Lieber Herr Kobbeloer, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Lernen im Kühlschrank" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.
Helga König: Können Sie unseren Lesern bitte kurz erläutern, was Sie dazu veranlasst hat, ein Buch über sinnvolle Pädagogik zu schreiben?
Michael Kobbeloer |
Michael Kobbeloer: Im Prinzip wissen wir seit mindestens 200 Jahren das Lernen dann erfolgreich ist, wenn es mit allen Sinnen erfolgt und uns emotional berührt. Bereits Pestalozzi wusste es, konnte es natürlich noch nicht beweisen, jetzt gibt es aber keine Ausreden mehr, denn die Hirnforschung weist uns seit mindestens zehn Jahren wissenschaftlich nach, dass Emotionen die Basis für Kreativität und erfolgreiches Lernen sind. Wir befinden uns im Zeitalter der Emotionen – Gefühle, wo wir hinschauen - TV Macher, Flugbegleiter, Manager und Ausbilder an der Militärhundeschule lernen etwas über Emotionen nur Pädagogen nicht. Mein Buch soll daran etwas ändern.
Helga König: Geht es nach Ihren Erfahrungen im Schulalltag in der Regel freudlos zu und was könnten die Gründe hierfür sein?
Michael Kobbeloer: Zusammengefasst weisen Studien nach, dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler regelmäßig negative Emotionen in der Schule erlebt. Und das deckt sich sehr mit meinen Erfahrungen als Schüler und zuletzt als Lehrer und Leiter einer Fachschule. Der Schulalltag von Schülern, Lehrern, Schulleitungen und ich zähle einfach auch mal die Eltern dazu, weil sie auch einen Schulalltag haben, ist sehr häufig geprägt von Angst, Wut, Resignation und Langeweile - ich denke, wir sind uns einig, dass dies keine freudigen Emotionen sind. Einer der Gründe ist sicherlich, dass sich die Beteiligten nur sehr bedingt gegenseitig wertschätzen. Ein weiterer Grund ist, dass Lehrer in ihrer Ausbildung nichts über Emotionen und ihre Bedeutung für erfolgreiche Lernprozesse lernen. Lernen ist dann erfolgreich, wenn es angstfrei ist, ich einen Sinn in dem sehe, was ich lernen muss und wenn ich in einer Gemeinschaft lerne, in der ich mich wohl fühle. Und Sie können sich sicher sein, dass die Mehrheit der Beteiligten dies nicht erlebt.
Helga König: Was kann seitens der Erwachsenen unternommen werden, damit der Nachwuchs nicht nur leistungsstark, sondern auch kreativ, eigeninitiativ und leidenschaftlich mit dem, was erlernt wird, umgeht?
Michael Kobbeloer: Dafür brauchen wir aus meiner Sicht eine "Emotionale Didaktik". Ich habe diesen Begriff geprägt, um deutlich zu machen, dass Pädagogen endlich lernen müssen, dass "Emotionen die Basis für Kreativität" sind, wie es einer der weltweit führenden Neurowissenschaftler Antonio Damasio erkannt hat. Und Kreativität ist die Basis, um Probleme zu lösen und genau darum geht es in der Zukunft. Im 21. Jahrhundert geht es nicht mehr darum, möglichst viel zu wissen, das ist sowieso fast unmöglich, da unser Wissen viel zu schnell veraltet, sondern es geht darum, die künftigen Generationen in Problemlösekompetenz auszubilden und das kann nur der, der die Bedeutung von Emotionen erkannt hat und weiß, wie er sie gezielt für Lernprozesse einsetzen kann. Wir müssen den Klimawandel im Bildungssystem aufhalten, indem wir ein angstfreies Schulklima schaffen.
Helga: König: Liebevoller Umgang miteinander und Wärme sind Grundvoraussetzungen dafür, damit Kreativität entstehen kann. In all Ihren Thesen geht es um die Überwindung emotionaler Kälte. Ist diese Kälte ein Relikt aus dem alten Preußentum oder ist sie neueren Datums?
