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Helga König im Gespräch mit Martina Fontana

Liebe Frau Fontana, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch  "Voll auf Zucker" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Helga König: Sie schreiben das überhöhter Zuckerkonsum zur Sucht nach Süßem führt. Wieso manipuliert Zucker unser Denken und Handeln?

Martin Fontana:  Nun, die wenigsten von uns essen ausschließlich, um satt zu werden. Oft essen wir (und zwar besonders gern Süßes), weil es uns so schön entspannt und manchmal sogar richtig glücklich macht. Oder weil wir uns belohnen möchten bzw. wenn wir unter Frust, Ärger oder Liebeskummer leiden. Gerade wenn wir in negativen Gemütszuständen feststecken, neigen sehr viele von uns dazu, immer wieder nach Schokolade und Co zu greifen, weil uns Gezuckertes so ein wonniges Wohlgefühl verschafft, das uns zu trösten scheint und dafür sorgt, dass es uns mental bald besser geht (Wiener Würstchen haben diesen Effekt eher nicht). 

Wenn uns (zuckriges) Essen öfter (und erfolgreich) aus negativen Gefühlslagen „befreit“, greifen wir immer öfter zu. Wir gewöhnen uns also an, unsere Emotionen durch Essen positiv zu beeinflussen. Und unser Belohnungszentrum im Gehirn spielt mit: Es reagiert mit einer Dopamin-Ausschüttung. Und genau dieses Dopamin sorgt dann für das ersehnte wonnige Wohlgefühl, nach dem wir uns so sehnen… 

Helga König: Wie kommt es zu diesem Dopamin-Kick durch Zucker?

Martina Fontana: Wenn wir immer öfter Süßes essen, um uns zu entspannen, zu belohnen oder zu trösten, passiert etwas Spannendes in unserem Gehirn: Es beginnt, all diese „süßen Ess-Gelegenheiten“ als Gewohnheiten abzuspeichern. Und es sorgt sehr bald dafür, dass in der nächsten emotionalen Situation, in der Entspannung, Belohnung und/oder Trost nötig sind, das Belohnungszentrum anspringt und uns daran „erinnert“: Iss doch wieder von dem, was dir beim letzten Mal so gut getan hat!“ Schon landet die Schokolade o. ä. im Mund, der heißersehnte „Dopamin-Kick“ wird ausgelöst und das wonnige Wohlgefühl stellt sich wieder ein. 

Helga König:  Warum macht zu hoher Zuckerkonsum krank?

Martina Fontana: Jeder Deutsche nimmt im Schnitt pro Jahr 40 kg Industriezucker zu sich! Das ist eine unvorstellbare Menge, dennoch entspricht sie (leider) der Realität! Nur einen relativ kleinen Teil (6 kg) verwenden wir übrigens im eigenen Haushalt (backen, kochen, Tee oder Kaffee süßen) – der große Rest (34 kg) wird uns von der Lebensmittelindustrie „eingeschenkt“: ganz offen z. B. in Form von Süßigkeiten, Softdrinks, Marmeladen, aber auch gut versteckt in Fertiggerichten, Joghurt, Getränken und vielen anderen Produkten. Wie werden regelrecht „zuckergemästet“. Und diese „Zuckermast“ macht unserem Körper immense Probleme. 

Einerseits belasten die großen Mengen natürlich den Stoffwechsel, weil der stark verarbeitete Zucker viel zu schnell ins Blut geht und so den Blutzuckerspiegel in die Höhe treibt. Die Bauchspeicheldrüse muss im Akkord (und immer öfter bis zur völligen Erschöpfung) arbeiten; sie produziert ständig große Mengen Insulin, um den Zucker (die Energie) in die Körperzellen zu schleusen. Leider wandert alle überschüssige Energie (also die, die von den Körperzellen aktuell nicht benötigt wird), umgehend in die Energiedepots der Leber und natürlich in die Fettzellen. Wir gehen auf wie ein Hefekuchen, weil der Körper all die überschüssige Energie speichern muss! 

