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Helga König im Gespräch mit Andrea Bräu

Sehr geehrte Frau Bräu, vor einigen Tagen habe ich Ihr Buch "Es war doch nur Sex: Seitensprung ein altes neues Verlangen" rezensiert. Hierzu möchte ich Ihnen einige Fragen stellen.

Helga König: Mir hat gefallen, dass Sie Ihr Buch mit einem historischen Abriss zum Thema Seitensprung begonnen haben. Das Mittelalter war eine Zeit, in der man Empfängnisverhütung noch nicht kannte. Deshalb wohl nutzten Ritter, die in ferne Länder fuhren, um dort Krieg zu führen als Kontrollinstrument den Keuschheitsgürtel bei Ihren Frauen, vermutlich in erster Linie aus Furcht vor so genannten Kuckuckseiern. Hat die Angst der Männer vor einem Seitensprung ihrer Frauen abgenommen, seit sie aufgrund von fast 100% sicherer Empfängnisverhütung keine „Kuckuckseierkonsequenzen“ mehr befürchten müssen?

 Andrea Bräu
Andrea Bräu: Ob die Keuschheitsgürtel – schon aus hygienischen Gründen – wirklich zum Einsatz kamen, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Es gibt auch heute noch genügend „Kuckuckseier“ (ich habe mal irgendwo gelesen, dass jedes 10. Kind dazu zählt). Diese werden demnach bewusst gelegt, während es früher nicht nachvollziehbar war. Die Angst der Männer vor einem Seitensprung hat sicher inzwischen zugenommen, da es sich dabei nicht mehr um ein ausschließliches Männerthema handelt und vor allem keine strafrechtlichen Konsequenzen mehr hat.

Helga König: Ist ein schwelender Konflikt in einer Beziehung eine unabdingbare Voraussetzung für einen Seitensprung und falls ja, worin liegt er nach Ihrer Meinung zumeist begründet?

Andrea Bräu: Man muss zwischen einem einmaligen Seitensprung, einer längerdauernden Affäre oder sogar einem Doppelleben differenzieren. Als Hauptgrund wird sexuelle Unzufriedenheit genannt, die ja häufig aufgrund anderer Konflikte in einer Partnerschaft als Symptom auftritt. Anders verhält es sich beispielsweise bei Menschen, die im Seitensprung aus selbstwertrelevanten Themen Bestätigung suchen. Dann hat ein Seitensprung mitunter gar nichts mit dem Partner zu tun.

Helga König: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass nach Ihrer Erfahrung es keine Ausschließlichkeit gäbe, wenn es um Treue oder Untreue geht und zwar weder auf Geschlecht noch auf Beruf oder andere persönliche oder soziale Bedingungen bezogen. Sind die Gründe für monogames oder polygames Verhalten in der Kindheit zu suchen?

Andrea Bräu: Ich würde doch sagen, dass die jeweilige Kultur ausschlaggebend dafür ist, ob wir mono- oder polygam leben. Nachdem der Mensch als Kind lernt, wie er gut durch das Leben kommt, ist sicher die Herkunftsfamilie ein wichtiger Bestandteil dabei, wie unsere Werte und Moralanschauungen gesetzt werden. Selbstverständlich hat jeder Mensch im Laufe des Lebens die Freiheit, sich
davon zu befreien bzw. die vorgegebenen Konventionen für sich selbst zu überprüfen und ggf. zu verändern.

Helga König: Woraus setzt sich das individuelle sexuelle Profil eines Menschen zusammen?

Andrea Bräu: Aus den genetischen Anteilen, aus der Erziehung und später dann aus den eigenen Erfahrungen und der Weiterentwicklung dessen im eigenen Leben.

Helga König: Sie schreiben, dass es Menschen gibt, die aus Rache fremdgehen. Welchen Rat erhoffen sich solche Menschen, wenn sie Ihre Praxis besuchen? 

Andrea Bräu: Sie hoffen auf Verständnis für ihr Tun. Beim Partner vermutlich darauf, dass dieser auch mal sieht, wie es sich anfühlt, wenn man der passive Teil ist.

Helga König: Sie schreiben, dass Unzufriedenheit in einer Partnerschaft auf der geistigen, seelischen und körperlichen Ebene letztlich immer in sexueller Unzufriedenheit mündet. Wodurch ergibt sich dann der nächste Schritt, seine Befriedigung aufgrund eines Seitensprungs zu suchen?

Andrea Bräu: Entweder in länger andauernder Unzufriedenheit, die jemand nicht mehr einfach nur hinnehmen will und sich konsequent zu diesem Schritt entschließt. Häufig ergeben sich Seitensprünge ja auch aus einer Situation heraus, wenn in die vorhandene Kerbe eben gerade der Richtige schlägt.

Helga König: Sie schreiben, dass Personen im fortschreitenden Alter in Seitensprungportalen ihren Marktwert testen wollen. Welches Problem haben solche Menschen nach Ihrer Erfahrung eigentlich?

Andrea Bräu: Das kann die sogenannte Midlife-Crisis sein, also den eigenen Marktwert nochmal austesten zu wollen. Häufig ist das auch ein Selbstwertthema, den man im Außen zu kompensieren versucht. Das wird natürlich mit zunehmendem Alter immer schwieriger.

Helga König: Welche Grundbedingungen sind erforderlich, damit die Gefahr des Fremdgehens über Jahrzehnte in einer Partnerschaft sehr gering ist?

Andrea Bräu: Zufriedenheit, Reife, Autonomie, Vertrauen, Bereitschaft zu Auseinandersetzungen, um nur einige zu nennen.

