Sehr geehrter Dr. Mahrer, dieser Tage habe ich das Buch "Die Formeln der Macht", das Sie gemeinsam mit Dr. Harald Katzmair verfasst haben, rezensiert. Hierzu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.
Helga König: Wer Macht haben möchte benötigt Ressourcen und gut funktionierende Netzwerke, so Ihre These. Zu den Ressourcen zählen Sie finanzielle Mittel aber auch Ideen etc. Haben Geld und Ideen den gleichen Stellenwert als Ressource oder muss man dies von Fall zu Fall beurteilen und können Sie Beispiele dazu bilden, die den Sachverhalt in der Realität nachvollziehbar machen?
Dr. Harald Mahrer Foto: Privat |
Dr. Harald Mahrer: Der Stellenwert der Ressourcen ist natürlich vom jeweiligen Fall abhängig. Aber zweifelsfrei wird die Bedeutung von Visionen, Ideen und Werten unterschätzt. Man denke an den Wahlkampf von Barack Obama in den USA. Ihm ist es nur über eine kraftvolle Vision gelungen den etablierten Politikern, die über den Rückhalt der finanzkräftigen Lobbys verfügten den Kampf anzusagen. Seine Wahlkampfschatulle füllte er in der Folge durch die Spenden von Millionen Wählerinnen und Wählern, die von seiner Vision und seinen Ideen begeistert waren. Hier ist das Geld der Idee gefolgt.
Helga König: Es gibt politische Despoten, die ihre Macht durch die Militärs schützen lassen und in der Regel aufgrund dieser Maßnahmen letztlich immer scheitern. Was glauben Sie, weshalb eine auf Biegen und Brechen geschützte Macht letztlich immer zu Widerstand führt?
Dr. Harald Mahrer: Wer klare Ziele für seine Macht hat, die von vielen Menschen geteilt werden und daher mitgetragen werden, der braucht ja die Bürger, für die er da ist nicht zu fürchten. Wer Macht aber nur haben will, um an der Macht zu bleiben, sich zu bereichern, die Bevölkerung auszupressen, so wie wir es immer wieder in der Geschichte gesehen haben, der bedient sich oft des Militärs um seine "Schreckensherrschaft" aufrecht zu erhalten. Gerade bei den politischen Umbrüchen im Nahen Osten sehen wir, welchen Stellenwert das Militär in solchen Situationen hat. In Tunesien und Ägypten hat es eine Veränderung zugelassen. In Syrien steht es hinter dem jetzigen Regime. Entscheidend für Veränderungen ist immer, ob sich ein Teil der Elite einer Gesellschaft – und damit auch der Heeresführung – für einen neuen Kurs entscheidet. Dann ist Veränderung auch in despotischen Systemen möglich.
Helga König: Neigt Macht stets dazu, sich zu konzentrieren? Und wenn ja, was lässt sich dagegen frühzeitig unternehmen, damit keine verbrannte Erde zurückbleibt?
Dr. Harald Mahrer: Die Konzentration von Macht an der Spitze von Machtpyramiden kann theoretisch solange fortgeschrieben werden, solange sich die Macht ständig erneuert. Innovationen entstehen nicht im Zentrum der Macht sondern an deren Peripherie. Wenn die Machthabenden darauf schauen, dass sie neue Ideen, neue Motivation, neue Spieler in das Zentrum holen – und damit das Zentrum energetisch beleben, dann besteht erst gar nicht die Gefahr einer "verbrannten Erde".
Helga König: Sind Politiker auch in Demokratien letztlich von der Macht des Kapitals abhängig?
