Liebe Frau Müller, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Salonfrauen" rezensiert und möchte Ihnen heute dazu einige Fragen stellen.
Helga König: Können Sie unseren Lesern in wenigen Worten kurz schildern, was man unter einem Salon und daraus ableitend unter Salonkultur zu verstehen hat?
Dr. Ulrike Müller Foto: Elisabeth Sandmann Verlag |
Dr. Ulrike Müller: Ein Salon war ursprünglich ein Raum, konkret: der Empfangssaal in einem Schloss. Zugleich nennt man auch eine bestimmte Form der Begegnung "Salon", bei der sich auf Einladung einer Gastgeberin in deren Räumen eine Gruppe unterschiedlicher, gebildeter Menschen regelmäßig zum Gespräch zusammenfindet - stets am gleichen Tag, in der gleichen Stunde, bei gleichen Ritualen, etwa zum Tee. Dieses Phänomen gab es als Salonkultur in den verschiedenen Epochen, in deren jeweils unterschiedlichen Lebensformen und Moden. Eine gewisse Form dieser Kultur findet sich bereits in der griechischen Antike.
Helga König: Sie haben Ihr schönes und dabei hochinformatives Buch in vier Abschnitte untergliedert. Welcher Gedanke lag dieser Entscheidung zugrunde?
Dr. Ulrike Müller: Ja, und eigentlich widerspricht meine Entscheidung der Salonrealität, denn die Grenzen zwischen Literatur, Musik, Kunst, Philosophie waren offen in den Salons. Ein zentrales Anliegen der Gastgeberinnen war Offenheit, sie wollten die Kultur im Interesse der Verständigung gerade nicht in Fach- und Sachbereiche auseinander dividieren. Ich habe das Buch dennoch in vier Kapitel untergliedert, um bestimmte Aspekte und Entwicklungen der Salonkultur besser wahrnehmen und sichtbar machen zu können. So ist es erstaunlich, in welchem Ausmaß die Salonnièren, auch als Mäzeninnen, Musik und Bildende Kunst gefördert haben.
Helga König: Was hatten die von Ihnen vorgestellten Damen, die Literatursalons betrieben haben, gemeinsam und was unterschied beispielsweise die Französin George Sand von der Deutschen Rahel Varnhagen in der Art und Weise, einen Salon zu betreiben?
Dr. Ulrike Müller: Beide hatten wohl den Wunsch grenzüberschreitend zu wirken. Die Aristokratin George Sand versuchte, ähnlich wie Rahel Varnhagen, fortschrittlich denkende Menschen aus Adel und Bürgertum, beide Geschlechter; Angehörige unterschiedlicher Konfessionen, auch Nationen, in ihrem Salon zusammen zu bringen. Als weibliche Autorin – Zigarre rauchend und in Männerkleidung – wollte sie die Öffentlichkeit durchaus auch provozieren, agierte selbstbewusst und mit Witz. Rahel Varnhagen hatte einen ebenso genialen Geist, aber zunächst kaum Selbstbewusstsein. Sie versuchte mit ihrer Gesprächskunst, ihre gesellschaftliche Ausgrenzung als Jüdin und Frau zu überwinden, sich einen Freiraum schaffen, in welchem sie ihre Qualitäten entfalten konnte und sie eine Chance hatte, als Mensch in Würde zu überleben.
Helga König: Was hat Sie veranlasst, bestimmte Salonnièren ausführlicher zu porträtieren und andere nur kurz zu erwähnen?
Dr. Ulrike Müller: Es war der Versuch der Vielfalt Rechnung zu tragen, und dabei zum Beispiel hervorzuheben, dass es nicht nur in Paris oder Berlin, sondern auch in Städten wie Moskau, Prag hervorragende Salonnièren gab. Meine Auswahlkriterien dafür, bestimmten Damen besonders hervorzuheben, waren abhängig davon wie sehr diese Frauen die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung vorangetrieben haben.
Gertrude Stein © The Bancroft Library, Berkeley/ Elisabeth Sandmann Verlag |
Helga König: Nach welchen Kriterien fand die Wahl der Gäste statt und wie darf man sich generell einen solchen Abend vorstellen?
Dr. Ulrike Müller: Die Gäste, sowohl Freunde und Freundinnen als auch Fremde, sollten originell sein und etwas beitragen zu einem gelungen Abend. Es wurden auch immer wieder Berühmtheiten eingeladen, wenn man wusste, dass sich diese gerade in der Stadt befanden. Natürlich wurden in den Salons Netzwerke gebildet, durchaus mit internationalem Charakter. Die Salonnièren waren begabte Netzwerkerinnen!
