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Helga König im Gespräch mit der Psychologin Dr. Gabi Pörner

Liebe Frau Dr. Pörner, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Nein sagen will gelernt sein: Erfolgreich Grenzen setzen" rezensiert. Dazu möchte ich heute einige Fragen an Sie richten.

Helga  König: Weshalb kostet uns ein klares Nein nicht selten viel Überwindung?

 Dr. Gabi Pörner
Foto: Privat 
Dr. Gabi Pörner:  Viele Menschen, besonders Frauen, haben als Kinder durch ihre Erziehung gelernt, sich anzupassen und anzustrengen, hilfsbereit zu sein und sich um andere zu kümmern. Dafür wurden sie damals gelobt, anerkannt und geliebt. Wenn die Kinder sich jedoch nicht normgemäß verhielten, so wurden sie bestraft, bekamen Angst vor den negativen Konsequenzen abweichenden Verhaltens und passten sich wieder an. Unbewusst lernten sie auf diese Weise z.B.: "Wenn ich hilfsbereit bin, dann werde ich gelobt und geliebt." Ein klares NEIN kostet deshalb zu Beginn viel Überwindung, weil wir gegen solch früh erlernte innere Normen und Werte handeln. Wir haben Angst, dass  andere uns bei einem klaren NEIN nicht mehr anerkennen, haben Angst, uns zu blamieren, haben Angst vor Konflikten oder stellen in Frage, ob andere mit ihrer Meinung nicht doch Recht haben. Manche Menschen wissen auch schlichtweg nicht, wie sie angemessen und mit gutem Gewissen NEIN sagen können.

Helga König: Sie benennen in Ihrem Buch eine ganze Reihe persönlicher Glaubenssätze. Was hat es mit denen auf sich?

Dr. Gabi  Pörner: Glaubenssätze sind eben diese früh erlernten Normen, an die wir im Erwachsenenleben immer noch glauben und entsprechend handeln, z.B. "Ich muss hilfsbereit sein" oder "Ich muss mich um andere kümmern." Nun sind diese ja generell sehr wertvolle Verhaltensweisen, die in jeder Gesellschaft gebraucht werden, doch wenn jemand hilfsbereit sein MUSS, es allen Recht machen MUSS, dann ist dies einseitig und führt zu Druck und Stress. Kaum kommt z.B. im Job ein Kollege und bittet darum, eine Aufgabe für ihn zu erledigen, schon sagt derjenige dann automatisch ja, auch wenn er selbst mehr als genug zu tun hat! Glaubenssätze funktionieren nach dem Reiz-Reaktionsprinzip, sind meist unbewusst, können aber über unser Verhalten bewusst gemacht werden. Sie wirken wie eine Brille, durch die wir in die Welt schauen und unsere Erfahrungen entsprechend bewerten. Wenn jemand z.B. den Glaubenssatz hat: "Ich muss viel leisten", so will er einerseits Dinge bewegen, sein Umfeld aktiv gestalten, er ist engagiert, diszipliniert und im Dauereinsatz, er sieht überall, was er noch zu leisten hat, andererseits überfordert er sich, missachtet seine eigenen Grenzen und Bedürfnisse nach Ruhe, Erholung und Entspannung. Er powert sich aus und ist langfristig der ideale Kandidat für Burnout. Um die Wahlfreiheit des eigenen Verhaltens zu gewinnen, ist es wichtig, dass uns die eigenen einschränkenden Glaubenssätze bewusst werden, so dass wir konstruktive, erweiternde Alternativen entwickeln können, damit wir unsere eigenen Bedürfnisse und Anliegen angemessen ausdrücken können und nicht mehr zwanghaft unseren übernommenen Glaubenssätzen folgen müssen. In dem Buch geht es genau darum, mehr an innerer Freiheit zu gewinnen.

Helga König: Ist es ein Ausdruck von Egoismus oder Renitenz, wenn ein Mensch sehr häufig nein sagt?

Dr. Gabi Pörner: So, wie viele Menschen gelernt haben, automatisch JA zu sagen, so haben andere gelernt, mechanisch NEIN zu sagen. Für mich ist beides einseitig. Wenn jemand automatisch nein sagt, so hat derjenige keine Wahlfreiheit seines Verhaltens und erinnert eher an ein trotziges Kind, das sich verweigert und abgrenzt. Job ist es bei den Nein-sagern, Ja sagen zu lernen, so dass eine dynamische Balance zwischen JA und NEIN entsteht. 

Helga König:  Was bezwecken Sie mit Ihrem Test im Hinblick auf die persönlichen Glaubenssätze?

Dr. Gabi Pörner: Dass Menschen erkennen, wodurch sie sich selbst antreiben und unter Druck setzen UND dass sie daraufhin neue Glaubenssätze entwickeln können, die ihnen mehr an Flexibilität ermöglichen und die ihren heutigen Bedürfnissen entsprechen. 

