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Helga König im Gespräch mit Raimund H. Drommel

Sehr geehrter Herr Drommel, vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch "Der Code des Bösen" rezensiert und möchte Ihnen hierzu heute einige Fragen stellen.

Helga König: Ihr Buch habe ich mit großem Interesse gelesen, nicht zuletzt weil ich seit 4 ½ Jahren von einer Person im Internet gemobbt werde, die dort unter verschiedenen Pseudonymen agiert und allabendlich zwischen 18-19 Uhr Massenabklicks im Sekundentakt auf meine dort verfassten Rezensionen setzt, sowie mit einer ungeheuren Energie täglich gegen mich verbal zu Felde zieht. Durch Ihr Buch ist mir klar geworden, dass es sich bei den anonymen Personen, die mir immer wieder auch gefakte Mails schreiben, um mit mir Kontakt aufzunehmen, stets nur um eine Person handelt. Natürlich bin ich kein ausgebildeter Sprachprofiler, aber Ihre Erklärungen haben mir verdeutlicht, dass diese Person eine Frau sein muss. Wieso agieren Frauen sprachlich weitaus aggressiver als Männer und weshalb haben Frauen mehr Ausdauer beim Mobben?


Raimund H. Drommel
Foto: © Kay Blaschke
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 Raimund H. Drommel: Ja, das entspricht meinen Erfahrungen zu dem bekannten Tatmuster, bei dem eine einzige Person unter multiplen Namen E-Mail-Angriffe gegen wiederum ein einziges Opfer durchführt. In Ihrem Fall ist z.B. das Zeitfenster der Aktionen zwischen 18:00 und 19:00 Uhr schon ein erstes relevantes Merkmal. Die Causa Niggemeier (Anfang 2011) ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch einigen Lesern, besonders Kölnern, in Erinnerung. Stefan Niggemeier verdächtigte den Verlegersohn Konstantin Neven DuMont, unter mehr als 80 Synonymen hunderte von Kommentaren in Niggemeiers Blog geschrieben zu haben. Ganze Debattenstränge habe DuMont möglicherweise mit sich selbst geführt.

Nun aber zu Ihrer ersten Frage, die so interessant ist, dass ich ihr in Zukunft gerne noch intensiver nachgehen möchte. Zunächst einmal hat mich dieser Befund selbst überrascht, hätte ich dies doch vor 30 Jahren so nicht vermutet. Die Wirklichkeit ist manchmal anders, als wir sie uns vorstellen. Natürlich wissen wir schon aus den Sprachleistungstests mit Schülern aus den 70-er Jahren, etwa durch die Ergebnisse des Allgemeinen Deutschen Sprachtests (ADST), also lange vor den PISA-Studien, dass bereits Mädchen grundsätzlich bessere sprachliche Leistungen erbringen als Jungen. Diese Leistungen waren, etwa neben einer im Allgemeinen größeren Kreativität, ebenfalls durch etwas geprägt, was man dann später als „Emotionale Intelligenz“ bezeichnete. Auch zeigten die Mädchen mehr Ausdauer bei ihren kommunikativen Leistungen und bei ihren sprachlichen Produktionen.


Für die größere verbale Aggressivität habe ich jedoch nur eine vorläufige, eine zugegebenermaßen unfertige Erklärung. Frauen können, wenn sie hassen, grundsätzlich nicht die gleiche physische Gewalt ausüben wie Männer. Erst recht nicht gegenüber Männern. Deshalb nutzen sie die Sprache als Ausdruck ihrer Aggressivität (Kompensationsprinzip). Die größere verbale Härte ist in der Tat das für mich überraschendste Ergebnis zum geschlechtsspezifischen Sprachgebrauch.

Die größere Ausdauer beim Mobben ist dann wohl wieder etwas leichter erklären. Für Frauen ist zunächst einmal Beziehungskommunikation im Prinzip viel wichtiger als für Männer, und zwar im Guten wie im Bösen. Hass und Unversöhnlichkeit können bei Männern zwar auch sehr lange andauern, aber das Interesse, Hass auch über längere Zeit auch aktiv zu leben, zu praktizieren und zu kommunizieren, lässt dann doch eher nach als bei Frauen. 


Helga König:  Was kann man tun, wenn man mit einem solch destruktiven Menschen zu tun hat, der sich im Internet durch „verschwurbelte“ IP Adressen und Multiaccounts schwer greifen lässt? Macht es Sinn in solch einem Fall einen Sprachprofiler zu kontaktieren, um erst einmal sicher zu gehen, ob es sich um eine Person handelt?

