Sehr geehrter Herr Berschneider, vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch „Wenn Macht krank macht“ rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen einige Fragen stellen.
Helga König: Sie sind, wie man dem Klappentext Ihres Buches entnehmen kann, ein gefragter Managementtrainer. Können Sie bitte erläutern, weshalb sich gerade in Führungspositionen so viele Narzissten tummeln?
Werner Berschneider |
Werner Berschneider: Narzissten bringen hervorragende Voraussetzungen für Führungspositionen mit: Sie sind engagiert, durchsetzungsstark, eloquent, stellen sich positiv dar, und viele können sehr charmant auftreten. Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet, streben sie sehr energisch eine Führungsposition an, um ihr grenzenloses Bedürfnis nach Anerkennung und Bewunderung stillen zu können.
Helga König: Wann ist Narzissmus noch gesund und wann wird er zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung?
Werner Berschneider: Mit der gesunden Dosis Narzissmus verfügt ein Mensch über genügend Selbstliebe, die nichts mit Selbstverliebtheit zu tun hat. Er schützt seine Selbstachtung und seine Würde, und er sorgt angemessen für sich selbst. Zur Störung wird das Phänomen, wenn der Narzisst und seine Mitmenschen leiden: Er leidet unter starken Schwankungen zwischen Gefühlen von Grandiosität und Minderwertigkeit, unter seiner Unfähigkeit zu Liebesbeziehungen und seiner unerfüllbaren Gier nach Bewunderung. Die Mitmenschen leiden unter seiner Lieblosigkeit, Arroganz und seinem ausbeuterischen Verhalten.
Helga König: Wie ist es möglich, dass ein überdurchschnittlich intelligenter Mensch glauben kann, „besonders“ und einzigartig zu sein, bedingt ein hohes Maß an Intelligenz nicht auch, dass man zur Selbstkritik fähig ist?
Werner Berschneider: Die Finanzkrise hat uns gelehrt: Gier frisst Hirn. Auch die Gier nach Bewunderung lässt hochintelligente Menschen völlig irrational handeln. Der Narzisst will mit allen Mitteln sein brüchiges Selbstwertgefühl stabilisieren oder ausbauen. Nur mit der irrealen Vorstellung eigener Großartigkeit schafft er das. Sowohl die Kritik anderer als auch Selbstkritik mindern sein Selbstwertgefühl und bedrohen ihn existenziell.
Helga König: Wodurch entwickelt ein dickhäutiger Narzisst, die Vorstellung alle ausbeuten zu können, wenn es um seine Vorteile geht?
Werner Berschneider: Er spürt überhaupt nicht, dass er ausbeuterisch handelt. Mit seinem Selbstbild von besonderer Wichtigkeit, Überlegenheit und Einzigartigkeit erlebt er seine überzogenen Ansprüche als gerechtfertigt. Eine umfassende Sonderbehandlung steht ihm in seiner Vorstellung zu.
Helga König: Wie entwickeln sich überbordende Arroganz und narzisstische Wut? Vor allem wie reagiert man, wenn ein Narzisst einen Wutanfall hat?
Werner Berschneider: Der Narzisst gerät in narzisstische Wut, wenn seine Bedürfnisse nach Anerkennung, Lob und Bewunderung nicht erfüllt werden. Wenn Menschen dies verweigern oder ihn gar kritisieren, erlebt er das als Verletzung und Demütigung seines grandiosen Selbst. Mit einem Wutanfall oder mit brutaler Rache glaubt er, die Schmach ungeschehen machen zu können. Wer Ziel einer Attacke wird, sollte möglichst ausweichen. Keinesfalls darf man sich auf Machtkämpfe einlassen oder gar den Narzissten zusätzlich kränken oder verletzen. Das kann im Extremfall Lebensgefahr auslösen.
Helga König: Sie schreiben, dass hypervigilante Narzissten dazu neigen, dann wenn sie sich gekränkt fühlen, den Kontakt zu einem Beziehungspartner abrupt abzubrechen und ihre Kränkbarkeit dazu einsetzen, andere zu dominieren. Wie verhält man sich, wenn man es mit einem solchen Menschen im Arbeitsleben zu tun hat?