Michael Kobbeloer |
Michael Kobbeloer: In der Tat, es ist ein uraltes Relikt, denn wir haben in unserer Sozialisation immer wieder gelernt, dass man über Emotionen nicht spricht. Emotionen werden als Zeichen von Schwäche ausgelegt, Gefühle haben bei der Arbeit und somit auch beim Lernen nichts zu suchen, es geht um Rationalität. Wenn jemand zu Ihnen sagt: "Ich möchte das jetzt mal ganz rational mit Ihnen besprechen", dann dürfen sie in Zukunft ruhig schmunzeln, denn dies ist, wie wir inzwischen gesichert wissen - unmöglich. Bevor der Mensch denkt und entscheidet, fühlt er. Ohne Emotionen geht nichts! Dabei wissen wir alle intuitiv, dass wir dann am leistungsstärksten und kreativsten sind, wenn wir uns wohlfühlen. Und was ist wohlfühlen – positive Emotionen. Aber wenn Sie in ihrer Kindheit immer wieder gehört haben "Gefühle zeigt man nicht" oder "Indianerherz kennt keinen Schmerz" - dann dürfen wir uns nicht wundern.
Helga König: Sie schreiben, dass Lerninhalte sinnstiftend sein sollen, um emotional erfolgreiches Lernen möglich zu machen. Können Sie diesbezüglich ein Beispiel bilden?
Michael Kobbeloer: Indem ich Probleme schaffe. Nun mag man sagen - wir haben ja bereits genug Probleme im Bildungssystem, nein, die meine ich nicht. Warum macht es Sinn zu lernen, dass Luft leichter als Wasser ist? Ohne ein Problem dahinter wüsste ich nicht, warum ich so einen Quatsch lernen soll. Das Problem tritt dann auf, wenn ich einen Platten in meinem Fahrradreifen habe und dann macht es durchaus Sinn, das zu wissen, weil dieses Wissen dann Teil der Problemlösekompetenz ist, um einen Reifen flicken zu können. Neben handwerklichen Fähigkeiten natürlich. Und wenn ich ein Problem habe, dann entsteht für mich ein individueller Sinn, dieses Problem zu lösen. So entsteht Begeisterung, Kreativität, höchste Konzentration auf eine Sache und am Ende ein Erfolgserlebnis – das sind Emotionen pur und nachhaltiges Lernen – das werde ich nie wieder vergessen, weil Emotionen im Spiel waren. Was glauben Sie, wie viele Kinder ich kenne, die nicht in der Lage sind einen Fahrradreifen zu flicken. Das Luft leichter als Wasser ist, haben sie aber alle "sinn-los" gelernt.
Helga König: Wie darf man sich konkret einen angstfreien Raum vorstellen?
Michael Kobbeloer: Ein angstfreier Raum besteht aus einer sozialen, einer lern- und einer materiellen Ebene. Das Gegenteil eines angstbesetzten Raumes ist ein Raum, in dem ich mich wohlfühle. Auf der sozialen Ebene bedeutet das, gegenseitige Wertschätzung, auf der fachlichen Ebene erkundendes und erforschendes Lernen mit individuellem Feedback und nicht nur ein Würfelspiel mit 6 Noten und auf der materiellen Ebene ein Raum, der auch äußerlich emotional positiv wirkt, durch Schall, Geruch, Licht, Farbe, Klima und andere architektonische Komponenten. Gerade die letzte Ebene wird fast immer vergessen.
Helga König: Wie kann ein Lehrender lernen, die Emotionen seiner Schüler zu entschlüsseln?
