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Helga König im Gespräch mit Petra Gerster und Christian Nürnberger über ihr Buch "Die Meinungsmaschine"

Liebe Petra Gerster, lieber Christian Nürnberger, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Die Meinungsmachine" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen nun einige Fragen stellen.

Anbei der Link zur Rezension: "Die Meinungsmaschine".

Helga König:  Wie man von Ihnen erfährt, haben Google, Facebook und Co. sich fast des gesamten Werbekuchens bemächtigt, der vordem die privaten Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunksender finanzierte. Was nun? 

 Petra Gerster, Christian Nürnberger
Foto: © Nur zur Verwertung im Rahmen
des vereinbarten Verwendungszweckes.
@ Random House / Kay Blaschke
Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Die Wahrheit ist: Niemand weiß es. Bisher haben die Zeitungen und Zeitschriften mit Einsparungen reagiert, leider auch mit Personaleinsparungen. Die Folge ist: Der Nachwuchs bekommt nur noch Zeitverträge, wird schlecht bezahlt und ausgebeutet. Alle sind überlastet, machen Fehler, haben weniger Zeit für die Recherche, die Qualität leidet, die Leser merken’s und kündigen ihr Abo. Oder, noch häufiger: Sie merken es nur unbewusst, was aber denselben Effekt hat. Also muss man über neue Finanzierungsmodelle nachdenken, es werden auch schon etliche ausprobiert – Spenden, Stiftungen, Crowdfunding. Wird auf Dauer das Zeitungssterben nicht verhindern. Daher denke ich: eine kritische seriöse, gründlich recherchierende Presse ist für unsere Demokratie überlebenswichtig, also muss sie auch finanziert werden. Notfalls über Steuern oder über öffentlich-rechtliche Gebühren. Langfristig jedoch läuft es über die Bildung. Nur der gebildete, mündige Bürger wird ein nachhaltiges Interesse an seriöser Information, Aufklärung und Kritik entwickeln und entsprechende Produkte nachfragen.

 Helga König
Helga König: Sie schreiben Zynismus und Übertreibung gehörten zu den Berufskrankheiten der Journalisten. Können Sie dies an aktuellen Beispielen kurz aufzeigen und mögliche Gründe hierfür erläutern? 

Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Der Zynismus steckt ja schon in dem Satz "bad news are good news". Krisen, Katastrophen, Attentate, spektakuläre Unfälle, Morde, Affären – das alles belebt das Geschäft, steigert Auflage und Quote, und das Geschäft leidet, wenn Saure-Gurken-Zeit ist. Dann beten sie heimlich in den Redaktionen: "Herr schick ein Erdbeben oder lass ein Flugzeug abstürzen." Natürlich geschieht das nicht wirklich, aber der Zusammenhang zwischen Unheil und Geschäft ist nun mal nicht wegzudiskutieren und steht darum immer unsichtbar und unausgesprochen im Raum. Auch die Übertreibung gehört zum Geschäft. Wer eine Überschwemmung erlebt und nicht von einer Flut oder gar einer Sintflut berichtet, wird einfach weniger Aufmerksamkeit, Sendezeit, Platz in der Zeitung bekommen als all die anderen, die sich nicht scheuen, die gewöhnliche Überschwemmung zur Flut aufzublasen. "Der Südpol bricht auseinander" hatte die Bildzeitung neulich getitelt, als sich ein größerer Eisberg gelöst hatte. 

Helga König: Dann listen Sie u.a. auch auf, was Zeitungen gut verkaufen können. Richtig guter Journalismus gehört offenbar nicht dazu. Ist guter Journalismus demnach ein Ladenhüter, der ausgemustert werden sollte? 

Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Nein. Qualitäts-Journalismus lässt sich noch immer ziemlich gut verkaufen, zwar nicht so gut wie Krimi, Krebs und Koitus, aber es gibt weiterhin ausreichend Nachfrage nach seriöser Information, und diese scheint nun sogar wieder zu steigen, nachdem das Informationsmedium Internet immer mehr zu einem Desinformationsmedium verkommt. Außerdem leben wir in aufregenden Zeiten, da steigt der Informations- und Orientierungsbedarf. Gedeckt werden kann er jedoch nur, wenn er auch bezahlt wird. 