Raimund H. Drommel: Ich denke, dass macht auf jeden Fall Sinn. Ich habe kürzlich einen Fall abgeschlossen, bei dem ein Unternehmer-Ehepaar vom Herbst 2007 bis Ende 2010 durch 18 anonyme Briefe gemobbt wurde. Es stellte sich heraus, dass drei Frauen („Hexen“) verschiedenen Alters und ein Mann die Autoren dieser Schmäh-Serie waren. Von allen vier Personen fertigte ich Profile an, die dann wieder genaue Hinweise lieferten, wo nach diesen Personen zu suchen war.

Häufiger aber gehen solche Aktionen von maximal zwei oder auch nur von einer einzigen Person aus (siehe Frage 1). Bei einer Serie solch destruktiver Forenbeiträge, Blogs, E-Mails usw. lässt sich dann ein weitgehend verlässliches und aussagefähiges Persönlichkeits- und Autorenprofil erstellen.

Helga König: Welche Gemeinsamkeit in ihrer Persönlichkeit haben so genannte Heckenschützen?


Raimund H. Drommel
Foto: © Kay Blaschke
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Raimund H. Drommel:  Ich teile nicht die Meinung mancher Experten, dass grundsätzlich jede und jeder zum Heckenschützen werden kann. Die Neigung, andere Menschen aus dem scheinbare Sicherheit vermittelnden Dunkel der Anonymität zu attackieren, ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das all diese TäterInnen verbindet. Mit „offenem Visier“ zu kämpfen, ist ihre Sache ab einem bestimmten Schweregrad der Anschuldigung, der Schmähung oder der Drohung nicht. Das Bestreben, Macht über und auf andere auszuüben, sie zu demütigen, bis hin zu einem gerüttelt Maß an Sadismus, all das kann dabei eine wesentliche Rolle spielen.

Kreativ und konstruktiv orientierte Menschen und Menschen, die in sich selbst ruhen, sind es eher nicht. Es sind grundsätzlich unzufriedene Menschen, unzufrieden mit ihrem Privatleben und/oder ihrer beruflichen Situation, die zu Heckenschützen werden. Menschen, die begeistert leben und durch Familie und/oder Beruf voll ausgefüllt sind, werden kaum zu anonymen Angreifern. Auch ein interessantes Hobby, so banal es klingen mag, lässt oft wenig Raum für anonyme Attacken in Serie. Die Heckenschützen treten meistens auch unter ihrem realen Namen häufiger kommunikativ in Erscheinung als der Durchschnitt der Sprachbenutzer, sie sind also eher Vielschreiber. - Aber bitte Vorsicht: Nicht jeder, der sich häufig beschwert, und auch nicht jeder Querulant muss auch automatisch ein anonymer Angreifer sein. Das müssen vor allem auch Unternehmen lernen.

Helga König:  Ist es Ihnen möglich, mittels einer computerbasierten Konkordanzanalyse stets festzustellen, ob einzelne, nicht klar zuordenbare Texte von einer Person stammen und falls ja, wie funktioniert das?

Raimund H. Drommel: Zu behaupten, dass mir dies stets und ausnahmslos gelänge, wäre angesichts der Unschärfe sprachlicher Produktionen zu vermessen. Aber in über 90 % der Fälle ist es mir tatsächlich möglich. Dabei ist die computerbasierte Konkordanzanalyse ein wichtiges Programm aus dem großen Repertoire qualitativer und quantitativer Textanalyse-Software, aber natürlich nicht das einzige technische Hilfsmittel.

Ich untersuche fragliche Texte stets auf drei Ebenen: als Sprachwissenschaftler, als Psychologe und als Kriminalist. Wenn ich auf einer Ebene nicht weiterkomme, wechsele ich die Ebene. In meinem in Kürze erscheinenden Buch „Sprachwissenschaftliche Kriminalistik“ (= GLM 30, siehe Ende dieses Interviews) schreibe ich:

„Die Vielfältigkeit der Spracherzeugung erfordert verschiedene und differenzierte Zugriffsweisen. Ein urheberstreitiger Text ist wie ein Objekt in einem mehrdimensionalen Raum. Je mehr Perspektiven man ihm gegenüber einnimmt, desto mehr wird man über es erfahren.

