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Helga König im Gespräch mit Prof. Dr. Roger Willemsen

Lieber Roger Willemsen, dieser Tage habe ich Ihr neues Buch "DAS HOHE HAUS- Ein Jahr im Parlament" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen einige Fragen stellen. 

Helga König: Sie schreiben in Ihrem Werk, dass der im November letzten Jahres verstorbene Kabarettist Dieter Hildebrandt Ihr Buchprojekt leidenschaftlich verfolgt hat und sich diesbezüglich noch Tage vor seinem Tode auf den neuesten Stand bringen ließ. Können Sie unseren Lesern über Ihre Beziehung zu Dieter Hildebrandt besonders was das Projekt anbelangt etwas berichten? 

 Prof. Dr. Roger Willemsen
Roger Willemsen: Ach, das löst immer noch Trauer in mir aus, und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Dieter denke. Wir waren fast sieben Jahre gemeinsam auf Tournee mit dem Programm über die "Weltgeschichte der Lüge": Da lernt man sich nicht nur gut kennen, wir waren einander auch wirklich nah. Als Dieter von meinem Plan hörte, war er entflammt wie ein Junger, wollte immer wieder wissen, wie ich bestimmte Charaktere sähe, wie ich Debatten einschätze... Er war einfach ein leidenschaftlicher Zeitgenosse, ernährte sich von Zeitungen, verarbeitete jeden Schnipsel, und so wurde ich auch sein Informant. Dass ich ihm das Buch widmen würde, hat er leider nicht mehr erfahren. 

Helga König: Neben Ihrem Aufenthalt auf der Besuchertribüne im Deutschen Bundestag, haben Sie im letzten Jahr 50 000 Seiten Parlamentsprotokoll gelesen. Live erlebte Politikerreden mitsamt den entlarvenden Gesten der Akteure sind gewiss kurzweiliger als die schriftlichen Parlamentsprotokolle. Was ist Ihnen bei den Protokollen besonders ins Auge gefallen?

Roger Willemsen:  Die Parlamentsrede zeigt häufig eine geradezu unanständige Überdosierung mit Klischees, Stereotypen, Floskeln. Sie wirkt in diesen Teilen abgestorben, von keiner Erfahrung gestreift, von keiner Persönlichkeit getragen. Das wird in der Lektüre manchmal noch transparenter. 

Helga König: Haben Sie auf der Besuchertribüne Menschen kennen gelernt, die das Jahr über immer wieder erschienen sind und wenn ja, haben Sie herausfinden können, welcher Menschentyp diesem eigenwilligen Hobby "Bundestagsreden live erleben" nachgeht? 

Roger Willemsen: Sie werden sich wundern: es kommen kaum Journalisten regelmäßig, da sie die Debatten praktischer im Fernsehen verfolgen. Und für den normalen Besucher ist das Procedere zu kompliziert, er müsste sich alle Stunde neu anmelden, und ich glaube nicht einmal dass das ginge. Ich jedenfalls musste mich jede Woche neu akkreditieren. 

Helga König: Welche Eigenschaft sollte ein Bundestagsredner neben Sachkenntnis Ihrer Meinung nach auf jeden Fall besitzen? 

Roger Willemsen:  Haltung, Überzeugung, die Courage, auch mal gegen Mehrheiten zu agieren, Erfahrung in der Sache schadet so wenig wie Wortschatz. Charisma verlange ich nicht, aber zu wissen, wen man anspricht, kann helfen. Ich weiß nicht, wen sich Angela Merkel als Adressaten vorstellt. Es muss ein genügsames Wesen sein. 

Helga König: Haben Sie von Ihrem Platz aus erkennen können, wer mit wem parteiübergreifend  "gut" kann bzw. zumindest ein entspanntes Verhältnis Dritten gegenüber dokumentiert? 

Roger Willemsen:  Sie würden sich wundern, wie oft die erbitterten Gegner nach geschlagener Schlacht herzlich miteinander werden. Das gilt besonders am Ende der Karrieren, da bedankt sich der FDP-Gesundheitspolitiker Erwin Lotter überschwänglich beim SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, auch für dessen Fairness. Auch Hans-Ulrich Klose (SPD) umarmt zuletzt Ernst Hinsken (CSU), und dass Gysi gut mit Lammert kann, ist, glaube ich, kein Geheimnis. 

Helga König: Konnten Sie feststellen, dass bestimmte Redner erkennbar, eine wohldurchdachte politische Grundhaltung mit individueller Einfärbung ohne sich zu widersprechen, ein ganzes Jahr überzeugend, egal worüber gerade kommuniziert wurde, nach außen bringen konnte? 

Roger Willemsen: Ich fürchte, was Sie suchen, wird man in den Reihen der Großen Koalitionäre vermissen. da sind die Selbstwidersprüche eklatant. Vergleichen Sie mal Gabriel-Reden vor und nach der Wahl! Aber nehmen Sie eine Politikerin wie die junge Diana Golze (Die Linke), die hat Format, Überzeugungskraft und eine konsequente Überzeugung. 

Helga König: Gibt es Bundestagsabgeordnete, deren politische Ethik auf andere ansteckend wirkt? 

Roger Willemsen:  Das ist von oben schwer zu erkennen. Aber dieses fränkische Schneewittchen Dorothee Bär (CSU) setzt in der Kategorie Show neue Maßstäbe, und im positiven Sinne habe ich Peter Altmaier (CDU) rhetorisch nie verächtlich erlebt. 

Helga König: Woran erkennt der unbedarfte Zuschauer Berufsschwätzer, welche Worthülsen fallen in solchen Fällen besonders auf? 

Roger Willemsen: Diese notorische Übung von Schönreden-Schlechtreden ist so ermüdend wie die Standards des Selbstlobs, des Danks an die Bundeskanzlerin, des Linken –Prügelns, der Phrasen von "Wir leben in einem schönen Land" bis zu "Die Vergangenheit darf nie vergessen werden"...

Helga König: Welcher Eindruck drängte sich Ihnen im vergangenen Jahr während der Reden auf im Hinblick auf die Frage, was das brisanteste Thema des Jahres 2013 war? 

Roger Willemsen:  Brisant war das Staatsversagen in der Aufklärung der NSU-Verbrechen, war das völlige Versagen in der NSA-Abhör-Affäre, und auch de Maizieres Haltung in der Drohnen-Affäre war nicht eben ein Ruhmesblatt. 

Helga König: Haben Sie in im Bundestagsrestaurant spezielle Eindrücke sammeln können, vielleicht auch, was Lobbyisten anbelangt?


Roger Willemsen: Denen sind andere, für Journalisten nicht zugängliche Gebäude vorbehalten, soviel ich weiß. Im Restaurant kann man Liebespaare treffen oder auch mal Ursula von der Leyen mit Familie. Ich mochte da vor allem die Angestellten.

Lieber Roger Willemsen vielen Dank für das aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König

Fotos von Roger Willemsen- Copyright: Anita Affentranger

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