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Helga König im Gespräch mit dem Prosaautor, Journalisten und Ghostwriter Imre Török

Lieber Imre Török, Sie haben im letzten Jahr auf "Buch, Kultur und Lifestyle" Ihr Gedicht "Kindesmörder" veröffentlicht. Heute nun möchte ich einige Fragen an Sie richten, damit unsere  Leser mehr über Sie erfahren. 

Helga König: Sie sind in Ungarn aufgewachsen. Wo haben Sie und Ihre Vorfahren dort gelebt und aus welchen Gründen haben Sie das Land verlassen? 

Imre Török
Imre Török: Wir haben in der Stadt Eger gewohnt, im Nordosten von Ungarn, eine schöne Stadt mit vielen Gebäuden aus der Barockzeit, umgeben von Weinbergen. Ein Großteil meiner Familie war über Jahrhunderte in der Gegend ansässig, mein direkter Vorfahr, Bálint Török von Szendrő lebte vor fünfhundert Jahren in Eger, sein Sohn war Burgkapitän der historischen Burg der Stadt. Aus politischen Gründen haben wir Ungarn verlassen. Mein Vater, ein überzeugter Sozialdemokrat, war vor dem Aufstand 1956 und auch danach politischer Verfolgung ausgesetzt, war mehrfach inhaftiert und wurde auch gefoltert.

Helga König: Was hat Sie veranlasst, sich gerade in Deutschland niederzulassen und nicht wie ihr Schriftstellerkollege Sándor Márai in die USA auszuwandern? 

Imre Török: Nun, die Entscheidung habe nicht ich gefällt, sondern meine Eltern. Ein Grund war, dass die Wahl auf Deutschland fiel, weil es hier damals Verwandte mütterlicherseits gab. Übrigens musste ich Jahrzehnte später schmunzeln, als plötzlich die große Wiederentdeckung von Márai gefeiert wurde. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, als meine Eltern in Ungarn begeistert über Bücher von Márai gesprochen haben. Seine Werke galten im kommunistischen Ungarn allerdings als kleinbürgerliche Schundliteratur und kursierten nur unter der Hand im Freundeskreis meiner Eltern. Für die Lektüre war ich selber zu jung, dafür habe ich später die meisten Bücher dieses großartigen Schriftstellers gelesen und literarisch viel von ihm gelernt. Er kommt in meinem Roman "Insel der Elefanten" vor. 

Helga König: Wie man Ihrer Website entnehmen kann, haben Sie in Tübingen Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert. Einer Ihrer Professoren war der Philosoph Ernst Bloch. Inwieweit hat Bloch Ihr zukünftiges Denken beeinflusst? 

 Imre Török
Imre Török:  Ja, nach Erlernen der deutschen Sprache und Schulabschluss habe ich 1969 in Tübingen zu studieren begonnen, die genannten drei Hauptfächer und zwei Semester lang Religionswissenschaften. Die Begegnung mit der Persönlichkeit und dem Werk des marxistischen Philosophen, dem frühen und unermüdlichen Faschismuskritiker, war eindeutig prägend. Gelernt habe ich durch ihn unter anderem, das kulturelle Erbe der Menschheitsgeschichte zu schätzen und traditionelle Weltanschauungen nicht grundsätzlich zu kritisieren, sondern nach dem zukunftsweisenden wahrhaftigen Kern in Weltanschauungen zu suchen, so z. B. in der jüdisch-christlichen Weltsicht. 

Später half mir diese Übung, den Islam differenziert zu sehen, mit Blick auf die Barmherzigkeit, die auch diese Religion beinhaltet und fordert. Was ich verabscheue, ist jede Art von Dogmatismus oder gar Fanatismus, ob religiös oder politisch. Philosophisch prägend war auch Ernst Blochs "Ästhetik des Vor-Scheins". Mein daraus resultierendes Thema, wie Zukunft und Hoffnung in unsere Gegenwart "hineinleuchten", wartet noch mit viel Arbeit auf. 

