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Helga König im Gespräch mit Hermann Scherer über sein Buch "Fokus!"

Lieber Herrmann Scherer, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Fokus!" auf "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Hier der Link zur Rezension: "Fokus!"

Helga König: Wer langfristige Ziele erreichen möchte, muss kurz- und mittelfristig auf manches verzichten. Ist Verzicht ein Wert, der in unserer Gesellschaft der Gier und des sofortigen Habenwollens, neu erlernt werden muss? 

 Hermann Scherer
Hermann Scherer:  Nun glücklicherweise wird Verzicht ja wieder gelernt. Wir haben in Deutschland die größte Quote von Konsumverweigerern seit dem 2. Weltkrieg - auch wenn die Gruppe noch recht klein ist. Dabei geht es nicht darum, auf alles zu verzichten, auf die Dinge zu verzichten, von denen wir glauben, dass wir sie haben wollen, weil wir glauben sie haben zu müssen und später erst merken, dass wir sie gar nicht brauchen. Gerade die Generation Y und Z beantworten häufig die Frage nach dieser Art von fremdbestimmten Konsum mit Konsumverzicht. 

 Helga König
Helga König:  Hat die Sucht nach "Quick Wins" Ihrer Meinung nach etwas damit zu tun, dass den Menschen visionäres Denken abhandengekommen ist und falls ja, woran könnte das liegen? 

Hermann Scherer:  Nun, jede Vision ist eine langfristig angelegte Sache, deren Erreichen im Unklaren ist, jedoch alle Maßnahmen darauf ausgerichtet werden. Menschen ohne Vision sind wie ein Astronaut in der Schwerelosigkeit des Alls – nirgends kann er sich festhalten. Und wer sich langfristig keinen Halt hat, der sucht die Quickies, das kurzfristige Vergnügen.

Helga König: Wenn ältere Manager und Firmenchefs langfristige Erfolge für ihr Unternehmen anstreben, müssen sie hauptsächlich bereit sein, über ihr Ego hinaus denken. Sind Meditationen in Klöstern eine sinnstiftende Maßnahme, um einem Egomanen begreifbar zu machen, wie man langfristigen Erfolg über die eigene Ära hinaus realisieren kann und dabei Zufriedenheit empfindet?

Hermann Scherer:  Ob eine Meditation oder Kloster einen Egomanen vollkommen verändern, will ich bezweifeln, jedoch – und das gelingt den Klöstern in hervorragendem Weise, und die Nachfrage bestätigt dies – sind sie gut in der Lage, die Menschen, die sich darauf einlassen, wieder zu erden und auch zu einer inneren Stille zu bringen. Und das ist doch schon mal eine gute Ausgangslage. 

Helga König:  Sie schreiben, Kreativität sei Filterarbeit. Können Sie dies unseren Lesern näher erläutern? 

Hermann Scherer:  Wir alle haben einen Filter im Kopf bei der Ideensuche. Bei jeder Idee, die in unseren Gehirnzellen aufpoppt, stellt sich uns die Frage: "Ist die Idee gut oder schlecht?" oder in einer Gruppe: "Sag ich’s oder sag ich’s nicht?" Viele Ideen bleiben unausgesprochen, weil derjenige, der sie hat, sich nicht traut sie auszusprechen. Deshalb gehörten in der "grünen"Phase eines Brainstormings alle Filter geöffnet und dann erst später bewertet.

Helga König: Was hindert daran, sich von unergiebigen Arbeitsfeldern in Betrieben zu trennen und sich auf tatsächlich Erfolgreiches zu konzentrieren, ist es die Angst, dann nicht mehr bestehen zu können? 

 Hermann Scherer
Hermann Scherer:  Es ist unter anderem die Angst, sich selbst wegzurationalisieren. Schauen Sie als Beispiel das deutsche Steuersystem an, es ist das komplexestes Steuersystem der Welt. Insider behaupten, dass alle Steuergesetze der Welt zusammen weniger Umfang haben als das deutsche Steuergesetz allein. Es gibt mehr als einen passablen Entwurf das gesamte System zu vereinfachen, ohne dass die Steuerzahler oder der Staat Nachteile hätten. Der einzige Nachteil läge bei den zigtausenden deutschen Steuerbeamten und den Steuerberatern und deren Gehilfen. Zehntausende von Jobs mit dann unnützem Spezialwissen wären verloren. Grund genug, das System so lassen – mit all den damit verbundenen Nachteilen, die die Steuerzahler tragen. Der Selbsterhaltungstrieb schlägt logischerweise jede Rationalität.

