Helga König: Können Sie den Lesern erläutern, was Sie konkret unter dem Begriff Hoffnung verstehen?
Dr. Stephan Marks: Hoffnung bedeutet, sich der bestehenden Probleme und drohenden Gefahren (z.B. die Mensch-gemachten Veränderungen des Weltklimas) bewusst zu sein und sich dennoch für eine gelingende Zukunft einzusetzen – im Wissen, dass Neues geschehen kann, dass Veränderung möglich ist.
Helga König: Was verstehen Sie unter Trauerarbeit und weshalb kann es ohne diese keine Hoffnung geben?
Dr. Stephan Marks:Wenn wir die Emotionen, die zum Beispiel durch den Tod eines geliebten Menschen ausgelöst werden, annehmen und durchleben, kann daraus neue Lebendigkeit wachsen, ein neuer Blick auf die Welt, vielleicht sogar neue Bindungen. Ohne Trauerarbeit besteht die Gefahr, dass ein Mensch in Optimismus oder in Depression steckenbleibt. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für unseren Umgang mit den Emotionen über den katastrophalen Zustand der Erde, unsere „Schmerzen über die Welt“, wie Joanna Macy dies nennt.
Helga König: Wieso haben Menschen so große Schwierigkeiten ihren Schmerz aufgrund erschütternder Nachrichten im Fernsehen zu zeigen?
Dr. Stephan Marks: Durch die Nachrichtensendungen werden die Zuschauer mit Informationen aus allen Winkeln der Erde geradezu bombardíert. Häufig sind dies Krisen- oder Katastrophenmeldungen, die in so schneller Taktfolge präsentiert werden, dass die Zuschauer emotional wie zugeschüttet werden. Dazu trägt auch bei, dass wir z.B. durch den Schulunterricht darin eingeübt sind, mit diesen Informationen nur kognitiv umzugehen und die damit verbundenen schmerzhaften Gefühle (wie z.B. Trauer, Schrecken, Angst, Grauen, Hilflosigkeit, Wut, Scham u.a.) zu verdrängen.
Helga König: Weshalb dürfen Emotionen im Hinblick auf Negativ-Meldungen über die Welt nicht privat sein?
Dr. Stephan Marks: Diese massiven Emotionen zu „privatisieren“, dies würde jeden Menschen emotional überfordern und ihn in Pessimismus, Resignation oder Zynismus treiben. Diese Emotionen werden ausgelöst durch eine gewalttätige, ungerechte und ökologisch gefährdete Welt – und genau dort gehören sie hin. Woher sonst könnte die Leiden-schaft kommen, sich für Frieden, Gerechtigkeit oder Naturbewahrung einzusetzen, wenn nicht aus durchlebtem Leiden über die Welt?
Helga König: Können Sie uns bitte erklären, weshalb der Mensch seine Grenzen verliert, wenn er keinen Schmerz mehr fühlt?
Dr. Stephan Marks: Schmerzen zeigen uns unsere Grenzen, z.B. wenn wir uns körperlich überfordert haben oder wenn wir zu schnell gefahren und gestürzt sind. Ohne diese Schmerzen bräuchte der Mensch seine Grenzen (und die seiner Mitmenschen) nicht respektieren; er würde immer rücksichtsloser.
Helga König: Wie wichtig ist Stille und Achtsamkeit, wenn man sich bemüht, nicht abzustumpfen gegenüber dem Leid in dieser Welt?
Dr. Stephan Marks: „Die Seele hängt am Ohr“, sagt der Akustik-Mediziner Gerald Fleischer. Im Unterschied dazu ist das Auge viel mehr mit den kognitiven Anteilen einer Nachricht verbunden. Da die Nachrichten über das Leid in der Welt vorwiegend visuell verbreitet werden (Zeitung, Fernsehen, PC-Bildschirm), werden sie vom Gehirn weitgehend als neutrale kognitive Information behandelt. Das trägt mit dazu bei, dass wir die damit verbundenen Emotionen kaum verarbeiten können. Zugleich ist unsere Fähigkeit, Emotionen zu verarbeiten, beschädigt, weil unsere Seele tagtäglich mit Lärm zugemüllt wird. Lärm ist nicht nur akustische Umwelt-, sondern auch Innenweltverschmutzung. Wo aber keine Stille ist, da ist auch kein Weg.
Helga König: Worauf dürfen wir gesellschaftlich hoffen und hängt Hoffnung vom eigenen politischen Engagement ab?
Dr. Stephan Marks: Geschichte ist nicht zu Ende. Neues ist möglich; Überraschendes kann geschehen, das den Lauf der Geschichte völlig auf den Kopf stellt. Die Chancen dafür sind umso größer, je mehr Menschen an die Möglichkeit einer gelingen Zukunft glauben und sich dafür engagieren. Dazu kann jeder Mensch beitragen.
Helga König: Können Sie etwas zu den drei Denkblockaden sagen, die kontraproduktiv in Bezug auf Hoffnung sind?
Dr. Stephan Marks: Zum einen zweifeln viele Menschen, ob es „etwas bringt“, sich für eine gelingende Zukunft zu engagieren. Diese Frage lässt sich aber nicht beantworten, weil gesellschaftliche Lern- und Veränderungsprozesse viel zu komplex sind, als dass sie mit einfachem Ursache-Wirkung-Denken erklärt werden könnten. Zum zweiten zögern viele Menschen, sich für ein sinnvolles Ziel einzusetzen, solange es nur eine kleine Gruppe Gleichgesinnter gibt. Tatsächlich jedoch können schon wenige Bürger Veränderung bewirken, dazu bedarf es keiner Mehrheit von 50plus Prozent. Zum dritten ist die Vorstellung verbreitet, gesellschaftlicher Wandel geschehe allmählich, Schritt für Schritt. Tatsächlich geschieht sie jedoch nicht-linear, unberechenbar; ein Beispiel dafür ist die Entwicklung, die zum Fall der Berliner Mauer führte.
Helga König: Welche Übungen helfen dabei, dass Hoffnung zu unserer Grundhaltung wird?
Dr. Stephan Marks: Schalten Sie eine Nachrichtensendung nach der ersten Negativ-Meldung ab und spüren Sie nach, welche Emotionen damit verbunden sind. Bringen Sie Ihre Gefühle und Gedanken zum Ausdruck – zum Beispiel durch ein Gespräch mit einer Person Ihres Vertrauens, durch Schreiben, Malen, Töne, Bewegungen … In einem weiteren Schritt gestalten Sie diese Worte, Bilder oder Töne aus, zum Beispiel zu einem Brief, Bild oder Lied, das Sie an eine Person richten, die Ihre Reaktion erfahren sollte. Vielleicht Ihre Bundestagsabgeordnete, die Redaktion Ihrer Zeitung oder Freunde. Wichtig ist, dass Sie etwas mit Ihren Gefühlen tun, denn das ist ja ihre Aufgabe: im Wort „Emotion“ steckt das Wort „motio“, lateinisch für: Bewegung“.
Helga König: Was erhoffen Sie, beim Leser durch die Lektüre Ihres Buches zu bewirken?
Dr. Stephan Marks: Mit diesem Buch möchte ich dazu beitragen, dass die Leser mit der tagtäglichen Flut an Negativmeldungen so umzugehen lernen, dass sie – trotz alledem – Hoffnung schöpfen und sich in die Gestaltung einer gelingenden Zukunft einbringen.
Lieber Herr Dr. Marks, ich danke Ihnen für dieses aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König
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