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Helga König im Gespräch mit Mag. Ludwig Drahosch über die Erzählung "Simonettas Schatten"

Lieber Ludwig Drahosch, dieser Tage habe ich Ihre Erzählung "Simonettas Schatten" auf  "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert. Dazu möchte ich heute einige Fragen an Sie richten.

Hier der Link zur Rezension: "Simonettas Schatten"

Helga König: Sie haben Ihrer Erzählung ein Zitat von Leonardo da Vinci vorangestellt. Welche Absicht liegt der Wahl genau dieses Zitates zugrunde? 

Anbei das Zitat: "Die Malerei befasst sich mit den zehn Dingen, die man sehen kann, diese sind: Dunkelheit und Helligkeit, Substanz und Farbe, Form und Ort, Entfernung und Nähe, Bewegung und Ruhe" (Leonardo da Vinci) 
  Ludwig Drahosch und
Nina C. Gabriel
Copyright: Rainhard Lehninger

Ludwig Drahosch:
Dieses Zitat begleitet mich schon seit drei Jahrzehnten, ich habe es für mich erweitert, mit "Schwere" und "Leichtigkeit" also 12 daraus gemacht. Es sind die Fundamente der Beobachtung, innen wie außen weltlich. Diese Gegensätze, die sich darin unbeirrbar als notwendig zeigen, haben nicht nur meine Malerei geprägt, sie haben auch mein Philosophiestudium beeinflusst, so habe ich niemals nur eine Weltanschauung für sich gelesen, sondern immer auch deren Gegenteil zur gleichen Zeit.... Das hat mir geholfen, in einem Beobachterstatus zu bleiben, mehr hatte ich nie zum Ziel. 

Helga König: Was speziell fasziniert Sie an Florenz, der Stadt, die Sie zum Handlungsort Ihrer Erzählung gewählt haben? 

Ludwig Drahosch: Vor ca. 6 Jahren hat mich meine Muse nach Florenz entführt, wir hatten gerade ein paar geschäftige Jahre mit der Leitung eines Theaters hinter uns. Es war für mich der erste Besuch in Florenz. Man muss sich vorstellen, seit meiner Kindheit beschäftigte ich mich mit den Malern und Bildhauern, die diese Stadt hervorgebracht hat. Als wir in Florenz ankamen und spazierend den Hof der Uffizien entlang gingen, war ich im Gespräch vertieft, Nina zugewandt. Mit einem Mal veränderte sich ihr Blick und sie deutete mir, mich umzudrehen. Da stand ich plötzlich inmitten der Piazza della Signoria, umringt von all meinen Idolen. 

Zu meiner Linken eine Skulpturenlandschaft geprägt von Cellinis Perseus und Donatellos Judith mit Holofernes auch eine der schönsten Spiralkompositionen trat mir entgegen in Form von Giambolognas Raub der Sabinerinnen, zu meiner Rechten vor dem Palazzo Vecchio, Michelangelo's David mit seinem vollkommenen Kontrapost, das sich auf raffinierteste Weise im rechten Arm und selbst auch in den Fingern wiederholte und an seiner rechten der Brunnen des Neptun. 

Ich stand wie gebannt da und konnte mich nicht bewegen. Mein Atem stockte und es verschlug mir im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache. An meiner Seite eine Frau, die geboren wurde mit all den Attributen, welche die Künstler der Renaissance und der griechischen Antike ihr Leben lang anstrebten. Diese Frau stand jetzt hier in Florenz an meiner Seite, umringt von den Göttern der griechischen Antike, Kunstwerke, die den Zenit menschlichen Könnens offenbarten. 

Mir war es, als wäre ich nach Hause gekommen, ich - der Maler am Geburtsort der Renaissance und an meiner Seite die dichtende Sappho. Inmitten dieses Traumes war ich dermaßen überwältigt, dass ich ganze 2 Stunden schwieg. Ich denke, das war der Schlüsselmoment, der Augenblick, in dem ich beschlossen habe, den Menschen näherzubringen, was Florenz, die Malerei der Renaissance und das Streben nach dem Schönen bedeutet. 

Helga König

Helga König:
Welche Eigenschaften haben Sie Ihrem Protagonisten Giorgio bewusst zugeordnet, um ihn zu einer Figur gestalten zu können, für die Zeit ohne Belang zu sein scheint? 

