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Helga König im Gespräch mit Prof. Dr. Grönemeyer

Sehr geehrter Prof. Dr. Grönemeyer, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch »Dein Herz: Eine andere Organgeschichte«  rezensiert.  Heute möchte ich Ihnen hierzu, Ihre Zeit  bewusst nicht zu sehr in Anspruch nehmend, vier Fragen stellen.

Helga König: Sie haben in Ihrem Buch, in dem der unbedarfte Leser vom Titel her zunächst ein trockenes Medizinfaktenbuch vermuten könnte, auch einige Gedichte namhafter Dichter einfließen lassen. Lieben Sie Poesie und glauben Sie, dass es sich hierbei um eine Herzensangelegenheit handelt? Wenn ja, weshalb?

Prof. Dr. Grönemeyer
Foto: Kilian Kessler
Prof. Dr. Grönemeyer: Ja, ich liebe Literatur, so wie auch Musik, und manche Lieder wie „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, beglücken mich seit meiner Kindheit. Für mich ist „das Herz“ seit Jahren ein wichtiges Thema, ganz besonders seit meiner eigenen schweren Herzerkrankung. Seit Jahrtausenden schon kreisen die Gedanken der Menschen um diese Fragen, was das Herz mit Gefühlen, mit Ängsten, Glück und Liebe zu tun hat. Keine Kultur, in der nicht das Herz eine zentrale Rolle spielte. Das Organ hat seine eigene Geschichte. Wer sie verstehen will, der muss die Grenzen der Naturwissenschaft überschreiten. Denn wir Menschen leben nicht nur vom Schlag unseres Herzens, wir fühlen es auch. Jeder erfährt das auf seine Weise durch Freude, Leibe, Schmerz und Leid. In zahllosen Kunstwerken, in Bildern, in Versen und Romanen ist diese Erkenntnis aufgehoben. Und auch neueste naturwissenschaftliche Studien bewiesen: Das Herz ist mehr als eine Pumpe, das Herz fühlt.

Helga König

Helga König: Sie sagen, dass sich mit hochentwickelter Ingenieurkunst alleine das Leben nicht bewältigen lasse und auf diese Weise das Herz auf der Strecke bliebe. Wie kommen Sie zu diesem Denkergebnis?

Prof. Dr. Grönemeyer: Nicht jedes Herz, das schmerzt, muss gleich mit dem Herzkatheter untersucht und behandelt werden. Oft wäre dem Patienten allein schon mit der verständnisvollen Nachfrage geholfen. Kommt die Beklemmung der Herzen in vielen Fällen doch von dem, was auf den Seelen lastet, von Angst, negativem Stress und anderem psychischem Druck, von Irritationen, die kein Gerät aufzeichnen kann. Jeder oder fast jeder weiß das, und neuere Studien haben es vielfach bewiesen. Die Ärzte kennen den Zusammenhang, das Wissen darum gehört längst in den Bereich fachlicher Selbstverständlichkeiten. Aber wird dem in der alltäglichen Praxis auch immer Rechnung getragen? Oder sind wir - Hand aufs Herz – nicht allzu oft verführt, uns die vermeintlich sicheren Befunde vom Einsatz der Gerätemedizin zu versprechen? Setzen wir nicht lieber auf die Technik, als dass wir uns auf das langwierigere Gespräch einlassen, uns auf den wankenden Boden einer sehr persönlichen oder gar psychosozialen Untersuchung begeben, von der anscheinend keine messbaren Ergebnisse, keine eindeutigen „Daten“, keine harten Fakten zu erwarten sind? Und wird das nicht in einem gewissen Sinne sogar von den Patienten so erwartet? Ist es nicht so, dass ihr Vertrauen in die ärztliche Betreuung in dem Maße steigt, in dem sich der technische Aufwand der Behandlung erhöht? Und gilt das nicht umso mehr, wenn es um das zentrale Organ unseres Lebens geht, um unser Herz?
Jeder Stich, jedes Rasen, jede Beklemmung, die wir da fühlen, weckt die Angst in uns. Unversehens geraten wir in Panik. Wir sind alarmiert. Wir wollen die bestmögliche Hilfe und denken dabei zuerst an die technischen Errungenschaften der medizinischen Forschung. Was sie der Medizin gebracht hat, steht außer Frage; die Rettung unzähliger Menschenleben wäre ohne sie, ohne Röntgen, ohne Schnittbildtechnologie oder Herzkatheter undenkbar. Und dennoch ist zu bedenken: Nicht jede Störung des Rhythmus, nicht alles Herzleiden lässt sich so nachweisen. Moderne technische Diagnostik allein gibt keine absolute Sicherheit und muss stets eingebunden sein in die ganzheitliche Bewertung der Beschwerden durch den Arzt.

