um die psychodynamischen Ursachen zu ergründen. Dies muss der behandelnde Arzt selbst tun, da er mit dem Patienten gemeinsam eine Erklärung für die Beschwerden finden muss, die der Patient auch versteht und akzeptiert und damit von seiner Vorstellung abrücken kann, dass es sich um eine körperliche Erkrankung handelt.
Helga König: Halten Sie es für sinnvoll, dass Medizinstudenten zukünftig im Rahmen ihres Studiums auch psychologisch umfassend ausgebildet werden?
Foto: Jakob Hirsch |
Helga König: Was haben Sie sich bei der Einteilung Ihres Buches in vier große Abschnitte gedacht?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Der erste Teil des Buches beschreibt das Phänomen "Krank ohne Befund" und ist eine Anklageschrift. Die Anklage bezieht sich auf die ÄrztInnen, die das psychosomatische Hintergrundsgespräch nicht führen, weil sie keine Zeit haben und mit dieser Aufgabenstellung überfordert sind, aber auch auf die PatientInnen, die sich oft vehement gegen die Beleuchtung der psychischen Hintergründe zur Wehr setzen, weil dieser Bereich nach wie vor stigmatisiert ist. Aber auch die Sozialversicherungen trifft eine große Schuld, dass Patienten auf der organmedizinischen Schiene immer wieder abgeklärt werden und das Syndrom der dicken Akte entsteht, weil die Psychomedizin sträflich unterdotiert ist. Ein Arzt, der die psychosomatischen Anteile der Medizin ernst nimmt und öfter am Tag ein entsprechendes Hintergrundsgespräch führt, würde über kurz oder lang in Konkurs gehen. Der zweite Teil des Buches beschreibt sowohl die biologischen, psychodynamischen und sozialen Hintergründe, die zu diesem Phänomen führen können. Im dritten Teil werden die wichtigsten Krankheitsbilder, mit entsprechenden Fallbeispielen, beschrieben und der vierte Teil beleuchtet die Struktur der Psyche und beschreibt viele Übungen, die dazu verhelfen sollen, innere Stabilität, Schutz, Geborgenheit und Lebensfreude zu bekommen und damit wirksam einer psychosomatischen Erkrankung vorzubeugen.
Helga König: Wie wirken sich beispielsweise dissoziative Sensiblitäts- und Empfindungsstörungen auf das körperliche Wohlergehen eines Menschen aus?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen wirken sich sowohl körperlich als auch psychisch auf das Wohlbefinden des Menschen aus. Der Betroffene ist irritiert, verängstigt, glaubt vorerst an einer schweren Systemerkrankung zu leiden, erst nach genauer körperlicher Abklärung wird der psychodynamische Hintergrund für den Betroffenen erschließbar sein.
Helga König: Sie nennen folgende drei Aspekte, die zur Diagnose „Krank ohne Befund“ führen können:
-die neurobiologischen psychiatrischen Ursachen
-körperliche Funktionsstörungen aufgrund traumatischer Erlebnisse in der Vergangenheit
-der Bereich der Psychosomatik
Welcher Aspekt spielt die größte Rolle?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Es müssen immer alle Aspekte beachtet werden, da es um die Differenzialdiagnose geht und unterschiedliche Ursachen, unterschiedliche Behandlungskonzepte benötigt.
Helga König: Welche Erfahrungen haben Sie sammeln können, wenn Sie Patienten Serotonin verabreicht haben?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Es sind Serotonin-, Noradrenalin- oder Dopamin -Wiederaufnahmehemmer, die verwendet werden. Je nachdem welche Hintergrundsdiagnose gestellt wird, sind diese Medikamente unterschiedlich wirksam. Liegt eine sogenannten larvierte Depression vor, also eine Depression die sich hauptsächlich durch Organstörungen ausdrückt, oder eine Angststörung, bei der ebenfalls die Angst vor der organischen Erkrankung im Zentrum steht, so sind diese Medikamente äußerst hilfreich. Anders ist es, wenn der psychodynamische Anteil die Hauptursache darstellt. Hier wird die Psychotherapie die notwendige Behandlungsmethode sein.
