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Peter J. König im Gespräch mit Rolf Rietzler, "Mensch, Adolf- Das Hitlerbild der Deutschen seit 1945- C Bertelsmann.

Lieber  Rolf Rietzler, vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch "Mensch, Adolf- Das Hitlerbild  der Deutschen seit 1945" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen einige Fragen stellen.


Peter J. König: Lieber Herr Rietzler bitte erklären Sie den Lesern, was der Anlass war, ein solches Buch wie "Mensch, Adolf" zu schreiben, und wie weit war Ihnen auch schon im Vorfeld Ihrer Recherche bewusst, dass Sie damit ein "heißes Eisen" anpacken? 

 Rolf Rietzler
Foto: Serge Marcel Martinot
Rolf Rietzler: Als ich 2001 mich vom SPIEGEL in den Vorruhestand verabschiedete, hatte ich Zeit für mich. Eigentlich wollte ich ein paar Jahre nach Boston, aber nach dem "Terroranschlag 9 / 11" war mir das Hemd näher als der Rock. Mein Nachdenken konzentrierte sich auf die Verhältnisse im eigenen Land. Schon lange war mir aufgestoßen, wie bei uns Anspruch und Wirklichkeit in der Aufarbeitung der Vergangenheit auseinanderklaffen, was von dem verbreiteten Stolz über die weltmeisterliche Bewältigung unserer Geschichte fast völlig überstrahlt ist. 

Als der Verlagsmensch und Autor Karl Heinz Bittel mich animierte, meine Erfahrungen aufzuschreiben, nahm die Sache ihren Lauf, von dem ich mir damals nicht vorstellen konnte, dass daraus ein Extrem-Marathon würde. 

 Peter J. König
Peter J. König: Ihre umfangreichen Quellenangaben sind in jeder Hinsicht verblüffend, besonders dann wenn man erfährt, was höchst angesehene Herren des Nachkriegs-Journalismus während der NS-Zeit journalistisch verbrochen haben, war dieses Ihnen bereits bekannt oder ist dies das Ergebnis Ihres Buches? 

Rolf Rietzler: Die Quellenangaben habe ich um der Lesbarkeit willen ja in den Fließtext des Buches eingearbeitet und nicht in Fußnoten versenkt, um akademische Gelehrsamkeit zu demonstrieren. So ist alles, was an Fakten und Zitaten vorkommt, nachvollziehbar. Das allermeiste sind ja doch nur Pseudo-Geheimnisse, die allerdings in der Regel vom Hang zur Selbstzufriedenheit und Schönfärberei den Blicken entzogen sind und die Grenze zum öffentlichen Bewusstsein nicht passieren. Selbstverständlich machte ich mir zunutze, was eine kleine Schar von Historikern und kritischen Journalisten, - genannt seien hier nur Norbert Frei, Lutz Hachmeister, Götz Aly und Otto Köhler – schon darüber geforscht und geschrieben hatten. Mein spezifischer Ansatz war, sowohl die Entwicklungen in der breiten Masse wie auf der Höhe der wissenschaftlichen Ebenen in den Blick zu nehmen. 

Es ging darum, eigene Farben, Beobachtungen und Bewertungen einzubringen. Da halte ich es mit der Sentenz von Friedrich Engels: "Die Geschichte der Wissenschaften ist die Geschichte der allmählichen Beseitigung dieses Blödsinns, resp. seiner Ersetzung durch neuen, aber immer weniger absurden Blödsinn." Dass es, wie Sie sagen, ein "heißes Eisen" war, nun ja, in meinem Alter sollte man doch keine Sachbücher schreiben, die zur Verblattgoldung der Vergangenheit beitragen, sondern den Versuch machen, sich der Wahrheit, die natürlich immer subjektiv geprägt ist, so weit wie möglich anzunähern.

Peter J. König: Sie selbst, Herr Rietzler, haben ja die Zeit nach 1945 bewusst wahrgenommen, sodass Sie konkret nachvollziehen können, was das Ende der Nazi-Herrschaft bei der Bevölkerung, aber auch bei den Eliten bewirkt hat, wie lange etwa hat es gedauert, bis tatsächlich die Demokratie in den Köpfen all dieser Menschen angekommen ist? 
  
