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Helga König im Gespräch mit Dr. Kersten Knipp über sein Buch "Im Gespräch"- zu Klampen-Essay

Lieber Kersten Knipp, vor einigen Tagen habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" Ihr neues Werk "Im Gespräch" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen.

Hier der Link zur Rezension: "Im Gespräch- Wie wir einander begegnen".

Helga König: "Im Gespräch" mit anderen zu bleiben, setzt voraus, dass man den Sinn einer solchen Handlung erkennt. Sie schreiben, ein Gespräch stehe am Anfang aller Verwandlung und sei vermutlich der Grund aller Veränderung. Bedeutet dies, dass Gesprächsverweigerung dem Wunsch „Alles soll so bleiben wie es ist" zugrunde liegt? 

Dr. Kersten Knipp
Foto: Wilma Knipp

Dr.  Kersten Knipp:
Ja, so würde ich es sagen. Anmerken muss ich natürlich, dass es in dem Buch um ernstere Gespräche geht. Also nicht den Plausch beim Bäcker oder mit der Nachbarin (der ist natürlich großartig, und um ihn geht es natürlich auch, aber nur in einem Kapitel). Gespräche ernsthafter Art sind immer eine Herausforderung. Ich muss mich stellen, ich muss meinen Standpunkt begründen und bereit sein, ihn je nachdem aufzugeben. Insofern hat ein Gespräch immer auch etwas Riskantes. Wer sich ihm verweigert, will von Veränderung nichts wissen, der zieht die Blase vor.

Helga König:  Was verstehen Sie unter den Begriff "Gesprächskultur" und setzt diese zwingend eine elaborierte Sprache voraus? 

Dr. Kersten Knipp: Nein, Gesprächskultur setzt eine elaborierte Sprache überhaupt nicht voraus. Eher ist das Gegenteil der Fall: Im Zweifel ächtet sie sie. Denn elaborierte Sprache kann ja durchaus auch ein Instrument der Gesprächsverweigerung sein: Ich drücke mich so schwierig aus, dass der andere mich nicht versteht oder ihm die Lust vergeht, sich auf mich einzulassen. Elaborierte Sprache muss nicht elitär sein, sie kann es aber. Wird sie eingesetzt, um ein ernsthaftes Gespräch zu verhindern, ist sie das Gegenteil von Kultur oder besser vielleicht noch; Zivilisation. Denn genau das macht Zivilisation ja aus: Die Dinge friedlich, verbal zu regeln. Und zugleich zu riskieren, sich etwas anhören zu müssen, was einem nicht passt und darauf angemessen zu reagieren. Das zu tun, ist schon eine Leistung. 

Helga König:
Verfügen die Franzosen aufgrund ihrer Geschichte über eine andere Gesprächskultur als wir Deutschen und wenn ja, wie äußert sich das?

Dr. Kersten Knipp: In einem früheren Buch, der "Erfindung der Eleganz" (Reclam) habe ich mich stark auf Paris konzentriert, weil die moderne Gesprächskultur in erster Linie dort entstand, und zwar, weil das sich gerade entwickelnde Bürgertum dem Glanz des Adels (denken sie an das Versailler Schloss) etwas Eigenes entgegensetzen wollte. Dazu fehlten ihm natürlich die finanziellen Mittel, und so entwickelte es einen eigenen Verhaltenskodex, zu dem eben auch die Gesprächskunst gehörte. Die war ein ungeheuer erfolgreiches Exportmodell - mit der Folge, dass es inzwischen auch einige anderen Länder mit der französischen Gesprächskunst aufnehmen konnten. Und zugleich ist sie dort ebenso wie in Frankreich gleichermaßen bedroht: Denn überall weicht derzeit ja die Toleranz, wächst das Bedürfnis nach Selbstbehauptung und festen, ja fast dogmatischen Weltbildern, die auf Widerspruch eher gereizt reagieren.

Helga König: In einer narzisstischen Gesellschaft nimmt der Monolog nicht selten mehr Raum ein als der Dialog. Welche Folgen könnte dies auf Dauer haben? 