Meine Hobbybeschäftigung, die Quantenphysik, spielt dabei eine wesentliche Rolle. Gelegentlich "leuchtet" diese Beschäftigung, in vereinfachten Bildern, in meine literarischen Texte hinein. Wir könnten sehr viel mehr von der Zukunft begreifen und zulassen, wenn unsere Kreativität, ein universelles Vermögen, nicht ständig von terroristisch-faschistischen Zusammenrottungen vergewaltigt, gestört und zerstört werden würde. Ungeahnte Kreativität und Kommunikation mit der Zukunft wären physikalisch möglich. Aber ein Großteil unserer menschlichen Energie geht in primitiven Selbstzerstörungsszenarien drauf. 

Helga König: Wie ich gelesen habe, lautet Ihr Motto "Gib, gib auch nach, aber gib nicht auf." Welche Erfahrungen ließen Sie zu diesem Lebensmotto gelangen?

Imre Török: Diesem Motto folge ich schon lange. Da gab es mehrere Lebensereignisse, angefangen mit der Exilsituation als 15jähriger ohne Sprachkenntnisse, ohne Freunde, in einer fremden Welt. Geben wurde in meine Natur gelegt, dafür kann ich absolut nichts. Dass ich nicht aufgeben mag, ist schon eher erlernt, eigene Erfahrung, Leistung, Herausforderung. Aber auf Biegen und Brechen etwas durchzusetzen führt meist in ein Fiasko. Siehe Dogmatismus und Fanatismus. Es ballt sich schon oft meine Faust, und der Gedanke ans Nachgeben fällt unendlich schwer. 

Als ich vor Monaten das Mörderische bei Kobane erlebt habe, als ich in Zelten der Flüchtlinge ihren Schicksalen zugehört habe, da will man am liebsten entweder sterben oder zum Rachegott werden. Und dann erinnert man sich wieder seines alten Mottos, dessen dritte Sentenz heißt, "aber gib nicht auf". In Melancholie zu versinken oder Rache walten zu lassen, beides wäre ein Aufgeben der Möglichkeit, zu geben. Ein "sowohl als auch" statt eines "entweder oder" lernt man, glaube ich, im Laufe eines nicht gerade einfach gestrickten Lebens. 

Helga König: Sie verfassen als Prosaautor, Journalist und Ghostwriter Texte zu unterschiedlichen Themenbereichen und Sie haben u.a. an dem Kinofilm  "Sophie Scholl. Die letzten Tage" mitgewirkt. Worin sehen Sie die Stärken dieses beeindruckenden Werks und was hat Sie veranlasst, an der Entstehung dieses Films mitzuarbeiten? 

Imre Török:  Die große Stärke des Films ist es, entgegen des Mainstreams, wo mit übersteigerten Reizen das Publikum gelockt wird, in diesem geradezu kammerspielartigen Film trotzdem sehr klar die Stärke der Widerstandskraft und die Zartheit einer entschlossenen Seele zu zeigen. Der Drehbuchautor und Schriftstellerfreund Fred Breinersdorfer hat mich gefragt, ob ich für das Drehbuch recherchieren würde, ich habe sofort zugesagt. Sophie Scholl und ihr Widerstand gegen faschistischen Wahnsinn hatten mich zuvor schon tief beeindruckt. Ich las dann alles, Tagebücher, Briefe, was ich von ihr finden konnte. Es war fast wie eine Seelenbrücke. Außerdem habe ich Protokolle der Verhöre durch die Gestapo ausfindig gemacht, die Dialoge in den Verhörszenen sind oft wörtliche Widergaben der Verhörprotokolle. In meinem nächsten Roman "Die Königin von Ägypten in Berlin" spielt Sophie Scholl wieder eine Rolle. 