Helga König:  Halten Sie es für sinnvoll einen Seitensprung dem Partner besser zu verschweigen, um ihn nicht unnötig zu verletzten?

Andrea Bräu: Das kommt darauf an, was man damit erreichen möchte. Sich selbst von Schuld zu befreien, ist kein guter Grund. Man muss auch abwägen, was höher wiegt: Der Seitensprung, der möglicherweise nichts zu bedeuten hatte oder die Verletzung, die dem Partner zugefügt wird. Wenn es sich jedoch um längerdauernde Affäre mit emotionaler Beteiligung handelt und man die Kernbeziehung retten will, ist es im Grunde unumgänglich, reinen Tisch zu machen.

Helga König: Welche Methoden wenden Sie in Ihren Partnertherapien an, um die Partner nach einem Seitensprung wieder miteinander zu versöhnen?

Andrea Bräu: Erst mal gilt es Verständnis für alle beteiligten Seiten aufzubringen und nicht zu bewerten. Dann gibt es verschiedene Phasen vom Schock über die Wut zur Trauer. Das Vertrauen ist meist dahin und das gilt es wieder aufzubauen. Der Passive kommt um Verzeihen und Vergeben nicht umhin. Und dafür ist die Voraussetzung natürlich die Frage nach dem „Warum“ zu klären.

Helga König: Weshalb finden viele Männer es wenig tragisch, wenn ihre Frauen einen Seitensprung mit einer anderen Frau realisieren und flippen zeitgleich aus, wenn der Seitensprungpartner ein Mann ist?

Andrea Bräu: Ich bin mir nicht so sicher, ob der Seitensprung einer Frau mit einer anderen Frau weniger schmerzhaft ist. Das kann mitunter sogar schlimmer sein, da dabei die komplette, bisher vielleicht heterosexuelle Beziehung, in Frage gestellt werden kann. Innerhalb des eigenen Geschlechts kommt aber häufig das Konkurrenzdenken stark zum Tragen.

Helga König:  Zu Ende meiner Rezension schreibe ich:  "Ob eine gelungene Partnerschaft immer dazu beträgt, einen Seitensprung zu verhindern, sei dahingestellt. Wenn ein in einer gelungen Beziehung lebender Mann mit einer ebenfalls in einer gelungenen Beziehungen lebenden Frau vier Wochen unbeobachtet in einen Raum eingesperrt werden und diese beiden Personen sich auf Anhieb mögen, bin ich mir sicher, dass sie miteinander Sex haben werden, trotz aller ernstgemeinten Treueschwüre ihren Partnern gegenüber, oder irre ich mich da? Wie monogam sind wir wirklich? " Nun, liebe Frau Bräu, was meinen Sie dazu?

Andrea Bräu: Ob wir monogam sind oder nicht, darüber scheiden sich die Geister. Die Monogamie verspricht man ja nicht seinem Partner, sondern im Grunde trifft man für sich selbst die Entscheidung. In jedem Fall sind wir Menschen eben auch nur Menschen und wenn man zwei davon, die in einer glücklichen Beziehung leben, zusammen unbeobachtet auf einer einsamen Insel aussetzen würde und sie sich sympathisch sind, kann es gut sein, dass sie Sex miteinander haben werden. Aber eben „nur“ Sex!

Liebe Frau Bräu, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche  Interview.
Ihre Helga König.

Die Beziehungspraxis
Andrea Bräu
Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin,
Sexualtherapeutin (HPrG)
GfG®-Geburtsvorbereiterin
Rosenheimer Str. 2
81669 München
Tel. 089. 21 11 24 07
www.beziehungspraxis.de

Kostenfreies Foto aus dem Bestand von Andrea Bräu- Der Fotograf ist mir nicht bekannt.

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1 Kommentar:

  1. Sehr geehrte Frau König,

    interessiert habe ich Ihr Interview mit Frau Andrea Bräu gelesen und möchte einige Punkte gerne kurz kommentieren.

    Den eigenen Marktwert möchten sicher nicht nur Menschen in „fortgeschrittenem“ Alter testen. Das hängt wohl auch von der momentanen Lebenssituation ab, in der man sich befindet. Das Selbstwertgefühl möchte im Laufe des Lebens immer mal wieder gestärkt werden.

    Ein Seitensprung aus Rache ist m. E. einer der schlechtesten Gründe für einen Seitensprung. Damit dürfte die ohnehin schon schwierige Situation nicht gerade verbessert werden.

    Im Falle des Seitensprungs einer Frau mit einer anderen Frau könnte ich mir vorstellen, dass ein Mann diesen „Fehltritt“ schlechter verkraften kann, als den üblichen mit einem anderen Mann. Ganz einfach, weil er mit diesem wenigstens noch konkurrieren könnte, aber was sollte er schon gegen eine andere Frau ausrichten?

    Die überwiegende Tendenz geht heutzutage wohl eher in die Langzeitaffäre, zumindest ab der Ü30-Generation. Die kurzlebigen Seitensprünge betreffen sicher die Herren im besten Alter ab ca. Mitte 50 und die jüngeren „werdenden Väter“, was sicher auch mit der zeitweisen sexuellen Unlust der Frauen zu tun hat aber eben auch einfach damit, dass sich nun alles um den Nachwuchs dreht.

    Letztendlich ist niemand vor einem Seitensprung gefeit. Als Schutzpfeiler eignen sich jedoch hervorragend Toleranz, Respekt, Kommunikation, Verständnis und nicht zu vergessen: die Liebe!

    Alles in allem ein interessantes Interview, das kurz und knackig auf den Punkt bringt, wie der aktuelle Status Quo gesehen werden kann.

    Liebe Grüße
    Irene

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