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Helga König im Gespräch mit Raimund Schöll über sein Buch "Alltagsfluchten- Geschichten und Atmosphären aus der Gegenwart"- Wiesenburg

Lieber Raimund Schöll, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Alltagsfluchten- Geschichten und Atmosphären aus der Gegenwart" auf  "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert.  Deshalb möchte ich heute einige Fragen an Sie richten.



Helga König: Sie stellen Ihren Texten im Buch einen Text von Albert Camus voran, der in Sisyphos einen glücklichen Menschen sah. Hindert nicht das bedingungslose Annehmen einer an sich absurden Tätigkeit davor, dem eigenen Alltag entfliehen zu wollen?


 Raimund Schöll
Raimund Schöll: Im Laufe meiner Schreiberei bin ich zufällig wieder auf Camus gestoßen. Wie für viele andere auch – war Camus für mich ein Autor der Jugendzeit, ein poète engagé wie die Franzosen sagen, einer, der eine Brücke schlägt zwischen Poesie und gesellschaftspolitischem Engagement. Camus hat m.E. das Meiste aus einem sehr menschlichen Anliegen heraus geschrieben, jedenfalls nicht, weil er einen großen theoretischen Entwurf vor hatte wie andere Intellektuelle seiner Zeit. Für mich drückt Camus’ Philosophie wie kaum eine andere aus, dass wir Menschen keinen paradiesischen Zustand auf dieser Welt erreichen werden. Wir sind auf die Welt geworfen, die Welt braucht uns nicht und sie hat auch nicht auf uns gewartet. Ein höherer Sinn? Fehlanzeige. Die Natur, die Welt, ja auch der Mensch an sich lassen sich daher auch nur sehr bedingt idealisieren.

Camus war auch ein leidenschaftlicher Gegner jedweder Ideologie - insbesondere des Faschismus und des Kommunismus. Er meinte, dass wir unserer latenten Angst und Verunsicherung nicht Herr werden, indem wir unsere Hoffnung auf ideologischem Sand oder Krücken bauen. Camus macht aber aus seiner Einsicht keine Mördergrube. Im Gegenteil: Erkennen wir diesen Sachverhalt einfach an und machen wir das Beste daraus, ruft er uns zu. Wir müssen uns nicht aufgeben, nur weil die Welt keinen Sinn in sich trägt, sondern im Gegenteil, liegt in der absurden Weltbetrachtung auch eine Chance. Gerade weil das Leben ist, wie es ist, sollten wir es umso leidenschaftlicher leben.

"Das Leben ist schön", lautete der Filmtitel von Roberto Begnini und seinem gleichnamigen Film. Selbst wenn rund um uns herum der Furor tobt, dürfen wir uns dem Zauber des Lebens nicht nehmen lassen, wir sollten niemals aufgeben. Und so ist es  auch mit den alltäglichen Tätigkeiten. Wenn wir dem Alltag oft so einfach nicht entfliehen können, unserem täglichen Tun, das ja naturgemäß auch aus Nerv raubenden Wiederholungen und Routinen besteht, ist es trotzdem möglich, darin etwas zu entdecken, ja sogar unsere eigene individuelle Würde und die der anderen können wir darin sehen. Diese Idee gefällt mir. Sie hat mir immer schon gefallen. Vielleicht ist  sie auch Leitmotiv des Buches. Ich finde es immer wieder unglaublich und erstaunlich, wie viel Schönheit und Zauber die Welt trotz allem Wahnsinn, der gerade tobt, bereit hält, wenn man sich aufmacht, genauer hinzuschauen.

 Helga König
Helga König: Den beiden Abschnitten Ihres Buches haben Sie zudem jeweils vier Zitate von unterschiedlichen Autoren vorangestellt. Welche Bedeutung hat das Zitat von Matthias Ohler "Hier ist es, wie es ist, weil wir hier sind" für die Texte Ihres Buches?

Raimund Schöll:  Der Philosoph Matthias Ohler ist ein Freund und Kollege. Wir beide haben uns eine ganze Zeit lang mit dem Phänomen der Atmosphäre beschäftigt. Daher auch das Wort Atmosphäre im Untertitel. Irgendwann im Laufe unseres Sinnierens darüber fiel dieses Zitat. Meiner Interpretation nach will es sagen, dass eine Stimmung oder eine Atmosphäre nicht einfach da ist, sondern dass es an uns liegt, wie sich unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und Atmosphären anfühlen, für die wir voll und ganz verantwortlich sind. Das was wir Atmosphäre nennen, hat Matthias Ohler mal an anderer Stelle scharf beobachtet und gesagt, ist hergestellt, wird aber im Alltag nicht als hergestellt erlebt. Oder: wenn eine schlechte Stimmung ist, dann sind es natürlich immer die anderen, die Schuld haben. Kleiner Spaß!

Helga König: Und weiter: Welche Bedeutung hat für Sie das Schreiben von Sentenzen, sind es in sich abgeschlossene Texte oder eher Impulse, um daraus irgendwann Geschichten oder Essays zu entwickeln?