Es entsteht Übergewicht und damit steigt das Risiko für die bekannten (und befürchteten) Zivilisationskrankheiten (Herz-/Kreislaufprobleme, Diabetes, Krebs usw.). Hinzu kommt, dass quasi alle Industriezuckerarten so stark verarbeitet sind, dass sie dem Körper nur noch (zu) schnelle Energie liefern, aber leider keinerlei Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe bieten. Unglücklicherweise benötigt der Körper aber ebendiese, um den Industriezucker überhaupt verarbeiten zu können – das heißt, er muss sich der körpereigenen Vitamin-/Mineralstoffdepots bedienen, um dem Zucker Herr zu werden. Und je mehr Industriezucker aufgenommen wird, umso schneller leeren sich die Vorräte! Erste Mangelerscheinungen ließen sich dann logischerweise nur vermeiden, wenn die weiteren Lebensmittel, die man zu sich nimmt, besonders viele Vitamine und Mineralstoffe enthielten. 

Aber leider hapert es daran bei vielen Zuckersüchtigen…die Ernährung der meisten ist insgesamt eher „modern“: zu fett, zu salzig, zu süß. Zu viele Fertigprodukte. Zu wenig Naturbelassenes (Obst, Gemüse, Vollkornprodukte). Eine echte Mangelernährung, die ganz sicher nicht dazu beiträgt, dass man gesund bleibt. Sie schreiben, dass mittlerweile 8 Millionen Deutsche an Diabetes leiden, 90% davon an Typ II und sich die Krankheit bis 2025 verdoppeln wird. Diese Tatsache wird zu sehr hohen Kosten im Gesundheitssystem führen. 


Helga König: Halten Sie es für o.k., dass Menschen, die sich diszipliniert im Umgang mit Zucker verhalten, die Kosten für Krankheiten für durch überhöhten Zuckergenuss entstehen, mit tragen müssen?

Martina Fontana: Aus meiner Sicht wäre das bis zu einem gewissen Grad durchaus gerecht. Aber wie wir aus ähnlich gearteten Diskussionen wissen (Nikotin, Alkohol, Drogen, gefährliche Hobbies), dürfte eine solche „Kostenumverteilung“ wohl nicht realisierbar sein. 

Helga König: Was bezwecken Sie mit den Zuckerteufel-Geschichten in Ihrem Buch?

Martina Fontana:  Als ich die Idee für dieses Buch entwickelte, sprach ich mit vielen Menschen über die Themen Ernährung und Zucker(sucht). Ich hörte viele Geschichten, die meiner eigenen ähnlich waren. Bald hatte ich die Idee, einen Teil dieser Geschichten in das Buch einzubauen, Betroffene zu Wort kommen zu lassen. Mir war wichtig, dass das Buch zwar wissenschaftlich fundiert sein sollte, aber vor allen Dingen sollte es„ menscheln“ – meine Leserinnen und Leser sollten sich wieder erkennen, möglichst beim Lesen nicken und denken: „Ja, das kenne ich auch!“ Außerdem wollte ich ihnen mit den Zuckerteufelgeschichten Mut machen und Hoffnung geben: Ja, es gibt wirksame Wege aus der Zuckersucht! 

Helga König:  Sind Zuckerjunkies primär Opfer der Zuckerindustrie oder Täter an der Solidagemeinschaft?

Martina Fontana: Für mich sind Zuckerjunkies vor allem Menschen, die süchtig sind. Und die (früher oder später) Probleme bekommen werden. Insbesondere natürlich gesundheitlicher Art . Die Lebensmittelindustrie schürt das Zuckersuchtverhalten, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Denn jeder Zuckersüchtige ist ein guter Konsument und steigert den Umsatz. Aber die Menschen deswegen als „Opfer der Zuckerindustrie“ zu bezeichnen, erscheint mir nicht ganz zutreffend. Sicherlich treibt die Industrie ihre (lukrativen) Spielchen mit uns, aber wir können (und müssen!) uns sehr wohl wehren! Es gibt Wege, aus dem (Zucker-)Teufelskreis ausbrechen – auch wenn die meisten Süchtigen ein wenig Unterstützung benötigen. Aber genau dafür habe ich das Buch ja geschrieben! „Täter an der Solidargemeinschaft“ können aus meiner Sicht übrigens höchstens jene sein, die in ihrem zerstörerischen Verhalten nichts Falsches erkennen können, die die Augen verschließen und sagen: „Was soll’s, Hauptsache, es schmeckt!“ Aber eigentlich sind auch diese Menschen viel eher Opfer als Täter: Opfer Ihres eigenen Verhaltens. Und der Preis, den sie irgendwann zahlen müssen, wird sehr wahrscheinlich ein sehr hoher sein. Leider. 