Ludwig Drahosch: Meine immer wieder aufkommende Weltfremdheit sorgte dafür, dass ich oft mehr Zeit in der Renaissance verbracht habe als in der Gegenwart. Ich denke, dem Impuls der Welt zu entfliehen sollte man nachgeben, man darf nur nicht vergessen, sich bei diesen Reisen Souvenirs mitzunehmen, die man seiner Gegenwart zeigen kann. Aus Giorgio spreche immer ich, all meine Erfahrungen als Maler kommen in ihm zum Ausdruck, da ist weniger erfunden, als man glaubt. All sein Denken, all seine Reaktionen und auch all seine Wünsche entsprechen Lebenserfahrungen, die ich im Laufe meines Malerdaseins gemacht habe. 

Helga König: Albrecht Dürer soll gesagt haben "Was die Schönheit ist, weiß nur Gott." Hat Ihr Protagonist einen ähnlichen Ansatz im Hinblick auf Schönheit und falls ja, wie äußert sich dieser in der Erzählung? 

Ludwig Drahosch:
Ein schöpfender Maler der Renaissance schöpft stets im metaphysischen Raum, gleichsam, als wäre er in einer Bibliothek Gottes auf der Suche. Hier existiert bereits das, wonach der Mensch noch sucht. Dürer schreibt auch: "Ein guter Maler ist inwendig voller Figur und wenn er ewig leben könnte, hätte er aus den inneren Ideen, von denen Plato schreibt, immer etwas Neues durch die Werke auszugießen. Dieses Inwendig, da sind die Ideas des Göttlichen, der Mensch sucht das, was Gott schon kennt. Auf Seite 51 im 4. Kapitel gehe ich näher darauf ein, hier ein Ausschnitt: "Seine Innenwelt bildete sein metaphysisches Spielfeld. Hier war Unendlichkeit. Hier entstanden Imaginationen, hier blühte die Inspiration und lebte die Intuition. Daran konnte er wachsen, immer und jederzeit, insofern er dafür bereit und offen war. So erkannte er, was für ein weiser und milder Lehrmeister sich in der Schöpfung verbarg. Sein Inneres gehörte ihm allein, doch alles, was er daraus schöpfte, gehörte allen."

Helga König: Sind Frauen wie Genoveva oder Simonetta für einen Künstler notwendig, um die Schönheit, die allem Lebendigen innewohnt, sozusagen mit Herzblut künstlerisch darstellen zu können?

Ludwig Drahosch und
Nina C. Gabriel
Copyright: Rainhard Lehninger

Ludwig Drahosch:
Was ist zuerst da, das, worüber wir denken oder das, was wir darüber denken? Ich denke, die Antwort ist klar. Heute wird das gerne verdreht. Im zweiten Teil von Simonettas Schatten gehe ich näher darauf ein. Den folgenden Satz werden sie darin finden: "Das Schöne hat doch nichts mit Philosophie zu tun, es ist nicht dazu da, dass man es denke." Was bedeutet, wir sollen unsere Wirklichkeit nicht nur aus Theorien formen, sondern auch erkennen, wann uns die Natur die Hand reicht. Wie wir Einfluss auf unsere Wirklichkeit nehmen, hängt davon ab, wie unvoreingenommen wir mit dem umgehen, was uns diese Welt in Erscheinung bringt. Die Erscheinungshaftigkeit einer schönen Frau kann die Wirklichkeit in vielen Formen verändern. 

Der Auftritt von Laura de Noves hat Petrarca dazu veranlasst, seine 365 Sonaten an Laura zu schreiben und damit hat er die literarische Renaissance eingeleitet. Unzählig sind die Beispiele, die uns die Malerei diesbezüglich liefert. Wenn man sich auch noch mit Schillers Begriff von Anmut und seiner Verbindung zur Freiheit beschäftigt, weiß man, dass die Ausstrahlung einer schönen Frau nicht nur ein Fenster zur Metaphysik bedeuten kann, sondern auch zu einer Art von Freiheit, die einem alle weltliche Last von den Schultern nimmt. Somit verändert sich das, was wir denken durch das, worüber wir denken, weil wir aus unserer Gegenwart und seinem Zeitgeist gehoben werden. 

Helga König

Helga König:
Was bedeutet Ihnen der Dichter Francesco Petrarca? 