Michael Kobbeloer: Wenn er zuerst seine eigenen Emotionen ernst nimmt. Das bedeutet zuallererst sie wahrzunehmen und dies gelingt nur, wenn ich achtsam bin. Nur dann kann ich meine eigenen Emotionen und dann die der anderen wahrnehmen. Wenn ich mich und meine Emotionen wertschätze, dann kann ich auch andere mit ihren Emotionen wertschätzen und das ist der erste Schritt, um die Emotionen der Schüler zu entschlüsseln. Ein erster Schritt zur emotionalen Kompetenz. Achtsamkeit und Wertschätzung. Wir müssen also versuchen Achtsamkeit und Wertschätzung in das Bildungssystem zu integrieren. Beides kann man lernen. Ganz nebenbei bemerkt ist dies kein esoterischer oder spiritueller Humbug, sondern wird bereits sehr erfolgreich in amerikanischen Schulen, aber auch in großen erfolgreichen Unternehmen eingesetzt. Wer aufmerksam die Medien beobachtet wird feststellen, dass gerade in der Wirtschaft der Ruf nach diesen Ansätzen immer lauter wird. Die Wirtschaft hat – im Gegensatz zum Bildungssystem - das Industriezeitalter aber auch schon lange hinter sich gelassen. In meinen Vorträgen stelle ich einen völlig simplen aber hocheffektiven Weg vor, wie man - Wertschätzung - in Schule etablieren kann. Darüber hinaus bin ich gerade dabei mit einer sehr erfahrenen und erfolgreichen Achtsamkeitstrainerin das Unternehmen emodaktik zu gründen, um Schulen und andere Bildungseinrichtungen auf diesem Weg zu begleiten.
Helga König: Sie schreiben, dass an Schulen Strukturen vorherrschen, die ans Industriezeitalter erinnern. Weshalb ist es so schwierig, diese Strukturen zeitgemäß zu verändern?
Michael Kobbeloer: Zum einen, weil das Bewusstsein bei vielen dafür fehlt. Untersuchungen unter Lehramts-Studenten haben gezeigt, dass diese häufig gar nicht auf die Idee kommen, etwas könnte anders werden, weil "es ja immer schon so war". Dann kommen die Aussagen der älteren hinzu "mir hat das ja auch nicht geschadet", wobei man häufig an dieser Aussage ja schon merkt, dass das nicht stimmt. Darüber hinaus hat das Bildungssystem in Deutschland einfach keine Lobby und der Staat hat ein großes Interesse daran, hier nichts zu ändern, weil das bedeuten würde, dass wir mehr für Bildung investieren müssten. Mit der finanziellen Sicherheit des Beamtentums erkauft sich der Staat Lehrkräfte, die den Mund halten und somit oft genötigt werden, Dienst nach Vorschrift zu machen. Dienst nach Vorschrift hat noch nie etwas verändert – so bleiben die uralten Strukturen des Industriezeitalters. Sie werden in Deutschland kein erfolgreiches Unternehmen finden, das noch mit derart hierarchischen und starren Strukturen wie in der Schule arbeitet. Als ich um meine Entlassung aus dem Beamtendienst gebeten habe, hat man am meisten Wert darauf gelegt, dass ich den Verschwiegenheitsparagraphen unterzeichne. Man muss viel zu verbergen haben, wenn man hierauf so großen Wert legt.
Helga König: Welche Vorteile hat emotionale Kompetenz bei Lehrkräften konkret?
Michael Kobbeloer: Wer emotionale Kompetenz besitzt – wer achtsam mit sich umgeht und sich und andere wertschätzt, der wird niemanden mobben, der wird nicht Amok laufen, der will nicht über andere Macht ausüben, der wird nicht so schnell krank - ein einfacher aber höchst effektiver Schritt. Emotionale Kompetenz bei Lehrkräften hat aus meiner Sicht aber noch einen anderen Aspekt nämlich den, Kompetenz im Bereich einer emotionalen Didaktik zu entwickeln - also zu wissen, welche Möglichkeiten es gibt, Lernprozesse mit bestimmten Methoden emotionaler zu planen und zu gestalten.
Helga König: Sie sind zertifizierter Trainer für emotionale und erfahrungsorientierte Lernmethoden. Wen begleiten Sie in ein zukunftsorientiertes Bildungssystem und wie darf man sich das vorstellen?