 Helga König
Helga König: Wie reagieren sich cool gebende Betriebswirte, wenn Sie diese mit dem Thema "Angst" konfrontieren?

Hermann Scherer:  Ein "cooler" Betriebswirt hat doch keine Angst" :-))

Helga König: Nachhaltiger Erfolg hat sehr viel damit zu tun, eigene Grenzen zu überwinden. Was schlagen Sie vor, sollten Menschen zuallererst dahingehend tun, um sich ihrer Denkbarrieren bewusst zu werden?

Hermann Scherer:  Eine Grenze ist eine wirkliche oder gedachte Linie, die zwei Dinge voneinander trennt. Das eine endet an dieser Linie, das andere beginnt. Und umgekehrt. Eine Grenze ist eine Abgrenzung, das Ergebnis einer Trennung. Nach dieser Trennung können wir das Eine vom Anderen unterscheiden und den beiden getrennten Dingen Begriffe zuordnen. Erst dann können wir sie begreifen. Mit der Definition eines Begriffes begrenzen wir seinen Inhalt. Nur so sind wir in der Lage, über die Welt um uns herum zu kommunizieren und uns über sie zu verständigen. Ja, ohne Grenzen im Kopf könnten wir die Dinge nicht einmal denken. Wir können sie nur dann erkennen, weil wir sie unterscheiden können, sie also voneinander scheiden, trennen, abgrenzen können. Ohne Grenzen wäre nichts wahrnehmbar und nichts erkennbar, es gäbe keine Erkenntnisse. Aber all diese Grenzen sind in der Regel von Menschenhand gesetzt. 

Helga König: Können Sie bitte unseren Lesern kurz erläutern, weshalb Wertschöpfung durch Wertschätzung sehr gut möglich ist und weshalb Personen in Führungspositionen nicht selten hier noch viel lernen müssen? 

Hermann Scherer:  Unternehmen werden – aus Kapitalmarktsicht und aus wirtschaftlicher Sicht - geführt um Wertschöpfung zu erzielen. Man kann jedoch gar keine Unternehmen führen, denn die Unternehmen selbst bestehen aus Stahl, Holz und Beton. Führen können Sie nur die Menschen, die in diesem Unternehmen arbeiten. Es mag verblüffen, wenn ich behaupte, dass Menschen gerne – und damit in der Regel auch besser – in einem Klima der Wertschätzung arbeiten. Also erschaffen wir mehr Wertschöpfung durch mehr Wertschätzung, denn Unternehmen sind in einer gewissen Art alle Glaubensgemeinschaften.

Helga König: Sie schreiben, spirituell orientierte Führungskräfte übernehmen Verantwortung für sich und ihre Mitarbeiter und darüber hinaus für die Region, den für den Ort, für die Stadt, für das Land, für die Menschheit und Gesellschaft. Heißt das in der Konsequenz, dass Führungskräfte in Wirtschaft und Politik zukünftig erst einmal ein Jahr in einem Kloster verbringen sollten, um zu begreifen, um was es tatsächlich geht, wenn man führt?

 Hermann Scherer
Hermann Scherer:  Quatsch, da hilft auch kein Kloster. Aber sehr wohl wird insbesondere in Deutschland das Unternehmertum nicht hoch geschätzt. Und das liegt sicherlich auch daran begründet, dass der durchschnittliche deutsche Unternehmer in der Regel weniger soziale Verantwortung zeigt, als in anderen Ländern. Zugegeben das ist in einem Sozialstaat auch schwieriger. 

Helga König: Mit Ihrem Gutschein für die Käufer Ihres Buches, beweisen Sie die Großzügigkeit, die sie in ihrem Text als Merkmal für langfristigen Erfolg benennen. Möchten Sie durch diese Maßnahme ein Beispiel geben, über das Sie dann in Ihren Vorträgen reden? 

Hermann Scherer:  Vor allem will ich den Versuch der Nachhaltigkeit wagen. Buch plus Vortragsimpuls mögen die ersten Schritte eines aufregenden Abenteuers sein.

Lieber Hermann Scherer, danke für  das aufschlussreiche Interview.

Helga König

Fotos:  aus dem Bestand von Herman Scherer

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