Liebe Frau Grandy-Dick, dieser Tage habe ich Ihr Buch "JAPAN- Im Garten der aufgehenden Sonne" rezensiert und möchte Ihnen hierzu einige Fragen stellen.
Helga König: Haben Sie viel über Japan gelesen, bevor Sie Ihre Reise unternommen haben und konkrete Vorstellungen davon gehabt, was Sie sehen wollten und falls ja, haben Sie diesen Reisepläne vor Ort aufgrund von Tipps Einheimischer auch immer wieder etwas abgeändert?
Christine Grandy-Dick: Ja, in der Tat, wie für jede ‚Expedition‘
habe ich vorher stapelweise Literatur durchgeackert. Aber vor allem die Themen, die mich persönlich in Bezug auf Japan interessiert haben. Weniger über Mangas oder Wirtschaftspolitik , dafür Shinto, Tao, Entstehungsmythen, philosophische Abhandlungen, Gartenarchitektur, Butoh Tanz. Dazu habe ich im Internet nach zeitgenössischen Künstlern recherchiert. Natur und Kultur, das sind die Pole, die sich auch um meine Werke kreisen. Dann muss einer dieser Lonely Planets o.ä. her, um Ziel A mit B zu verbinden oder einen Kyudo-Bogen zu schließen, der XYZ wieder mit C befreundet. Schließlich will ich nicht nur Fakten aneinanderreihen und eine Agenda abspulen, nein, meine Schwerpunkte sollen sich wie Atome zu Molekülen formen, vereinzelt auch mal wieder abspalten, sich andere Partner suchen, aber am Ende bestenfalls ein halbwegs homogenes Ganzes bilden. Lokale Broschüren verhelfen zu spontanen Einfällen und Sand im Getriebe vor Ort ist das Gewürz, welches ‚Reise‘ heißt. Manchmal wollten Einheimische eher von mir etwas über ihre entfernten Ogasawara Inseln im Pazifik wissen und mitteilen, was oder wen sie in Deutschland kennen gelernt haben.
Christine Grandy-Dick Foto:“Landshuter Zeitung” |
Helga König:Wenn Sie die Augen schließen und jetzt an Ihre Japan-Reise denken, welches Bild erscheint dann spontan vor Ihrem geistigen Auge?
Christine Grandy-Dick: Komischerweise genau dieses Archipel, 1000 km südlich von Tokyo, vor den Ausläufern des Mariannen Grabens. Es ist nicht nur die saftig grüne Abgeschiedenheit… der Dschungel scheint sich in den urigen Bewohnern derart manifestiert zu haben, dass sie ihre Lebensfreude jedem an- und ablegenden Dampfer entgegen schleudern, um die Schiffsreisenden damit erst gründlich zu infizieren und schließlich geimpft zu entlassen. Den Virus trage ich wie einen blinden Passagier mit mir herum.
Helga König: Welche Großstadt in Japan hat Sie am meisten beeindruckt und weshalb?
Christine Grandy-Dick: Kyoto, die langjährige alte Kaiserstadt.
Hier laufen einem noch traditionelle Maikos in der Ausbildung über den Weg und führen abends ihre Fingerfertigkeiten in gut eingesessenen Theaterinstitutionen vor. Die Stadt ist übersichtlich und quillt trotzdem über von Anregungen für Geist und Seele. Zudem ist man mit Metro oder Bus flott in beschaulicher Landschaft und kann beispielsweise in Ohara, im verwunschenen Tempelgarten, Kirschblütentee mit Goldpartikeln trinken.
Helga König: Worin unterscheidet sich das Zusammenleben einer japanischen Familie von einer deutschen besonders intensiv?
Christine Grandy- Dick: Eigentlich gar nicht so im täglichen
Ablauf. Mütter und Väter gehen zur Arbeit, Kinder in den Hort, falls keine Oma zur Hand, die sich auch gut mit Hi Tech-Spielzeug auskennen sollte. Wer kann, betreut die Großeltern zu Hause. Mittags holt man sich brutzelnde Tempura vom Straßenstand oder Sashimi in einem der unzähligen Delis. Abends wird ausführlicher auf überbordender, dabei winziger Küchenzeile gekocht. Die vielen kleinen Gerichte verlangen zeitaufwändige, wenn auch routinierte Feinmotorik, wobei die Männer häufig noch außer Haus mit Kollegen essen und ihre Geschäftsbeziehungen warm halten. Auffällig ist, dass nur in der Wohnküche ständig geheizt wird. Bad oder Kombis aus Büro/Schlafraum sehr sporadisch mittels elektrischen Strahlern, ausschließlich bei Bedarf. Ja, und grundsätzlich mit Socken auf eiskalten Böden laufen…, das war gewöhnungsbedürftig.
Helga König: Was waren die bemerkenswertesten Eindrücke in den von Ihnen besuchten sakralen Bauwerken?
Christine Grandy-Dick: Zunächst einmal diese über- und nebeneinander geschichteten schwungvollen Schindeldächer, die wie Kraniche davonzufliegen scheinen. Dann die Fülle gestaffelter, vibrierend hellroter Shrine-Toriis, die Alleen bilden können und einen ganz automatisch in unvertraute Welten schleust. Überall halten sich die Menschen an rituelle Gebetsabläufe – aber an den Gittern um heilige Feigenbäume hängen zur Sicherheit noch hunderte von Ema, Holztäfelchen, mit den irrwitzigsten irdischen Bitten und Wünschen, ‚Kontaktanzeigen‘ sogar, und gleich mit Gehaltsvorstellung… alles frei ausgestellt.
