Sehr geehrter Herr Schäfer, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Der Angriff" rezensiert. Hierzu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.
Helga König: Was hat Sie bewegt, sich jetzt so intensiv mit dem islamistischen Terror und seinen Folgen zu befassen, wo doch aktuell die Umbrüche in den südlichen Mittelmeerstaaten so im Vordergrund stehen?
Ulrich Schäfer: Die Idee dafür reicht schon drei Jahre zurück, bis zu meinem ersten Buch „Der Crash des Kapitalismus“. In meinem Erstlingswerk habe ich detailliert die Gründe der Wirtschafts- und Finanzkrise untersucht: die Spekulation, die Gier der Anleger, die unregulierten Finanzmärkte. Aber schon in jenem Buch erkläre ich in einem Unterkapitel, dass auch der 11. September 2001 entscheidend zur heutigen Krise mit beigetragen hat. Denn nach den Anschlägen senkte die US-Notenbank massiv ihre Zinsen und beförderte damit die Immobilienblase, und die US-Regierung erhöhte im Krieg gegen den Terror massiv ihre Schulden. Beides waren zentrale Gründe für die heutige Krise. Dieser Gedanke, dass es eine gewisse Verbindung zwischen 9/11 und der Weltfinanzkrise gibt, hat mich seither nicht mehr losgelassen.
Helga König: Sehen Sie direkte Verbindungen zwischen dem islamistischen Terror und der sogenannten Frühlingsrevolution?
Ulrich Schäfer: Eine direkte Verbindung nicht. Aber al-Kaida hat sich schon vor 15 Jahren zum Ziel gesetzt, die arabischen Despoten zu stürzen – nicht via Facebook und Twitter, wie in Tunesien oder Ägypten, sondern mit Waffengewalt. Der heutige al-Kaida-Chef Aiman al-Zawahiri, ein Ägypter, war über Jahrzehnte hinweg ein erbitterter Gegner von Hosni Mubarak. Al-Kaida wurde von dieser Revolution anfangs jedoch genauso überrascht wie der Westen. Inzwischen allerdings versuchen die Terroristen, diese Revolution zu kapern. Gerade in Libyen gibt es viele al-Kaida-Mitglieder unter den Rebellen, teils auch in zentralen Positionen. Die Gefahr ist groß, dass wir in Libyen eine ähnliche Entwicklung erleben wie nach dem Sturz von Saddam Hussein im Irak –mit Gewalt, Anarchie und vielen Terroranschlägen. Und der Jemen könnte sogar zur neuen Heimat von al-Kaida werden, zum neuen Afghanistan. Der Ableger dort gilt als der gefährlichste überhaupt.
Helga König: Ihr Quellenmaterial ist außerordentlich umfangreich. Hat es Schwierigkeiten gegeben an brisantes Informationsmaterial zu gelangen?
Ulrich Schäfer: Nein, überhaupt nicht. Denn das meiste, was ich zusammengetragen habe, stammt aus öffentlich zugänglichen Quellen, aus Büchern und dem Internet. Was mich bei meiner Recherche erschreckt hat, ist vor allem die Ignoranz im Westen. Die Führungsleute von al-Kaida, Osama bin-Laden, Aiman al-Zawahiri und andere, erklären seit vielen Jahren, dass sie vor allem die Wirtschaft des Westens zerstören wollen. Doch unsere Politiker, Sicherheitsbehörden und Medien haben dies weitestgehend ignoriert. Sie halten an dem falschen Bild fest, dass die islamistischen Terroristen vor allem einen Glaubenskrieg führen – tatsächlich betreiben sie aber einen Heiligen Wirtschaftskrieg. Die Terroristen wollen den Westen finanziell ausbluten, ihn in den Bankrott treiben und dadurch zwingen, sich als Schutzmacht der arabischen Regime zurückzuziehen. Dann, so glaubt al-Kaida, wird der Weg für die Errichtung eines islamischen Gottesstaats in der arabischen Welt.
Helga König: Die Thesen in Ihrem Buch klingen zum Teil niederschmetternd, welche Schlüsse sollte ihrer Meinung nach die westliche Staatengemeinschaft daraus ziehen?
