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Helga König im Gespräch mit Prof. Dr. Reinhard Haller über sein Buch "Die Macht der Kränkung"

Lieber Prof. Dr. Reinhard Haller vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Die Macht der Kränkung" auf "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.


Helga König: Sie schreiben in Ihrer Einleitung, dass Kränken und Gekränktheit die Ursachen der meisten menschlichen Übel sind. Möchten Sie mit Ihrem Buch den Menschen helfen, sich über diese Tatsache bewusst zu werden und falls ja, was könnte sich auf diese Weise verändern? 

 Prof. Dr. Reinhard Haller
Foto: Christoph Schöch
Prof. Dr. Reinhard Haller: Kränkungen sind ein weitgehend tabuisiertes Thema. Weil sie nicht so dramatisch sind wie Traumatisierungen, werden sie oft nicht ernst genommen. Kränkungen entfalten ihre Wirkung nicht so spektakulär wie Zorn und Wut, sondern wirken im Verborgenen. Sie lösen einen langfristigen Verunsicherungs- und Zermürbungsprozess aus, an dessen Ende oft Krankheiten, Kriminaltaten oder andere menschliche Katastrophen stehen. In meinem Buch will ich die Leser nicht zu Überempfindlichkeit oder mimosenhaftem Verhalten animieren, sondern ein Kränkungsbewusstsein hervorrufen. Kränkungen sind universell, man kann gar nicht "nicht gekränkt" sein. Für die Allgemeinheit sind Kränkungen oft Bagatellen, individuell können sie aber schicksalsbestimmend sein. 

 Helga König
Helga König: Sie schreiben zudem, dass Kränkungen u.a. zu neurotischen Entwicklungen führen können. Was bedeutet dies konkret? 

Prof. Dr. Reinhard Haller: Tiefenpsychologisch betrachtet liegt den Kränkungen immer die Angst vor Liebesmangel und Liebesentzug zugrunde. Auch fehlende Positivresonanz, wie sie uns z.B. bei nicht erwiderter Liebe treffen kann, ist eine wichtige Kränkungsursache. Dies führt zu Verunsicherung und Selbstwertzweifeln, wodurch oft Minderwertigkeitsgefühle und andere neurotische Reaktionen ausgelöst werden. 

Helga König: Sie heben hervor, dass narzisstische Menschen sehr kränkbar, aber auch sehr verletzend sein können. Womit hängt dies zusammen?

Prof. Dr. Reinhard Haller: Hinter der großartigen Fassade des Narzissten wird oft seine Achillesferse, nämlich die extreme Empfindlichkeit und Kränkbarkeit, übersehen. Weil der Narzisst unter schweren Komplexen leidet, ist er auf Lob und Bewunderung angewiesen wie ein Süchtiger auf seine Droge. Ein Narzisst kann deshalb nicht verzeihen und wird eine Beleidigung niemals vergessen. "Gott verzeiht – nicht aber der Narzisst" heißt ein treffendes Sprichwort. In seinen Selbstwertzweifeln handelt der narzisstische Mensch nach der Psychologie des einäugigen Königs, welcher seine Mitmenschen ständig entwertet. Dies wird derzeit bei manchen politischen Führungspersönlichkeiten in eklatanter Weise sichtbar. 

Helga König: Eine statistische Erhebung in Ihrem Buch zeigt, dass bei einer Untersuchung Enttäuschung als Kränkungsform am häufigsten genannt wurde. Im Gegensatz beispielsweise zur Diffamierung, Verleumdung und zum Mobbing ist Enttäuschung ja mit einer Selbstkränkung verbunden. Weshalb ist diese so besonders kränkend?

 Prof. Dr. Reinhard Haller
Foto: Christoph Schöch
Prof. Dr. Reinhard Haller: Jeder Enttäuschung geht, wie der Name ja sagt, eine Täuschung voraus. Dies ist besonders belastend, wenn die eigene Person getäuscht werden konnte, wenn ich selbst mich hineinlegen ließ. In diesem Fall findet man keinen anderen Schuldigen. Man kann die Frustrationen nur an seinem eigenen Innersten abreagieren. Und das ist zutiefst verletzend. 

 Helga König
Helga König: Sie nennen 7 Kränkungselemente und schreiben dort, dass Kränkungen den Gerechtigkeitssinn verletzen. Hochsensiblen Menschen wird nachgesagt, dass ihr Gerechtigkeitssinn sehr ausgeprägt sei. Was geschieht bei diesen Menschen, wenn sie beispielsweise verleumdet werden? 