Helga König: Welche Bedeutung hat in Ihrem Leben der ZEN Buddhismus?
Christine Grandy-Dick: Daran denke ich fast jeden Tag, seit ich 2011 im indischen Gujarat zehn Tage sitzend und schweigend in die Vipassana Meditation tauchte. Die geht zwar von den buddhistischen Anfängen aus und hat mir beigebracht, Schmerzen ganz gleich welcher Art, nicht nur auszuhalten, sondern einfach möglichst ruhig zu beobachten. Bloß nicht werten, das war neu. Und diese sogenannten ‚Koans‘ im ZEN drücken weiter führend eigentlich genau diese Geistesgegenwärtigkeit aus, den Moment, das Ereignis, die Handlung spontan bejahend geschehen zu lassen, ohne gedanklich zu verkrampfen. Also einerseits stärkt mir der 8-fache Pfad den Rücken, während paradoxe Weisheiten heiter auf meiner Nase herumtanzen. Das Leben ist eine ernste Angelegenheit, aber ich nehme es nicht mehr zu ernst!
Helga König: Können Sie in wenigen Sätzen die Landschaftsmerkmale nennen, die Japan zu einem Reiseziel der besonderen Art macht?
Christine Grandy- Dick: Was ich immer toll finde, sind
unterschiedliche Klima- und Vegetationszonen. Die unglaubliche Zahl natürlicher heißer Quellen und die Badekultur drum herum ist hier einzigartig – ganz ohne Chlor und bewusst organisch gestaltet. Vulkanketten kann man besonders auf Kyushu erwandern, wenn sie nicht gerade spucken und haben mich genauso beeindruckt wie ‚Tongariro-crossing‘ in Neuseeland. Auch süß duftende weiße Pflaumenblüten habe ich noch nirgends in dieser federleichten Fülle erlebt. Na, und die vielen Inselchen tropischer Breitengrade künden vom Paradies, in das amüsanterweise fast nur Einheimische gelassen wurden.
Helga König: Wie fühlten Sie sich während Ihres Besuches von Hiroshima und haben die Eindrücke dort Ihre Reiselust in der Folge beeinflusst?
Christine Grandy-Dick: Hiroshima ist wie Fukuoka eine modern brodelnde Metropole, die von Samurais auf ihrer towernden Burgfestung ebenso geprägt wurde wie nach dem 2. Weltkrieg von optimistischerem Savoir vivre entlang seiner Wasserstraßen und Boulevards. Hiroshima atmet friedliche Großzügigkeit aus, ein unaufdringliches Mahnmal für geschichtliche Prozesse. Zwischen all der Depression sprießt unaufhaltsam Hoffnung und Anstoß zu weltweiter Verständigung.
Helga König: Der Untertitel Ihres Buches lautet „ Im Garten der aufgehenden Sonne“. Welche Erlebnisse warten auf Botaniker und Gartenbauarchitekten, wenn sie Japan besuchen?
Christine Grandy-Dick: Das sind zwei sehr verschiedene Gebiete,
und ich hatte den Begriff sehr großzügig gedacht, im Sinne von ‚abgelegenes Eden‘. Die Architekten dürfen sich nun anschaulich durch chinesisch inspirierte ‚Shakkei‘ Gärten bewegen. Diese Kleinode ziehen natürlich gegebene Geologie, etwa in Form eines Berges, Flusses oder Tales, unmittelbar in menschengemachtes Terrain hinein, indem sie geschickt verdecken und enthüllen, was nicht in des Gärtners Konzept passt. Kunstvoll arrangierte Natursteine, effektvoll frisierte und platzierte Baumarten oder auch Pagodenpfeiler verbinden die beiden Gegensätze. Botaniker kommen naturgemäss eher auf dem Yeayama Archipel voll auf ihre Kosten, besonders wenn sie Korallen in all ihren absolut phantastischen Ausprägungen schätzen. Man muss dazu nicht mal tauchen. Und die Handvoll Inseln der Bonin-Gruppe faszinieren mich immer noch durch ihre felsigen, dabei feuchten Nebelwälder und endemischen Mandarina Schnecken, die ihre Häuser über Jahrmillionen vertikalen Gegebenheiten angepasst haben, um das Wort Galapagos-Effekt zu vermeiden. Wandererprobte outdoor-freaks werden auch des Öfteren über havarierte Schiffs- oder Flugzeugteile aus Kriegszeiten stolpern…
Helga König: Sie sind „Bildende Künstlerin“. Hat die Kunst in Japan Sie im eigenen Schaffen inspiriert und wenn ja auf welche Weise?
Christine Grandy-Dick: Einerseits bündelt dieses asiatische Land eine solche Fülle an kreativem Handwerk, sei es Keramik, Web- oder Kampfkunst, Haiku-Dichtung oder Tuschemalerei, dass Ansteckung in irgendeiner Form fast unvermeidlich ist, um seinen Sinnen immer wieder neu freien Lauf zu lassen und zu experimentieren. Der Wunsch nach mehr Leere im (Bild-)Raum wird grösser, da treffe ich auf japanische Sehnsucht nach Klarheit innerhalb recht beschränkter (Wohn-)Fläche. Und doch ist da auch noch der unbändige Drang zu opulenter, vegetativ gesteuerter Farbigkeit, wie sie meisterhaft verführerisch von Tanaka Isson in Szene gesetzt wurde.
Liebe Frau Christine Grandy-Dick, herzlichen Dank für das aufschlussreiche Interview.
Helga König
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