Raimund Schöll: Ich mag es Sentenzen, wie Sie sagen, und Miniaturen zu schreiben. Man nimmt einen Stift zur Hand und los geht’s. Der Satz, das Wort fließen aus einem heraus. Man schreibt einfach aus dem sogenannten Unbewussten heraus und ist dann überrascht, was da so zum Vorschein kommt. Zuzulassen, dass nur die eigene Stimme spricht, war für mich persönlich allerdings ein Prozess. Also etwas zu schreiben, was gleichsam nur von innen aus einem heraus fließt und nicht etwas, von dem man denkt, dass es mal gesagt sein muss, weil es gut ankommt oder so. Das Schreiben von Sentenzen ist reizvoll, weil du voll und ganz nur im Augenblick sein kannst. Du konzentrierst dich auf deine innere Stimme und den Moment, ab dem was gesagt sein soll. Es soll ja gerade nicht eine lange Geschichte erzählt werden, sondern nur das, was sich anbietet, bzw. gesagt sein will. Oft sind es ja Empfindungen, die sich wie durch ein Nadelöhr aus einem heraus mogeln wollen. Ich nehme es und schreib es auf. Dann wird natürlich im Nachgang noch etwas gefeilt. Ein guter Text muss für mich übrigens immer Rhythmus haben. Sie fragen, ob aus diesen Miniaturen mal größere Geschichten werden können? Vielleicht, ich weiß es nicht. Mal sehen.

Helga König: Ihr Gedicht "ZEN" ließ mich spontan an Ihre Geschichte "Der Stoiker" denken. Ist es Hermann Hesses Feststellung "Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden", die in Ihren Augen mehr  Freude, mehr "Blumenparfum" verspricht als die Philosophie der Stoiker oder der Weg des ZEN?

  Raimund Schöll
Raimund Schöll:  Ich habe mich mal eine lange Zeit mit ZEN beschäftigt. Und das nicht nur theoretisch. Ich meditiere auch, vor allem, wenn ich das Gefühl habe, dass zuviel auf mich einströmt. Ich habe dies bei einem Zen-Gelehrten gelernt. Ich mag es auch, wenn die Leute in sich ruhen, wie diese ZEN-Mönche. Bei den sogenannten Stoikern aber, es müssen ja nicht immer gleich ZEN-Mönche sein, habe ich in der Tat oft das Gefühl, dass sie keine Intensität mehr erleben. Sogenannte Stoiker wirken oft gepanzert auf mich. Aber ich bewundere sie natürlich auch. Wenn einer die Welt an sich abprallen oder abperlen lassen kann, ist das ja auch eine Kompetenz. Was Hesse mit seinem Zitat gemeint hat, darüber kann man ja nur spekulieren. Aber ich denke, dass wir Menschen die Gabe haben, sehr intensiv empfinden zu können und es schade wäre, wenn wir diese Empfindungen nicht zulassen, indem wir uns mit allem Möglichen ablenken, oder zuschütten mit Essen, Alkohol oder anderen Dingen. Die Welt, die Realität, ist ja im Grunde die beste Droge, finde ich. Überall lauern interessante Dinge, Sachverhalte, Begebenheiten, die sich anbieten, dass man sie zur Kenntnis nimmt.

 Helga König
Helga König: Welchen Stellenwert hat für Sie beim Schreiben das Absurde?

Raimund Schöll:  Einen nicht geringen. Denn wie schon gesagt, ist das Dasein, der Mensch an sich ja absurd. Man sieht eine Frau fröhlich das Klo putzen, während ein Manager im feinen Zwirn direkt daneben hektisch an der Flughafentoilette steht, sich  danach  die Hände wäscht und gleichzeitig mit seinem Handy herumtelefoniert. Da denkst du dir: Wie absurd. Solche Sachverhalte interessieren mich. Von Berufs wegen sehe ich ja oft hinter die Kulissen. Ich sehe die Hinterbühne. Und ehrlich gesagt: Die Hinterbühnen sind ja auch viel interessanter als die Vorderbühnen, wo der Mensch sich redlich bemüht, sich und seine Angelegenheiten glanzvoll erstrahlen zu lassen, "bella figura" zu machen. Bella figura, die glanzvolle Pose – ist nicht mein Ding. Das langweilt mich schnell. Aber der Mensch ist halt so: stets will er glänzen mit einer mehr oder weniger glatten und perfekten Oberfläche. Wenn man meinen Beruf ernst nimmt, kann man eigentlich gar nicht daran vorbei, sich für das andere, also das Dahinterliegende, das Unperfekte, ja das Absurde und die Hinterbühnen des täglichen Lebens zu interessieren.

Helga König: Sie beobachten Menschen und die Natur sehr subtil, blicken hinter das, was man allgemein vordergründig als real wahrnimmt und schreiben darüber. Geschieht dies zumeist absichtslos, gewissermaßen aus dem Körper heraus?

