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Helga König im Gespräch mit Roger Willemsen

Sehr geehrter Herr Willemsen vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Die Enden der Welt" rezensiert und möchte Ihnen hierzu einige Fragen stellen.

Helga König: Entspricht es Ihrer Wesensart, sich nicht mit konkreten Dingen, die vor Ihnen liegen zu begnügen, sondern treibt es Sie immer weiter hinaus, um auch das zu ergründen, was hinter dem momentan Sichtbaren liegt und wenn ja, weshalb?

Photo Roger Willemsen:
©Anita Affentranger
Roger Willemsen: Ja, das ist wohl so. Ich habe eine hohe Meinung vom Umgang mit Ideen, was bedeutet, dass ich Gefühle lieber habe, die ich auch denken und Gedanken  lieber habe, die ich auch fühlen kann. Stellen Sie sich ein Gefühl vor, dass man „Verliebtheit“ nennen könnte, und plötzlich entdecken Sie Spurenelemente von Heimweh darin, dann besitzen Sie dieses Gefühl plötzlich weniger diffus, es ist eigen, es ändert zugleich die Idee von dem, was Gefühl, was Gefühlsmischungen sein könnten.


Helga König: Die Erfahrungen, die Sie gemacht haben, sind zum Teil ja sehr extremer Natur. Wie wirkt sich das auf Sie aus, bleiben Sie nur beschreibender Beobachter oder hat es ihr Bewusstsein verändert und wenn ja, auf welche Weise?

Roger Willemsen: Die extremen Erfahrungen sind ja oft solche, die man überlebt hat, man ist der Bedrohung, der Gefährdung, dem Exzess, dem Selbstverlust entkommen und etwas bleibt da zurück wie eingelagert in der Zellerinnerung. Manches lässt einen vorsichtiger werden, Manches souveräner, Manches versessener, und alles zusammen macht vermutlich toleranter.


Helga König: Hat das Erlebte bei Ihnen eine gewisse Demut ausgelöst?

Roger Willemsen: Schönes, altmodisches Wort, ja, wenn damit ein Kleinwerden vor dem Fremden gemeint ist, ja.


Helga König: Bei aller Unstetigkeit Ihres Lebens möchten Sie den interessierten Lesern bekennen, wo Ihre Ruhepole liegen?

Roger Willemsen: Meine Ruhe stellt sich, so widersprüchlich das klingt, im Produzieren her – beim Schreiben, Ausdenken, Hervorbringen, jedenfalls in den menschenleeren  Situationen ohne Gesicht und ohne Wirkung.


Helga König: Sie haben die Welt durchstreift. Welche politischen Konsequenzen ziehen Sie aus Ihren Erfahrungen?

Roger Willemsen: Ich denke mehr über die Ökobilanz meines Handelns und Verbrauchens nach. Ich  unterstütze am liebsten, kleine, effizient und direkt arbeitende Hilfsorganisationen, ich verwende einen Teil meiner Zeit darauf, Bewusstsein zu bilden im Sinne der Opfer, die ich getroffen habe. Und ich eifere gegen Zerstörer.


Helga König : Haben Sie jemals das Gute im Menschen in Frage gestellt, nach allem, was Sie gesehen haben? (z.B. nach dem Besuch des Bordells in Bombay?)

Roger Willemsen: Ich bin mir des Guten im Menschen so wenig sicher wie des Bösen. Ich glaube eher, das der Mensch moralisch indifferent ist. Aber er macht so seine Erfahrungen, hat sein Gen-Programm, sein Triebschicksal, seine Mutter, seinen Aszendenten...


Helga König: Glauben Sie eigentlich zu wissen, wie der Mensch tickt?

Roger Willemsen: Das nicht, und er trifft ja auch in unterschiedlichen Kulturräumen sehr unterschiedliche Erfahrungen, aber oft agiert er vorhersehbar. Da kann es interessanter sein zu beobachten, wo er ausschert, als wo er den Erwartungen von Werbung, Einschaltquote, Propaganda entspricht.


Helga König: Bringt es Sie zur Verzweiflung, dass Ihr zunehmendes Wissen aufgrund des Erlebten jedoch nur zur Folge hat, dass Sie erkennen, dass alles Wissen letztendlich zum Nichtwissen führt?

Photo Roger Willemsen:
©Anita Affentranger
Roger Willemsen: Nein, denn zum Wissen gehört ja auch die Illusion, es führe irgendwie zum besseren Leben, und je mehr Kenntnisse man habe, desto gelassener werde man am Ende sein. Eher bringt mich zur Verzweiflung, dass das Wissen so wenig Verbindung zum Handeln hat. So ist die Zukunft in der Parteienwerbung ein populärer Begriff, in der Wirklichkeit wird sich erweisen, wie ideologisch dieser Begriff war.


Helga König: Wenn alles Trostlose dieser Welt über Ihnen zusammenbricht, welche Gegenmittel führen dazu, dass Sie niemals das Interesse an den Menschen und deren Verhaltensmustern verlieren? (Wein allein gilt nicht.:-)))

Roger Willemsen: Auch wenn es profan klingt, aber ich kann sagen, dass ich im Kreise meiner Lieben getröstet bin. Dass ich die Neugier auf alles Menschliche nicht verliere, ist nicht mein Verdienst, denn ich muss nichts dafür tun.

Herzlichen Dank, lieber Roger Willemsen für das erhellende Interview.

Ihre Helga König
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