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Helga König im Gespräch mit Conrad Amber über sein Buch "Baumwelten und ihre Geschichten", #Kosmos

Lieber Conrad Amber, dieser Tage habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" Ihr Buch "Baumwelten und ihre Geschichten" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Anbei der Link zur Rezension: Baumwelten und Ihre Geschichten

Helga König: Können Sie unseren Lesern berichten, wie Sie zu einem Naturfotografen geworden sind?

 Conrad Amber
Conrad Amber: Bäume haben mich seit meiner frühesten Kindheit begleitet.  Die Ferien durften wir Kinder in einem Ferienhaus am Waldrand verbringen, wir haben eigentlich im Wald und auf den Bäumen gelebt. Mit meinem Vater habe ich als junger Bub ein kleines Wäldchen gepflanzt, heute, viele Jahre später besuche ich dieses naturbelassene Paradies immer wieder mit meinen Töchtern und wir sitzen manchmal auf den Bäumen, reden und genießen. Ich bin viele Jahre auf Bäume geklettert – so richtig mit Seil und Ausrüstung – bis dann ein lebensgefährlicher Sturz aus großer Höhe meine Ambitionen als Baumkletterer jäh beendeten. Und weil ich immer schon leidenschaftlich fotografiert habe, ist dies zu meinem neuen Zugang zu den Bäumen geworden. So nähere ich mich seither mit der Kamera den Bäumen und versuche ihr Wesen zu erfassen und für andere darzustellen. 

 Helga König
Helga König: Was beabsichtigten Sie durch die Publikation des Buches "Baumwelten und seine Geschichten" beim Leser und Betrachter zu bewirken? 

Conrad Amber: Wir alle haben uns in den letzten Jahrzehnten immer mehr von der Natur entfernt, wir verdrängen sie und lassen nur zu, was geordnet und gezüchtigt ist. Die Haltung zu den alten Riesen ist eine Haltung zu unser aller Vergangenheit. Sie sind die einzigen lebenden Zeugen aus der Zeit vor uns. Wie gehen wir also mit Geschichte um, wie ist unser Blick auf das Alter an sich. Und natürlich ist es eine Reise in die Zeit, die schon lange vor uns existierte und die noch länger nach uns sein wird. Bäume überdauern uns. Je mehr uns das bewusst wird, beim Anblick eines so alten, lebenden Wesens, desto mehr können wir uns der Natur wieder annähern. Bäume sind verwurzelt, sind Überlebenskünstler und geben uns Hoffnung und Kraft. Das alles wird einem gewahr, wenn man diese Baumpersönlichkeiten berührt und beobachtet, es wird uns bewusst, dass wir ein Teil der Natur sind. Das will ich mit der Dokumentation alter Bäume und naturnaher Wälder in uns wecken und sensibilisieren.

Helga König: Was fasziniert Sie an Bäumen am meisten? 

 Bergahorn
Conrad Amber: Sobald der Baum als Samen wurzelt, ist sein Leben und sein Standort fixiert. Und das manchmal über Hunderte von Jahren. Das bedeutet für dieses Lebewesen, dass es ab sofort alles für sein Großwerden, für sein Überleben und seine Nachkommen an diesem Ort organisieren und anpassen muss. Wenn sich die Lebensbedingungen ändern, wie etwa durch Trockenheit, große Nässe, Sturm, Krankheiten oder Eingriffe durch uns, kann der Baum nicht wegrennen, er muss damit umgehen, reagieren und Strategien entwickeln. Insofern sind sie perfekte Überlebenskünstler. Je mehr wir über sie lernen um so mehr müssen wir erkennen, dass es hochkomplexe Wesen sind, die reagieren und agieren, sie kooperieren und kommunizieren. Was vor ein paar Jahren noch belächelt wurde, ist zu einer faszinierenden Wissenschaft gewachsen, die erst am Anfang unseres Verstehens ist. Bäume sind die größten und ältesten Lebewesen unserer Erde und noch voll ungeahnter Fähigkeiten. 

Helga König: Wie sind Sie auf die Bäume, die im Buch zu sehen sind, aufmerksam geworden?