Helga König: Welche körperlichen Krankheiten können durch Distress entstehen und was kann ein Allgemeinmediziner tun, wenn ein Patient an Distress leidet?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Wie in dem Buch beschrieben, aktiviert Disstress einerseits den Sympathikus, andererseits wird das Stresshormon Kortisol freigesetzt. Über diese Achsen sind das Herz und der Blutdruck betroffen, Magen- und Darmstörungen, Atembeschwerden, Muskelverspannungen mit oft massiven Schmerzzuständen, Kopfschmerzen, sogar Blasenstörungen. Der Allgemeinmediziner kann mit dem Patienten seine Stresssituation reflektieren, kann ihn dazu ermutigen ein Behandlungskonzept zu akzeptieren, das ihm hilft den Disstress zu überwinden. Dazu ist es notwendig, dass der Arzt gut vernetzt ist mit niedergelassenen Fachärzten für Psychosomatische Medizin und mit Psychotherapeuten, da diese den psychodynamischen Teil des Behandlungsplans übernehmen müssen. Damit diese Überweisung funktioniert ist es notwendig, dass der Arzt/die Ärztin sich gut mit spezialisierten PsychotherapeutInnen vernetzt, das heißt, die Arbeitsweise gut kennt und damit dem Patienten einen therapeutischen Optimismus mit auf den Weg gibt, dass die Beschwerden gelindert werden können.
Helga König: Alle reden von der Opferrolle, in die sich keiner begeben soll. Welche körperlichen Erkrankungen können die Folge von solch einem Opferrollenverhalten sein?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Meist sind es Erkrankungen, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen, ohne dass eine Lösung, Linderung oder gar Heilung in Aussicht steht. Durch die Opferrolle werden diese Erkrankungen zementiert, weil man aus dieser Rolle nicht bereit sein kann, an der Problemlösung zu arbeiten, sondern in der Hilflosigkeit verharrt.
Helga König: Sie schreiben, dass körperliche Krankheitssymptome auch aufgrund von einem Mangel an der transzendentalen Dimension entstehen können. Können Sie das bitte kurz an einem Beispiel erläutern?
Foto: Jacob Hirsch |
Helga König: Sie nennen eine Reihe von Krankheitsbildern, deren Ursache seelisch bedingt sein kann. Mit welchen Krankheitsbildern haben Sie am meisten zu tun?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Sehr häufig sind es Schmerzstörungen, die einerseits die Muskulatur und die Gelenke betreffen, aber auch Kopfschmerzen und Funktionsstörungen von den Organen, die auf Stresssituationen vorrangig reagieren. Das Herz kann Symptome zeigen wie Herzstechen, -klopfen oder –rasen, das Gefühl von Druck auf der Brust mit Atemnot, aber auch Magen-Darmstörungen sind häufig. Auch die Blase kann sich in sehr unangenehmer Weise bemerkbar machen. Im Prinzip kann jedoch jedes Organ betroffen sein.
Helga König: Welche der von Ihnen empfohlenen Übungen zum Aufbau eines Seelenhauses sollten wir alle täglich praktizieren?
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: Wichtig erscheint mir, dass
der/die LeserIn das Wesen dieser Übungen versteht und selbst lernt abzuschätzen, welche der Übungen für das bestehende Problem am sinnvollsten einzusetzen ist. Das Ziel soll sein, dass sich jeder in seiner Haut wohl fühlt, geschützt und geborgen, dass ein positiver innerer Dialog besteht, der einerseits aus Fürsorge geprägt ist, andererseits Selbstachtung, Selbstlob und Selbstmotivation beinhaltet. Das gute Selbstmanagement ist die Basis für eine erfüllte Beziehungsfähigkeit.
der/die LeserIn das Wesen dieser Übungen versteht und selbst lernt abzuschätzen, welche der Übungen für das bestehende Problem am sinnvollsten einzusetzen ist. Das Ziel soll sein, dass sich jeder in seiner Haut wohl fühlt, geschützt und geborgen, dass ein positiver innerer Dialog besteht, der einerseits aus Fürsorge geprägt ist, andererseits Selbstachtung, Selbstlob und Selbstmotivation beinhaltet. Das gute Selbstmanagement ist die Basis für eine erfüllte Beziehungsfähigkeit.
Lieber Herr Prim. Dr. Stelzig, für das aufschlussreiche Interview danke ich Ihnen herzlich.
Helga König
Helga König
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