Lieber Günther Maria Halmer, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Fliegen kann jeder" auf "Buch, Kultur und Lifestyle"rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.
Anbei der Link zu Rezension: "Fliegen kann jeder"
Helga König: Sie waren kaum zwei Jahre alt als Sie die Bombennächte in Rosenheim erlebten und voller Panik gerufen haben “Bitte Entwarnung!“ Was macht ein Mensch mit dieser unverarbeiteten Angst, wann sind Sie sich Ihrer später bewusst geworden?
Günther Maria Halmer Foto:Sammy Hart |
Günther Maria Halmer: Ab und an sehe ich spontan Bilder vor meinem geistigen Auge. Solche Flashlights zeigen beispielsweise einen runden Bunker. Dieser war damals etwa 50 - 100 Meter von der Wohnung meiner Eltern entfernt gelegen. Auch erinnere ich mich an den Schreibtisch meiner Großmutter unter dem ich mit meiner Mutter während der Bombardierungen saß. Woran ich mich auch noch erinnere, ist die Orange, die mir ein GI geschenkt hat und in die ich sofort ungeschält hinein biss. Unmittelbar danach wurde ich krank. Vermutlich hatte ich Masern, doch in meinem Unterbewusstsein wurde die Krankheit mit der Orange in Verbindung gebracht. Seit damals hat die Orange keine Chance mehr, zu meiner Lieblingsfrucht zu werden. Ob es unverarbeitete Ängste gibt, die mit den Bombennächten zusammenhängen? Vielleicht die Abneigung im Hinblick auf Enge.
Helga König |
Helga König: Sie schreiben in Ihrer Vaterreflektion zu Beginn Ihrer Autobiografie, dass Ihre Erfahrungen mit Ihrem Vater Sie in Ihrem Glauben bestärkt hat, dass Väter, wenn sie "Erziehung" sagen, an sich "Unterdrückung" meinen, zumindest bei ihren Söhnen und Sie Vätern nicht trauten. Nun sind auch Sie der Vater von zwei Söhnen. Was haben Sie unternommen, dass der Satz für Ihr Vatersein keine Geltung hat?
Günther Maria Halmer: Allein das Wissen um die Gefahr hilft dabei, nicht zu unterdrücken, und auch nicht zu explodieren, wenn man beispielsweise dazu neigt, sich rasch zu echauffieren. Meine Frau ist diesbezüglich sehr besänftigend, aber durchaus auch konsequent und hat die Erziehung unserer Söhne in solchen Konfliktfällen übernommen. Nach meiner Auffassung gibt es zwei Arten von Vätern. Die einen wollen der beste Freund ihres Sohnes sein und die anderen kämpfen- zumindest wenn sie noch jung sind- wie ein Hirsch mit dem Nachkömmling, sehen ihn also als Konkurrenz. Ältere Väter sind möglicherweise gelassener.
Helga König: Haben Sie die Konflikte mit Ihrem Vater und den Lehrern später ähnlich eingeordnet wie die 1968er Generation es mit ihren Konflikten mit der Nazi-Generation getan tat?
Günther Maria Halmer: Nein. Meine diesbezüglichen Erfahrungen habe ich immer individuell und nicht politisch eingeordnet. Wenn ich Menschen aus dem genannten Personenkreis als arrogant erlebte, habe ich die Erfahrung nicht generalisiert.
Helga König: Welche Eindrücke Ihres Paris-Aufenthaltes in jungen Jahren haben Sie in Ihr späteres Leben mitgenommen?
Günther Maria Halmer: Die schönen Dinge. Allerdings beobachtet man speziell als Schauspieler auch stets sein eigenes Tun. Damals habe ich mit einem Maler zusammen in "Les Halles" gearbeitet. In Paris kann man die Trennung zwischen armen und reichen Menschen sehr intensiv wahrnehmen, ganz anders wie in München, wo durch die Biergärten beispielsweise fast eine Verbrüderung aller suggeriert wird. Der Unterschied zwischen den Markthallenarbeitern und dem Publikum auf den Champs-Élysées blieb natürlich auch in der Erinnerung haften.
Helga König: Wie wichtig war die Zeit in Kanada für Sie, um Ihren Weg zu finden?
