Sehr verehrte Frau Prof. Dr. Kästele, vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch "Umarme Deine Angst" rezensiert. Heute möchte ich Ihnen hierzu einige Fragen stellen:
Prof. Dr. Gina Kästele
© Andrea Maucher ¦ www.farbundstilreich.de |
Prof. Dr. Gina Kästele: Menschen, die Angst- und Hilflosigkeitsgefühle haben, sind unsicher und haben das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit verloren. Wenn jemand aufgrund von Angstgefühlen aufhört, sich den Herausforderungen des Alltags zu stellen, nimmt die Angst zu. Es gibt nur einen Weg, um Hilflosigkeits- und Angstgefühle abzubauen, und das ist der Weg 'durch die Angst', sich dem unangenehmen Gefühlen zu stellen, bereit zu sein, sich auf angstauslösende Situationen vorzubereiten und auch kleine Erfolge anzuerkennen, führt letztlich zu innerer Stärke und zu einer Zunahme von Bewältigungsfähigkeiten.
Prof. Dr. Gina Kästele: Die Beschäftigung mit den eigenen Ängsten und die Überlegung, welcher Angstart man sich zuordnen könnte, ist eine Form von Selbstanalyse die hilfreich sein kann, um die als übermächtig erlebte Angst einzugrenzen und sich gezielt Übungen auszuwählen, die einen dann nicht überfordern. Selbstanalyse ist immer hilfreich, denn diese wiederum ermöglicht es, neuen Bewältigungsmöglichkeiten Raum zu geben und den Mut zu entwickeln, diese auch auszuprobieren
Prof. Dr. Gina Kästele: Hilflosigkeitsängste können entstehen, wenn jemand in konkreten Situationen negative Erfahrungen gemacht hat und die einmal gemachte Erfahrung auf zukünftige Situationen überträgt. Letztlich geht es nicht darum, einmal vorhandene Ängste 'wieder loszuwerden', sondern die Angst bzw. Hilflosigkeit erst einmal anzunehmen und zu bejahen. Der nächste Schritt besteht dann darin, sich bewusst zu machen, dass man ja nicht nur aus Hilflsosigkeitsgefühlen besteht, sondern auch ein kompetenter Erwachsener ist, der durchaus Ressourcen hat und in vielen Lebensbereichen handlungsfähig ist. Es ist durchaus hilfreich, sich vorzustellen, das der Teil, der hilflos ist, sich wie ein verängstigtes Kind verhält. Das innere Kind kann dann mit einfachen Worten/Sätzen beruhigt werden.
Helga König: Welche Gedankenfehler sollte man im Hinblick auf Ängste vermeiden?
Prof. Dr. Gina Kästele: Die Annahme, dass die Ängste immer präsent sein werden und sogar noch zunehmen, ist wenig hilfreich. Ebenso die Vorstellung, dass die erlebte Angst dazu führen wird, dass man in konkreten Situationen versagen wird. Viele Menschen, die Angst haben, entwickeln dann auch die Vorstellung, dass sie ohnmächtig werden könnten oder nicht mehr aufhören könnten zu zittern. Ein besonders oft auftretender Gedankenfehler ist es, sich einzureden, dass man der Situation nicht gewachsen sei. Gedanken, mit denen sich der Betroffene dann Mut machen könnte, treten in den Hintergrund. Die Person fühlt sich von den Angstgedanken beherrscht und hat noch nicht gelernt, diese zu stoppen und sich anderen gedanklichen Inhalten zuzuwenden.
Prof. Dr. Gina Kästele: Das fällt mir leider gerade schwer, da ich mein Buch nicht vor mir liegen habe. Ich bin gerade in Südafrika und das Buch ist leider 'etwas weit weg'. Die Angst kann mit der Wahrnehmung einer körperlichen Reaktion, die als unangenehm erlebt wird, beginnen. Dann kommen Gedanken hinzu, die in der Regel die unangenehme Empfindung noch verstärken. Der Betroffene gewinnt den Eindruck, die auftretenden Emotionen nicht meistern zu können und steigert sich dann - bewusst oder unbewusst - noch mehr in die Vorstellung hinein, der konkreten Situation nicht gewachsen zu sein. Das gleichzeitig damit verbundene Bemühen die Angst zu unterdrücken, kann zu noch mehr Anspannung und zu einer Zunahme der Ängste fühlen.
Prof. Dr. Gina Kästele: Die Angst zu bejahen und zu umarmen, ist m.E. die einzig mögliche Strategie, um für neue Impulse offen zu sein. Angst ist eine ganz normale menschliche Empfindung. Sich selbst in Situationen, in denen man sich t schwächer fühlt, gut zuzureden kann eine wirkungsvolle Selbsthilfestrategie sein, um sich zu beruhigen. Wenn die spontan sich einstellende Angst unterdrückt wird, führt dies in der Regel zu noch mehr Anspannung.
Prof. Dr. Gina Kästele: Oft ist es hilfreich, sich Photos anzusehen und ein Photo auszuwählen, auf dem das Kind, das man einst einmal war bedrückt oder traurig wird. Der nächste Schritt könnte dann sein, sich zu überlegen, was dieses Kind damals gebraucht hätte: welche Worte und welche Handlungen hätten diesem Kind gut getan. Das Modell, sich in einer Angst auslösenden Situation an das Kind, das man einst einmal war, zu erinnern kann beruhigend sein. Der Betroffene kann lernen, in einer angstauslösenden Situation sich das innere Kind vorzustellen und mit diesem in Gedanken ein Gespräch zu führen. Dabei ist es wichtig, sich vorzustellen, liebevoller Elternteil für das ängstliche Kind zu sein, damit der innere Dialog zur Selbstberuhigung beitragen kann.
Prof. Dr. Gina Kästele: Ablenkungsstrategien führen dazu, dass der Betreffende nicht weiterhin auf die Angst fokussiert bleibt, was zu einer weiteren Zunahme der Erregung führen könnte. Eine Ablenkungsstrategie eröffnet die Chance aus dem 'Angstkarusell ' auszusteigen und wieder Zugang zu bereits vorhandenen Bewältigungsmöglichkeiten zu finden.
Prof. Dr. Gina Kästele: Die Haltung ist besonders wichtig. In Momenten, in denen wir uns aufrichten, erleben wir uns als stärker. Der Atem wird gleichmäßiger, das Selbstvertrauen kann durch eine Haltungsveränderung zunehmen und auch der Blickwinkel verändert sich. Wir nehmen die Außenwelt wieder wahr und nehmen wahr, welche Handlungen in der Realität zu einer erfolgreichen Situationsbewältigung beitragen könnten.
Ihre Helga König
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