 Linde
Conrad Amber:  Im Spital – nach meinem Baumsturz – habe ich zum Trost ein Baumbuch erhalten, in dem einige der alten Bäume vorgestellt wurden. Da hat mich das Fieber erst richtig gepackt und sobald ich konnte, habe ich diese Bäume besucht und fotografiert. Es folgten Recherchen im Internet, bei Forstämtern und in Archiven. Es gibt Listen der Naturdenkmale und bei jeder Wanderung trifft man Menschen, die einem weitere Tipps über andere, bemerkenswerte Bäume geben. Ich gebe zu, ich bin süchtig. Aber es ist auch ansteckend, das erlebe ich immer wieder in Gesprächen mit anderen Menschen. Manche Bäume habe ich auch durch Zufall entdeckt, auf Reisen, auf Wanderungen. Das sind kleine Abenteuer, die in ihrer Intensität und Besonderheit kaum vergleichbar sind und die ich jedem empfehlen kann. Inzwischen bekomme ich unzählige Tipps über meine Facebook-Seiten, per Emails und durch Briefe. Ich denke, ich muss dafür nochmals etwa 50 Jahre leben, um alle diese besonderen Wesen aufzusuchen, ich hoffe, sie warten so lange auf mich... 

Helga König: Worauf kam es Ihnen bei den Aufnahmen im Besonderen an? 

Conrad Amber: Immer wieder muss ich als Fotograf erkennen, dass das, was ich mache, nur einen Teil des Erlebten wiedergeben kann. Der Baum ist ein dreidimensionales Wesen, das auf jeder Seite anders ausschaut, einen anderen Hintergrund hat und eine andere Figur darstellt. Natürlich ist das Wetter wichtig (wobei es nicht zwingend Sonne braucht, um den Charakter des Baumes darstellen zu können), manchmal sind Regen oder Nebel die besser geeigneten Lichtbedingungen. Die Jahreszeit ist entscheidend, denn ein Laubbaum wirkt romantischer mit Belaubung, allerdings erkennt man dann nicht mehr seine Wuchsform. Das Herbstlaub mancher Bäume ist an Schönheit kaum zu überbieten und eine opulente Farbenpracht, die oft nur schwer einzufangen ist. Meistens besuche ich denselben Baum öfters und wenn ich dann die Fotos vergleiche, sind auch da große Unterschiede zu sehen. Der Baum verändert sich, selbst in kurzen Zeitspannen. Jedenfalls benötige ich meistens mehrere Fotos, um einen Baum richtig vorstellen zu können (wie sie im Buch dargestellt werden). Der Stamm für sich hat soviel Charakter und Aussagekraft, dass er groß dargestellt werden muss. Dann aber ist auch die Wuchsform oder die Höhe oder Breite so imposant, die gezeigt werden soll.

Helga König: Sie haben uralte Bäume abgelichtet. Was löst eine Begegnung mit einer Linde wie etwa der 880 Jahre alten Linde in Königslutter bei Ihnen aus? 

 Zirben
Conrad Amber: Bei so alten Bäumen fällt mir immer folgender Vergleich ein: Denken wir 5 Generationen vor unserer Zeit zurück... kennen wir noch die Vornamen unserer Vorfahren? Nein, meistens nicht! Das ist aber erst 150 Jahre her! Und dann stehe ich vor einem Lebewesen, das vielfach so alt ist und es wird mir meine Kleinheit und Kurzlebigkeit erst richtig bewusst. Dieser Baum hat alles überlebt und steht vor mir da, in seiner ganzen Kraft und Größe und Vitalität. Viele Menschen sagen dann, was der alles erlebt hat und erzählen könnte. Ich sage: er erzählt uns das andauernd, wir können es nur nicht verstehen. Ich glaube, ich kann in seinem Stamm und in seiner Wuchsform vieles herauslesen und, wenn ich länger beim Baum bin, ihn halte und fühle, so gibt es mir manchmal das Gefühl, als wolle der Baum mir seine Geschichte mitteilen. 

Helga König: Was fasziniert Sie an Wäldern, die Sie abgelichtet haben, am meisten? 

Conrad Amber: Wir leben ja in einer alten Kulturlandschaft, in der der Mensch seit tausenden Jahren einwirkt und umgestaltet. Fast 98% unserer Wälder sind Wirtschaftswälder, von Menschen für den Holznutzen angepflanzt. Dabei ist viel von der ursprünglichen Kraft und Vielfalt der Wälder verschwunden, weil diese Vielfalt wirtschaftlich oft nicht genützt werden kann. Ich bin deshalb vorrangig in naturnahen Wäldern und sogar in Urwäldern unterwegs, die es in manchen entlegenen Tälern und Bergen Europas noch gibt. Sie wurden entweder nie genützt oder es wurde seit Hunderten von Jahren nicht mehr geerntet. Das sind auch uralte Hutewälder, die erhalten geblieben sind. In diesen artenreichen Mischwäldern existiert eine faszinierende Energie. Es ist der Duft alten Holzes, von Harz und Pilzen, von Nadeln und Blüten. Dort singen die Vögel anders und die Bienen summen lauter. Ein komplexer Gesamtorganismus, der sich seit Jahrtausenden entwickelt, perfektioniert hat, wo alle Lebensformen miteinander und von einander leben. Hier könnten wir noch so viel lernen und tun es nach wie vor nicht. Im naturnahen Wald gibt es keinen Abfall, alles hat seine Funktion und Bestimmung. Der ewige Kreislauf des Lebens findet alltäglich statt. Und wenn ich dort bin, fühle ich mich zuhause, beschützt und getragen. Oft bin ich barfuß unterwegs, um eben über alle Sinne aufzunehmen. Und nach einem Aufenthalt in dieser Natur bin ich gestärkt und voller Energie. 