Helga König: Damit eine Salondame ihre Intellektualität völlig nach außen bringen konnte, bedurfte es einer Schulung des Geistes. Durch wen beispielsweise hatte Fanny Lewald die Chance erhalten?
Dr. Ulrike Müller: Fanny Lewald, in Königsberg geboren, kam aus einer liberal-jüdischen Familie. Die Bücherschränke der Väter boten damals für Mädchen und junge Frauen in gebildeten Kreisen eine Möglichkeit, ihren Geist zu schulen, das Lesen spielte für sie eine sehr große Rolle. Fanny hatte in Stuttgart einen Journalisten zum Onkel, der ihre Schreibbegabung förderte. Ihre Reisen zu Verwandten, u.a. nach Breslau machten sie freier, sie lernte dort u.a., bei Tisch zu diskutieren. Ihre Vorbilder, vor allem Rahel Varnhagen, machten ihr deutlich, wie eine Frau durch Bildung zu einem selbst bestimmten Leben finden konnte.“
Helga König: Wie darf man sich Gespräche in den Salons vorstellen, die sich durch den Schwerpunkt Musik auszeichneten?
Dr. Ulrike Müller: Darüber gibt es gibt es kaum direkte Quellen, eher schon über die Zusammensetzung der Runde oder darüber, was und wie gespielt wurde. In reinen Musiksalons können wir uns Werkstattgespräche vorstellen, in gemischten, der Zeit gemäß, auch die Kombination aus Gesprächen über aktuelle musikalische und politische Entwicklungen, etwa den Demokratie- und Befreiungsbewegungen des 19. Jahrhunderts.
Helga König: Können Sie den Leserinnen und Lesern am Beispiel von Marianne von Werfekin erläutern, wie sich diese Salondame in ihrem Salon mit dem Schwerpunkt Bildende Kunst einbrachte?
Dr. Ulrike Müller: Die Salondamen Im Aufbruch zur Moderne haben nicht nur große Künstler als Gäste eingeladen, sondern agierten zunehmend selbst als Fachfrauen – waren selbst Künstlerinnen oder zum Beispiel auch Journalistinnen in ihrem Bereich. Marianne von Werefkin gründete in ihrem Münchner Salon eine Künstlergruppe, die sich unter ihrer Führung schließlich zu einer Kerntruppe in der Kunst der Moderne entwickelte. Sie war russische Malerin, aus dem Adel stammend und hochgebildet, sprach mehrere Sprachen, eine echte Kosmopolitin, Sie lud auch immer reisende Künstlerinnen und Künstler, vor allem Tänzer, in ihren Salon ein, die beispielsweise nach Paris oder Moskau unterwegs waren und etwas Interessantes an einem der Abende beizutragen hatten.
Winnaretta Singer-Polignac © Library of Congress, Washington D.C. / Elisabeth Sandmann Verlag |
Helga König: Wäre es nach Ihrer Ansicht es möglich, virtuelle Salons zu etablieren, die ein ähnliches Niveau aufweisen könnten, wie die von Ihnen beschriebenen Salons und falls ja, wie könnte ein solches Salonleben aussehen?
Dr. Ulrike Müller: Gibt man den Begriff Salon im Internet ein, so stellt man fest, dass es diesbezügliche beachtliche Versuche gibt, doch ich würde die direkte Begegnung nie unterschätzen. Gemeinsam Tee zu trinken, miteinander zu plaudern, zu speisen, spazieren zu gehen, das waren auch Momente dieser Kultur. Dann spielte auch das Charisma der einladenden Salondame eine entscheidende Rolle. Ich bin mir nicht sicher, ob dies alles wegfallen könnte und dennoch eine anspruchsvolle Salonkultur virtueller Art zustande kommen könnte, aber Versuche sind allemal interessant und lohnenswert.
Helga König: Gibt es eine Salondame unter den von Ihnen beschrieben, die Ihnen besonders nahe steht und falls ja, weshalb?
Dr. Ulrike Müller: Ja, Pauline Viardot-Garcia. Sie war eine geniale und äußerst vielseitige Musikerin, aus meiner Sicht eine der bedeutendsten des 19. Jahrhunderts, und dazu eine ganz großartige Salonnière. In der Runde ihrer Pariser Gäste waren die Malerei mit Ingres oder Delacroix und die Literatur mit Dickes, Hugo, Turgeniew, Heine, Sand oder auch de Musset ebenso vertreten wie die fortschrittliche europäische Musik-szene mit Chopin, Liszt, Berlioz, Saint-Saens oder Clara Schumann. Damit entsprach sie vollkommen dem Ideal einer grenzüberschreitenden Salondame und war im besten Sinne eine große Europäerin.
Liebe Frau Dr. Müller, ich danke Ihnen für dieses aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König
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