Günther Maria Halmer Foto:Sammy Hart |
Günther Maria Halmer: Diese Zeit war nicht nur wichtig, sondern auch entscheidend. In Rosenheim gab es dieses typisch spießbürgerliche Verhalten damals. Man glaubte an eine geradezu gottgewollte, hierarchische Gesellschaftsordnung, an die man sich zu halten hatte. Wollte man etwas darstellen in dieser Gesellschaft, musste man Jurist, Lehrer oder Pfarrer werden oder zumindest nach der Mittleren Reife die Beamtenlaufbahn einschlagen. Einfachen Arbeitern stand dort kein Selbstbewusstsein zu. Ganz anders war dies in Kanada. Darüber habe ich in meinem Buch auch geschrieben. Ein Hilfsarbeiter galt dort als Abenteurer. Wenn er in einem vorhergehenden Beruf Pech hatte, verachtete man ihn nicht, sondern sah nur sein selbstbestimmtes Leben, sah ihn als nicht unterdrückten, freien Mann, der immer wieder neue Möglichkeiten hatte, sein Leben zu gestalten und zu bestehen, wenn er nur wollte. Diese Erfahrungen schenkten mir die Fantasie für viel Neues. Nun wollte ich Schauspieler werden und wusste, dass dies möglich ist. In der Enge von Rosenheim hätte man mich damals für ein solches Ansinnen verlacht.
Helga König |
Helga König: Wer oder was hatte in Ihrer Studienzeit an der Falckenberg-Schule nachhaltigen Einfluss auf Sie?
Günther Maria Halmer: Dort habe ich gelernt, mich selbst zu finden. Früher meinte ich einen bestimmten Typ verkörpern zu müssen. In der Falckenberg-Schule wurde mir klar, dass Schauspielkunst die Kunst der Wahrhaftigkeit ist.
Helga König: Wie würden Sie Ihre berufliche Beziehung zu Helmut Dietl skizzieren?
Günther Maria Halmer: Zwischen Helmut Dietl und mir bestand eine tiefe Vertrauensbeziehung, etwa so wie Brüder sie haben. In den "Münchner Geschichten" spielte ich "Tscharlie". Dort genau haben sich der Regisseur Helmut Dietl und ich als Schauspieler gefunden. Er hat mir in die Seele geschaut und mich in Position gebracht und zwar so wie es für meine Entwicklung gut war. Unsere Wege trennten sich später, doch das Buddygefühl blieb. Helmut Dietl gegenüber hatte ich stets Respekt, wohl aber auch Misstrauen, was seinen weiteren Weg anbelangte.
Helga König: Hat der Film "Gandhi" und Ihre Zeit in Indien Ihr Denken in irgendeiner Weise verändert?
Günther Maria Halmer Foto:Sammy Hart |
Günther Maria Halmer: Jede Szene des Films und die Zeit in Indien haben mich zutiefst geprägt. In Indien muss man mit den Menschen sprechen und die Armut auf den Straßen bewusst wahrnehmen. Das führt zu profunden Erkenntnissen. Im
Grunde sollte jeder einmal in Indien gewesen sein, allerdings nicht als Bustourist, der nur Sehenswürdigkeiten vom Fenster aus bewundert.
Helga König: Woran denken Sie spontan, wenn man Sie an den Film "Sophies Entscheidung" erinnert?
Günther Maria Halmer: An deutsche Scham. Diese wird man seit der Ermordung von 6 Millionen Juden nicht mehr los. Sie auch macht uns im Grunde wehrlos gegenüber allen, die jetzt in unser Land kommen.
Helga König |
Helga König: Was war Ihre Lieblingsrolle?
Günther Maria Halmer: Mit der Figur des "Tscharlie" in den "Münchner Geschichten" habe ich mich identifiziert. Er entsprach meinem damaligen Denken. Er war ein Macher, der Lehrer und Erwachsene gegen sich hatte. In vielem hat die Figur tief aus meiner Seele gesprochen.
Auch die Rolle des Anwalts Abel mochte ich sehr. Die Mischung aus Robin Hood und gerechtem Juristen, der das Leben, die Frauen, den Wein und gutes Essen liebt und dem Geld keinen allzu hohen Stellenwert beimisst, fand ich sympathisch.
Helga König: Was haben Sie Ihrer Frau Claudia beruflich zu verdanken?
Günther Maria Halmer Foto:Sammy Hart |
Günther Maria Halmer: Man kann beruflich nur wirklich gut sein, wenn unser Leben privat stimmig verläuft. Diese Harmonie hat mir Claudia immer geschenkt und insofern habe ich ihr beruflich alles zu verdanken. Die Basis dafür, dass eine Blume erblühen kann, ist ihr gesundes Wurzelwerk.
Lieber Günther Maria Halmer, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Interview
Ihre Helga König
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