Werner Berschneider: Der hypervigilante Narzisst leidet besonders unter seinem fragilen Selbstwertgefühl. Am besten helfen wir ihm, wenn wir ihm mit ehrlicher Wertschätzung begegnen und wirklich erbrachte Leistungen anerkennen. Spekulativ eingesetzte Bewunderung hingegen schadet und verstärkt das Krankheitsbild. Wenn der Narzisst trotz einfühlsamer Behandlung beleidigt reagiert, sollten wir das nicht persönlich nehmen und uns vor allem nicht emotional erpressen lassen. Den Anforderungen dieses Typus können wir nie ganz genügen.
Helga König: Können Sie in wenigen Worten erläutern, wie pathologischer Narzissmus entsteht?
Werner Berschneider: Die vier wichtigsten Ursachen sind: Glorifizierung und Vergötterung eines Kindes durch wichtige Bezugspersonen; Vernachlässigung, Verwahrlosung, Misshandlung; massive Demütigung und Beschämung; die Entwicklung eines „falschen Selbst“. Dies entwickelt sich, wenn ein Kind völlig übertrieben, oft sogar umfassend die Bedürfnisse seiner Eltern erfüllt und darüber sein wahres Selbst verloren geht.
Helga König: Was versteht man unter Logotherapie und kann man durch diese bei eingefleischten Narzissten Veränderungen bewirken?
Werner Berschneider: Logotherapie ist die sinnorientierte Gesprächstherapie von Viktor E. Frankl, die den „Willen zum Sinn“ eines Menschen in den Mittelpunkt stellt. Die Lebensführung eines gestörten Narzissten enthält viele sinnwidrige Anteile. Mit Hilfe des Sokratischen Dialogs kann der Narzisst zu eigenen Erkenntnissen geführt werden, wie er sein Leben in größerem Umfang sinnerfüllt umgestalten kann. Das ist der erste Schritt. Dann muss er angeleitet werden, neue Erfahrungen zu sammeln, etwa, wie es sich anfühlt, wertschätzend mit einem anderen Menschen zu sprechen. Wenn ihm diese neue Erfahrung unter die Haut geht, er diese mit einem Therapeuten reflektiert und nicht nur rational sondern auch emotional davon erzählt, besteht eine Chance zur Korrektur. Leicht ist so eine Veränderung für einen Narzissten nicht.
Helga König: Wie sollte man auf Unverschämtheiten von Narzissten reagieren?
Werner Berschneider: Wir müssen ihn souverän und entschieden in die Schranken weisen, damit er sein destruktives Verhalten nicht völlig unbekümmert weiterführt: konstruktive Konfrontation. Dazu müssen wir mit fester Stimme und aufrechter Haltung klare Regeln formulieren, wie wir behandelt werden wollen und was wir uns künftig nicht mehr bieten lassen werden.
Helga König: Können Sie ein praktisches Beispiel nennen, wie man es schafft, einen Narzissten auf Distanz zu halten?
Werner Berschneider: „Dumme Gans“, gehört durchaus zu den wiederkehrenden Angriffen, die ein Geschäftsführer seiner Stellvertreterin an den Kopf schleudert – auch vor Publikum. Nach einigem Training kann sie heute mit fester, etwas schärferer Stimme und sehr aufrechter Haltung entgegnen: „Aber nicht in diesem Ton!“ Meist wirkt diese Intervention sofort; wenn nicht, verlässt sie sein Büro oder den Besprechungsraum. Sie verzichtet auf Gegenaggression, Trotz oder gar Rache, macht aber sehr deutlich: Das akzeptiere ich nicht.
Lieber Herr Berschneider, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König
Link zur Website von Herrn Berschneider:http://www.f-und-a.com/team.php?link=berschneider
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Kostenfreies Foto aus dem Bestand von Werner Berschneider. Der Fotograf ist mir nicht bekannt.
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