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Helga König im Gespräch mit Dr. Peter Teuschel, Autor des Buches "Das schwarze Schaf"

Lieber Herr Dr. Teuschel, dieser Tage habe ich  Ihr Buch "Das schwarze Schaf" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen. 

Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter einem "schwarzen Schaf" eine Person in der Familie, die auf die sogenannte "schiefe Bahn" geraten ist. Ihre schwarzen Schafe sind jedoch Menschen, die zu Außenseitern in der Familie gemacht werden, um sie auf diese Weise konsequent wegzumobben. 

Helga König:  Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Patienten sammeln können im Hinblick auf Schuld und Schamgefühle, wenn diesen seitens eines Elternteils das Gefühl vermittelt wurde, das sie "nichts wert" sind? 

 Dr. Peter Teuschel
Dr. Peter Teuschel:  Diese Erfahrung löst bei nahezu allen betroffenen Frauen und Männern ganz erhebliche Schamgefühle aus. Zurückweisung durch die Eltern ist eine existentielle Erfahrung. Beginnt sie bereits im Kindesalter, übernimmt das Mädchen oder der Junge diese Entwertung in seine Selbstbeurteilung und identifiziert sich unbewusst mit dem von den Eltern suggerierten negativen Selbstbild. Die Scham bezieht sich somit nicht selten auf die Existenz an sich. Schuldgefühle entstehen meist durch den Versuch, sich selbst etwas aufzuwerten, womit gleichzeitig eine gewisse Vorwurfshaltung den Eltern gegenüber einhergeht. Die hierin enthaltene "Undankbarkeit" löst oft ganz massive Schuldgefühle aus. So sind Schuld- und Schamgefühle ein typisches Merkmal schwarzer Schafe. 

Helga König:  Wie äußern sich Benachteiligungen in Familien bei mehreren Geschwistern generell? 

Dr. Peter Teuschel:  Eines der Geschwister, eben das "schwarze Schaf", wird gegenüber allen anderen schlechter behandelt. Es bekommt weniger Zuwendung, weniger Zärtlichkeit, weniger Geduld. Oftmals sind die Benachteiligungen auch ganz konkret materiell: Weniger Taschengeld, weniger Nachspeise, weniger Geschenke. Anders herum kann auch eines der Kinder übermäßig belastet werden, indem es deutlich mehr Arbeit auferlegt bekommt, mehr Pflichten erfüllen muss oder ihm Verantwortung übertragen wird, von der es überfordert ist. 

Helga König: Sie schreiben, dass es im familiären Mobbing zumeist einen Mobber, aber auch Helfershelfer, Zuschauer, Wegschauer und Unterschützer gibt. Weshalb ist der Mut, selbst dann, wenn die Kinder bereits erwachsen sind, seitens anderer so gering, dem oder der Gemobbten beizustehen? 

Dr. Peter Teuschel:  Zum einen handelt es sich um Angst. Es ist einfach leichter, auf Seiten des Täters zu stehen als auf Seiten des Opfers. Solidarisiere ich mich mit dem schwarzen Schaf, laufe ich Gefahr, selbst zur Zielscheibe von Ausgrenzung und Benachteiligung zu werden. Zum anderen sind oft bei den Helfern und "Wegschauern" konkrete Eigeninteressen zu erkennen. Sei es, dass das Unterdrücken der Schwester oder des Bruders sadistische Freude bereitet oder der eigenen Selbsterhöhung dient, sei es, dass beispielsweise im Rahmen von Erbangelegenheiten der Vorteil darin besteht, dass ich schlicht mehr Geld bekomme, wenn meine Schwester oder mein Bruder enterbt wird. 

Helga König: Was veranlasst einen elterlichen Mobber dazu, sein eigenes Kind zu mobben und nicht selten das weniger "gut geratene" Kind dem gemobbten extrem vorzuziehen? 

Dr. Peter Teuschel:  Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Viele "schwarze Schafe" sind ein Leben lang auf Mutmaßungen angewiesen, was die Motive der Ausgrenzung betrifft. Ich möchte einige Beispiele nennen: Ein Vater vermutet, dass der Sohn das Kind eines anderen Mannes ist und lässt seine Wut an dem "Kuckuckskind" aus. Eine Mutter ist sauer auf das "Nesthäkchen", das ungeplant zu einem Zeitpunkt geboren wurde, als sie eigentlich wieder arbeiten wollte. Ein anderer Vater sieht seinen Sohn unbewusst als Bedrohung und zieht diesem die Töchter vor. Eine Mutter hat eine Persönlichkeitsstörung mit impulsivem Verhalten, die beiden robusten Kinder kommen damit klar, das empfindsame Kind nimmt Schaden. Von zwei Geschwistern hat eines eine schwere Erkrankung und bekommt alle Zuwendung, derer die Eltern fähig sind. Für das andere Kind ist keine Kraft mehr übrig. In eine sehr konservative Familie mit strengen Regeln wird ein Kind geboren, das einfach "anders" ist: wild, unkonventionell, eigensinnig. Es wird gegenüber den "braven" Geschwistern ausgegrenzt. Diese Beispiele mögen verdeutlichen, wie vielfältig die Konstellationen und Motive sein können. 

