Lieber Prof. Dr. André Niedostadek kürzlich habe ich Ihr Buch "Glücksorte im Harz" rezensiert und möchte deshalb einige Fragen an Sie richten.
Anbei der Link zur Rezension: "Glücksorte im Harz"
Helga König: Können Sie unseren Lesern kurz erklären, was in Ihren Augen einen "Glücksort" auszeichnet?
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Prof. Dr. André Niedostadek: Kurz? Okay, wie lange haben wir Zeit? Nein, im Ernst: Schon das Glück kurz und knackig zu beschreiben fällt nicht leicht. Bei einem Glücksort ist das nicht viel einfacher. Für das Buch "Glücksorte im Harz" habe ich insgesamt 80 Orte zusammengetragen. Als Quintessenz hat sich gezeigt, dass sich ein Glücksort immer durch das gewisse Etwas auszeichnet. Und das kann sich auf vielfältige Weise zeigen. Oft hat ein solcher Ort etwas mit unserem eigenen Leben zu tun. Etwa, wenn wir etwas erleben. Oder wenn wir Erinnerungen aufleben lassen können. In beiden Begriffen steckt ja bereits das Wort "leben". Man kann einen Ort übrigens sehr leicht in einen Glücksort verwandeln. Ihr Blog dreht sich ja auch um Kultur und Lifestyle. Ein gutes Glas Wein in passender Begleitung – wer wollte nicht sagen, dass das man sich an einem Glücksort befindet? Wenn man ein paar Punkte beachtet, dann kann man sich tatsächlich sehr leicht kleine Oasen des Glücks schaffen.
Helga König |
Helga König: Heinrich Heine hat in seinem Reisebericht "Harzreise" die Landschaft dort als sehr romantisch beschrieben. Seither sind fast 200 Jahre vergangen. Doch Ihre Beschreibungen deuten darauf hin, dass die Gegend noch immer nichts an Romantik verloren hat. So schreiben Sie u.a. vom "Liebesbankweg rund um den Blocksberg". Was macht das romantische Flair dort konkret aus?
Prof. Dr. André Niedostadek: Ach, der Liebesbankweg. Klingt nicht schon der Name irgendwie verheißungsvoll? Heute schwingt beim Begriff Romantik oft so etwas Verklärtes oder vielleicht sogar Gefühlsduseliges mit. Das hatte Heine aber ganz sicher nicht im Sinn. Ursprünglich waren mit der Romantik andere Aspekte verbunden, etwa die Naturverbundenheit und das Seelenleben. Gerade mit Blick darauf hat der #Liebesbankweg viel zu bieten. Beispielsweise jede Menge unausgesprochene Einladungen. Das erschöpft sich nicht darin, mal in trauter Zweisamkeit hier Halt zu machen. Wie wäre es, sich auf das Abenteuer einzulassen, den Gedanken frei nachzuhängen und dabei die Seele aufleben lassen. Einfach mal nachempfinden, welche Assoziationen sich so einstellen. Die unterschiedlich gestalteten Bänke liefern viel Inspiration. So wie beispielsweise die den venezianischen Gondeln nachempfundenen Bänke. Die landschaftlich reizvolle Umgebung tut dabei ihr Übriges. Der Liebesbankweg ist übrigens nicht nur etwas für Pärchen. Auch solo kann er ganz wunderbar sein.
Helga König: Sie waren bei Ihren Touren zumeist mit dem Motorrad unterwegs, haben sich also rascher bewegt als Heinrich Heine. Spielt die Geschwindigkeit beim Wahrnehmen dessen, was man im Harz sieht, nach Ihrer Ansicht eine große Rolle bzw. wird man durch sie eventuell zielorientierter?
Prof. Dr. André Niedostadek: Keine Frage, mit dem Motorrad unterwegs zu sein, hat wirklich seinen Reiz. Sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, das alleine hält schon bei Laune und kann, nebenbei bemerkt, glücklich machen. Ich fahre seit Jahren dasselbe Tourenmotorrad. Da steht die Schnelligkeit ohnehin nicht im Mittelpunkt. Um Gegenden wirklich wahrnehmen zu können, ist Geschwindigkeit vielleicht sogar hinderlich. Da wäre eine Portion Entschleunigung sicher besser. Ich glaube auch nicht, dass man durch eine schnelle Art des Reisens zielorientierter wird.
