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Helga König im Gespräch mit Prof. Dr. Rudolf Taschner

Sehr geehrter Prof. Dr. Taschner, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Gerechtigkeit siegt aber nur im Film" rezensiert. Heute möchte ich Ihnen hierzu einige Fragen stellen.

Helga König: In allen Zeiten hatten die Menschen Sehnsucht nach der Gerechtigkeit, schreiben Sie. Wieso hat sich dies seit Adam und Eva nicht geändert und was nährt diese Sehnsucht?

Prof Dr. Rudolf Taschner
Prof Dr. Rudolf Taschner: Würde sich Gerechtigkeit in der menschlichen Gesellschaft verwirklichen lassen, gäbe es für diese Gesellschaft wohl keinen Zeitbegriff mehr, weil der gerechte Zustand für diese Gesellschaft das Paradies darstellte. Es gibt ja in der Südsee einige sehr glückliche Inselvölker, die von Natur aus reichlich mit allem versorgt werden, was sie benötigen. Diese Völker sind gleichsam geschichtslos - jedenfalls so lange, bis sie unsere von unerfüllbaren Bedürfnissen getriebene Zivilisation entdeckt hatte. Wir, in unseren Breiten, erleben die Dynamik, die uns von der Vergangenheit in die Zukunft treibt, weil bestehende Ungleichheiten eingeebnet werden sollen und im Zuge dessen an anderer Stelle wieder neue Ungleichheiten entstehen. Dies sollte man nicht mit Bedauern feststellen, sondern eher als Ansporn für sein Engagement zum Wohle der Gesellschaft betrachten.


Helga König
Helga König: Welchen Stellenwert hat Fortune im Verhältnis zur Ungerechtigkeit? Ist Fortune das Korrelativ, das das Universum uns diesbezüglich schenkt?

Prof Dr. Rudolf Taschner: Fortune ist wohl ein viel schönerer und tiefsinnigerer Begriff als das Glück, das manchmal nur sehr oberflächlich sein kann. Kann jemand Fortune angemessen genießen, wenn ihm dabei bewusst ist, dass damit Ungerechtigkeit gegenüber anderen einhergeht? In diesem Sinne ist Fortune zugleich eine hohe Anforderung an das Gewissen dessen, dem sie zufällt: Sich in diesem schönen Augenblick nicht im Ego einzukapseln, sondern dem Nächsten zu öffnen.


Helga König: Weshalb konnte man durch die französische Revolution letztlich doch keine Gerechtigkeit herbeiführen?

Prof. Dr. Rudolf Taschner: Die Französische Revolution von 1789 war ein Aufschrei derer, die - von Missernten und Hungersnöten gepeinigt - gegen offensichtliche Ungerechtigkeit ankämpften. Aber sie kämpften zunächst nicht zielgerichtet für ein klar vorliegendes Modell einer gerechten Gesellschaft, sondern empörten sich radikal. Am besten verdeutlicht dies die Tatsache, dass in der Bastille, die am 14. Juli gestürmt wurde, keineswegs politische Häftlinge, sondern Schwerverbrecher gefangen gehalten wurden. Deren Befreiung war einfach nur ein Willkürakt der revoltierenden Massen, keine gezielte politische Tat. Erst im Nachhinein wurden Programme zur Verwirklichung einer gerechten Gesellschaft geschmiedet - doch dies weist bereits auf die nächste Frage hin.


Helga König:  Robespierre wollte Recht und wurde selbst ungerecht? Wann  beginnen Maßnahmen die Gerechtigkeit anstreben, sich in ihr Gegenteil zu verkehren?

Prof. Dr. Rudolf Taschner: Alle Beispiele der Geschichte lehren, dass keinem Staatenlenker zu trauen ist, der ein vorgefertigtes Programm zur Verwirklichung einer gerechten Gesellschaft ohne Rücksicht auf Verluste in die Tat umzusetzen trachtet. Denn keines dieser Programme kann all das abdecken, was für die einzelnen Glieder der Gesellschaft "Gerechtigkeit" bedeutet - wobei die meisten von diesen Menschen eher die Perspektive eines erfüllten Lebens meinen, wenn sie nach "Gerechtigkeit" rufen. Will man verhindern, dass ein "Wohlfahrtsausschuss" gegründet wird, der Terror bringt und Köpfe rollen lässt, ist man am besten beraten, nur jenen Staatenlenkern das Vertrauen zu schenken, die bestrebt sind, möglichst wirksam offensichtliches Unrecht zu beseitigen und den Staat als Garanten für ein ausgewogenes Maß an Sicherheit und Freiheit realpolitisch vernünftig zu führen.


Helga König: Hat uns Kant den Schlüssel für Gerechtigkeit in die Hand gegeben?

Prof. Dr. Rudolf Taschner
Prof. Dr. Rudolf Taschner: Der Kategorische Imperativ des Immanuel Kant ist ein tragfähiges formales Gerüst; insofern stimmt der Vergleich mit einem Schlüssel gut. Allerdings ist es nötig, diesen Schlüssel ins rechte Schloss zu stecken und damit die Tür zu einer gerechteren Welt zu öffnen - und diese Aufgabe ist für jeden Einzelnen anders; hier kann man nicht mit allgemeinen formalen Regeln Anweisungen erteilen.