Helga König: Wie äußert sich die Ausgrenzung der ungeliebten Kinder in jungen Jahren und welche Folgen entstehen für das gemobbte Kind in der Psyche? 

Dr. Peter Teuschel:  Je früher die Ausgrenzung beginnt, um so eher wird sie sich durch Liebesentzug auszeichnen, durch ein kaltes, abweisendes Verhalten dem Kind gegenüber. Diese erlebte Lieblosigkeit wird vom Kind als die Erfahrung gespeichert, nicht "liebens-wert" zu sein. Dies führt zu einer sehr negativen Selbstbewertung und kann neben der allgemeinen Beeinträchtigung des Lebensgefühls auch psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen auslösen.

Helga König: Sie schreiben, dass es zwei Konstellationen von Mobbing in Familien gibt. Welche der beiden Konstellationen tritt eher auf? 

Dr. Peter Teuschel:  Ich nehme an, dass die Frage auf die beiden Prinzipien "zu wenig" und "zu viel" abzielt. Auch wenn Fälle von Überforderung nicht selten sind und schwarze Schafe beispielsweise den (oft unausgesprochenen) Auftrag erhalten: "Du musst die Familie "retten", du musst dich um uns alle kümmern, nur du kannst das schaffen, wir sind alle zu schwach dazu", so überwiegen nach meiner Erfahrung doch diejenigen Fälle, bei denen ein Kind dadurch zum "schwarzen Schaf" gemacht wird, dass ihm etwas Wichtiges und Wesentliches vorenthalten wird. 

Helga König: Wieso erkennen Eltern, wenn man sie selbst von dritter Seite auf ihr Mobbingverhalten anspricht, zumeist nicht wie unfair und oft sogar niederträchtig sie sich verhalten? 

Dr. Peter Teuschel:  Viele Eltern fühlen sich von vorneherein dadurch im Recht, dass sie eben die Eltern sind. Unser Bild von "Familie" beinhaltet, dass die Kinder "Vater und Mutter ehren" müssen. Dass das auch andersherum eine Pflicht ist, vergessen manche Eltern. Sie verlangen Unterordnung und Dankbarkeit von ihren Kindern, egal wie schäbig sie sich selbst verhalten. Spricht man Eltern schwarzer Schafe auf ihr Fehlverhalten an, so weisen sie das meist völlig von sich und sprechen von "undankbaren" oder "missratenen" Kindern, so zumindest ist meine Erfahrung. 

Helga König: Können Sie dem Leser ein wenig über die gestörte Persönlichkeit von familiären Mobbern berichten und hier auch, was es mit deren schizoiden Persönlichkeitsmerkmalen auf sich hat? 

Dr. Peter  Teuschel:  Eine Störung der Persönlichkeit eines Elternteils wirkt sich meist dann schädigend aus, wenn dieser Elternteil der dominante ist. Eine persönlichkeitsgestörte Mutter mit sadistischen Zügen, der der Vater nicht gewachsen ist, wird sich viel schädlicher in der Familie auswirken als eine ängstlich-selbstunsichere Frau, die sich gerne hinter ihrem Ehemann versteckt. Es kommt aber auch vor, dass beide Elternteile Defizite in ihrer Persönlichkeit aufweisen, zum Beispiel bei unreifen Charakteren, denen das eigene Wohl wichtiger ist als die Versorgung der Kinder. Die angesprochene schizoide Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch ein kaltes, unemotionales und abweisendes Wesen aus. Diese Menschen haben meist kein Interesse an zwischenmenschlichen Aktivitäten und können sich schlecht in andere einfühlen. Nicht verwechselt werden sollte diese Störung mit der Schizophrenie, die eine schwere psychotische Erkrankung ist und mit Wahn, Halluzinationen und zum Teil schweren Verhaltensstörungen einhergeht.

Helga König: Sie sagen, in Familien, in denen gemobbt wird, gehe es letztlich auch um Geld und somit um das Erbe. Kann man davon ausgehen, dass es dem Mobber und dem Unterstützer letztlich um eine langangelegte Strategie geht, sich der Rechte des schwarzen Schafes zu bemächtigen? 

