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Helga König im Gespräch mit Prof. Dr. Peter Bieri

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Bieri, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Wie wollen wir leben?" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Helga König: Was ist in Ihren Augen ein wirklich selbstbestimmtes Leben?

Prof. Dr. Peter Bieri:  Ein selbstbestimmtes Leben ist eines, in dem es gelingt, möglichst viele Teile der eigenen Person durch ein wahrhaftiges und realistisches Selbstbild zu integrieren.

Helga König:  Haben wir in der Welt der Reizüberflutung durch die Medien überhaupt eine Chance ein selbstbestimmtes Leben zu führen?

Prof. Dr. Peter Bieri:  Ich wüßte nicht, warum uns die Reizüberflutung hindern sollte. Die Befürchtung hört man oft, aber vielleicht ist sie ein Klischee. Schließlich können wir doch zu einem beträchtlichen Grad bestimmen, was wir uns aus dem Strom der medialen Daten zumuten wollen und was nicht.


Helga König: Wer wacher im Hinblick auf sprachliche Gewohnheiten werden möchte, so wie Sie es empfehlen, benötigt eine gewisse Sensibilität für Sprache, benötigt eventuell auch einen elaborierten Sprachcode. Ist es einem Menschen, der zwar überdurchschnittlich intelligent ist, aber restringiert spricht, nach Ihrer Ansicht möglich, seine angenommen Überzeugungen und sprachlichen Gewohnheiten zu überprüfen oder sind restringiert Sprechende ausgegrenzt, wenn es darum geht, mündiger zu werden?


Prof. Dr. Peter Bieri: Von Ausgrenzung kann keine Rede sein. Und es geht auch nicht um elaborierte Sprachcodes. Es geht im Grunde einfach um sprachliche Sorgfalt, die jeder lernen kann.

Helga König:  Können Sie uns mitteilen, wie man ohne Hilfe eines Psychologen Unbewusstes in Bewusstes überführt?

Prof. Dr. Peter Bieri: Es gibt Anzeichen für ein seelisches Geschehen, das zunächst nicht ohne weiteres bewußt gemacht werden kann: Verhaltensmuster, die ich an mir beobachten kann; Tagträume; die hauptsächlichen Wege meiner Phantasie; ambivalente, komplizierte Empfindungen beim Betrachten von Filmen oder beim Lesen von Erzählungen. Die Muster des bewußten Lebens sind die Symptome des unberwußten Lebens.

Helga König: Wann verhilft uns Schreiben zu einem breiteren Bewusstsein?

Prof. Dr.  Peter  Bieri: Wenn es ungeschützt und furchtlos von uns handelt. Wie in einem guten Tagebuch oder einer intimen Korrespondenz.


Helga König: Wann ist ein Mensch zur Selbsterkenntnis fähig? Bedarf es bestimmter Erfahrungen?


Peter Bieri:  Das Bedürfnis nach Selbsterkenntnis entsteht oft, wenn wir in einer Lebenskrise sind und nicht mehr weiter wissen.


Helga König:  Sie sagen der Schlüssel zu allem sei Sprache. Was bedeutet dies in der Konsequenz für eine Gesellschaft?


Prof. Dr. Peter Bieri:  Es bedeutet, daß in einer Gesellschaft, in der das Ideal der Selbstbestimmung ernst genommen wird, die Fähigkeit zum sprachlichen Ausdruck besonders gefördert wird.


Helga König: In einer Gesellschaft, in der nicht nur eine Sprache gesprochen wird, kann sich die kulturelle Identität nicht allein über die Sprache definieren. Welche Kriterien sind zudem notwendig?


Prof. Dr. Peter Bieri: Ich habe nicht geschrieben, daß sich kulturelle Identität allein über die Sprache definiert. Sie entsteht durch die Aneignung ganz verschiedener Elemente einer Lebensform.


Helga König:  Der reflektierte, erkennende Mensch kann nicht so leicht manipuliert werden. Ist ein solcher Mensch für die Welt des Kommerzes überhaupt wünschenswert?


Prof. Dr. Peter Bieri:  Wenn "Kommerz" Manipulation bedeutet, ist die Antwort: nein

Lieber Prof. Dr. Bieri, für das erhellende Gespräch danke ich Ihnen recht herzlich.
Ihre Helga König

Kostenfreies Foto aus dem Bestand von Prof. Dr. Bieri; der Fotograf ist mir nicht bekannt.

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