Helga König
Helga König: Sind krankhafte Persönlichkeitsstrukturen die Ursache, dass es mit der Gerechtigkeit auf Erden nicht klappt? Gehört die Hälfte der Menschheit therapiert?:-))

Prof. Dr. Rudolf Taschner: Man macht es sich zuweilen zu leicht, wenn man alle Verwerfungen bei menschlichem Verhalten auf Krankheiten zurückführen möchte. Würde man dies konsequent weiterführen, wäre das Böse nichts anderes als eine Krankheit. Aber es widerstrebt mir, einen Despoten wie Stalin als ähnlich krank zu betrachten, wie einen Menschen mit einem Knochenbruch. Das Böse trennt vom Kranken ein unüberbrückbarer Abgrund. Wer diesen Abgrund leugnet, leugnet zugleich die Freiheit des Menschen und sieht im Menschen nichts anderes als eine von Vererbung und Umwelt getriebene seelenlose Maschine.


Helga König: Woher  kommt das Gewissen? Ist es anerzogen oder eher das höhere Selbst in uns, das stets  das Gute will?

Prof. Dr. Rudolf Taschner:  Sicher ist das Gewissen formbar. Prägende Gestalten oder einschneidende Erlebnisse können einen Menschen mit einem laxen Gewissen zu einem Menschen mit einem höchst feinfühligen Gewissen verwandeln. Doch diese Formungsprozesse erklären die Herkunft des Gewissens selbst natürlich nicht. Wir wissen einfach nicht, "woher" es kommt, wie wir auch nicht wissen, "woher" wir selber kommen.


Helga König: Was halten Sie von den Lehren des Weisheitslehres Tolle, für den klar ist, dass die Ursache für den wenig paradiesischen Zustand auf Erden die Egomanie der Menschen ist?

Prof. Dr. Rudolf Taschner: Leider kenne ich die Schriften und Lehren von Eckhart Tolle zu wenig, um dies auch nur andeutungsweise beantworten zu können. Doch der von ihm angenommene Vorname Eckhart scheint auf den großen Meister Eckhart zu verweisen, der wohl einer der maßgebenden Persönlichkeiten nicht nur des christlichen Denkens darstellt.


Helga König: Meinen Sie, das intensiver Ethikunterricht an Schulen und an der Uni sowie veränderte Fernsehprogramme einem Mehr an Gerechtigkeit und Fairness unter den Menschen Vorschub leisten könnte?

Prof. Dr. Rudolf  Taschner: Als Alternative zu einem formal mit Schulgesetzen geregelten und mit Stundenplänen und Prüfungsformularen versehenen Ethikunterricht würde mir besser gefallen, wenn man bei allen Lehrerinnen und Lehrern - egal welche Fächer sie unterrichten, von der Mathematik bis zur Musik, von Latein bis zu Handarbeiten - darauf achtet, dass sie zur Charakterbildung der Kinder beitragen. Allein wenn jedes Kind empfindet, dass es in seiner gesamten Persönlichkeit von der Lehrerin oder dem Lehrer ernstgenommen wird, hat man mehr erreicht, als wenn das Kapitel Gerechtigkeit im Ethikunterricht genauso durchgenommen wird wie der freie Fall in der Physik.


Helga König:  Können Sie kurz beschreiben, was für Sie Gerechtigkeit bedeutet?

Prof. Dr. Rudolf  Taschner
Prof Dr. Rudolf Taschner: Ruft jemand verzweifelt nach Gerechtigkeit, höre ich darin der enttäuschten Seele letzte Illusion. Wir wünschen uns ja viel mehr als nur Gerechtigkeit: wir wollen die Zuneigung und das Wohlwollen unserer Nächsten; wir wollen auch Glückseligkeit. Aber wenn uns all dies fehlt oder genommen wurde und wir auch in Zukunft keine Chance für unser Wohlergehen erblicken, dann empören wir uns und verlangen, dass uns wenigstens noch Gerechtigkeit zukommen möge. In diesem Sinn ist Gerechtigkeit nur das Tor, das in eine heile Welt führen soll.
Doch mit der Gerechtigkeit ist es wie in der Mathematik mit dem Unendlichen: Man zählt eine Zahl nach der anderen, zu immer größeren hin. Nie aber wird man das Unendliche erreichen. Ähnlich ist es mit der Gerechtigkeit. Wie Sisyphus mit seinem Felsbrocken bemühen wir uns, Ungerechtigkeiten zu beseitigen, aber wir werden doch nicht zur Gerechtigkeit gelangen - und diejenigen, die das versprechen, sind gefährliche Lügner. Dennoch sind die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und das Bemühen, Ungerechtigkeiten hintanzuhalten, wichtig und gut. Und sie geben unserem Leben Sinn und Erfüllung. In gleicher Weise, wie Camus meinte, dass man sich Sisyphus als glücklichen Menschen denken muss.


Lieber Herr Prof. Dr. Taschner, ich danke Ihnen herzlich für dieses aufschlußreiche Interview.

Ihre Helga König


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