Helga König: Sie haben u.a. die Eichenallee bei der Sababurg aufgenommen. Worum ging es Ihnen bei dieser Aufnahme speziell? 

Conrad Amber: Die Gegend um die Sababurg hat einen unbeschreiblichen Reiz. Man spürt die alten Sagen und sieht die passende Kulisse dazu. Die Eichen-und Lindenalleen in dieser Region Hessens sind bis zu 300 Jahre alt und beschatten immer noch die Menschen, die sich unter ihnen aufhalten und bewegen. Damals waren es Ritter und Könige, die in ihrem Schatten ritten und so manche Familie ließ sich zwischen den Bäumen zur Rast nieder, um zu Speisen oder zu schlafen. Alleen sind Kultur-Relikte aus einer vergangenen Epoche, die sich – mancherorts – bis heute erhalten haben. Sie gehören gepflegt und erhalten und sie sind ein Zeichen für die Zukunft. Ich sehe es als sehr vernünftig und zukunftsweisend an, Alleen wieder überall anzupflanzen. Über Land, als Beschatter und Beschützer der Radfahrer und Fußgänger und in den Städten als Feinstaub-Filter und kühlender Luftspender. Sie sind absolut wichtig und alle sogenannten Nachteile sind im Vergleich ihres Nutzens nachrangig. Bäume gehören an den Straßenrand. 

Helga König: Worin liegt der Reiz für Sie als Fotograf beim Fotografieren von Lärchen?

Conrad Amber: Alte Lärchen verbinden einen scheinbar unvereinbaren Gegensatz: die Kraft und Wildheit der Berge und die Sanftheit des weichen Nadelmantels. Eine Lärche ist ein einzigartiger Nadelbaum, der sich im Herbst oft in einen prachtvollen goldenen Mantel hüllt, das ergibt märchenhafte und verzaubernde Motive. Im Lärchenwald barfuß zu laufen,  ist ein besonderer Hochgenuss: ein weicher, federnder Nadelboden, dämpft deine Schritte, und ein würziger Harzgeruch hält dich im angenehmen Waldklima gefangen. Dies einzufangen – die grobe Borke und mächtigen Stämme oder die eckigen Astwindungen und die Zartheit des scheinbar darüber schwebenden Nadelkleides, ist eine besondere Herausforderung für mich als Fotograf. Allerdings- den Duft darzustellen, den dieser harzige Baum ausströmt - habe ich bislang noch nicht geschafft. 

Helga König: Wann entwickelt ein Baum Persönlichkeit? 

 Linde Hindenburg
Conrad  Amber: Eigentlich ist jeder Baum für sich ein Individuum und wenn Mensch es zulässt, entwickelt er im Laufe der Zeit seine unverkennbare Wuchsform, seine typische Ast-entwicklung, seine Rinden-struktur oder Wurzelausbildung, je nach Untergrund seines Stand-ortes. Die Baumarten werden auch unterschiedlich alt, während Pionierbäume wie Birken nur selten 200 Jahre alt werden, können Eichen und Linden bis zu 1000 Jahre leben. Trotzdem findet das Wachstum nach ähnlichem Muster statt, zuerst in die Höhe, bis etwa zur Lebensmitte, dann in die Breite. Und genau dort fängt der Baum an, seine unverwechselbare Form zu bilden, seine Figur festzulegen, an der er schon von weitem erkannt wird. Seine Lebensgeschichte stellt der Baum ja nicht nur in seinen Jahresringen dar, sondern auch in seiner Stammform und im gesamten Erscheinungsbild. Wurde er verletzt durch Starkwind oder Blitz, wurde er von Pilzen oder Insekten befallen, das alles hinterlässt Spuren und ist für den Baumkenner lesbar. Und weil es jedem Baum anders ergeht, stellt er seine Lebensgeschichte, seine eigene Persönlichkeit, auch anders dar. Vielleicht ein wenig vergleichbar mit den gezeichneten Gesichtern alter Menschen. Für mich ein unerschöpfliches Feld von immer wieder neuen Formen und spannenden Geschichten.

Fotos: aus dem Bestand von Conrad Amber

Lieber Conrad Amber, danke für das schöne, bereichernde Gespräch.

Ihre Helga König

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