Helga König:  Was können Eltern tun, wenn Ihre Kinder aufgrund von Verhaltensmustern, die sie von anderen Kindern erlernen, pausenlos nach Süßigkeiten schreien?

Martina Fontana: Die meisten Kinder lieben alles, was süß schmeckt. Und das schon von Anfang an, denn jeder Mensch wird mit einer Vorliebe für Süßes geboren. Warum? Nun, das hat die Natur sehr schlau eingerichtet: Damit die (leicht) süß schmeckende Muttermilch auch garantiert nicht abgelehnt wird! Schwierig wird es mit der Kinderernährung allerdings, wenn die Stillzeit endet und der Nachwuchs anfängt, das zu essen, was sich ihre Vorbilder (die Eltern, Verwandte, Freunde etc.) einverleiben. Da die meisten Menschen/Vorbilder zu süß essen, steht die nächste Suchtgeneration sehr schnell in den Startlöchern. Jeder der Kinder hat, weiß, wie schwer es ist, diese wieder von den Süßigkeiten weg zu bekommen. Leider helfen weder Vernunft noch mentale Techniken – die Kids sind Süßes gewöhnt und wollen ganz sicher nicht einsehen, dass sie von ihren süßen Lastern besser lassen sollten. Nach meiner Erfahrung (ich bin Mutter von vier Kindern) gibt es viele kleine (und größere) Tricks und Kniffe, um den Zuckerkonsum des Nachwuchses auf ein erträgliches Maß herunterzuschrauben – allerdings gibt es leider nicht den Tipp, der bei jedem Kind greift. Da es mir ein sehr großes Bedürfnis ist, Eltern bei diesem Thema zu unterstützen, werde ich mich im nächsten Jahr voraussichtlich ein weiteres Zucker-Buch, speziell für Eltern, herausbringen. 

Helga König:  Mir hat Ihr Test „ Bin ich ein Zuckerjunkie“ sehr gut gefallen. Glauben Sie, dass Menschen, die bei diesem Test eine hohe Punktzahl erreichen, sich wirklich bemühen werden, von der Sucht los zu kommen? Was könnte zum Umdenken führen?

Martina Fontana:  Das hoffe ich! Mir ging es vor allem darum, dass sich die Leser orientieren können: „Wo stehe ich? Bin ich bereits (hochgradig) zuckersüchtig?“ Von dem „Zustand der Ahnung“ in den „Zustand der Erkenntnis“ zu kommen, bewirkt ja bei vielen Menschen, dass sie intensiver als bisher über das jeweilige Thema nachdenken. Und das Nachdenken und intensivere Informieren kann man nach meiner Erfahrung relativ schnell den Zustand des Umdenken erreichen, den Punkt, wo man beschließt: Ich will etwas verändern! 

Helga König:  Sie nennen zahlreiche Methoden, bzw. Übungen mittels denen man die Zuckersucht überwinden kann. Womit haben Sie die besten Erfahrungen gemacht?

Martina Fontana:  Bei mir war es die Mischung – ich habe alle beschriebenen Methoden erfolgreich angewandt. Allerdings war es tatsächlich so, dass es Tage gab, an denen z. B. die Ekel-Übungen wunderbar funktionierten und an anderen Tagen wollte es einfach nicht klappen. Ich habe mich dann nicht lange herumgequält, sondern einfach etwas anderes ausprobiert (z. B. die im Buch beschriebene Akut-Atem-Übung). Manchmal ging es wirklich einfach nur darum, irgendwie (!) durchzuhalten. Und natürlich gab es auch schlechte Tage; Tage, an denen ich einfach nicht an der Schokolade vorbei gehen konnte (und sie auch gegessen habe). Solche Momente habe ich dann akzeptiert, habe mich nicht dafür verurteilt, sondern vielmehr versucht nach vorne zu schauen, mich für den Rest des Tages (oder der Stunde) wieder mental aufzubauen. Das hat auch fast immer gut geklappt- Den Gedanken: „Jetzt ist eh alles egal!“ habe ich einfach nicht zugelassen bzw. im wahrsten Sinne des Wortes weggeatmet… 