Eines lernt man beim Motorradfahren allerdings: Entscheidungen zu treffen. Stößt man etwa spontan auf etwas Interessantes, gilt es schnell abzuwägen: Ein Zwischenhalt oder doch weiterfahren? Die Entscheidung muss man gegebenenfalls zügig treffen. Oder umkehren.
Was ich außerdem vor Jahren schon bemerkt habe: Mit dem Motorrad unterwegs zu sein, beflügelt meine Phantasie. Das klingt einerseits ganz nett, hat aber eine nicht zu unterschätzende Kehrseite. Ich finde es nämlich wirklich bedauerlich, die ganzen Gedanken, Einfälle und Ideen, die sich beim Fahren spontan einstellen, nicht sogleich festhalten zu können. Jedes Mal am Straßenrand Halt zu machen, ist keine wirkliche Lösung. Hier und da versuche ich es mit Eselsbrücken und hoffe, später alles wieder zusammensetzen zu können. Das klappt aber leider nicht immer. Schließlich gilt es ja noch den Verkehr im Blick zu behalten.
Helga König: Es gibt Orte, die in Ihrem Reisebuch häufiger genannt werden als andere, so etwa Goslar oder Wernigerode. Gibt es hierfür Gründe?
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Prof. Dr. André Niedostadek: Das ist schnell erklärt. Die genannten Orte sind tatsächlich die touristischen Hotspots. Quedlinburg gehört übrigens auch dazu. Wer diese Städte besucht, bleibt oft für mehrere Tage. Hier war es einfach das Anliegen, solchen Leserinnen und Lesern, eine größere Auswahl zu bieten.
Helga König: Mit Heinrich Heine gemeinsam haben Sie, auch über lukullische Reiseeindrücke zu berichten. Schreibt er von einem "Kalbsbraten, so groß wie der Chimborasso in Miniatur", so schreiben Sie vom "Burgerglück" in Goslar, das man in einer kleinen Manufaktur dort in Erfahrung bringen kann. Es ist nicht die einzige kulinarische Manufaktur über die Sie schreiben. Sind solche Manufakturen ein Teil des Glücks, das man im Harz noch erleben kann und sollten diese an sich schon Grund genug für Genussmenschen sein, diese idyllische Gegend zu besuchen?
Prof. Dr. André Niedostadek: Sich wieder auf regionale Produkte und kleine Genussinseln zu besinnen, ist ja etwas, das man an vielen Orten findet. Und natürlich kann man in dieser Hinsicht hier im Harz ebenfalls eine ganze Menge an Kreativität entdecken. Angefangen bei kleinen Manufakturen bis hin zur Sterneküche. Von Schokolade bis Senf, von leicht bis deftig, es wäre überhaupt kein Problem gewesen, ein ganzes Buch allein zum Thema !Glück & Genuss" zu schreiben. Selbst Trauben werden dort geerntet und Wein gekeltert! Beim Genuss werden gleich mehrere Sinne angesprochen. Ja, so gesehen bietet der Harz auf jeden Fall eine ganz großartige Gegend für Genießer.
Helga König |
Helga König: Die UNESCO-Stadt Quedlinburg mit ihren 1200 Fachwerkhäusern taucht in drei Textbeiträgen bei Ihnen auf. Im "Café Frau Schnittchen" haben Sie süße Leckereien verkostet und die Idylle dort begeistert beschrieben. Wie wirken die Fachwerkhäuser auf den Betrachter, die man beim Naschen von Macarons bewundern kann?
Prof. Dr. André Niedostadek: Als ich zum ersten Mal die Macarons im Café Frau Schnittchen kosten konnte, hatte ich wirklich Glück: Ein strahlender Sommertag lud dazu ein, draußen ein Plätzchen zu suchen. Und als ich dann diese kleinen, bunten, handwerklichen Meisterwerke auf dem Teller hatte, dachte ich gleich: Wow! Was für eine Umgebung!