Prof. Dr. Reinhard Haller: Der Gerechtigkeitssinn ist eine der wichtigsten psychologischen Grundausstattungen, auf dessen Verletzung wir alle sehr empfindlich reagieren. Menschen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn bezeichnen wir als Querulanten. Tatsächlich ist es für diese "Gerechtigkeitsnarzissten" unerträglich, wenn ihrer Wertung und ihrem Urteil nicht Rechnung getragen wird. Dabei können Kleinigkeiten, etwa eine geringe Ungerechtigkeit, zu Tragödien führen, z.B. zu Amokläufen, Ehrenmorden oder Rachefeldzügen.

Helga König: Können Sie ein Beispiel kollektiver Kränkung nennen und den Lesern veranschaulichen, was diese bewirkt hat?

Prof. Dr. Reinhard Haller: Sigmund Freud hat von den drei großen Kränkungen der gesamten Menschheit gesprochen. Bei politischen oder religiösen Auseinandersetzungen kommt es oft zu Kränkungen von Minderheiten oder ganzen Völkern. Die Kränkungsreaktionen folgen dann der Psychologie der Massen, die immer sehr gefährlich ist und schon viele große Konflikte ausgelöst hat.

Helga König: Worin unterscheidet sich eine Demütigung von anderen Kränkungen? 

Prof. Dr. Reinhard Haller: Demütigungen sind jene Kränkungsformen, bei denen das Opfer niedergedrückt und in eine ausweglose Situation gebracht wird. Einseitige Machtverteilung zwischen den Tätern und den völlig hilflosen Opfern sind immer höchst gefährliche Situationen. Die Demütigung nimmt dem Menschen im wahrsten Sinn des Wortes den allerletzten Mut. 

Helga König: Was muss geschehen, damit ein Mensch verbittert? 

 Prof. Dr. Reinhard Haller
Foto: Christoph Schöch
Prof. Dr. Reinhard Haller: Wenn jemand über Jahre hinweg gekränkt wird und keine Aussicht auf Verbesserung der Situation besteht, werden Empfinden, Denken und Einstellung durch und durch bitter. Die Symptome einer solchen Verbitterungsstörung sind vergleichbar jener der bekannten posttraumatischen Belastungsstörung, bei welcher es durch Vergewaltigungen, Explosionen oder auch durch Naturkatastrophen zu anhaltender Angst, Depressivität, Schlafstörungen und völliger Resignation kommt. Während die Folgen eines Psychotraumas aber allmählich abklingen, ändert sich an der Verbitterung nichts mehr, sodass sie zurecht als „unheilbare Kränkung“ bezeichnet werden kann. 

 Helga König
Helga König: Sie schreiben, dass Mobbing viele Formen des Kränkens enthält. Sind typische Mobber demnach Psychopathen und Narzissten? 

Prof. Dr. Reinhard Haller: Mobbing ist nichts anderes als systematisiertes Kränken. Mobbing sind die "kleinen Gemeinheiten zwischendurch". Typische Mobbinghandlungen sind wie alle Kränkungen wenig spektakulär und für Dritte oft gar nicht zu erkennen. Sie bestehen in Geringschätzung, Übergehen, verächtlichen Gesten, Versagen von Antworten, Abschneiden von Informationen, in permanentem Schweigen oder in konsequentem Vorenthalten von Lob. Die Täter sind oft Menschen, die mit ihrer eigenen Situation nicht zufrieden sind oder in sich ein hohes Maß an gehemmter Aggressivität tragen. 

Helga König: Ist "Loslassen" ein besonders gutes Heilmittel gegen Kränkung? 

Prof. Dr. Reinhard Haller: Um mit Kränkungen in einer durch und durch kränkenden und gekränkten Gesellschaft besser zurecht zu kommen, ist es erforderlich, sie ernst zu nehmen und zur Sprache zu bringen. Es ist hilfreich, in die Haut des Kränkenden zu schlüpfen, den in jeder Kränkung enthaltenen "wahren Kern" zu erkennen und Verletzungen auch als Lehren zu betrachten. Die hilfreichste und edelste Antwort auf Kränkungen wäre das Vergeben, durch welches man sich selbst vom Zopf an Rachegedanken, Grübelei und Verbitterung befreit. Vergeben zu können bedeutet, für sich selbst Souveränität und Gelassenheit zu gewinnen. Verzeihen heißt vor allem, mit sich selbst Frieden zu schließen.

Lieber Prof. Dr Reinhard Haller, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König

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