Liebe Christine Keller, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Rent a mantra- Spirituelle Parodien für Anfänger und Fortgeschrittene " rezensiert. Deshalb auch möchte ich Ihnen einige Fragen stellen.
Hier der Link zur Rezension: Rent a Mantra
Helga König: Seit wann befassen Sie sich mit der Coaching- und Esoterikszene und welche realsatirischen Erfahrungen konnten Sie hierbei sammeln?
Christine Keller |
Christine Keller: Wenn man wie ich bereits ein philosophisch "auffälliges" Kind war und in den 70er Jahren in der Blüte der Pubertät stand, kam man nicht umhin, sich mit allen möglichen ethnophilosophischen Importen zu befassen. In meinem Fall konfrontierte mich zudem gegen Ende der 80er Jahre meine nähere Umgebung direkt mit "Channeling", Trance, Hellsehen, Hypnose usw., so dass ich quasi gezwungen war, mich vertieft mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Erst nach und nach erschloss sich mir die unfreiwillige Komik solcher "Szenen", die sich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts rund um das menschliche Grundbedürfnis nach Spiritualität aufbauten. Es sei mir verziehen, wenn ich hier keine realsatirischen Beispiele aufliste. Als Schriftstellerin arbeite ich mit den Mitteln der Verfremdung und Überzeichnung. "Rent a Mantra" darf also höchstens als Realsatire im Konjunktiv wirken, nämlich: genau so hätte es ja sein können…
Helga König |
Helga König: Gibt es spirituelle Themen, von denen Sie sich besonders angesprochen fühlen und die in ihrem Leben eine Rolle spielen?
Christine Keller: Zwei Bereiche der Spiritualität verulke ich nicht in meinem Buch: das christliche Gebet und die Verbundenheit mit der Natur. Im Text "spirituelle Suppe" zeige ich auf, in welcher Dunkelheit gewisse esoterische Spielgruppen landen können. Mein eigener Vorname "Christine" hat mich glücklicherweise immer wieder an meinen christlichen Background erinnert – wobei ich hier von persönlichen Erfahrungen und nicht von kulturell anerzogenen Ritualen spreche.
Ich möchte keinesfalls verschweigen, dass ich selbst über eine gewisse Sensitivität verfüge und Beratungssituationen sowohl aus der Klienten- als auch aus der Anbieterperspektive kenne.
Helga König: Ist in der gut situierten Gesellschaft der Schweiz Esoterik ein beliebtes Hobby von Mittel- und Oberschichtsfrauen, um der rein materiellen Welt zu entfliehen?
Christine Keller: Meine Erfahrung ist, dass die sog. Esoterikszene Bedürfnisse zu befriedigen sucht, die eine Gesellschaft mit schwindender Solidarität nicht mehr abzudecken vermag. Insofern werden Beratungen sicher nicht nur von einer bestimmten Gesellschaftsschicht und auch nicht nur von Frauen beansprucht. Wenn allerdings keine andere Krise da ist, dann kann eine mitunter seltsame Mischung aus Langeweile und Einsamkeit der Auslöser sein, sich über "frühere Inkarnationen" , "höhere Ebenen" oder die Gefühle des Partners zu unterhalten. Diese Art der komischen Verzweiflung durchzieht mein Buch leitmotivisch durch die repetitiven Beratungen mit "Starhellseherin" Stariona.
Helga König: Der Esoterikmarkt ist seit langem ein lukrativer Wirtschaftszweig. Weshalb wollen Menschen Ihrer Meinung nach stets in die Zukunft blicken, bietet ihnen die Gegenwart zu viel Unerfreuliches oder ist es die Angst, dass das Gute nicht ewig dauern kann?
Christine Keller |
Christine Keller: Auch kleinste Elemente von Sozialkompetenz und Empathie werden heute vermarktet. Es entsteht oft ein Amalgam mit dem erwähnten spirituellen Grundbedürfnis des Menschen – die perfekte Grundlage, um Abhängigkeiten zu erschaffen. Die Magie der Wirtschaft ist zur Bewirtschaftung der Magie geworden…wobei sich der Esoterikmarkt einerseits der Not unserer Gesellschaft erbarmt und andererseits dazu führt, dass erbarmungslos jeder jeden therapieren kann. Wir werden von Aus- Ein- und Weiterbildungen überschwemmt. Ein Beispiel dieses Schneeballeffekts versuche ich im Stück "prophylaktische Psychologie" darzustellen.