Helga König: Hinter ARD und ZDF steht kein gewinnorientierter Unternehmer. Sollte man in unseren komplizierten Zeiten diesen Anstalten öffentlichen Rechts die brillanten Journalisten allesamt - allein schon aus Versorgungsgründen- "anvertrauen"? 

Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Konkurrenz ist gut fürs Geschäft. Daher ist es zum Vorteil aller, wenn sich die brillanten Journalisten in allen Medien tummeln. 

Helga König: Schaffen Medienzare, - mogule und –tycoons genügend Arbeitsplätze, um in irgendeiner Weise eine Existenzberechtigung zu haben, trotz der Desinformation, die möglicherweise von deren Publikationen ausgeht? 

  Petra Gerster, Christian Nürnberger
Foto: © Nur zur Verwertung im Rahmen
des vereinbarten Verwendungszweckes.
@ Random House / Kay Blaschke
Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Bei Rupert Murdoch kann man das bezweifeln. Der dealt mit Politikern und regiert so brutal in seine Zeitungen und Sender hinein, dass man da von journalistischer Unabhängigkeit nicht mehr sprechen kann. Ein Verleger wie Holtzbrinck dagegen lässt seine Redakteure machen. Daher muss man genau hinschauen und jeden Einzelfall prüfen.

 Helga König
Helga König: Sie schreiben, dass es 180 Nachrichtenagenturen gibt. Sollten Journalisten Agenturen von Mogulen generell meiden oder lassen sich aus deren Nachrichten eventuell interessante Zeitgeistmanipulationen herauslesen? 

Petra Gerster/ Christian Nürnberger:Von den 180 Agenturen befinden sich die meisten in staatlicher Hand oder werden staatlich gelenkt. In Demokratien verlassen sich die Medien daher auf unabhängige Agenturen, wie AP, AFP, dpa und Reuters. Was die anderen Agenturen melden, wird jedoch routinemäßig auch zur Kenntnis genommen, weil man daraus erfährt, was der dahinterstehende Diktator denkt oder wie er sich seine eigene Wahrheit mit Hilfe von Lügen und Halbwahrheiten konstruieren lässt. 

Helga König: Wieso sollte man wissen, nach welchen Regeln die Medienmaschine bedient wird? 

Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Weil man dann einen intelligenteren Gebrauch von ihnen machen kann. 

Helga König: Was müsste geschehen, damit sich ARD und das ZDF über kurz oder lang ad absurdum führen? 

Christian Nürnberger: Wenn sie sich noch mehr den Privaten angleichen und noch mehr auf Quote als alleiniges Qualitätskriterium setzten. Aber das werden sie nicht tun. Im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, dass sie gerade umsteuern.

Helga König: Hat ein Journalist im Hier und Heute noch Macht und wenn ja, wie könnte sie, Korruption mal ausgenommen, untergraben werden, aber auch wie könnte er sie sinnstiftend einsetzen? 

  Petra Gerster, Christian Nürnberger
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@ Random House / Kay Blaschke
Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Ja, Journalisten haben Macht. Und das ist gut so. Das muss gar nicht untergraben werden. Journalisten üben Macht aus, indem sie über Dinge berichten, die nicht sein sollen, die schlecht für uns sind, das Gemeinwohl gefährden, uns zu viel Geld kosten und so weiter. VW würde noch immer seine Beschiss-Software in unseren Autos arbeiten lassen, wenn nicht darüber berichtet worden wäre. Christian Wulff wäre noch lange Bundespräsident geblieben, wenn nicht über seinen Privatkredit berichtet worden wäre. Bayerische Landtagsabgeordnete würden noch immer ihre Verwandten beschäftigen, wenn nicht darüber berichtet worden wäre. Karl-Theodor zu Guttenberg, der frühere Limburger Bischof Tebartz-van Elst, die ehemalige bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer und zahlreiche andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wären allesamt noch in Amt und Würden, wenn nicht über ihre Machenschaften berichtet worden wäre. Und Uli Hoeneß hätte sich womöglich das Gefängnis erspart, wenn er nicht aus Angst vor den Medien eine überhastete Selbstanzeige bei seinem Finanzamt abgegeben hätte. 

