Liebe Christin van Talis, die Leser von "Buch, Kultur und Lifestyle" hatten bereits im Dezember 2016 die Gelegenheit Sie im Rahmen unseres "Interview-Projektes "Fragen zur Kunst" ein wenig kennen zu lernen. Heute nun möchte ich einige Fragen zu Ihrem künstlerischen Schaffen und dem für Sie sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Engagement an Sie richten.
Helga König: Gibt es in Ihrer Familie Menschen, die sie auf Ihrem Weg zur Künstlerin unterstützt
haben?
Christin van Talis |
Christin van Talis: Ich wurde geboren, um die Gesellschaft in Frage zu stellen und neue Standards zu setzen. Mein
Vater wollte dieses vierte Kind nicht und verließ meine Mutter schon vor meiner Geburt. Meine
Mutter tat es ihm gleich und verließ mich gleich nach meiner Geburt. Sie haben mir das
Wesentliche einer Künstler-Persönlichkeit in die Wiege gelegt: das traumatisch Rebellische.
Künstlerseelen heilen sich selbst durch ihr Schreiben, Malen, Bildhauern oder Musizieren und
entwickeln mit der Zeit einen freien Geist. Das Geschenk des Lebens – eine größere Unterstützung
kann es nicht geben.
Helga König: Welche Erkenntnisse hat Ihnen Ihr Kunststudium im Hinblick auf Ihren späteren
Werdegang als Künstlerin gebracht?
Christin van Talis: Ich hatte das große Glück, Freie Malerei studieren zu dürfen, in dem das Experimentieren mit allen
Techniken im Vordergrund stand. Ich konnte meine eigenen Bildideen mit professioneller Hilfe
umsetzen, musste aber auch lernen, die Bilder berühmter Maler und Malerinnen exakt zu kopieren.
Meine Kreativität wurde grenzenlos geweckt. Meine Experimentierfreude ließ mich die Bildhauerei
entdecken und lernen, wie meine Ideen vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale umgesetzt
werden konnten. Darin liegt meine Stärke und im Schreiben von Gedichten.
Helga König |
Helga König: Sie sind Mitbegründerin des Netzwerkes Niedersachsen "Frauen in Kunst und Kultur".
Was waren die Motive für die Gründung und welche Erfolge kann das Netzwerk für sich
verbuchen?
Christin van Talis: Es ging im Jahre 2002 um die Vernetzung und Förderung von Frauen in der Kunst. Frauen brauchen
Netzwerke – das gilt in Kunst und Kultur wie auf allen anderen beruflichen und gesellschaftlichen
Feldern. Die professionell arbeitenden Künstlerinnen sollten in gemeinsamen Projekten gefördert
werden. Gemeinsames Marketing und ein gemeinsamer Internetauftritt fördern die Bekanntheit und
vergrößern die potenzielle Käuferschaft, es entstehen Synergieeffekte. Männliche Förderer durften
dem Netzwerk nur als Sponsoren beitreten. Das Pilotprojekt "Vorort in Grauerort" zeigte 8
Positionen Niedersächsischer Künstlerinnen. Ich war vertreten mit meinen sechs großen MetallSkulpturen "Signale gegen Gewalt"
Helga König: Sie sind zudem unter anderem Mitglied im Frauennetzwerk für den Frieden e.V. Was hat es
damit auf sich?
Christin van Talis |
Christin van Talis: Ich wollte mich als Künstlerin mit Frauen für den Frieden vernetzen, um die effektive Wirksamkeit
unserer Friedensarbeit zu erhöhen. Das Ziel des Frauennetzwerk für Frieden ist die Realisierung
einer Friedenskultur, die die Gerechtigkeit, das Ende der Gewalt gegen Frauen und die
Implementierung der Geschlechtergerechtigkeit für Frauen und Männer einschließt. Mein
Engagement im Frauennetzwerk für Frieden gilt dem Projekt "1000 FriedensFrauen Weltweit".
Im Jahr 2005 wurden 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis nominiert. Gemeinsam sollten sie für
ihr tägliches Engagement für Frieden und menschliche Sicherheit geehrt werden.
Das Projekt "PeaceWomen Across the Globe – FriedensFrauen Weltweit" will die eindrücklichen
Aktivitäten von Frauen für eine friedliche Zukunft weltweit öffentlich machen. Meine
Friedensskulptur "PeaceWomen" im Böhmepark Soltau sollte ein Zeugnis sein - für die Fähigkeit
und Bereitschaft von Frauen an einer Friedenskultur mitzuwirken.
In Gedenken an die ermordete
Friedensfrau Anna Politkovskaja, die ihr Leben der Wahrheit und Menschlichkeit geopfert hat,
wurde das Denkmal "PeaceWomen" am 7.10.2007 der Öffentlichkeit übergeben.