Ludwig Drahosch: Petrarca bedeutet Mut, echten Mut, nicht der Mut, der sich mit dem Schwert durch die Welt als scheinbarer Held mordet, sondern der Mut, den man benötigt, um in einer Welt das Richtige zu tun. Zu Zeiten Petrarcas lebten die Menschen noch eine Dyade, die Seele wollte Gott anstarren, alles Weltliche war des Teufels und die Frau mit all ihren Attributen ganz besonders. In so einer Zeit sich dem Zeitgeist entgegenzustemmen und in unzähligen Texten das Wesen einer Frau als göttlich zu beschreiben, stand im gefährlichen Widerspruch zu seiner Zeit. Petrarcas Mut und Lauras Schönheit waren letztlich ein Segen für Europa. 

Im 20. Jahrhundert hat sich wieder aus ganz anderen Gründen, vorwiegend in der Kunstwelt, eine Art Verbot des Schönen breitgemacht. Petrarcas Mut ist mir Beispiel und Motivation auch heute wieder der Welt einen Ruck in die mir erscheinende richtige Richtung zu geben. 

Helga König: Sie haben gewiss nicht grundlos nachstehendes Zitat von Petrarca einem Kapitel Ihrer Erzählung vorangestellt. Was bedeutet für Sie als Künstler nachstehendes Zitat? "Es ist aber Naturgesetz, dass das Herz nicht ruht, bis es ans Ziel seiner Wünsche gelangt ist."


Ludwig Drahosch:
Schlüsselerlebnisse, wie das zuvor beschriebene Erlebnis in Florenz oder wie Petrarcas Erlebnis mit Laura, sind wie Samen des Geistes, die keine Ruhe geben, bis sie nicht zu einem für alle sichtbar gewordenen Baum werden. Auch die Entdeckungen des Herzens bedürfen eines Chronisten. Man darf nie vergessen, was das einem abverlangt, hier geht es nicht darum, ein Projekt in 2 Monaten abzuschließen, hier kann es ein ganzes Leben dauern, um eine kleine Nuance Veränderung der Welt zu schenken. Kein vernünftiger Verstand hat die Kraft dazu, das kann nur ein nicht ruhendes Herz. 

Helga König: Können Sie den Lesern etwas über spirituelle Beschaffenheit der "Kohlestücke" berichten, die Giorgio zum Zeichnen verwendet? 

Ludwig Drahosch: Den Kohlestücken liegt eine wahre Begebenheit zugrunde. Das Grab eines von Nina geliebten Hundes, den ich persönlich nicht kannte, war der Anlass. Aus diesem Grab wuchs ohne menschliches Zutun ein Maulbeerbaum. Ich schnitt ein paar Zweige davon ab und brannte damit Holzkohle, mit der ich ein Porträt dieses Hundes zeichnete. Ob und in welcher Form das als spirituell zu bezeichnen ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, dass das Zeichnen eines Wesens mit dem Material, das aus ihm erwuchs, ein sehr eindringliches Erlebnis war. Es vibrierte darin eine Energie, die nicht zu vergleichen ist mit einem Bleistift, den man im Geschäft gekauft hat. 

Helga König: Was müsste geschehen, dass es eine Wiedergeburt der Renaissance gibt und wäre diese wünschenswert? 
Ludwig Drahosch und
Nina C. Gabriel
Copyright: Rainhard Lehninger

Ludwig Drahosch:
Jede Epoche hat etwas zu bieten, nicht nur die Renaissance, auch der Barock oder die Romantik mit ihrem Übergang zum Symbolismus, überall, gingen durch den Epochenwechsel, Weltanschauungen verloren, die vielleicht heute von Bedeutung wären. Wünschenswert wäre all das, was der Welt gut getan hat, wiederzuentdecken. Wir sollten nicht nur dem beweisbaren Aufmerksamkeit schenken, sondern auch dem, was sich bewiesen hat. 

Helga König: Ist nach Ihrer Ansicht im Sinn für das Schöne, die Liebe für das Wahre und Gute verborgen?

Ludwig Drahosch:  In der Fähigkeit, sich in absoluter Selbstvergessenheit der Betrachtung des Schönen hinzugeben, schafft man einen Boden, auf dem das Gute und das Wahre besser gedeihen kann.

Lieber Ludwig Drahosch, besten Dank für das sehr erhellende Gespräch.

Ihre Helga König

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