Nicht bei jedem Patienten, der mit Herzstechen und Panikattacken ins Krankenhaus kommt, müssen das EKG oder die Katheter-Untersuchung auffällige Ergebnisse zeigen. Immer noch zu selten wird bedacht, dass das Herz, obwohl es selbst intakt ist, als Schmerzorgan reagieren kann. Diese funktionellen Beschwerden, verursacht etwa durch chronischen negativen Stress, Angst oder Depression sowie durch Stoffwechsel- oder hormonell bedingte Regulationsstörungen, sind nach wie vor eine weithin unterschätzte Gefahr, deren technisch gestützte Fehldiagnose Krankheiten – nicht nur des Herzens – mit schlimmsten Konsequenzen nach sich ziehen kann.


Helga König: Ist es denkbar, dass viele Ursachen für einen Herzinfarkt in seelischer Verkrampftheit, im Gefühl nicht geliebt zu werden und in stressigen Situationen jedweder Art zu finden sind?

Prof. Dr. Grönemeyer: Meist fassen wir unter dem Begriff „Stress“ all das zusammen, was uns in irgendeiner Weise positiv (Eustress) oder negativ (Disstress) belastet. Psychologen weisen ausdrücklich darauf hin, dass Stress an sich nicht schädlich ist, der Mensch ihn im Gegenteil braucht, um leben und sich fortentwickeln zu können. Nur ein Zuviel an Stress oder eine Belastung vor allem durch negativen Stress, dessen Ursachenbewältigung sich dem eigenen Vermögen tatsächlich oder vermeintlich entzieht, wirkt sich irgendwann schädlich aus, unterschiedlich von Mensch zu Mensch.


Helga König: Ist die Gefahr, einen Herzinfarkt zu bekommen für Menschen, die sich gesund ernähren, die nicht rauchen und sich bewegen und sich um eine heitere Grundstimmung bemühen, geringer?

Prof. Dr. Grönemeyer
Foto: Kilian Kessler
Prof. Dr. Grönemeyer: Neuro- und psychokardiologische Untersuchungen haben ergeben, dass ein durch negative Gefühle verursachter Stress Herzrhythmusstörungen nach sich ziehen kann. Ebenso weisen Studien darauf hin, dass positive Gefühle einen harmonischeren Herzrhythmus, körperliches Gleichgewicht und Wohlbefinden erzeugen. Einer neueren Studie zufolge sind Männer in unglücklichen Beziehungen doppelt so gefährdet, einen Herzinfarkt zu erleiden, wie glücklich gebundene. Eine gesunde Lebensführung - viel Bewegung, gesunde Ernährung und positives Lebensgefühl - ist also im Sinne der Prävention von Herzkrankheiten sehr wichtig. Eine Garantie, nicht zu erkranken, kann es aber leider nicht geben, da gibt es immer noch andere Faktoren, wie etwa erbliche Dispositionen, plötzliche Stress-Situationen oder unerkannte Erkrankungen.



Lieber Prof Dr. Grönemeyer, ich danke Ihnen für dieses erhellende Interview.

Ihre Helga König

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