Helga König |
Helga König: Können Sie uns Näheres über Ihre Skulpturen im öffentlichen Raum berichten?
Christin van Talis: Da gibt es, wie unter Frage 4 beschrieben, das Denkmal "PeaceWomen", ein wichtiger Beitrag
meiner Friedensarbeit als Künstlerin. Des weiteren der Metall-Wachposten "Respekt" vor der
Friedenskirche Breloh (Lüneburger Heide), ein Schmetterlingskokon aus Mamor auf dem
Ohlsdorfer Friedhof und eine Betonskulptur "die Geburt des Feuersteins" auf der Hochseeinsel
Helgoland.
Ab September 2016 gibt es nun auch von mir einen eigenen Skulpturengarten an der
Süderelbe, der Skulpturengarten Neuland, in dem ca. 60 Skulpturen von mir zu besichtigen sind.
Ich liebe es, aus der Vorstellung etwas zu schaffen, was am Ende sichtbar und greifbar ist. Es ist
eine sinnliche Steinsprache. Geschwungene Linien, die runden Körperformen Halt geben.
Bildhauern ist für mich eine Art Meditation. Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht die
Auseinandersetzung mit dem visionären Frieden. Wie ist Frieden möglich? Bei den halbgegenständlichen
oder abstrakten Skulpturen geht es mir um die Auslotung von weichen Formen im
harten Stein, Holz oder Metall.
Helga König: Welche Bedeutung hat Lyrik in Ihrem künstlerischen Schaffen?
Christin van Talis |
Chris van Talis: Gedichte zu schreiben, ist ein Eintauchen in die eigene Seele. Es macht kreativ, regt das Denken an.
Ein Gedicht ist die schönste Form der Literatur. Große Dichter und Dichterinnen wie Johann
Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Hilde Domin, Nelly Sachs, Ingeborg Bachmann, Rilke und
Hesse sind für mein kulturelles Bewusstsein prägend. Sie tauchen ein in meine schöpferischen
Prozesse. Die Dichterin in mir gestaltet kunstvoll mit Sprache einen Inhalt, die Bildhauerin in mir
gestaltet kreativ mit visionären Gedanken eine Skulptur. Über die Form geht es zum Inhalt: Form
gegen Farbe für eine Kultur des Friedens. Das ist meine Vision.
Helga König: Welcher Gedanken liegt Ihrer Bildserie "Aufstand der Alten" zu Grunde?
Christin van Talis: Meine Serie "Aufstand der Alten" ist dem immer größer werdenden Anteil älterer Menschen
gewidmet. Der demographische Wandel wird Regionen, Städte und auch die Malerei verändern.
In meinen Bildern aus dieser Serie geht es um die moralische Auflehnung jedes Einzelnen, in
diesem Falle um die älteren Mitmenschen - um ihre Träume von Frieden und Gerechtigkeit. Sie
bekommen in meinen Bildern ihre Würde zurück, die oft in Seniorenheimen und von der Politik
vernachlässigt wird. Wie gehen alte Menschen mit dem beschleunigenden technologischen Wandel
um? Wird es in Zukunft Pflegeroboter (mit Gefühle?) für Alle geben, wenn nicht mehr genug junge
Menschen als Pflegepersonal zur Verfügung stehen? Schöpferische Gedanken und eigene
Erkenntnisse suchen in meinen Bildern ihren Weg.
Helga König |
Helga König: Können Sie uns etwas über den "Deutsch- chinesischen Kulturaustausch" berichten und
welche Erfahrungen Sie diesbezüglich sammeln konnten?
Christin van Talis: Die Künstlergruppe PARADOX, in der ich seit 2001 vertreten bin, ist nun seit über 10 Jahren in
einem intensiven Kulturaustausch mit Künstlern aus China. In enger Zusammenarbeit mit dem
Huacui Forschungsinstitut für Kunst und Kalligraphie in Tianjin werden ständig
Ausstellungsprojekte in beiden Ländern organisiert. So verbinden wir die einander fremden
Kulturen, bringen die unterschiedlichen Sichtweisen östlicher wie westlicher Kunst den Menschen
beider Nationen nahe und spannen Brücken der Verständigung zwischen den verschiedenartigen
Welten und Denkweisen. Im deutsch-chinesischen Kulturaustausch wird Einfühlungsvermögen
zwischen den unterschiedlichen Mentalitäten und interkulturelles Verständnis geschaffen, Vorurteile
zwischen den Kulturen abgebaut und Kontakte und Gespräche zwischen den Menschen angeregt,
um einen Grundstein zu legen für Freundschaft.
Seit 2002 bin ich auf Ausstellungsreisen im Reich der Mitte u. a. mit dem Kurator der
Künstlergruppe PARADOX B. J. Antony und der chinesischen Malerin Gu Yinghzi unterwegs und
konnte viele Eindrücke sammeln, habe die Kalligraphie und die chinesische Malerei, sowie die
chinesische Sprache studiert. Die Erfahrungen, die ich auf diesen Reisen sammeln dufte, waren
enorm wichtig für mich. Die Vorstellungen, die ich von China und den Chinesen, teilweise durch
Medien, hatte, änderten sich radikal.