Sprachkriminalistik muss daher offen und interdisziplinär sein. Im Idealfall kommen Kombinationsverfahren und vernetzte Zugriffsweisen aus den Bereichen

- qualitative Linguistik (Systemlinguistik)
- quantitative Linguistik (Sprachstatistik)
- Neurolinguistisches Programmieren (NLP) (u. a. Submodalitäten
(Wahrnehmungssysteme) /Metaprogramme)
- Motivationspsychologie
- Kommunikationspsychologie und 
- Kriminalistik/Kriminologie 

zum Einsatz. Schmalspur- oder Einspur-Methodik führt nicht zum Ziel. Das Festhalten an Schubladen schafft Scheuklappen. Folglich sind für die Forensische Linguistik alle Schulen, alle Methoden, alle neuen Konzepte und Ansätze, Software-Entwicklungen eingeschlossen, zu nutzen und zu prüfen. So mag es nicht verwundern, dass die Sprachwissenschaftliche Kriminalistik ein sehr breites Spektrum abdeckt. So vermag ich mir kaum etwas in höherem Maße Verschiedenartiges vorzustellen als das Erfassen der Wort- oder Satzlängen eines Textes eines Menschen (Stilometrie) und die Verfahren, die auf die ‚Software‘ im Gehirn dieses Menschen zugreifen (Psycholinguistik).“


Die zunächst nicht klar zuordenbaren Texte werden also mit den verschiedenen Methoden geprüft. Führt etwa die rein sprachwissenschaftliche Analyse quantitativer oder qualitativer Art nicht zum Erfolg, dann hilft vielleicht ein Zugang mit NLP, der das Sprachverhaltensmuster, das diesem fraglichen Text zu Grunde liegt, identifiziert, oder ein motivationspsychologischer Ansatz, der etwa ein übersteigertes Streben nach Sozialer Anerkennung aus diesem Text extrahiert.  

Helga König: Was veranlasst einen Mobber unter diversen Accounts sein Unwesen zu treiben? Sind es Machtallüren und wenn ja, kann man diese sprachlich in dessen Texten nachvollziehen?

Raimund H. Drommel: Hierzu habe ich in meiner Antwort auf Frage 3 schon Einiges vorweg genommen. Macht auf andere auszuüben, andere zu demütigen, sie im weltweiten Netz an den Pranger zu stellen, Lustgewinn durch Verletzung anderer zu erlangen, sich der Leidenschaft hinzugeben, anderen Leid zu schaffen (Sadismus) – uns werden sicher noch viele Umschreibungen dieser Motivation und dieses Hauptmotivs einfallen. Besonders wichtig scheint mir folgender Hinweis: Teil des Mobbing-/Stalking-Konzeptes von Heckenschützen ist es meistens, sich an den Reaktionen der Opfer zu weiden. Deshalb sind die TäterInnen ihren Opfern oft räumlich oder kommunikativ näher, als man zunächst denkt – wie bei den gefakten Anthrax-Briefen (gefüllt mit Puderzucker, Mehl oder Thalkum) auch in Deutschland nach dem 11. September 2001. Mit „kommunikativer Nähe“ meine ich übrigens die Möglichkeit der MobberInnen, über einen Kommunikaktionskanal Zugang zu den Reaktionen des Opfers, also zu den Auswirkungen der Schädigungen zu haben und diese auszukosten. Damit wären wir auch wieder bei den „Machtallüren“.

Sprachlich stellen sich diese Personen meistens als den Opfern vermeintlich überlegen dar. Auch ein hoher Neidfaktor ist häufig, zumindest indirekt, aus diesen Texten herauszulesen. 



Helga König: Aufgrund ihrer Sprachanalysen gelangen Sie ja stets zu einem zielführenden Persönlichkeitsbild des Täters, was dazu führt, dass er letztlich überführt werden kann. Wie kann im Internet vorgegangen werden, wenn erst einmal der Täter eingekreist ist, wie kann man seiner habhaft werden, wenn er mittels verschwurbelter IP Adressen möglicherweise von Internetcafes agiert? Funktioniert es in diesem Falle nur, wenn man letztlich auch im Besitz von Texten ist ,die diese Person unter ihrem realen Namen verfasst hat?

Raimund H. Drommel: Leider ja. Wenn der Täter sprachlich eingekreist ist, lässt sich anhand des Täterprofils ein Ermittlungs- oder Fahndungsansatz erarbeiten. Ist der Täter IT-Spezialist, nutzt er die Dienstleistung einer (etwa im Ausland gehosteten) anonymen Plattform oder geht er einen der von Ihnen angedeuteten Wege, ist seine Identifizierung sehr schwer bis unmöglich. So etwa bei dem Urheber der gefälschten „Amoklauf-Androhung“ von Winnenden, der mir vor einiger Zeit noch eine hübsche anonyme Mail mit folgendem Inhalt geschickt hat:

-----Original-Nachricht-----
Subject: schlechte Argumentation
Date: Sat, 19 Feb 2011 03:45:33 +0100
"Dabei kann die Anfertigung eines Autorenprofils für einen Fahndungsansatz sinnvoll sein."
Fahndung?
Unter Fahndung versteht man allgemein Suche nach Personen, die Straftaten begangen haben oder Straftaten verdächtigt werden.
Wo ist hier die Straftat?