Michael Kobbeloer: Ich begleite alle Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis in die Berufsschule. In meinen Vorträgen und Seminaren lasse ich meine Zuhörer und Teilnehmer selber Emotionale Didaktik ganz praktisch erfahren. Wie fühlt es sich an, beschämt zu werden, Angst zu haben und wie – wenn ich positive Emotionen erlebe. Wie kann ich bewusst und gezielt bestimmte Emotionen auslösen, um Lernprozesse effizienter zu gestalten – zum Beispiel mit Lerntools der Firma metalog, für die ich auch als Trainer arbeite. Wie setze ich Sprache ein und wie kann ich das Klassenklima messen und anschließend auch verbessern. All das mit wenig Theorie, aber vielen Emotionen – alles andere wäre auch sehr unglaubwürdig.
Lieber Herr Kobbeloer, ich danke ihnen herzlich für das aufschlussreiche Interview.
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Die Pädagogik wird der Realität in keinster Weise gerecht, wenn sie die Wirklichkeit ständig auf das zu reduzieren trachtet, was im Lehrplan steht - der ohnehin kein Lehr- sondern allenfalls ein Unterrichtungsplan ist.
AntwortenLöschenIn einem Schulhaus mit dem Hintern auf einem Holzstuhl, die Brille auf der Nase, den Füller in der Hand, die Ohren gespitzt und den Blick Richtung auf das Tafelbild fixiert - da fängt "Lernen" für uns erst an. Aber das ist nicht Lernen, das ist Unterrichtetwerden: nach unten gerichtet Werden.
Der Kopf zwingt die Hand, das Kreuz ins richtige Kästchen zu machen - so werden wir nach unten gerichtet. Und das soll die berüchtigte Vorbewreitung auf´s Leben sein?
Da schreien doch alle Wahrnehmungsorgane im Kind, die noch nicht völlig platt gemacht sind und noch etwas empfinden: "NEIN!"
Sind wir dafür auf diese Welt gekommen, unseren GEIST und alles, was er uns über uns und unser Leben ständig offenbart und zuspielt, beiseite zu schieben, ndamit er uns von den künstlichen, toten Vorgaben nicht weiter abbringt?
Sind wir dafür mit GEIST begabt, dass wir immer mehr Ängste bekommen, nicht normal und defekt zu sein, weil dieser GEIST sich gegen pädagogische Plattheit, Niveaulosigkeit, Kränkung, Verletzung und Unterdrückung zur Wehr setzt?
Warum will eigentlich keiner wahrnehmen, dass wir alle LEBEN verlernen, wenn wir ständig nur das einochsen müssen, was irgendwelche Leute am Grünen Tisch, fern unserer wirklichen Wirklichkeit für den Unterrichtsvollzug auf Papier vorgeschrieben und abgestempelt haben?
Indem wir FÜR DAS LEBEN LERNEN müssen, verlernen wir alle LEBEN.
Das muss doch ständig E-MOTIONEN = Heraus-Bewegungen verursachen.
Was da HERAUS kommt, zeigt, dass INNEN nichts mehr IN ORDNUNG ist.
Wir kommen an die INNEN-Kräfte nicht heran, wenn wir immer nur außen den Lehrplan weiter perfektionieren.
Die Pädagogik hat ganz offensichtlich ANGST vor dem INNEN des Menschen.
Statt sich diesem Mangel zu stellen, flüchtet sie sich in Fleißaufgaben.
Da ist es doch wohltuend, wenn man mit jemand erlebt, dass PRO-bleme schon mal keine Anti-blene sind.
PORBLEM - von griech. "ballein = werfen" - das ist der BALL, den uns das Leben zuspielt, um uns zu sagen: "Du bist noch im Spiel. Spiele weiter!" Schlecht würde es erst, wenn uns das Leben keinen Ball mehr zuspielt. So sehe ich das in der Ich-.kann-Schule.
Wenn wir Leben auch nur etwas besser verstanden haben, löst das in uns Gefühle aus: Gefühle, die offenbar gefangen waren.
Auch das ist eine Offenbarung des GEISTES.
Ist doch wirklich gut, wenn jemand für E-MOTIONEN = Heraus-Bewegungen des Geistes sorgt. Guten Erfolg damit!
Franz Josef Neffe