Ulrich Schäfer: Der Westen muss sich bewusst machen, dass er al-Kaida allein mit dem Einsatz von Militär, Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten nicht wird besiegen können. Im Gegenteil: Wenn der Westen zu viele Kriege zugleich führt, um den Terror zu bekämpfen, wenn er dafür zuviel Geld ausgibt, befördert er genau jenen finanziellen Niedergang, den al-Kaida heraufbeschwören will. Stattdessen sollte der Westen seine militärischen Kräfte konzentrieren: Der Einsatz von Drohnen und Spezialkräften ist – wie Barack Obama vorführt – sehr viel billiger und sehr viel erfolgreicher im Kampf gegen al-Kaida als die teuren Kriege, die George W. Bush geführt hat. Zugleich ist es erforderlich, dass wir unseren Wohlstand besser vor dem Terror schützen. Wir sollten unsere militärischen Kräfte darauf konzentrieren, Handelswege und Handelzentren besser zu bewachen; wir sollten uns besser vor Cyberangriffen schützen; und wir sollten aber auch in jenen Staaten, in denen der Terror blüht, weit mehr für den wirtschaftlichen Aufbau tun, um der Radikalisierung den Boden zu entziehen.
Helga König: Wird Mitteleuropa einst ein ähnliches Schicksal erleben wie Argentinien, von einem der wohlhabendsten Länder zum Staatsbankrott?
Ulrich Schäfer: Das halte ich derzeit nicht für sehr wahrscheinlich. Jedenfalls dann nicht, wenn die Europäer sich weiterhin um einen gemeinsamen Kurs bemühen und darauf drängen, dass verschuldete Staaten ihre Finanzen entschlossen sanieren. Griechen, Portugiesen, Italiener: Sie alle haben harte Sparpakete beschlossen. Europa mag auf den ersten Blick zerstritten erscheinen – aber es geht bei Etatsanierung konsequenter vor als die Vereinigten Staaten. Die Frage ist: Wie reagieren die europäischen Politiker, wenn sie merken, dass ihnen der Rückhalt in der Bevölkerung verlorengeht? Lassen sie sich dann doch zu Maßnahmen hinreißen, die den Zusammenbruch einzelner Staaten zur Folge haben – oder gar das Ende des Euros? Und was geschieht, wenn es den amerikanischen Politiker beim nächsten Mal nicht gelingt, sich auf eine höhere Schuldengrenze zu verständigen? Dann könnten wir in der Tat eine gefährliche Zuspitzung der Krise erleben.
Helga König: Lässt sich die enorme Staatsverschuldung in den westlichen Nationen überhaupt noch auf normalen wirtschaftlichen Wegen zurückführen oder müssen wir über kurz oder lang mit einer Währungsreform rechnen?
Ulrich Schäfer: Eine Währungsreform brauchen wir nicht - aber den entschlossen Willen, wieder für mehr Wachstum zu sorgen. Denn das ist am Ende der einzige Weg, um diese riesige Staatsverschuldung abzutragen. Dass dies möglich ist und ein Staat auch Überschüsse erzielen kann, haben in der Vergangenheit viele Staaten bewiesen, europäische Staaten ebenso wie die USA. Sparen allein, so wie es die Europäer derzeit versuchen, wird jedenfalls nciht reichen. Im Gegenteil: Wenn wir allein darauf setzen, würden wir die Fehler aus der ersten Weltwirtschaftskrise wiederholen, als die eiserne Sparpolitik in Deutschland und anderswo geradewegs in die Rezession führte.
Helga König: Das Schicksal will es, dass es al Qaida gelingt mehrere ihrer angedachten Terroraktionen synchron umzusetzen. Wie wird die Welt dann aussehen?
Ulrich Schäfer: Dies ist die größte Sorge, die ich habe. Denn al-Kaida und andere islamistische Terrororganisationen haben dies in der Vergangenheit immer wieder versucht - nicht bloß am 11. September, sondern auch bei den Anschlägen in Madrid, London oder Mumbai. Als der Bundesinnenminister im November 2010 für Deutschland eine Terrorwarnung erließ, stand dahinter auch die Furcht, al-Kaida könne eine Attacke gegen das europäische Wirtschafts- und Finanzsystem verüben. Dies würde es erfordern, dass die Terroristen an mehreren Stellen zugleich zuschlagen. Man mag sich gar nicht vorstellen, was dies heißen mag. Aber schon in der Vergangenheit hat al-Kaida immer wieder Pläne für Anschläge gegen Banken, Börsen oder auch den Internationalen Währungsfonds geschmiedet. Es gab nach dem 11. September auch wiederholt den Plan, mehrere Flugzeuge zugleich in die Luft zu sprengen. Al-Kaida ist immer auch an einer möglichst großen medialen Wirkung interessiert, weil dadurch größtmöglicher Schrecken verbreitet wird.