Ich liebe seitdem die chinesischen Menschen, sie sind ein ganz
besonderes Volk. Die chinesischen Künstlerinnen und Künstler sind sehr mutig und freiheitsliebend.
Im Gegensatz zur Malerei des Abendlandes ist die Malerei Chinas nicht um Originalität und einen "persönlichen" Stil bemüht. Dem chinesischen Maler ist die Stimmung und Atmosphäre, die im
Betrachter Empfindungen wecken soll, wichtig. Bewegungen werden eingefangen. Ein wichtiger
Unterschied bei gemeinsamen Ausstellungen in China war für mich auch die Erfahrung, dass die
Künstlerinnen und Künstler nach der Ausstellung ihr künstlerisches Handwerk vorführen mussten.
Auch wir deutschen KünstlerInnen mussten unser Können mit den chinesischen Pinseln auf
Seidenpapier zeigen, was bei unserer Malweise äußerst schwierig zu handhaben war. Doch die
Sprache der Kunst ist eine Weltsprache und hebt alle Sprachschwierigkeiten auf.
Helga König: Werden Sie auch in diesem Jahr Bildhauer-Workshops anbieten und wenn ja, wo finden
diese statt und was können die Teilnehmer erhoffen?
Christin van Talis |
Christin van Talis: Seit der Eröffnung meines eigenen "Skulpturengarten Neuland" in Hamburg an der Süderelbe im
letzten Jahr, finden nun die Bildhauer-Workshops in dieser inspirierenden Atmosphäre statt. Ab Mai
2017 wird dort im "Bildhauer-Schuppen" und davor gearbeitet werden. In den BildhauerWorkshops
werden an zwei Tagen Skulpturen aus Naturstein oder Beton mit hohem künstlerischen
Anspruch gemeißelt und die Grundkenntnisse der Bildhauerei vermittelt. Jeder Teilnehmer nennt
am Ende eine selbst entworfene und hergestellte Steinskulptur sein Eigentum. Es wird mit
professioneller Hilfe ein absolut individuelles Werkstück gefertigt und mit Hilfestellung der Kunst
und schöpferischen Gedanken die eigene Persönlichkeit neu erfahren. Vielleicht ist es auch der
Beginn einer neuen Leidenschaft. Bildhauern ist eine andere Art der Meditation: Schlag für Schlag
wird sich der Geist beruhigen und sammeln.
Helga König: Was hat es mit dem Skulpturen-Garten auf sich und kann man ihn nach Anmeldung
besuchen?
Christin van Talis mit Skulptur Lisa |
Christin van Talis: Der "Skulpturengarten Neuland" befindet sich an einem besonderen Ort, in den sogenannten "wilden Gärten" im Neuland von Hamburg. Hier ticken die Uhren anders. Hier rauscht die Zeit in
der Ferne mit der S-Bahn davon und die Elbe hinterm Deich spielt mit den Gezeiten. Neuland klingt
nicht nur nach Weite, Freiheit und offene Himmel, wo Neuland ist, ist noch alles möglich. Wolken
und klares Licht verleihen den Naturkunstwerken, Skulpturen und Objekten das Majestätische. Hier
gibt es mehr Tiere als Menschen (1700 Einwohner), also der ideale Ort, um als Künstlerin im
Einklang mit der Natur zu arbeiten. In meiner Galerie in Halstenbek wurde es meinen Skulpturen zu
eng und wir sind aufs Land gezogen. Hier wird nun der Garten als Museum wahrgenommen. Ca. 60
Skulpturen und Objekte sind zu sehen und es ist erst der Anfang. In diesem Jahr werden weitere
Skulpturen, Lesungen und Konzerte folgen – zu sehen (nebst Terminen) auf der Webseite:
www.kunstraum-5.de
Helga König: Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgaben als Künstlerin?
Festung "Grauerort" |
Christin van Talis: Meine Hauptaufgabe als Künstlerin sehe ich im ganzheitlichen leben und denken, im prophetischen
träumen von Frieden und Gerechtigkeit, das Wesentliche für mich in Gesellschaft und Kultur in
meiner Zeit künstlerisch zu verarbeiten, meine schöpferischen Gedanken fließen zu lassen, Welt neu
zu gestalten. Für mich gibt es keine Trennung von Leben und Kunst. Alles ist möglich in der
Unabhängigkeit als Künstlerin: das Malen, das Bildhauern und das Schreiben - als Hilfestellung
beim Bilden der eigenen Persönlichkeit.
Liebe Christin van Talis, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König.
Fotos: Christin van Talis
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