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Helga König im Gespräch mit Dr. Jörg Zittlau

Lieber Dr. Zittlau, vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch "Langweiler leben länger" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Helga König: Sie schreiben, dass Selbstdisziplin ein Indikator für ein längeres Leben sei. Auf welche Weise kann ein Erwachsener  Selbstdisziplin erlernen, wenn in seiner Kindheit hierfür nicht bereits die Wurzeln gelegt worden sind? 

Dr. Jörg  Zittlau
Foto: privat
Dr. Jörg Zittlau:  Das ist in der Tat schwer, diverse Studien belegen, dass diejenigen, die in ihrer Kindheit keine ausgeprägte Selbstdisziplin hatten, sie auch im Erwachsenenalter nur selten erwerben und dementsprechend kürzer leben. Aber es gibt Ausnahmen. Dies hängt wesentlich davon ab, inwieweit man selbst etwas an seinem Leben ändern will. Man kann also über Flexibilität zur Selbstdisziplin kommen, diesen beiden Eigenschaften müssen sich –auch wenn viele das vermuten – nicht ausschließen. Ein geordnetes, regelmäßiges Leben soll ein weiterer Garant dafür sein, ein hohes Alter zu erreichen. 

Helga König: Was bedeutet dies für einen engagierten, kreativen Menschen, der u.U. häufig auf Achse ist? 

Dr. Jörg Zittlau: Kreativität und geordnetes Leben schließen sich ebenfalls nicht aus, dafür gibt es genug langlebige Beispiele in der Weltgeschichte, wie etwa Immanuel Kant, JS Bach, Pablo Picasso und Hermann Hesse. Und für das Auf-Achse-Sein gilt das gleiche. 

 Helga König: Sie schreiben weiter, dass Entspannungstechniken nicht das alleinige Mittel gegen Stress darstellen. Welche Mittel halten Sie möglicherweise für noch sinnvoller? 

Dr. Jörg Zittlau: Weder Sport, Entspannungstechniken oder gesunde Ernährung garantieren ein langes Leben. Aber die Chancen dafür steigen, wenn wir sie diszipliniert und gewissenhaft durchführen. Was wieder einmal zeigt, wie wichtig diese Sekundärtugenden für ein langes Leben sind. 

Helga König:  Weshalb verkürzen Diäten u.U. das Leben? 

Dr. Jörg Zittlau: Sie treiben die Menschen in den Jo-Jo-Effekt, und der ist letzten Endes noch schlimmer für die Gesundheit, als wenn man einfach nur dick bleibt. Ganz zu schweigen davon, dass bei harten Diäten sehr viele fettlösliche Giftstoffe aus den Fettdepots freigesetzt werden. 

Helga König:  Regelmäßige Rituale sollen lebensverlängernd wirken. Wie könnten diese beispielsweise aussehen? 

Dr. Jörg Zittlau: Jeden Morgen um die gleiche Zeit aufstehen; selbst bei Gleitzeit immer zur gleichen Zeit zur Arbeit gehen; die Bürotasche bei der Arbeit immer an der gleichen Stelle deponieren; vor der Urlaubsreise nach einem vorher festgelegten Plan kontrollieren, ob die elektronischen Geräte abgestellt sind; seinem Lebenspartner jeden Abend einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, auch wenn man sich gerade noch fürchterlich gezankt hat. … 

Helga König:  Weshalb wirkt sich die Ehe bei Männern lebensverlängernder aus als bei Frauen und was können Frauen in der Ehe tun, um den Nachteil zu relativieren?

Dr. Jörg Zittlau:  Die Ehe stabilisiert das Leben des Mannes, doch sie erschöpft oft die Kräfte der „Beziehungsarbeiterin“ Ehefrau, ganz zu schweigen davon, dass sie heute oft in einer Mehrfachbelastung von Geliebter, Mutter und Berufstätigkeit aufgerieben wird. Generell können Frauen dies verändern, indem sie sich davon verabschieden, unbedingt perfekt sein zu wollen, und indem sie mehr auf die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse drängen. Nicht alle Ehen halten dies freilich aus. Außerdem darf das Pochen auf die eigenen Bedürfnisse nicht in einen ungezügelten Hedonismus führen, nach dem Motto: „Jetzt nehme ich mir endlich meinen Spaß!“ Dabei geht nicht nur die Ehe, sondern auch die Frau selbst kaputt. 

Helga König:  Weshalb leiden undisziplinierte Menschen häufiger an schweren und chronischen Erkrankungen?

Dr. Jörg Zittlau:  Indirekt, weil sie weniger diszipliniert auf ihre Gesundheit achten. Und direkt, weil sie ihre Kräfte nicht bündeln und sich leicht verzetteln. Dies sorgt für einen gesundheitsschädlichen Stress. 

Helga König:  Kann man sich als Erwachsener ein resilientes Verhaltensgrundmuster antrainieren und wirkt sich dies dann auch noch auf die Chance uralt zu werden aus?

Dr. Jörg Zittlau:  Ja. Ein erster Schritt besteht darin, die Rückschläge im Leben nicht persönlich und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Gerade eitle, narzisstische Persönlichkeiten zeigen oft eine geringe Resilienz. 

Helga König:  Welche Erklärung haben Sie dafür, dass überdurchschnittlich intelligente, zuverlässige Menschen eine größere Chance haben, uralt zu werden?

Dr. Jörg Zittlau:  Sie meiden überflüssige Risiken, wie etwa den Drogenkonsum (Helmut Schmidt ist da sicherlich eine bemerkenswerte Ausnahme!). Sie entgehen den Stressoren, die Unzuverlässigkeiten mit sich bringen (so haben unpünktliche Leute z.B. oft Ärger mit ihren Mitmenschen). Und sie finden in der Regel ein wohl ausbalanciertes Maß zwischen Anforderung und Entspannung. 

Helga König:  Worin besteht die Attraktivität eines langen Lebens? 

Dr. Jörg Zittlau: Darin, dass man in einem langen Leben mehr ausprobieren und erleben kann als in einem kurzen. Was allerdings voraussetzt, dass man bis ins hohe Alter offen fürs Ausprobieren und Erleben bleibt. Wer im Alter nur noch seine Zeit „absitzt“ und in der Alltagsroutine erstarrt, ist nicht etwa diszipliniert, sondern einfach nur faul und stur. Wie gesagt: Flexibilität und Selbstdisziplin schließen sich keineswegs aus.

Helga König:  Haben Sie eine statistische Erhebung bei alten Menschen gemacht, die die 40 persönlichen Lebensstilmerkmale der Langlebigkeit als Grundlage hatte?

Dr. Jörg Zittlau: Nein. Ich habe mich dabei an den Studien orientiert, die mir für mein Buch zur Verfügung standen. 

Helga König:  Was raten Sie Menschen, die alt werden möchten, in erster Linie? 

Dr. Jörg Zittlau: Sich selbst zurückzunehmen, weniger auf die eigene Individualität zu pochen und nicht unbedingt interessant sein zu wollen. Keine Angst vor Routine und Wiederholungen zu haben, aber andererseits auch offen für neue Erfahrungen zu bleiben. Das Geheimnis eines langen Lebens besteht wesentlich darin, sich selbst in Ordnung zu halten, ohne dabei zu erstarren. Und es besteht wesentlich darin, dass man skeptisch bleibt, wenn wieder mal jemand Vorschläge unterbreitet, wie man ein glückliches und langes Leben führt….

Herzlichen Dank für die erhellenden Antworten, lieber Herr  Dr. Zittlau.

Ihre Helga König

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