Dr. Harald Mahrer: Geld ist eine Ressource wie andere auch. Politiker brauchen Handlungsmacht, um gestalten zu können. Die Kombination aus Ressourcen und Beziehungen kann ihnen diese Handlungsmacht verleihen. Wenn also kein Kapital (Geld) zur Verfügung steht, um über Investitionen Veränderungen für die Zukunft möglich zu machen, dann besteht kein oder kaum Handlungsspielraum. Die heutigen Schuldenbudgets sind ein hervorragendes Beispiel für den Verlust von Handlungsmacht der Politik. Also es gibt sehr wohl einen Zusammenhang zwischen der Ressource Geld und der Macht der Politik. Außerdem wir die Ressource Geld für Wahlkämpfe benötigt und damit ergibt sich ein weiterer Zusammenhang. Und da Einkommen Geld bedeutet ergibt sich auch ein Zusammenhang über die Vergabe von Aufträgen oder das Vermitteln von Jobs und Positionen usw. Aber: Wenn man von Abhängigkeit spricht, dann muss man immer zuerst die wechselseitigen Machtbeziehungen einschätzen. Oft besteht zwischen Wirtschaft und Politik vielmehr eine wechselseitige Notwendigkeit für Zusammenarbeit, sogar für enge Kooperation. Man muss miteinander. Man kann gar nicht ohne einander. So verhält es sich auch mit Wirtschaft und Politik.
Helga König: Sie schreiben, dass derjenige, der keine Handlungsmacht besitzt, den Widrigkeiten der Zukunft schutzlos ausgeliefert ist. Deshalb auch sei die oberste Maxime der militärischen Führung für strategische Entscheidungen am Erhalt der Handlungsfreiheit orientiert. Was bedeutet dies für mittelständische Unternehmen?
Dr. Harald Mahrer: Handlungsfreiheit bedeutet Bewegungsfreiheit. Wer sich nicht mehr bewegen kann, nicht für die Zukunft rüsten kann, der ist ihr schutzlos ausgeliefert. Dies gilt für jede Organisation, jedes Unternehmen – auch für mittelständische Unternehmen. Für diese manifestiert sich die Handlungsfreiheit oftmals im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten relevante Zukunftsinvestitionen treffen zu können. In Zeiten sich verschärfender Kreditvergabevorschriften bei Banken kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Handlungsfreiheit der Kreditwerber aus dem Mittelstand haben.
Helga König:Wie sind für Sie Netzwerke gestaltet, die machtvergrößernd sind?
Dr. Harald Mahrer: Wenn es um mehr Macht geht, dann ist damit immer eine Frage verbunden: Wofür mehr Macht? Wenn es klare Ziele gibt, dann reflektiert das Wachstum des Netzwerkes natürlich darauf diese Ziele auch zu erreichen. Da Innovation und Kreativität, die Treiber für Veränderung und Zukunftsfähigkeit von Systemen immer am Rand von Systemen bzw. an der Peripherie entstehen ist es entscheidend, diese Peripherie zu pflegen, sie lebensfähig zu halten und immer wieder von dort "neue Energie" in das Zentrum zu holen. Das frischt das Zentrum auf, macht es entwicklungs- und widerstandsfähig und lässt die Macht auch wachsen. Dafür muss es ein interessantes "Angebot" vom Rand für das Zentrum geben. Und die Bereitschaft des Zentrums, dieses auch nachzufragen. Also eine Form wechselseitiger Attraktivität.
Helga König: Weshalb taugen soziale Netzwerke nicht dazu, Bestandteil der Machtformel zu werden?