Helga König: Sind ein gerütteltes Maß Eitelkeit und der Wunsch gesund zu bleiben möglicherweise die besten Helfer gegen Zuckersucht? 

Martina Fontana: Es wäre schön, wenn es so einfach wäre: Ein (übergewichtiger) Zuckersüchtiger schaut in den Spiegel, seine Eitelkeit wird angestachelt, weil er natürlich gut aussehen und (zumindest) einigermaßen schlank sein will. In der Folge stellt er sofort das Naschen ein und ist fortan von seiner Sucht befreit. Klingt wie ein Märchen – und das bleibt es für die meisten Menschen auch. Die Mechanismen, die sich in den Köpfen der Süchtigen abspielen, sind sehr komplex und selten langfristig mit Willensstärke („ich will schön und schlank sein“) zu bezwingen. Auch der gute Vorsatz, gesund bleiben zu wollen, wird von der Sucht nur allzu oft ausgehebelt. Erschwerend kommt hinzu, dass Angst (vor Krankheiten) bei den meisten Menschen nicht dazu führt, etwas an der Ernährung zu verändern. Angst ist ein schlechter Motivator. Und auch ein schlechter Berater. 

Wird uns mit Krankheiten gedroht, schalten wir umgehend den „Tunnelblick“ ein. Wir haben plötzlich Scheuklappen auf, die uns den Blick auf die unvermeidlichen Folgen einer extrem süßen Ernährung verwehren. Wir werden blind für die Tatsachen und müssen so auch nicht mehr (so intensiv) darüber nachdenken. Außerdem beginnen viele Menschen, sich dem Phänomen der positiven Illusion hinzugeben: Wir vergleichen uns mit anderen Menschen gleichen Alters/Geschlechts und reden uns ein: „Ich esse viel weniger Schokolade als meine Kollegin Susi, also ist mein Zuckerkonsum noch akzeptabel!“ Oder: „Mein Freund Robert macht viel seltener Sport als ich, also bin ich doch fitter!“ Solche Gedanken und Vergleiche führen dazu dass wir uns auf der sicheren (gesünderen) Seite fühlen, ohne ernsthaft darüber nachzudenken, wie es wirklich um uns bestellt ist. Das ist sehr menschlich, aber leider auch sehr gefährlich. Dadurch verfestigen sich das Fehlverhalten und auch die Fehlernährung immer mehr. Ein (Zucker-)Teufelskreis. Glücklicherweise gibt es viele Wege, den Zuckerteufel loszuwerden – beschreitet man diese erfolgreich, stehen die Chancen auf ein schlankes und gesundes Leben mehr als gut!

Liebe Frau Fontana, für das aufschlussreiche Interview danke ich Ihnen von Herzen.

Ihre Helga König

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1 Kommentar:

  1. Schön, dass es zu diesem Thema ein ganzes Buch gibt. Ich halte den Zucker für das größte Problem unserer Ernährung. Durch meine Ernährungsumstellung (ohne Zucker und ohne Auszugsmehle) bin ich wieder gesund geworden. Ich habe eine für mich (und meinen Mann) somit eine sehr gut funktionierende Lösung, ohne Zucker zu leben und das seit 12 Jahren. Wir essen vollwertig und bereiten die tägliche Nahrung selbst zu. So kommt es nie zu einer Überzuckerung und es entsteht auch keine Sucht nach mehr süßem. Die vollwertige Ernährung ist nicht nur sehr schmackhaft, sondern sichert auch eine gleichmäßige Versorgung mit Kohlenhydraten. Herzliche Grüße Michaela Barthel
    www.vitale-landküche.de

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