Dr. Peter Teueschel:  In vielen dieser Fälle ist das so. Wird ein "schwarzes Schaf" enterbt (was immer auch ein "entliebt" beinhaltet), so kann man im Nachhinein oft jahrzehntelang bestehende Verhaltensweisen erkennen, die auf genau diesen Endpunkt zulaufen. Das Enterben ist dann der letzte Schlag, mit dem die vielleicht auf Seiten des Kindes noch bestehende Beziehung zu den Eltern endgültig zerschlagen wird. Mit dem Wegnehmen des ihm zustehenden Anteils am Familienbesitz ist die Botschaft verbunden: "Du bist kein Teil dieser Familie!" Geschieht dies, nachdem oft Jahre und Jahrzehnte so getan wird, als sei alles in Ordnung, so ist die Wirkung auf die Psyche buchstäblich die einer "platzenden Bombe". In anderen Fällen hat man den Eindruck, dass das Enterben nur ein weiteres Mosaiksteinchen in einer ohnehin desaströsen Beziehungsgestaltung ist. In diesen Fällen rechnen die "schwarzen Schafe" meist schon damit, enterbt zu werden. 

Helga König: Welche Problemfelder weist die Psyche eines durch den Vater oder die Mutter gemobbten Kindes auf? 

Dr. Peter Teuschel:  Von den meist bestehenden Scham- und Schuldgefühlen haben wir schon gesprochen, ebenso vom unvermeidlichen Selbstwertproblem. Viele "schwarze Schafe" entwickeln auch eine fatale Neigung, sich mit anderen zu vergleichen (und natürlich schlecht dabei abzuschneiden ...). Andere berichten von einer ihnen unerklärlichen Ruhelosigkeit, die sich sowohl innerlich wie auch äußerlich auswirken kann. In ersterem Fall entsteht ein Lebensgefühl, dem Glück immer hinterherlaufen zu müssen, ohne es je ganz zu erreichen, nie zufrieden sein zu können oder sich in tausend Aktivitäten zu verlieren, um sich von der inneren Leere abzulenken. Die äußere Rastlosigkeit führt zu häufigen Umzügen, wiederholtem Wechseln des Arbeitsplatzes oder Partners, mit dem Gefühl, sich nirgendwo "daheim" zu fühlen. Wie bereits erwähnt können neben diesen allgemeinen Beeinträchtigungen der Lebensführung auch handfeste psychische Störungen wie beispielsweise Depressionen entstehen, mit denen die Betroffenen dann zu mir als Facharzt für Psychiatrie in Behandlung kommen.

Helga König:  Welche Möglichkeiten gibt es, damit die psychischen Verletzungen der/des Gemobbten heilen können, nachdem diese gemobbten Personen bereits um die emotionale familiäre Zuwendung und um ihren fairen Erbanteil gebracht wurden? 

Dr. Peter Teuschel:  Zunächst einmal gilt es, die eigene Rolle als "schwarzes Schaf der Familie" zu erkennen und insofern zu akzeptieren, als ich mir in diesem Punkt nichts mehr vormache. Dies ist ein oft langwieriger und immer schmerzlicher Prozess, beinhaltet er doch die Erkenntnis, das seit der Kindheit Vermisste auch weiterhin nicht von der Familie zu bekommen. An diesen Prozess des Akzeptierens der schlimmen Wahrheit schließt sich dann ein nicht minder schwieriger des Loslassens an. Ziel ist, eine Position der größeren Distanz zur Familie zu finden. Auch wenn manche Menschen ganz konkret den Kontakt zur Familie abbrechen, ist vor allem der innere Abstand wichtig. Schwarze Schafe erkennen dadurch, dass nicht sie selbst einen Makel haben, sondern die Behandlung durch ihre Familie das Krankhafte, das Schlechte ist. Habe ich diese Distanz erreicht, so kann ich gezielt daran arbeiten, mir ein positiveres Selbstbild zu verschaffen und auf Abstand zu allen zu achten, die mir nicht gut tun und alles zu vermeiden, das mir schadet. Was hier in wenigen Sätzen zusammengefasst ist, braucht seine Zeit. Man wird über lange Jahre zum "schwarzen Schaf" gemacht und es dauert lange, sich davon zu befreien. Manche schaffen es aus eigener Kraft, andere mit einem guten Freund, der ähnliches erlebt hat und wieder andere kommen durch eine Psychotherapie ans Ziel. Das "wie" muss jede(r) für sich entscheiden. Ich möchte aber allen „schwarzen Schafen“ Mut machen, diesen Weg zu gehen!

Lieber Herr Dr. Teuschel, für dieses  aufschlussreiche Interview danke ich Ihnen vielmals.

Ihre Helga König
http://www.schwarzeherde.de/
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