Dr. Harald Mahrer: Soziale Netzwerke wie Facebook, Xing, studiVZ oder MySpace unterliegen grundlegenden Irrtümern hinsichtlich der Funktionslogik mächtiger Netzwerke. Während in diesen nämlich gilt, dass jene, die in Beziehungen investieren, auch die Erträge in Form von "Gelegenheiten", "Zugängen", etc. ernten, sind in den sozialen Netzwerken jene, die investieren, nicht dieselben, die von den Erträgen profitieren. Mit anderen Worten: Es geht um die Input-Output-Relation. Entscheidend ist, dass die Energie, die sich in Netzwerken – auch in den Netzwerken der digitalen Welt – ansammelt auch in der Folge zielgerichtet eingesetzt werden kann. Den sozialen Netzwerken fehlt es aber derzeit an Transformations- und Repräsentationsmechanismen in die reale Welt. Ein Beispiel: Wie können das Wissen, die Erfahrung und die Überzeugungen von tausenden Facebook-Usern in ein Gesetz gegossen werden? Über Modelle neuer digitaler Bürgerbeteiligungsmodelle wird jedoch seit Jahren mehr als nur nachgedacht; sie werden auch schon mehr und mehr auf den unterschiedlichsten Ebenen eingesetzt. Vielleicht schließen sie die Lücke zwischen der realen und der virtuellen Welt der digitalen sozialen Netzwerke.
Helga König: Inwiefern ist die Selbstdarstellung in Bezug auf den Aufstieg in einem Netzwerk wichtig? Können Sie die eventuelle Notwendigkeit an einem Beispiel aufzeigen?
Dr. Harald Mahrer: Es geht nicht um die Selbstdarstellung per se sondern um ein Angebot, das man einem Netzwerk machen kann. Hat jemand bestimmte Ressourcen (Ideen, Talente, Fertigkeiten, Wissen, Geld, …) oder Beziehungen (Zugänge, neue Netzwerke, Bekanntschaften, …) die für ein Netzwerk attraktiv sind, dann muss dies ja irgendwie erkannt werden. Wenn niemand das Angebot erkennt, dann nutzt es nichts, wenn es auch noch so interessant wäre.
Helga König: Das Zauberwort der Stunde heißt Resilienz? Was verstehen Sie darunter? Hat man nicht in allen Zeiten genau diese Fähigkeit benötigt, um bei schwerem Sturm Kurs zu halten?
Dr. Harald Mahrer: Resilienz bedeutet das Vermögen auch auf Unvorhergesehenes machtvoll reagieren zu können. Egal, ob als Staat, als Unternehmen oder als Individuum. Denn wir wissen nicht, was in der immer komplexer werdenden Welt auf uns zukommen wird. Dies bedeutet zum Teil sehr unterschiedliche Ressourcen für den Fall der Fälle vorzuhalten. Oder mit andern Worten: Nicht alles auf eine Karte zu setzen. Und ja, Resilienz ist eine Eigenschaft, die im Lauf der Geschichte immer von Vorteil war. Derzeit dominiert jedoch ein Effizienzdenken in unseren Gesellschaften, das eher Monokulturen fördert, statt Resilienz und damit Pluralismus und differenzierte Problemlösungsansätze. Daher plädieren wir auch für ein viel stärker ausgeprägtes "sowohl-als auch-Denken" im Gegensatz zum derzeit vorherrschenden "entweder-oder-Denken".
Helga König: Eine Ihrer Thesen lautet, dass die Macht der Zukunft noch mehr denn je durch die Software-Industrie definiert wird. Das wird die Finanzindustrie nicht freuen. Wie wird diese Zukunft nach Ihrer Sicht aussehen?
Dr. Harald Mahrer: Für die Weiterentwicklung unserer Welt wird die Energiefrage – verbunden mit der Umweltfrage – eine der Kernfragen der Zukunft sein. Gerade die Software-Industrie und ihre Produkte und Dienstleistungen sind heute für das gigantische Wachstum des Energiekonsums zentral mitverantwortlich. Damit zeigen sich ganz automatisch die Bruchlinien der Macht der Zukunft: Energie – Software – Finanzsektor. Woher kommen die Ressourcen, wer verarbeitet die Ressourcen, wer finanziert die Ressourcen? Wir glauben, dass diese Machtnetzwerke für unsere Zukunft bestimmend sind.
Lieber Herr Dr. Mahrer, ich danke Ihnen für dieses aufschlussreiche Interview.
Beste Grüße Helga König
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