Rolf Rietzler: Meine "Zeitgenossenschaft" und "teilnehmende Beobachtung" begann ja erst Ende der 50er, als mein Denken langsam anfing, die vorangegangenen Zeiten und die Gegenwart begreifen zu lernen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: die Demokratie? Angekommen? Erst wurde sie von den Siegern dekretiert, dann wurde sie sozusagen unter Aufsicht, lange, lange geübt, heute ist sie auf dem Prüfstand, ob sie mehr ist als eine Schönwetterdemokratie. Schaffen wir das? We hope the best and expect the worst. 

  Rolf Rietzler
Foto: Serge Marcel Martinot
Peter J. König: Haben Sie konkrete Widerstände gegen Ihr Buch-Projekt erfahren müssen, wenn Sie sich um Quellen-Einsicht bemüht haben? 

Rolf Rietzler: Meine Quellen sind allen zugänglich. Man muss nur Augen und Ohren aufsperren, für bestimmte Fragen sensibilisiert sein und wissen, wo etwas zu holen ist. Oft liegt der Brief mitten auf dem Tisch, wo er von allen übersehen wird, die sich ihrer Tomaten auf den Augen nicht bewusst sind. Meine Aufmerksamkeit schärfte sich in der Militärzeit, als wir Soldaten ganz konkret mit der Möglichkeit des Dritten Weltkriegs konfrontiert wurden (Mauerbau und Kuba-Krise). Ende der 60er Jahre fing ich an, das Thema speziell und umfassend zu studieren.

Peter J. König: Warum tun sich auch heute noch Professoren und Medien so schwer die tatsächlichen Verstrickungen der Deutschen insgesamt und ihrer Eliten ins besonders mit den Nazis klipp und klar zu dokumentieren? 

Rolf Rietzler: Gegen das Wort "Verstrickung" bin ich aus gutem Grund allergisch. Es ist das Schlüsselwort der Verschleierung von "Mitwirkung" und "Beteiligung". Die Vorstellung, dass es nur Desperados, Stiernacken, Schwerenöter und gewissenlose Opportunisten waren, die, von Hitler abgesehen, den Nationalsozialismus ausmachten und die Verbrechen der Deutschen ermöglicht und exekutiert haben, ist – trotz aller akribischen Untersuchungen und verdienstvollen Studien der Zeitgeschichtsforscher - nie wirklich ad acta gelegt worden. Was die Täter später selbst verbreitet haben und die ersten Historikergenerationen unkritisch weitergaben, beherrscht zu weiten Teilen noch immer die öffentliche Meinung. Anders ist das große Erstaunen ja nicht erklärbar, das immer einsetzt, wenn heute, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, wieder mal über den Antisemitismus von Martin Heidegger oder die Beteiligung von Regierungsstellen und angesehener Wirtschaftsunter-nehmen debattiert wird oder die NS-Vergangenheit honoriger Polit- oder Medien-Prominenzen "entdeckt" wird. 

 Peter J. König
Peter J. König: Eine etwas provokante Frage: Sind in Ihren Augen die Deutschen heutzutage demokratiefest oder ist ihr Naturell doch eher obrigkeitsaffin, sozusagen die Sehnsucht nach dem "starken Mann"? 

Rolf Rietzler: Hier folge ich Helmut Schmidt, der in seinen letzten Lebensjahren öfters seine Zweifel diesbezüglich verlauten ließ. Der Bestleistungswahn der Deutschen, ihr Ehrgeiz, andere Nationen zu übertreffen und zu belehren,  ist auf allen Gebieten ungebrochen. Nach wie vor ist uns alles zuzutrauen. 

Peter J. König: In diesem Zusammenhang, wie erklären Sie sich, dass mit Hitler und seinen Vasallen, aber auch der Wehrmacht schon seit Jahrzehnten die größten Geschäfte im Film, beim Fernsehen und bei den Print-Medien gemacht werden, wenn es aber darum geht, Tatsächliches im Original über den Holocaust oder die Beteiligung der Wehrmacht, SS und der Polizei-Bataillone bei Gräueltaten zu vermitteln, Leugnen und Vertuschen angesagt ist? 