Das, worüber Medien berichten, hat also Folgen, daher sind sie tatsächlich ein Machtfaktor. Und das ist ja auch gewollt. Deshalb gibt es die Pressefreiheit. Die Presse soll unabhängig und frei berichten dürfen, was schlecht ist. Und indem Medien darüber berichten, soll es besser werden. Das ist der Segen der Macht einer freien demokratischen Presse. Andererseits berichten die Medien regelmäßig auch über den Berliner Flughafen. Und er wird trotzdem nicht fertig, aber immer teurer. Sie berichten seit Jahrzehnten über wuchernde Bürokratien, und sie wuchern trotzdem immer weiter. Sie berichten über das komplizierte Steuerrecht, und es wird dennoch immer komplizierter. Und in den nächsten Jahren werden sie regelmäßig berichten, dass Stuttgart 21 nicht fertig wird, dafür aber immer teurer wird. Daran erkennt man die Ohnmacht der Medien. Mal sind sie also mächtig, mal ohnmächtig, und wie mächtig sie sind, hängt von den näheren Umständen ab. Über absolute Macht jedoch verfügen sie nicht.

Helga König: Was ist besonders spannend an der Entwicklung der sogenannten 5. Gewalt? 

Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Zu erleben, wie sich dieses neue Phänomen entwickelt, wie sich die Spreu vom Weizen trennt, aber vor allem: wie sich Dinge verändern durch öffentliche Debatten im Internet, durch Shitstorms, ‚#Aufschreie und #Metoo-Kampagnen, aber auch durch AfD- und Pegida-Propaganda, russische Desinformation und die Verbreitung von Fake-News. Es ist eine sehr zweischneidige Entwicklung. Wiederum hilft auch in diesem Fall auf Dauer nur eines: Bildung. Die Entwicklung der Medien hängt direkt vom Bildungsstand der Medienkonsumenten ab. 

Helga König: Sehr lesenswert sind die acht wichtigsten Regeln für Mediennutzer. Was ist nach Ihrer Meinung die wichtigste Regel und wie begründen Sie dies? 

  Petra Gerster, Christian Nürnberger
Foto: © Nur zur Verwertung im Rahmen
des vereinbarten Verwendungszweckes.
@ Random House / Kay Blaschke
Petra Gerster/ Christian Nürnberger: Den Medien wird immer wieder vorgeworfen, dass sie zu negativ seien, nie etwas Positives berichteten. Das stimmt, aber das kann man ihnen nicht vorwerfen, denn das ist, wie schon vorhin gesagt wurde, ihr Auftrag. Medien in der Diktatur berichten hauptsächlich Positives über ihren Diktator und ihr Land. Medien in der Demokratie berichten hauptsächlich Kritisches bis Negatives über ihre Politiker und ihr Land – weil der Auftrag einer freien Presse lautet, den Mächtigen auf die Finger zu sehen. 

Es ist wichtiger, Fehlentwicklungen zu benennen und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, als die Stadtverwaltung dafür zu rühmen, dass sie tut, was sie soll. Fehler müssen benannt werden, damit sie künftig vermieden werden können. Daraus folgt nun aber ein sehr wichtiger Punkt, vielleicht die wichtigste aller Regeln. Mache dir nach jeder deprimierenden Zeitungslektüre bewusst: Weil es der Auftrag der Medien ist, das Negative aufzuspießen, ist das, was die Medien berichten, eben kein Abbild der Welt da draußen. Die ist in Wahrheit viel besser als sie in den Medien dargestellt wird. 

Und das ist ein Aspekt, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wenn Du also von einem Flugzeugabsturz liest, dann denke Dir bitte dazu, dass die anderen 99.999 Flugzeuge sicher gelandet sind und dass an den allermeisten Tagen im Jahr sogar alle 100.000 Flugzeuge sicher landen. Mache Dir sich ganz generell immer bewusst, dass da draußen in der Welt viel Gutes geschieht. Die meisten Menschen gehen im Allgemeinen friedlich, höflich und rücksichtsvoll miteinander um. Ärzte sind in der Regel weder Pfuscher noch Betrüger, nicht alle Banker sind Zocker, nicht alle Manager geldgierig, und die wenigsten Kleriker sind übergriffig. Der Rechtsstaat arbeitet recht gut, und die meisten Politiker sind nicht unfähig, verlogen oder korrupt, sondern leisten ordentliche Arbeit. Es wird halt nur nicht berichtet, weil es das Selbstverständliche ist.

Liebe Petra Gerster, lieber Christian Nürnberger, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König

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Die Meinungsmaschine: Wie Informationen gemacht werden - und wem wir noch glauben können

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