Das Café Frau Schnittchen liegt abseits der typischen Ameisenstraße unterhalb des Quedlinburger Schlosses. Etwas versteckt in einer von bunten Fachwerk gesäumten Gasse. Farben auf dem Teller und Farben um sich herum. Einfach ein wunderbares Ambiente. Fachwerk gibt es im Harz reichlich. Die Stadt Stolberg ist ebenfalls bekannt dafür. Aber speziell hier mit den Macarons in der Hand weckt die Fachwerkarchitektur wiederum Assoziationen. Alles wirkt noch etwas unmittelbarer. Jedes Haus strahlt etwas Individuelles aus. Schon spannend, was so ein Baisergebäck alles auszulösen vermag. Alain de Botton hat dem Zusammenspiel von Glück und Architektur mal ein ganzes Buch gewidmet. Apropos, vielleicht noch ein kleiner Tipp am Rande: Dieses Jahr feiert man ja 100 Jahre Bauhaus. Da sei das ehemalige Erzbergwerk Rammelsberg in Goslar empfohlen. Auch Bauhaus und seit 1992 UNESCO-Weltkulturerbe. Einfach mal auf sich wirken lassen.
Helga König: Welche Art von Glückgefühlen lösen Begriffe wie "Hexentanzplatz", "Teufelsmühle" und "Teufelsmauer" bei Ihnen aus?
Prof. Dr. André Niedostadek: Offen gestanden gar keine. Es sind nicht die Begriffe selbst die Glücksgefühle auslösen. Allem das Etikett "Hexen" oder "Teufel" aufzudrücken geht mir persönlich manchmal sogar etwas zu weit. Klar, man bedient sich damit hier im Harz natürlich ein bisschen eines Klischees und spielt auch damit. Aber die Teufelsmauer macht keineswegs deshalb glücklich, weil sie diesen Namen trägt. Dort ist einfach die Macht der Natur, die einen staunen lässt. Auch die Teufelsmühle würde glücklich machen, wenn sie nicht so hieße. Und der Hexentanzplatz ist sowieso eine Kategorie für sich. Je mehr ich aber über Ihre Frage nachdenke: Machen uns bloße Begriffe überhaupt glücklich? Wie wäre es, wenn auf einem Smartphone nicht Apple stünde? Spannend mal darüber zu sinnieren ...
Helga König: Begeistert bin ich von dem "historischen Briefkasten in Stolberg". Haben Sie diesen durch Zufall entdeckt und womit haben Sie den Briefkasten gedanklich spontan verbunden?
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Prof. Dr. André Niedostadek: Das war tatsächlich eine Zufallsentdeckung. Ich habe ein Faible für Geschichte, weshalb dieser nostalgisch und ganz in Blau gehaltene Briefkasten sofort meine Aufmerksamkeit hatte. Der erste Gedanke dabei: Eigentlich wirkt ein Briefkasten in Zeiten von Twitter, Instagram oder Snapchat ja fast wie aus der Zeit gefallen. Wie gut es aber doch gerade auf Reisen tun kann, nicht immer gleich parat stehen zu müssen und in Echtzeit mit allen und jedem verbunden zu sein. Das vermittelt so ein Briefkasten auf ganz wunderbare Art und Weise. Distanz kann auch glücklich machen.
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Helga König: Kann man auf dem "Naturmythenpfad bei Braunlage" seine Phantasie schulen und wenn ja, weshalb?
Prof. Dr. André Niedostadek: Der Naturmythempfad ist ein sehr liebevoll angelegter Rundwanderweg. Einzelne Stationen laden dazu ein, sich mit den Mythen, an denen es im Harz wirklich nicht mangelt, auseinanderzusetzen. Ob Wölfe, Bäume, Vögel, immer geht es um die Verbundenheit von Mensch und Natur. Und im Labyrinth sogar um den Weg zum eigenen Ich. Wenn das nicht die Phantasie beflügelt.
Helga König: Sie schreiben auch über das "Rosarium in Sangershausen" und regen dazu an, die Frage zu beantworten, ob es eigentlich "die eine Glückrose" gibt? Muss es diese zwingend geben oder genügt es nicht einfach, sich nur an der Vielfalt der Rosen zu erfreuen und diese von Herzen lieben?
Prof. Dr. André Niedostadek: Nein, eine Glücksrose muss es natürlich nicht geben. Da haben Sie völlig Recht. Im Gegenteil ist es hier sogar wirklich die Vielfalt, die beglücken kann. Aber irgendwie lag die Frage nach der Glücksrose so in der Luft.
Lieber André Niedostadek, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Gespräch.
Ihre Helga König
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Glücksorte im Harz: Fahr hin und werd glücklich
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