Dr. Kersten Knipp: 
Ja, das ist eine ernste Gefahr. Die Folgen dieses Narzissmus sehen wir ja schon heute - etwa im Alltag: In der Bahn telefonieren einige Leute so, als wären sie allein in ihrem Wohnzimmer. Sie kommen offenbar nicht auf den Gedanken, dass es außer ihnen noch andere Menschen gibt, die einen Anspruch darauf haben, nicht über die Maßen gestört zu werden. Gerade das Handy-Gespräch an unpassenden Orten zeigt, wie wenig einige von uns mit dem anderen noch rechnen, wie sehr sie ein soziales Bewusstsein verloren haben. Das setzt sich dann fort auf dem Gehsteig, wo einige Leute den Blick von ihrem Handy - den imaginären Welten dort - nicht mehr loskriegen. Leicht kommt es dann zu Kollisionen. Das zeigt: Ohne soziales Bewusstsein prallen wir aufeinander. 

Helga König: Sie schreiben, dass User der sozialen Netzwerke, die diese immer fort nutzen, möglicherweise ins Gespräch fliehen wollen, um der Einsamkeit in ihrem Offline-Dasein zu entkommen, dies aber ein offenbar untauglicher Versuch sei. Was macht das herkömmliche Gespräch so einzigartig? 

Dr. Kersten Knipp: Ich selbst nutze ja selbst die sozialen Medien sehr stark - und bin sehr dankbar, dass es sie gibt. Es sind auch schon einige Freundschaften - tiefe Freundschaften - daraus erwachsen. Ich glaube, die sozialen Medien sind sehr geeignet, um Menschen mit gleichen Interessen, vergleichbaren Empfindungen, ähnlicher Veranlagung kennenzulernen. Aber es scheint mir ganz gesund, wenn sich die Konzentration wirklich auf die realen Menschen hinter den Auftritten in den sozialen Medien richtet. Bloß "Likes" zu sammeln, die Zahl um ihrer selber willen zu maximieren, hat etwas Autistisches. Das schmeichelt einer Eitelkeit, die am Ende zu nichts führt, wenn man nicht aufpasst. 


Helga König:
Immer wieder liest und hört man, dass wir in einer "Kommunikationsgesellschaft" leben, das heißt, in einer Gesellschaft, in der Informationen von Person zu Person ausgetauscht werden, sei es mit Hilfe von bestimmten Medien oder durch persönlichen Kontakt. Wie kann es sein, dass in einer solchen Gesellscha ft laut "Ärzteblatt" immer mehr Menschen vereinsamen? 

Dr. Kersten Knipp: Ja, es stimmt: wir erleben so viel Kommunikation wie nie zuvor - aber sind wir wirklich noch einen "Gesellschaft" im eigentlichen Sinn, das heißt, kommuniziert jeder mit jedem? Eher nicht. Eher kommunizieren wir ja in stark segmentierten Gruppen. Junge Menschen überwiegend mit jungen Menschen, ältere mit älteren, die erfolgreichen mit den erfolgreichen, der Mittelstand mit dem Mittelstand (und von dort aus eher selten nach oben oder unten). Das heißt, die Kommunikation verläuft anhand zwar nicht expliziter, wohl aber stillschweigend vereinbarter Grenzen. Zugleich verschwindet die Geduld, auch mit Blick auf das Gespräch. Wer sich also nicht ganz sicher ist, wo er steht, wer eher vorsichtig, verhalten, vielleicht schüchtern ist, der hat es schwer. Artikulation muss schnell gehen heute, wer das nicht schafft, fliegt leicht raus. Ein gewaltiges Problem.

Helga König: Ausgrenzung durch Mobbing, was steckt dahinter? 


Dr. Kersten Knipp:
Ja, Mobbing kann für den Gemobbten zu einer erschütternden Erfahrung werden. Wenn Kollegen nicht mehr mit dir essen gehen, wenn sie dir aus dem Weg gehen, wenn sie dir - und sei es symbolisch - den Rücken kehren und, noch schlimmer natürlich, wenn sie dich verbal attackieren. All dies sind ja Formen der Gesprächsverweigerung, der Isolation. Als Einzelner in einer auf Kollektive oder auch nur Gruppen geordneten Gesellschaft ohne kollektive Zuordnung dazustehen: das kann schon sehr schmerzhaft sein. Man mag zwar einen gewissen Stolz oder auch eine gewisse Selbstvergewisserung aus solchen Erfahrungen ziehen - "mit diesen Leuten will ich auch meinerseits nie wieder etwas zu tun haben" -, aber in erster Linie schmerzt es. 

Helga König: War man in der Zeit der Aufklärung, dem wirklichen Glück des Menschen, nämlich mit anderen im Gespräch zu bleiben, näher als heute und wenn ja weshalb? 