Helga König: Ihre Kritiker sagen, Sie seien ein Schwarzseher mit Ihrem Buch. Was entgegnen Sie diesen?
Ulrich Schäfer: Ich sehe die Welt nicht schwarz, sondern analysiere sie nüchtern. Meine Thesen kommen ja nicht aus dem Nichts, sondern ich leite sie wohlbegründet aus einer Fülle von Quellen her. Natürlich muss al-Kaida sich nach den jüngsten Rückschlägen neu sortieren, es wurden zahlreiche Führungsfiguren getötet. Aber jenen, die behaupten, al-Kaida sei mit dem Tod von Osama bin Laden besiegt, halte ich entgegen: Auch die RAF und anderen Terrororganisationen haben eine zweite, eine dritte Generation an Terroristen hervorgebracht, die oftmals noch gefährlicher waren als ihre Vorgänger. Al-Kaida ist ja längst nicht mehr nur in Pakistan und Afghanistan zuhause, sondern auch im Jemen und in Somalia, in den Ländern des Maghreb und in Nigeria, aber eben auch in Europa und den USA. Die Terroristen haben einen sehr langen Atem, sie rechnen in Jahrzehnten, nicht in Wochen oder Monaten. Natürlich steckt hinter dem, was al-Kaida verlautbart, sehr viel Propaganda. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Auch hinter dem, was die USA im Kampf gegen den Terror verkünden, steckt sehr viel Propaganda. Mein Buch will einen Beitrag dazu leisten, die Propaganda beider Seiten besser einschätzen zu können.
Helga König: Haben Sie als Journalist eigentlich einen anderen Zugang zu brisanten Dokumenten oder sind Sie auch auf Spekulationen angewiesen?
Ulrich Schäfer: Die Spekulation überlasse ich jenen, die ihr Geld an der Börse verdienen wollen. Für mich zählen Fakten – und schlüssige Argumente. Fakten heißt: Ich checke meine Quellen und überprüfe genau, wie einzelne Aussagen zu bewerten. Das heißt nicht, dass ich als Journalist nicht auch mal falsch liege. Entscheidend für solch ein Buch, wie ich es geschrieben habe, ist aber in jedem Fall eine gründliche Recherche. Wie gründlich diese war, zeigt sich an meinem Quellenverzeichnis und den Fußnoten, die zusammen 30 Seiten umfassen – und das bei einem Buch, das kein wissenschaftliches Werk ist. Eine solch umfangreiches Quellenverzeichnis finden Sie in den meisten journalistischen Büchern nicht.
Helga König: Zum Abschluss bitte ich Sie sich hellseherisch zu äußern. Welchen Weg werden die islamischen Staaten in der Zukunft wahrscheinlich nehmen? Werden Sie sich zu Demokratien entwickeln oder wird es immer mehr Staatsformen wie im Iran geben?
Ulrich Schäfer: Das lässt sich nicht pauschal für alle Staaten gleich beantworten. Manche werden sich vielleicht zu halbwegs demokratischen Staaten wandeln, am ehesten Tunesien oder Ägypten. Aber selbst dort kann man nicht sicher voraussagen, ob dies gelingt – oder ob nicht am Ende doch das Militär oder die Islamisten nach der Macht greifen. Libyen und den Jemen habe ich bereits erwähnt: Da bin ich sehr skeptisch. In jedem Fall dürfen wir nicht den Fehler machen, den Wandel in der arabischen Welt eins zu eins mit dem Wandel in Mittel- und Osteuropa nach dem Fallder Mauer zu vergleichen. Die Strukturen und die Traditionen sind einfach anders - und die Gefahr des Scheiterns ist größer.
Lieber Herr Schäfer, ich danke Ihnen für dieses aufschlussreiche Gespräch.
Ihre Helga König
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