Helga König:  Sie sind Mitglied im P.E.N.-Zentrum Deutschland, im Verband deutscher Schriftsteller (VS) und im ungarischen Schriftstellerverband. Zudem waren Sie Vorsitzender des Schriftstellerverbands (VS) in Baden-Württemberg 1996 – 2005 und sind seit 2005 Bundesvorsitzender des VS. Worin sehen Sie in Zeiten des Internets die Hauptaufgaben all dieser Verbände? 

Imre Török:  Das Internet mit seinen großartigen neuen Möglichkeiten ändert nichts an der Tatsache, dass das Urheberrecht, dass das Potential von Künstlern ein höchst schützenswertes Anliegen bleibt. Wenn das Urheberrecht verwässert oder ausgehöhlt wird, sägen wir damit an dem Ast, auf dem wir alle sitzen. Autoren müssen von ihrer schriftstellerischen Arbeit leben können, sonst droht langfristig Verflachung und stupide Vereinfachung des Denkens und Empfindens. Schwarmintelligenz, Nachahmung, Kopieren sind nette neue Ansätze, doch ihre evolutionären Grenzen zeigen sich schon bei Ameisen oder Bienen, die faszinierende Intelligenzstrukturen hervorgebracht haben, die aber zugleich zum ewigen Stillstand verdammt sind. Wir müssen individuelle Kreativität – so elitär das für mache klingen mag – in hohem Maße fördern und schützen, nicht als Gegensatz zu der Breite der kreativen Vielfalt, sondern als deren Motor, als Ideengeber, Initialzündung. Für die sozialen und rechtlichen Belange von Urhebern will ich mich weiter einsetzen, auch wenn ich nach zehn sehr arbeitsreichen, auslaugenden Jahren für das Ehrenamt des VS-Vorsitzenden (das einer Halbtagsstelle aber ohne Bezahlung gleichkommt) im Februar 2015 nicht erneut kandidiert habe. 

Helga König: Ihr Buch "Briefe aus dem siebten Himmel" wird als Manifest für ein Menschenrecht vorgestellt, das die Perspektive und die Seele von Kindern widerspiegelt. Was bedeutet das konkret?

Imre Török: Dieses Buch ist für mich das bislang wohl wichtigste meiner Werke. Hier ergreife ich eindeutig und auch einseitig Partei für das Lebensrecht eines jeden Kindes. Kinder sind die am meisten schutzlosen Wesen der menschlichen Gemeinschaft, uns auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie können sich nicht dagegen wehren, wie sie beeinflusst, positiv oder negativ geformt, wie sie oft ausgenutzt und physisch wie psychisch vergewaltigt werden. Kinder erleiden uns, indem sie Teil von Entwicklungen sind, einschließlich aller menschlich verursachten Katastrophen und Horrors. Ich weiß, es gibt viel aufrechte Kinderliebe. 

Doch ich frage ketzerisch, ob wir letztlich nicht alle, mich eingeschlossen, egoistisch auf Kosten der Kinder leben, die nach uns die Erde bevölkern werden. Das Buch ist eine bewusste Provokation, darüber nachzudenken, dass wir eine Ethik brauchen, welche die Zukunft des Lebensrechts, also das Menschenrecht der Kinder und Kindeskinder viel stärker einbezieht. Ich hatte im Manuskript vor zwei Jahren eine kurze Passage über Malala, die beim Lektorat rausgefallen ist. Nach Erscheinen des Buches wurde die Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Da war ich ein bisschen stolz, dass ich die Bedeutung ihres Engagements schon früh zu schätzen gelernt hatte. In meinem Buch steht das Schicksal von Kindern zugleich als Metapher für alle Opfer von Gewalt. Es geht mir um die Opferperspektive, um den Blick auf unsere Welt aus der Sicht von Opfern. Nicht allein in diesem Buch. 

Helga König:  Sie haben an dem Buch "Historische Cafés in Europa" mitgearbeitet. Was hat Sie an diesem Projekt gereizt? 