Raimund Schöll:  Es ist meistens so. Dass sich etwas in mir rührt, da ist tatsächlich etwas in meinem Körper, der ja Resonanzraum ist, es tut sich etwas. Eine Empfindung kommt oder eine Stimme spricht. Dann ist es soweit, wenn die Zeit da ist, zum Stift zu greifen. Ich schreibe ja oft, wenn ich unterwegs bin. Im Zug, im Flugzeug, am Wartegate, am Strand oder in einem Restaurant. Also oft vor Ort. Ich beobachte etwas, oder es rührt sich von mir aus was, von dem ich gar nicht weiß, wo es herkam. In einen zweiten Gang werden die Texte dann natürlich bearbeitet. Denn wie gesagt: aus meiner Sicht müssen gute Texte Rhythmus haben, ein Text ohne Rhythmus ist wie eine Rockband ohne Schlagzeug. Kann man machen, ist aber nicht mein Fall.

Helga König: In einer kleinen essayistischen Reflektion über die Liebe schreiben Sie "Die eigene Liebesfähigkeit soll trainiert werden wie ein lebenswichtiger Muskel, denke ich" Ist diese Übung eher von Erfolg gekrönt, wenn man zuvor seine Lebensfreude kultiviert hat, indem man, das was ist- auch wenn es absurd erscheint – ohne Wenn und Aber annimmt?

  Raimund Schöll
Raimund Schöll:  Na, ich bin ja schon der Auffassung, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Liebe zur Welt, der Liebe zu sich und der Liebe zum anderen. Ohne Respekt vor der eigenen Persönlichkeit, ohne Liebe zu dem, was man selbst ist oder zu dem, was man geworden ist, kannst du keinen anderen wirklich lieben. Aber ich muss mir auch klar machen, ob ich überhaupt lieben will oder nicht. Mir scheint der Gedanke jedenfalls zentral, dass Liebe die Schlüsselqualifikation für eine humanes Menschenbild ist. Liebe kann sich auf einen konkreten Menschen beziehen, aber auch auf einen Sachverhalt. Ich liebe z.B. neben meiner Frau natürlich die Berge und den Süden. Es entstehen bei mir tiefe Gefühle, wenn ich mich z. B. in schönen Landschaften bewege. Liebe hat auch etwas mit Ehrfurcht zu tun. Ich bin ehrfürchtig, wenn ich merke, dass ich lieben kann. Andere entwickeln eine tiefe Gottesliebe. Auch das ist wunderbar, sofern man wirklich merkt, dass es Liebe ist, die man gerade empfindet.

 Helga König
Helga König: Sie erwähnen Thomas Bernhard in Ihrer Geschichte "Montagsgezwitscher". Welche Bedeutung hat dieser Schriftsteller für Sie beim Schreiben?

Raimund Schöll:  Thomas Bernhard ist eine zentrale Gestalt für mich. Seine unprätentiöse Art, sein Mut, und sein unglaublicher Schreibstil. Bernhard traut sich negative Empfindungen auszusprechen, sie auszuformulieren. Das, was mir an Bernhard am besten gefällt, ist die konsequente Introspektion. Er spart sich mühsame Landschaftsbeschreibungen. Wenn man ihm zuhört, glaubt man immer, er schreibt sein inneres Sprechen auf. Und Bernhard verzerrt. Er ist ein Meister der Übertreibung, ein Meister der Überzeichnung. Abgesehen davon, hat er einen Sinn für die Verlogenheit gesellschaftlichen Treibens. Das mag ich. Für mich war und ist Bernhard auch ein begnadeter Soziologe.

Helga König: In Ihrer Geschichte "Prag" spielt Kafka eine zentrale Rolle. Welche Bedeutung hat er für Sie als Autor?

Raimund Schöll: Um ehrlich zu sein, habe ich von Kafka nicht alles gelesen. Man hat uns in der Schule mit ihm gequält. Aber im Moment entdecke ich ihn gerade wieder neu. Seine klare Sprache ist schon sehr faszinierend, wenn man bedenkt, wie jung er noch war, als er seine Bücher schrieb. Kafka labert nicht, seine Texte hören sich immer sehr dicht an. Darauf kommt es auch mir an. Ich mag dichte Texte und mich fangen seitenlang mäandernde Texte schnell an anzuöden.

Helga König: Bildet das an die Gemälde von René Magritte erinnernde Cover des Buches eine typische Alltagsflucht ab und ist diese letztlich eine verfremdete Erinnerung und damit eine Sehnsucht nach etwas noch unwirklich erscheinendem Neuem?

Raimund Schöll:  Da will ich gar nichts dazu sagen. Das Cover hat mein Sohn gemacht. Ich finde es sehr ansprechend. Es passt finde ich hundertprozentig zum Buch.

Lieber Raimund Schöll, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König

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Alltagsfluchten: Geschichten und Atmosphären aus der Gegenwart
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