Helga König: Warum sollten wir eine kritische Haltung gegenüber unserem inneren Kritiker einnehmen?

Dr. Gabi Pörner: Viele Menschen nehmen die Stimme des inneren Kritikers ernst. Sie glauben ihm, egal, was er sagt. Er nörgelt, bemäkelt, verurteilt – je nach Situation – unsere Handlungen und trampelt auf unserem Selbstwertgefühl herum. Er hat unrealistisch hohe Maßstäbe, wie wir oder andere zu sein haben und macht uns das Leben schwer. Tatsache ist: Er meint es letztendlich gut, obwohl er sich auf eine sehr kritische Weise äußert. Er ist um unser Wohl besorgt und will, dass wir alles richtig machen. Er glaubt, uns über Kritik im Zaum halten oder auf den rechten Weg zurückbringen zu können. Er will uns vor jeglichen unangenehmen Situationen und negativen Bewertungen durch andere bewahren. Wir lassen uns von vom inneren Kritiker einschüchtern und bremsen. Wenn wir dagegen wissen, dass dies die kritischen Stimmen unserer Eltern sind, mit denen er auf seine kritische, oft verletzende Art vor Gefahren schützen will oder zu Vorsicht mahnt, dann gewinnen wir zunehmend Abstand zu ihm und können gelassener mit ihm umgehen. 

Helga König: Wofür sind gesunde Grenzen wichtig,  was können wir tun, um uns zu schützen und wo liegen die Grenzen der Grenzen?

Dr. Gabi Pörner: Wir brauchen gesunde Grenzen für unsere Integrität und Authentizität, für unsere Verbindung mit uns selbst. Dadurch können wir unseren eigenen inneren Raum wahren, können zwischen uns und anderen unterscheiden und abgrenzen, wenn jemand unsere Grenzen missachtet. Damit wir uns vor Übergriffen schützen können, ist es wichtig, dass wir Übergriffe als solche erkennen, um dann klar "Stopp" zu sagen. Dabei hilft uns eine gesunde Aggression, unsere Selbstbehauptungs- und Abgrenzungskompetenz. Doch weil viele von uns dieses innere Abgrenzungsverbot als Kinder verinnerlicht haben und es damals verboten war, wütend zu werden, ist es heute eine wichtige Aufgabe, Aggression als etwas Gesundes und Gutes schätzen zu lernen, wobei es nicht darum geht, sie einem anderen unkontrolliert an den Kopf zu werfen, sondern sie als Fähigkeit zu erkennen, mit der wir das Eigene schützen können. Wir schützen uns durch Grenzen und wehren Unangenehmes, Bedrohliches, aber auch Unbekanntes von uns ab. Wer sich nur noch innerhalb seiner Komfortzone bewegt, lernt nichts dazu, stagniert, kündigt innerlich und resigniert. Es ist unser Job, wenn wir lebendig, motiviert und lebensfroh bleiben wollen, uns immer wieder auf Neues einzulassen, unseren Denk- und Handlungsspielraum zu erweitern. 

Helga König: Können Sie den Lesern erläutern, welchen Sinn eine vorgestellte helle Lichtsäule um uns macht und was sie bewirken kann?

Dr. Gabi Pörner: Um Grenzen zu etablieren oder zu stärken können wir gezielt unsere mentale Vorstellungskraft einsetzen. Auf diese Weise werden innere Ressourcen aktiviert und genutzt. Eine Technik dazu ist Lichtsäule. Derjenige, der diese Übung macht, umhüllt sich völlig mit dieser Lichtsäule, sieht und spürt, wie sicher und geschützt er dadurch ist. Durch die Erzeugung dieses stärkenden inneren Bildes, verbunden mit dem sicheren Gefühl und der entsprechenden körperlichen Empfindung werden neue neuronale Verknüpfungen angeregt und durch regelmäßiges Üben vertieft.

Helga König: Warum ist Achtsamkeit beim Nein-Sagen wichtig?

Dr. Gabi Pörner: Wir reden und agieren heute so schnell, fühlen uns oft im Hamsterrad und wissen nicht, wie wir da rauskommen sollen. Durch Achtsamkeit verlangsamen wir unsere Gedanken und können Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen als solche beobachten und unterscheiden. Dadurch stärken wir den "inneren Beobachter" und gewinnen Abstand zu unseren Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen.

Helga König: Macht gezieltes Nein-Sagen einsam?

Dr. Gabi Pörner: Wenn jemand zu sich steht und sich abgrenzen kann, dann bejaht er seine eigenen Interessen, Ziele und Anliegen und setzt sich dafür ein. Er würdigt seine eigenen Grenzen und zeigt sich so, wie er ist. Er kann bewusst NEIN und JA sagen – die anderen wissen, woran sie mit ihm sind. Dadurch gewinnt er an Kontur und Profil und wird als vertrauenswürdiger Partner geschätzt.

Liebe Frau Dr. Pörner, ich danke Ihnen herzlich für das erhellende Interview.

Ihre Helga König

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