Unsere Zukunftsorientierung hängt wahrscheinlich zu einem großen Teil mit zunehmenden Sorgen um Gesundheit und Umwelt zusammen. Wir alle wissen, dass das "Gute" von heute auf Gier und Ausbeutung beruht, dass wir eigentlich Stopp rufen und unser Verhalten ändern sollten. Es sind Ansätze zum Umdenken da, doch meist befinden wir uns noch auf einer Stufe, auf welcher wir uns durch Unterhaltungsvisionen ablenken. Ich habe deshalb in meinem Buch auch Parodien zu Science Fiction - und Fantasyliteratur einbezogen wie in der Titelgeschichte "Rent a Mantra" oder in "Wie Oskar seine Gabe fand"
Helga König: Inwieweit hat Ihr Germanistikstudium Ihnen dabei geholfen, dieses Buch zu verfassen?
Christine Keller: 1991 verfasste ich mein Lizentiat über Ernst Jandls Gedichtwerk, ein Recherchetraining erster Güte! Vor allem inspirierte mich die intensive Auseinandersetzung mit seinen Textexperimenten nachhaltig und verlieh mir sogar gut 20 Jahre später die Ausdauer, für jedes parodistische Thema die richtige Textform zu suchen und zu finden.
Helga König: Was hat Sie veranlasst, sich des Themas mittels Parodien zu nähern?
Christine Keller: In einem ersten Versuch, mich dem Thema kritisch zu nähern, versuchte ich das Ganze als Erfahrungsbericht einer Esoterikaussteigerin aufzuziehen. Ich scheiterte, aber auf eine fruchtbare Art, weil in meinem verbissenen Anklageton eine unübersehbare Komik lag. Das war die Geburtsstunde meiner Parodien…
Helga König |
Helga König: In der Esoterikszene existiert eine nicht für alle verständliche Sprache. Hat es Sie als Autorin gereizt, den manipulativen Aspekt der Sprache zu analysieren, bevor Sie Ihre Parodien verfasst haben?
Christine Keller: Sprache hat die zweifache Aufgabe zu informieren und zu manipulieren. Wir leben heute im Kommunikationszeitalter, also in einem regelrechten Informations- und Manipulationszeitalter. Information ist unsere Währung, Manipulation ist unser Umgangston. Mir scheint sogar, dass Information und Manipulation noch nie so nah beieinander lagen, oft sogar als identisch empfunden werden. Das ist reinste Magie … In der Satire "Ork" führe ich ad absurdum vor, wie eine total magieabhängige Gesellschaft aussehen könnte.
Helga König: Sie ironisieren Verhaltensmuster, die Menschen im Rahmen von Feng Shui, Channeling, esoterischer Lebensberatung, aber auch positivem Denken an den Tag legen. Ist es der tierische Ernst, den so mancher Esoterikjünger bekundet, an dem Sie ein wenig rütteln wollen?
Christine Keller |
Christine Keller: Humor ist das beste Gegenmittel bei Fanatismus….
Helga König: Weshalb haben Sie sich entschlossen, die Kopfzeile der Parodie "Rent a Mantra" zum Buchtitel zu wählen?
Christine Keller: Wenn unsere Umwelt in naher oder ferner Zukunft einmal zerstört sein könnte, wird Sprache vielleicht neue Funktionen übernehmen. In "Rent a Mantra" habe ich dazu das Bild einer "Mantrathek" kreiert, aus welcher Sprachfetzen, "Mantren", ausgeliehen werden können quasi als letzte Erinnerung an unsere frühere Rentabilität.
Ehrlich gesagt finde ich das Wortspiel "Rent a Mantra" auch unabhängig von meiner SF-Kürzestgeschichte so spannend, dass ich damit einfach neugierig auf mein Buch machen wollte.
Helga König: Auf dem Cover ist eine Illustration zu sehen, die an ein Kinderbild erinnert. Wie soll man das Bild im Hinblick auf die Geschichten über Esoterikjünger deuten?
Christine Keller: Es ist ein ungewöhnliches Cover. Dieses mit Filzschreibern gezeichnete Mandala soll weniger ein Ausdruck von Kindlichkeit sein, als ein heilendes Symbol, eine Produktion aus dem Unbewussten, wie man sich eine Kritzelei während einer esoterischen Telefonberatung vorstellen könnte…
Liebe Christine Keller, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König
Das Buch ist überall im Handel erhältlich
ISBN: 978-3-90572-2-4
Onlinebestellung: Appenzeller Verlag
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