Dr. Kersten Knipp: 
Ich will mich hüten, alte Zeiten zu idealisieren - schon allein, weil ich sie ja aus eigener Erfahrung nicht kenne, nicht kennen kann. Aber das, was sich in Büchern etwa aus dem 17. Jahrhundert über die Kunst des Gesprächs lesen lässt (darüber berichte ich vor allem in der "Erfindung der Eleganz"), das ist schon sehr beeindruckend: diese Subtilität, diese Sensibilität, dieses Bewusstsein von der Wirkungskraft der eigenen Worte. Das Schöne ist, das dieses Bewusstsein zu einem großen Teil Allgemeingut geworden ist (es ist allerdings, siehe oben, aus anderen Gründen - virtuelle Medien, Zeitdruck, Narzissmus, Neigung zu kollektiver Blasenbildung - heute stark bedroht). Denn wir sind ja wirklich in der Lage, anspruchsvolle Gespräche miteinander zu führen, uns aufeinander einzulassen. Bedenken muss man auch, dass auch die Aufklärung ihre großen Einsamen kannte - denken Sie etwa an Jean-Jacques Rousseau. Liest man etwa seine "Bekenntnisse" oder seinen "Träumereien", trifft man auf äußerst schmerzhafte Passagen. Also, die Zeiten sind, wie sie immer waren: schön, aber auch ein bisschen schwierig. 

Helga König: Wie lernt man mit Missverständnissen und Widersprüchen in Gesprächen umzugehen? 


Dr. Kersten Knipp:
Was die Missverständnisse angeht, empfehle ich das gute alte Hausmittel: nachfragen, sich versichern, ob man richtig verstanden hat, richtig verstanden wurde. Das ist die Basis aller Verständigung. Was die Widersprüche angeht: Sie sind in der Praxis nicht immer angenehm, sie stören uns, gehen uns gelegentlich auf die Nerven. Und doch: Wir sollten dankbar für sie sein. Denn Widersprüche zeigen uns, wenn sie begründet sind, ja auch die Grenzen und - womöglich - falschen Grundlagen unserer Kommunikation, sie geben uns zu verstehen, dass wir uns irren, ungerecht oder nachlässig sind. Darüber aufgeklärt zu werden, ist nicht nur eine dem jeweiligen Gespräch förderliche Voraussetzung - vor allem klärt sie uns auf, regt uns an, dies und jenes noch einmal zu überdenken, unsere Argumente zu überprüfen, uns zu fragen, ob wir mit diesem oder jenem wirklich richtig liegen. Und das wiederum ist ja eine Voraussetzung menschlicher Zivilisation: Irrtümer zu erkennen, einzugestehen und zu korrigieren. Allein daraus entwächst Fortschritt, kollektiv wie persönlich. Widerspruch ist die Quelle aller Entwicklung. 

Helga König: Was macht ein ernstes Gespräch aus und was einen gelungenen Small-Talk?


Dr. Kersten Knipp: 
Ein ernstes Gespräch ist eines, in dem man sich auf den anderen einlässt, bereit ist, sich notfalls in jeder Hinsicht in Frage zu stellen. Es ist eines, aus dem ich in letzter Konsequenz verändert - besser informiert, mit neuen Einsichten, neuen Anregungen, ja sogar mit einem neuen Welt- und Selbstgefühl hervorgehen kann. Ein ernstes Gespräch kann uns also auf vielen ebenen treffen - insofern ist es ein Risiko, auf das wir uns einlassen. Das ist beim Small Talk - zunächst einmal - nicht so. Der Small Talk ist wunderbares Plappern, die Lust am unverbindlichen Wort, am Austausch um des Austauschs willen. Allerdings kann aus jedem Small Talk auch ein Deep Talk werden, also ein ernstes Gespräch. Das kann sich innerhalb weniger Minuten ergeben - zum Beispiel auf einer Party -, aber auch im Laufe der Zeit, etwa am Arbeitsplatz unter Kollegen, wo sich Schritt für Schritt eine neue Qualität des Gesprächs ergeben kann - wohlgemerkt: KANN, nicht MUSS. Jedenfalls gibt es, wenn ich recht sehen, kaum eine tiefere Beziehung, die nicht aus dem Small Talk - ein paar ersten Floskeln, ein paar losen, dann sich verdichtenden Bemerkungen hervorgegangen ist. Allerdings gilt auch: Aus dem Small Talk kann auch gar nichts folgen. Und das ist gut so. Denn müssten wir die Folgen jedes Small Talks fürchten, würden wir bald gar nichts mehr sagen. Aber genau. Das wollen wir ja: miteinander sprechen.

Lieber Kersten Knipp, besten Dank für das aufschlussreiche  Interview.

Ihre  Helga König

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