Sehr geehrte Frau Müller-Münch, vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch "Die geprügelte Generation" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.
Helga König: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass nicht zuletzt Martin Luther sich dezidiert für die Unterwerfung im Kinderzimmer eingesetzt habe. Ist er einer der Väter der „Schwarzen Pädagogik“ und falls ja, lässt sich ermitteln, ob in katholischen Gegenden Eltern mit ihren Kindern weniger drakonisch umgegangen sind?
Ingrid Müller Münch: Ich glaube, man kann den Reformator Luther mit Fug und Recht als einen der Väter der Schwarzen Pädagogik bezeichnen. Seine Erziehungsansichten dürften aber inzwischen weitgehend überholt sein. Ich kenne leider keine Untersuchungen darüber, ob in katholischen Gegenden damals womöglich weniger drastisch mit Kindern umgegangen wurde. Aber wer immer sich auf das Alte Testament berief, fand genügend Rechtfertigungsstellen für sein Tun.
Helga König: Haben Eltern und Erzieher in der Weimarer Republik Kinder liebevoller behandelt als zu Zeiten der Nazis und in den 1950er und 1960er Jahren, als sich die perfide Nazi-Ideologie durch das Erziehungshandbuch „Die deutsche Mutter und ihr Kind“ von Johanna Haarer in der Kindererziehung niederschlug?
Ingrid Müller-Münch: In der Weimarer Republik gab es zahlreiche reformpädagogische Ansätze, die dann entweder von den Nazis für ihre Zwecke vereinnahmt wurden oder die die Nazis abwürgten. Ich habe diese Zeit nicht untersucht, entnehme aber den in meinem Buch zitierten Worten führender Nazis bis hin zu Adolf Hitler, dass unter ihrer Schreckensherrschaft sich der Umgang mit Kindern drastisch verschärfte. Die Erziehungsziele konzentrierten sich auf den gehorsamen Untertanen, der williges Kanonenfutter ist und ohne Murren und Knurren für einen Diktator in den Krieg zieht.
Helga König: Haarers Buch wurde bis Anfang 1980 1 Million Mal bis verkauft. Gelesen wurde zu diesen Zeiten nicht in allen Gesellschaftsschichten. Bedeutet das, dass Kinder der gehobenen Schichten massiver drangsaliert worden sind?
Ingrid Müller Münch: Wenn wir davon ausgehen, dass es ja nach dem Krieg vor allem zerstörte Städte gab und so etwas wie ein gepflegtes Bürgertum sich erst wieder herausschälen musste, fällt diese Unterscheidung weg. In meinem Buch werden zahlreiche Beispiele gerade auch aus gutbürgerlichen Familien genannt. Und nach allem, was ich über die damalige Zeit an Untersuchungen und Umfragen gelesen habe hält sich schichtenübergreifend und flächendeckend der Eindruck: Eltern damals waren zu 90 Prozent der Ansicht, dass sie Kindern Anstand, Gehorsamkeit und Ordnungsliebe mit Rohrstock und Kochlöffel einbläuen mussten. Egal ob Arbeitereltern oder schon besser situierte.
Helga König: Haben Sie Kontakt mit Psychologen aufgenommen, um sich dort kundig zu machen, welche Erfahrungen diese mit der geprügelten Generation gemacht haben und machen?
Ingrid Müller- Münch: Das, was Psychologen und Traumatherapeuten über ihre Erfahrungen mit der geprügelten Generation gemacht haben, steht alles in meinem Buch.
Helga König: Die Verrohung der Soldatenväter ist ja bekannt, wie erklären Sie sich die hohe Aggressivität von Müttern aus jenen Tagen ihren Kindern gegenüber?
Ingrid Müller- Münch: Die Mütter waren damals ebenfalls schwer traumatisiert – auch wenn man den Begriff ja noch nicht kannte. Sie hatten eine Vergangenheit in einer Diktatur entweder als Täterin, Mitläuferin oder Opfer hinter sich. Sie hatten in den zerbombten Städten in Luftschutzkellern Schutz suchen und jedesmal damit rechnen müssen, aus dieser Lage nicht lebend wieder herauszukommen. Viele Flüchtlingsfrauen waren vergewaltigt worden, hatten Familienangehörige verloren. Und nun lebten sie in einer beginnenden Demokratie, mussten sich den neuen Zeiten anpassen, aufbauen, an der Seite eines Mannes, der verändert aus dem Krieg zurückgekommen war.
Helga König: Spüren Sie in Gesprächen mit den als Kindern geprügelten Menschen deren Unwohlsein und Verdrängungspotential im Hinblick auf das Tun der Eltern, wenn man sie darauf anspricht und wenn ja wie äußert sich dieses?
Ingrid Müller- Münch: Die von mir auf ihre Eltern angesprochenen Kinder waren entweder noch immer wütend, weil sie dort niemals Verständnis für ihre unglückliche Kindheit bekommen hatten. Oder weil diese Eltern ihre damaligen Misshandlungen schlichtweg leugneten. Nur wenige hatten sich versöhnt, und dann auch nur unter Vorbehalt. Die Prügel haben Kinder und Eltern meistens entzweit.
Liebe Frau Müller-Münch, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König
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