Auf der anderen Seite handelt es sich ja meist um Beziehungstaten, so dass nicht ‚die ganze Welt‘ als Grundgesamtheit für einen Verdächtigenkreis in Frage kommt. Daher lassen sich durch Analyse der Zeitspanne vor Beginn der Mobbingserie Berührungspunkte oder Schnittstellen des Opfers zu bestimmten Personen konstruieren lässt sich bei Beziehungstaten mit kriminalpsychologischen Mitteln in Verbindung mit dem Autorenprofil oft sehr schnell ein Verdächtigenkreis konstruieren, und es lassen sich dann häufig auch Vergleichstexte der Person beschaffen, die diese Person unter ihrem Real-Namen verfasst hat. Die Ausgangsfrage des Profilers und Kriminalisten ist dabei: Welchen Reiz- oder Angriffspunkt könnte ich vor Beginn dieser Angriffe für diese Person gesetzt haben? Habe ich bei meinem Verhalten und Handeln im Internet vielleicht irgendetwas anders gemacht als sonst? 
Helga König: Welcher Ihrer im Buch geschilderten Fälle war für Sie der schwierigste und weshalb?


Raimund H. Drommel
Foto: © Kay Blaschke
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Raimund H. Drommel : Das sog. „Barschel-Brief-Verfahren“ im Zusammenhang mit der Barschel-Affäre.


Gründe:
-           In der Vor-Windows-Ära war umfangreiches Textmaterial zu bearbeiten, dabei aber viele Reden, die mit Vorsicht zu behandeln waren (s. Redenschreiber), handgeschriebene persönliche Briefe waren besonders analyserelevant, jedoch teils sehr schwer zu entziffern. Alles musste in sehr kurzer Zeit komplett abgetippt, in den Rechner eingegeben und dann sowohl mit verschiedener Textvergleichs-Software als auch mit Sachverstand analysiert werden. Freya Barschel und das NDR-Magazin „Panorama“ warteten auf die Ergebnisse
-           Anfeindungen durch die CDU und durch die damalige Bundesregierung sowie durch die Sicherheitsbehörden und die maßgeblichen meinungsbildenden Medien
-           Einschüchterungsversuche – auch Morddrohungen – mir gegenüber und vermutlich auch ein Mordversuch
-           mögliche ZeugInnen wurden mit Zuckerbrot (Geld) und Peitsche (Drohungen) ruhig gestellt und verschiedene meiner ‚Weggefährten‘ wurden bei ihren Aufklärungsbemühungen jäh gestoppt oder sie starben gar eines sonderbaren Todes
-           die Barschel-Affäre wird wohl nie aufgeklärt werden, weil höchste politische Kreise und die Ermittlungsbehörden das nie wollten und bis heute nicht wünschen; die Staatsanwaltschaften in Deutschland hängen am Tropf der Justizministerien; deshalb wurde OStA Wille ebenfalls ‚zurückgepfiffen‘.

Im Übrigen vermag ich, bei aller Selbstkritik, die Amazon-Rezension von Josel (München) überhaupt nicht nachzuvollziehen. Josel meint, in meinem Barschel-Kapitel werde nichts Neues berichtet. Dabei trage ich einerseits vor und belege an bisher noch unveröffentlichten Beispielen, warum der Barschel-Brief an Stoltenberg sprachlich echt ist, und ich zeige andererseits, dass und wie durch Sprachprofiling einer der mutmaßlichen Barschel-Mörder identifiziert werden kann.


Zweifeln ist eine Eigenschaft intelligenter Menschen. All jene, die mehr über den theoretischen Hintergrund des Sprachprofilings erfahren mögen und auch vor der Lektüre fachwissenschaftlicher Erörterungen nicht zurückschrecken, seien auf mein in Kürze erscheinendes Buch „Sprachwissenschaftliche Kriminalistik“ (= Grazer Linguistische Beiträge, GLM), Band 30, ca. 200 Seiten, verwiesen. All jene, die neben meinen zahlreichen gelösten Kriminalfällen ein praktisches Beispiel für die Effizienz des Sprachprofilings aus einem ganz anderen Bereich erleben möchten, mögen sich das Galileo-Video zur „Paarforschung“ vom 2011 Januar anschauen:

Lieber Herr Drommel, herzlichen Dank für das aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König.


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