  Rolf Rietzler
Foto: Serge Marcel Martinot
Rolf Rietzler: Es sind die normalen, zwar manchmal beklagten, aber doch hingenommen, geförderten und gesteuerten Gesetze der Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Leugnen in moderner Form heißt: zugeben, was ohnehin bekannt ist. Zu vertuschen gibt es heute nicht mehr viel. Es muss nur so hingebogen werden, dass der Schaden nicht zu groß ist. Dafür ist das Projekt, "Nazis" und "Deutsche" zu separieren, als Erfolgsmodell schon zu weit fortgeschritten. Der "Verstrickten", die sich zwischen diesen beiden säuberlich getrennten Gruppen verirrt haben, wird mit Nachsicht gedacht, ihre Verdienste in der neuen Demokratie, mit der sie alles wieder "gut machten", werden hervorgehoben. 

Peter J. König: Haben Sie nach Ihrem Buch "Mensch, Adolf" nennenswerte Repressalien erfahren, denn immerhin gab es dadurch so manchen Fleck auf der vermeintlich weißen Weste ganz vieler Persönlichkeiten, die an der Spitze unseres Staates nach 1945 gestanden haben?

Rolf Rietzler: Daumenschrauben wurden mir nicht angelegt. Was das heute noch soll, wurde ich jeden Tag gefragt. Hervorzuheben ist: Der Verlag ließ mich ohne Einwände gewähren und brachte dankenswerter Weise viel Geduld auf für meine langsame, dafür umso gründlichere Arbeitsweise. Die Kontinuitäten von Personen und Denkweisen zu erforschen, noch dazu von einem einzelnen, der keiner Firma, keiner Institution angehört, niemandem verpflichtet ist außer sich selbst, erfordert bei dieser Materie harte Arbeit. Gerade aber meine Unabhängigkeit erlaubte es mir, dem Buch eine spezielle Würze zu geben. Für manchen anscheinend zu viel. Ein Kritiker schrieb mir promovierten Historiker und langjährigen SPIEGEL-Redakteur ins Stammbuch: „Als Zwitter wird es das Buch schwer haben. Den Historikern ist es zu flott geschrieben, den Publizisten fehlt das Wissen, um sich an den Stoff zu wagen“ (Jürgen Busche im „Freitag“). Für mich war es beim Verfertigen des „Machwerks“ unerlässlich, den Witz nicht zu verlieren, und sei in der Form des Galgenhumors, sonst wird das "Machwerk" verbissen, dogmatisch und ungenießbar. Eines allerdings war mir nicht so klar: Dass, wie es zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausschaut, die sogenannten Leitmedien einen großen Bogen um den von mir respektlos angerichteten heißen Brei machen, wenn sie sich mit sich selbst konfrontiert sehen. 

Peter J. König: Was muss geschehen, damit endlich Schluss ist mit der geschichtlichen Vernebelung bezüglich unserer jüngsten Vergangenheit und ist zu erwarten, dass auch die Wissenschaft und Geschichtsforschung sich zukünftig nur noch überwiegend mit den Fakten sich beschäftigt?

  Rolf Rietzler
Foto: Serge Marcel Martinot
Rolf Rietzler: Überspitzt formuliert: Der Fakten sind genug vorgetragen. Der Nebel verzieht sich nicht, solange das unausgesprochene Gebot herrscht: Die Herkunft ist so anzurichten, dass sie unsere Zukunft nicht stört. Motto: So möchte es gewesen sein. 

Peter J. König: Was denken Sie, Herr Rietzler, wenn Sie die Pegida-Demonstrationen sehen, wenn die AfD in Sachsen-Anhalt mit um die 25% der Stimmen in den Landtag gewählt wurde, wenn in Europa die Rechts-Nationalen massiv erstarken, in Frankreich versucht Marine LePen Staatspräsidentin zu werden, was denken Sie, der als 1941 Geborener noch bewusst die Nazis vor und nach 1945 erlebt hat, was darf da erwartet werden?

Rolf Rietzler: Siehe Antwort auf Frage 6: Die Glaskugel sagt: Alles ist möglich.

Lieber Rolf Rietzler, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Interview.
Ihr Peter J. König

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