Imre Török: Natürlich mag und schätze ich unterhaltsame Literatur und schreibe sie gern. Die Unterscheidung zwischen E-Literatur und U-Literatur ist eine Einengung, die Kritikerköpfen entspringt. Es ist einfach schön, zwischen Fotos aus Caféhäusern zu blättern und dabei einen kurzweiligen Text über Leben und Treiben in historischen Cafés zu lesen. Es war eine Auftragsarbeit, die ich gern angenommen habe. Bei den Einnahmen aus meinen gelegentlich philosophischen Höhenflügen würde ich glatt verhungern. 

Helga König: Der Nobelpreisträger Imre Kertész hat das Vorwort zu ihrem Buch "Un-GAR. Reflexionen eines Grenzgängers" verfasst. Worum geht es in diesem Buch? 

Imre Török:  Ich war sehr berührt, dass Imre Kertész bereit war, das Vorwort zu schreiben, eine große Ausnahme. Wir kennen und schätzen uns allerdings schon lange. Das Buch enthält Auszüge aus meinen Tagebüchern, ein roter Faden ist das Schreiben in Exilsituation, in der Fremde. Mein Exil ist natürlich überhaupt nicht vergleichbar mit den qualvollen Lebensumständen verfolgter Schriftsteller in Vergangenheit und Gegenwart. Eine tiefe Fremdheitserfahrung und der Umgang mit ihr haben jedoch auch mich geprägt. Imre über Imre  im Vorwort: "In diesem Jahrhundert lebten Orwell und Kafka. Es scheint, dass in unserem Leben die Erfahrung des Exils der Normalzustand des Menschen ist. Freilich wenn dem so ist, dann ist das Tagebuch von Imre Török nichts anderes als Revolte gegen die Epoche. Sein Leben zeigt exemplarisch, auf welche Weise der Mensch dort Wurzeln schlagen kann, wo er auf einmal sich seiner selbst bewusst wird." 

Helga König: Darf ich Sie fragen, woran Sie derzeit arbeiten und wann Ihre Leser mit einem neuen Buch rechnen dürfen? 

Imre Török: Zurzeit arbeite ich an einem Kriminalroman über einen Kreativitätsforscher, der zurückgezogen in der Bergwelt lebt. Seine offene Kritik an religiös verbrämten Kreativitätskillern ruft unangenehme Zeitgenossen auf den Plan. Ein Showdown bahnt sich an, das alles spielt in der Jahreszeit des närrischen Treibens. Ein verrücktes Ding mit viel Maskerade, leider auch in der unangenehmsten Bedeutung des Worts. Mein nächster Roman "Die Königin von Ägypten in Berlin" wird im Frühling erscheinen. Er handelt u. a. vom Leben eines entfernten Familienmitglieds, Gräfin May Török von Szendrő (1877 – 1963), zeitweilige Gemahlin des Khediven von Ägypten. Nach ihrer Ehe hat sie einige Jahre in Berlin gelebt, eine Künstlerin und Frauenrechtlerin, die unter dem Namen Djavidan Hanum publiziert hat. 

Mein Roman, der 1942/43 spielt, handelt vom Widerstand und von einer großen Liebe, ist eine Collage aus Fakten und Fiktion. Bedauerlicherweise müssen deutsche Leser noch warten, der Roman wird zunächst auf Türkisch erscheinen. Mein türkischer Verleger, Herausgeber von Ernst Bloch in türkischer Sprache, war von meinem Stoff sofort überzeugt und arbeitet schneller. Wer weiß (augenzwinkernd), vielleicht wird einmal der mesopotamische Kulturkreis ein Ort, wo Imre Török aufs Neue "Wurzeln schlagen kann, wo er auf einmal sich seiner selbst bewusst wird." 

Lieber Imre Török, ich danke Ihnen vielmals für  das aufschlussreiche Interview

Ihre Helga König

Fotos von Imre Török aus seinem Bestand.

Hier geht es zur Website von Imre Török.http://www.imre-toeroek.de/. Dort auch können Sie sich über seine Publikationen näher informieren. Sie sind überall im Fachhandel erhältlich.

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